„Stern“-Podcast

„Faking Hitler“: Allzu stolzer Blick ins Archiv

So schöne Geräusche wie Konrad Kujau macht sonst nur Louis de Funès.

(Telefon-Freizeichen)

Gerd Heidemann: „Conny“

Konrad Kujau: „Hmmhm.“

Heidemann: „Was ist los?“

Kujau (stöhnt): „Oohhh!“

Mit diesem Vierklang beginnt jede Folge der zehnteiligen Podcast-Serie „Faking Hitler“, in der das Magazin „Stern“ die Veröffentlichung der vermeintlichen Hitler-Tagebücher aufarbeitet. Also: seine Veröffentlichung. Vor 35 Jahren hatte die Illustrierte die Bände mit viel Tamtam unters Volk gebracht und sich damit schwer blamiert. Die Bücher waren gefälscht, und seit Januar wird diese Blamage nun jeden Donnerstag in einer Podcast-Folge ausgebreitet.

Nach einem Drehbuch von Autor und Ex-Viva-Moderator Nilz Bokelberg führt der Journalist Malte Herwig chronologisch durch die Geschichte. Vom ersten aufgezeichneten Telefonat zwischen Fälscher Kujau und „Stern“-Reporter Heidemann im Jahr 1981 geht es für Zuhörer bis ins interne Kreuzverhör, dem die Redaktion ihren Starjournalisten unterzog, als die Sache aufgeflogen war.

Das ist unfassbar spannend, weil das Magazin dafür ins eigene Archiv gestiegen ist und Fundstücke wie die Telefonate zwischen Kujau und Heidemann erstmals öffentlich macht – gleichzeitig aber ist es langatmig und stellenweise so staatstragend und aufgebauscht, dass es peinlich ist.

Anbahnung einer Männerfreundschaft

Ein zentrales Problem ist, dass sich die Macher des Podcasts zu exzessiv an den Original-Dokumenten berauschen. Fast in Echtzeit muss man der telefonischen Anbahnung einer Männerfreundschaft folgen. 1981 kontaktierte der „Stern“-Journalist den Fälscher erstmals, den er damals noch für einen gut vernetzten Händler für Devotionalien aus dem Dritten Reich hielt.

Ein erstes Tagebuch hatte Heidemann schon erworben; 26 Bände versprach Kujau darüber hinaus. Der Legende nach sollten diese an Bord eines Flugzeugs gewesen sein, das im April 1945 auf dem Weg von Berlin nach Salzburg in der Nähe von Börnersdorf, südlich von Dresden, abgestützt war. In den Kriegswirren seien sie unter die Räder gekommen, erklärte Kujau. In kleinen Tranchen könne er sie aber aus der DDR nach Hamburg zum „Stern“ bringen.

Jedes Buch brachte Kujau 85.000 DM ein. Kein Wunder, dass er die Zahl der Bände nach oben schraubte, letztlich auf 62 Stück. Zwei Jahre brauchte er, um sie alle zu fälschen, was Hinhaltetaktik und Ausreden bedurfte. Die wachsende Ungeduld des Reporters können Hörerinnen und Hörer nun bestens nachvollziehen. So zum Beispiel verläuft die Planung für eine nächste Lieferung:

Kujau: „Höchstwahrscheinlich wird es am Dienstag Spätnachmittag, bevor ich sie kriege. Kann natürlich dann auch Mittwochfrüh sein. Wie isses? Wollen wir Mittwoch schon was ausmachen?“

Heidemann: „Ja, was ist Dir lieber? Soll ich kommen oder sollst Du kommen?“

K: „Wenn ich aber Mittwochvormittag fliege, also früh, dann wäre es mir lieber, wenn Du runter kommst. Weil Du hast ja eine bessere Verbindung fast als ich.“

H: „Also dann Mittwoch. Ist gut. Und wir können vorher ja auf jeden Fall noch telefonieren. Am Dienstagabend oder sobald Du was gehört hast. Ich bin ja so lange noch zu Hause.“

(…)

K: „Wir halten Mittwoch. Okay?“

H: „Okay.“

K: „Dann wünsche ich Euch ein schönes Wochenende.“

H: „Ja, wünsche ich Euch auch. Bei uns regnet’s wieder.“

K: „Bei uns auch.“

H: „Bei Euch auch.“

K: „Und drüben haben sie zehn Grad und seit Freitag Spätnachmittag hat es angefangen zu regnen. Bis jetzt regnet es.“

H: „Also zehn Grad hatte man ja im Dezember auch.“

K: „Die haben zehn Grad. Die haben eingeheizt.“

H: „Ah. Das ist ja wieder ein Sommer. Naja, hilft nichts. Wir müssen bald mal in die Karibik fahren, wenn alles gut läuft. Also: grüß Deine Frau schön.“

K: „Wir telefonieren vorher noch. Wir halten dann mal Mittwoch.“

H: „Ist gut.“

K. „Gut?“

H: „Gut. Also. Wiederhören. Dankeschön.“

K: „Wiederhören.“

Oder anders gesagt: „Orrr!“ Denn für Historiker ist das als Primärquelle sicher wahnsinnig spannend, für die durchschnittlich interessierten Zuhörer ist diese banale Ausführlichkeit aber nur eins: zu viel.

1.000-DM-Bündel in Hertie-Tüten

Das ist schade, zumal der „Stern“ zwischen solchen Endlos-Dialogen übers Wetter und über Flugpläne spannende, aktuell geführte Interviews und eine Zeitreise versteckt. In den 1980er Jahren wurde in der BRD Journalismus noch von Haudegen mit viel Zeit für Recherchen und prallem Spesenkonto betrieben. „Das zahlt alles der Verlag“ – wann hat man das zuletzt gehört.

Gerd Heidemann, mittlerweile 87 Jahre alt, kann noch selbst von den 1.000-DM-Bündeln erzählen, die er regelmäßig in der Hamburger Verlagsetage von Gruner+Jahr abholte. In der Jackentasche oder einer Hertie-Tüte trug er sie nach Hause. Wenn die Lieferung von Kujau sich mal wieder verzögerte, wurde das Geld kurzerhand unter dem Sofa zwischengeparkt.

Tagebuch-Dealer Kujau ist bereits im Jahr 2000 verstorben. Über dessen System, aus wertlosen Objekten mit Hilfe gefälschter Zertifikate historische Besonderheiten zu machen, berichtet Marc-Oliver Boger. In Kujaus ehemaligem Wohnort Bietigheim-Bissingen betreibt er ein Kujau-Kabinett, was ihn zum Experten macht, etwa für das künstliche Altern von Papier mit schwarzem Tee. Schon als Kind vertickete Kujau auf den Schulhof eigenhändig gefälschte Autogrammkarten. Heute haben seine Fälschungen selbst ihren Wert.

Auch der Historiker Thomas Weber kommt zu Wort, um die Faszination der Tagebücher damals und ihre historische Bedeutung aus heutiger Sicht zu erklären. Der Schauspieler Stefan Lehnen liest Ausschnitte aus den Büchern, in denen man von Hitlers Verdauungsbeschwerden und Eva Brauns Haustierwünschen erfährt. Und die frühere „Stern“-Journalistin Ingrid Kolb erzählt, dass 90 Prozent der Mitarbeiter von nichts wussten, bis der Scoop auf der Titelseite stand. Aus Angst, die Geschichte an die Konkurrenz zu verlieren, hatten die Chefetagen von Magazin und Verlag die Redaktion außen vor gelassen. Die Chance auf eine Gegenrecherche durchs eigene Haus: vertan.

35 Jahre später verspricht der „Stern“ dafür, umso genauer hinzuschauen. Tatsächlich geht er hart mit sich ins Gericht. Er macht öffentlich, wie Kujau sich in einem Telefonat kurz nach dem Auffliegen der Fälschung mit „Ich hätte ja nicht mehr weiter gef… äh, das heißt, mir die Sachen besorgt“ fast verplappert, ohne dass Heidemann aufmerksam wird. Auch erwähnt wird, dass der „Spiegel“ damals warnte, es befänden sich Fälschungen im Umlauf.

Allerdings wäre diese Kritik in eigener Sache glaubwürdiger, wenn der „Stern“ nicht so unglaublich stolz darauf wäre. „Es ist unsere eigene Geschichte, mit der wir uns selbstkritisch auseinandersetzen“, sagt die neue Chefredakteurin Anna-Beeke Gretemeier in der Pressemitteilung zum Podcast. „Als wir vor rund einem Jahr auf das Material stießen, haben wir erkannt, welche neuen Möglichkeiten sich damit journalistisch für uns bieten. Noch nie war jemand so nah dran an den Geschehnissen.“

Stolz und Selbstüberschätzung

Die eigene Wichtigkeit betont das Blatt mit Formulierungen wie: „der 25. April 1983 ist einer der wichtigsten, spannendsten, absurdesten und skurrilsten Tage der deutschen Pressegeschichte“ im Vorspann; im Ankündigungstext auf einen „der dunkelsten Tage der deutschen Pressegeschichte“ verkürzt.

Diese Kombination aus Stolz und Selbstüberschätzung kommen einem bekannt vor: Mit ihnen präsentierte der „Stern“ damals die vermeintlichen Tagebücher Adolf Hitlers natürlich als: Weltsensation! Zudem ist das Lob für den Detailreichtum der Aufarbeitung etwas wohlfeil. Schließlich verfügt nur der „Stern“ selbst über einen Zugang zu den dafür nötigen Dokumenten.

Über viele Jahre lagen die gefälschten Tagebücher im Keller des Verlagshauses in einem Giftschrank verborgen. 2013 wollte Gruner + Jahr sie dem Bundesarchiv in Koblenz überlassen, doch der Plan scheiterte. Ein Jahr später entschloss sich der damals neue Chefredakteur Christian Krug, die Sache offensiver und redaktionell anzugehen. Im einem Sonderheft zum 70. „Stern“-Geburtstag Anfang 2018 erschien ein ausführlicher Artikel, im gleichen Jahr wurden die Bücher beim Tag der offenen Tür erstmals öffentlich ausgestellt.

Die Podcast-Serie ist die konsequente Fortsetzung dieser Aufarbeitung; gut redigiert und mit weniger Eigenlob – also in nur fünf Folgen oder zehn halb so langen – wäre sie allerdings hörenswerter.

2 Kommentare

  1. Ich finde Eure Kritik ja noch reichlich maßvoll. Ich halte die Serie für erzählerisch, gestalterisch, soundtechnisch und strukturell maximal verschenkt. Leider.

    Material und Story hätten so viel mehr hergegeben. Schade, dass der Stern nicht den Mut hatte, das Projekt an eine mit solchen Stoffen und Archivtönen wirklich erfahrene Radio/Audioredaktion zu geben.

    Möglicherweise ist das auch dem in Deutschland (selbst unter journalistischen Profis) nach wie vor weit verbreiteten Irrglauben geschuldet, dass eine Audioserie/Podcastreihe zu produzieren ja total einfach, unaufwändig und kostengünstig zu haben sei. Tja. ¯\_(ツ)_/¯

  2. Ich schließe mich #1 an – ich habe lange nicht mehr so schlechtes Storytelling in Podcasts erlebt.

    Durch drei Folgen habe ich mich gequält bis ich genervt aufgeben musste. Für mich als Journalist war natürlich spannend diese Welt kennenzulernen, diese Gier, die Original-Gespräche. Das wird aber durch diese Selbstverliebtheit kaputt gemacht: Der Sprecher führt das aufgezeichnete Gespräch inhaltlich ein, dann höre ich das Gespräch, dann fasst der Sprecher es auch nochmal für mich zusammen, damit ich es auch ja verstehe. Dieses Muster wiederholt sich ständig, es kommt kaum Spannung auf, nichts muss ich mir selbst denken, alles wird mir vorgekaut.

    Ich schließe mich der Autorin an: Die Hälfte der Zeit und Folgen hätte es auch getan. Alternativ kann man auch „Schtonk!“ schauen, der macht mehr Spaß.

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