Wochenschau (27)

Urheberrecht gewonnen, Wähler und Leser verloren?

Demonstration gegen die Urheberrechtsreform Foto: Netzpolitik.org

Langsam wird es wirklich albern. Erst waren die Kritiker der Urheberrechtsreform angeblich Bots, dann wurden sie vermeintlich von Google & Co. für 450 Euro pro Stück gekauft.

Wenn das so weitergeht, dann bleibt eigentlich nur noch der Vorwurf des Kommunismus und eine Verschwörungstheorie, die irgendwas mit Russland oder Kuba zu tun hat.

Und so weit ist Heribert Prantl davon gar nicht entfernt, denn für seine Kritik an der Kritik hat der Newsletter-Autor der „Süddeutschen Zeitung“ Sätze aus einem alten Text über das Urheberrecht im Zeitalter von Tauschbörsen geremixt, den er im Jahr 2010 mit den schönen Worten begann: „Das Internet hat den Kommunismus wieder eingeführt.“

Wer filtert die Union?

Die Sache mit den gekauften Demonstranten hat der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary in die Welt gebracht. Der „Bild“-Zeitung sagte er am Samstag:

„Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Bis zu 450 Euro werden von einer sogenannten NGO für die Demoteilnahme geboten. Das Geld scheint zumindest teilweise von großen amerikanischen Internetkonzernen zu stammen. Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie bedroht.“

Der Europa-Account der Union teilte das:

Das war selbst einigen CDUlern so unangenehm, dass sie sich online distanzierten, wie beispielsweise der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer:

Oder auch der unionsnahe Digitalverein C-Net:

Der schleswig-holsteinische CDU-Landtagsabgeordnete Lukas Kilian ärgerte sich noch deutlicher:

Am Sonntag ruderte Caspary schließlich nach klassischer Sollte-der-Eindruck-entstanden-sein-so-tut-mir-das-leid-Manier zurück und relativierte seine Aussage. Offenbar hatte er nicht alle Demonstranten gemeint, sondern nur fast alle.

Im Februar hatte der EU-Abgeordnete Sven Schulze wiederum die an ihn adressierten Urheberrechtsreform-kritischen Emails als eine Fake-Aktion von Google bezeichnet, weil, so die vermutlich unoriginellste Verschwörungstheorie aller Zeiten, diese Nachrichten ja alle von Gmail-Konten stammten.

Es ist verblüffend, wie sehr sich die CDU gerade für viele Internet-Nutzer unwählbar macht. Zigtausenden Bürgern eine Käuflichkeit in Bezug auf ein politisches Anliegen zu unterstellen, vernichtet jedes Vertrauen in die Integrität der Partei. Und ist unverschämt.

Die Politiker bereiten hier gerade einen Pyrrhussieg vor: Wenn sie mit dem Gesetz Erfolg haben, dann werden sie politisch nur verlieren. Operation gelungen, Internet kaputt, Wähler weg.

Antidemokratische Arroganz

Hinter den Unterstellungen steckt auch eine seltsam antidemokratische Arroganz: Das demokratische Bewusstsein der Andersdenkenden muss ein herbeimanipuliertes sein, die Demonstranten sind zu leichtgläubig und nicht „Profi“ genug, um eine valide Meinung zu haben. Sowohl die Verschwörungstheorien als auch die Lächerlichmachung reduzieren die politisch Engagierten auf eine kindliche Unmündigkeit, sprechen Tausenden von Menschen ihre Medienkompetenz und ein aufrichtiges politisches Interesse ab.

Bemerkenswert an den kommunikativen und argumentativen Mechanismen, sowohl von der CDU als auch den Reform-Befürwortern in etablierten Medien, sind die Parallelen zur Diskreditierung der „Fridays for future“-Aktivisten. Da sind die Schüler keine eingekauften Bots, aber immerhin von einer Klimasekte instrumentalisierte Schulschwänzer.

Auch Ruprecht Polenz, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU, stellte den Zusammenhang zwischen beiden Protesten her und mahnte:

Dabei haben die 14- bis 29-Jährigen heute ein enormes politisches Interesse, Gestaltungswillen und – vielleicht das Wichtigste – keine Angst vor Utopien. Die demonstrierende Generation ist nicht wegen, sondern trotz der Politik politisch aktiv.

Klaus Hurrelmann, der Leiter der Shell-Jugendstudie, stellte fest, dass die 12- bis 25-Jährigen sich von der Politik im Stich gelassen fühlen: 69 Prozent der Befragten würden den Satz unterschreiben: „Politiker kümmern sich nicht darum, wie ich denke.“

Gleichzeitig ist das Interesse an Politik gestiegen: Während 2002 nur 34 Prozent angaben, sich für Politik zu interessieren, waren es vor zwei Jahren 46 Prozent.

Der Soziologe Hurrelmann konstatiert:

„Junge Leute wünschen sich die Erfahrung der politischen (Selbst-)Wirksamkeit. Sie wollen spüren, dass sie Dinge verändern können, aber die Parteien ermöglichen das nach ihrer Einschätzung heute nicht. Weil sie die Machbarkeit nicht nachvollziehen können, wenden sie sich ab.“

Das Engagement der Jungen lächerlich machen

Nicht nur die Politik, auch die großen Medien kämpfen gegen die zumeist jungen Demonstranten, indem sie ihren Aktivismus verächtlich machen.

Die „Welt“ erinnern die Demonstranten an „junge Kriegsbegeisterte früherer Zeiten“ und ihren „Hurrapatriotismus“.

Beste Stelle im Vorspann eines Kommentars der „Süddeutschen Zeitung“:

„Wer gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße geht, protestiert nicht für die Freiheit des Internets. Er opfert seine Bürgerrechte.“

Wer demonstrieren geht opfert seine Rechte, aha.

Und auch der Anfang erwähnte Wochenrückblick von Heribert Prantl ist so aufschlussreich wie erschütternd – er zeichnet die Demonstranten und Aktivisten ebenso als verblendetes Protestvieh, das die Zusammenhänge noch nicht verstanden hat:

„Aber die Vorwürfe stimmen nicht, es handelt sich um Lügen und Finten der Internet-Großkonzerne. Sie haben die Netzgemeinde mit diesen Lügen eingewickelt. Diese Konzerne tarnen ihre Geschäftsinteressen mit heuchlerisch idealistischen Gerede. Angesichts der immer neuen, immer dreisteren Verstöße gegen den Datenschutz, die sich diese Konzerne weltweit, tagtäglich und rund um die Uhr leisten, ist es schwer zu begreifen, dass so viele kluge Menschen sich vor deren Karren spannen lassen.“

Warum werden die zumeist jungen Engagierten politisch und medial lächerlich gemacht? Unabhängig von der ideologischen Ausrichtung ihres Protests, ob für den liberalen Kampf für die Kunstfreiheit oder einen tatsächlich konservativen Kampf um Nachhaltigkeit – ihr Engagement wird abgewertet.

Demographische Asymmetrie der Macht

Und es ist ja auch kein Ideologie-Konflikt, es ist ein Haltungs-Konflikt: Tradition versus Ambition. Die Älteren mit anderen persönlichen Interessen und Vorstellungen darüber, wie mit Gesellschaft und Welt umzugehen ist, gestehen den Jungen nicht die Kritik und Kompetenz zu, weil diese noch nicht die Zeit hatten, die Welt, Gesellschaft und Kultur aufzubauen und zu prägen, über deren Gestaltung jetzt hier, ob bei Klimaprotest oder Urheberrechtsreform gestritten wird.

Die grundsätzliche Frage ist: Wer hat das Recht, wer die Diskurshoheit, darüber zu bestimmen, was nun mit der Welt geschieht? Die, die sie jahrzehntelang geformt und erlebt haben? Oder die, die in den nächsten Jahrzehnten darin leben sollen?

Das ist natürlich eine hilflose Frage, da Gesellschaft genau die Wärme ist, die entsteht, wenn sich diese beiden Kräfte der Selbstermächtigungen aneinander reiben.

Dennoch besteht ein Ungleichgewicht: Das politische System ist so aufgebaut, dass es immer zu einem demographischen Asymmetrie der Macht kommen muss, Ältere immer über Jüngere bestimmen. Deshalb ist es umso wichtiger, sie nicht permanent zu desavouieren. Vor allem wenn die Älteren nicht gerade durch Kompetenz überzeugen.

8 Kommentare

  1. Ist schon ziemlich schwach, aber Jüngere und/oder Andersdenkende als generell irgendwie manipuliert oder unfähig zu denken zu denunzieren, ist eine Taktik, die die heutige Politikergeneration bestimmt von ihren Eltern und Großeltern gelernt hat.

    Angeblich gab’s das schon bei Sokrates, was die Sache nicht grundsätzlich besser macht.

  2. Sehr schöne Kolumne – und erschreckend wie Recht sie haben; die Nachrichten lassen mich schon seit Wochen fassungslos, wenn es um die Reaktion „der Politik“ auf diese Anliegen geht (und das sage ich als Mensch, der altersmäßig zwischen eben jenen beiden Generationen steht).

  3. Und in „Kürze“ Brennpunkte,Anne -Will-Hart-Illner -Maischberger über die verlorene Generation,was die Kinder richtig falsch gemacht haben,
    das die älteren eigentlich keine Fehler gemacht haben,
    sich aber der Jugend nicht richtig mitteilen konnten…
    auf garkeinen Fall was wo die ältere Generation vorgeführt wird oder als Depperte dasitzen…
    Freue mich schon auf die Analysen von Manfred Spitzer und Arnulf Baring(eigentlich tot,aber eine Talkshow ohne ihn,undenkbar)
    Alternativ geht auch Michael Wolfsohn ;-),der dann auch zum Thema Wölfe referieren und historische Parallelen ziehen könnte…
    „Aktive Wölfe und aktivierte Jugend..?!“ so Geschwurbel in der Art
    Und Hurrelmann,nicht vergessen!!!

  4. Ich finde es vollkommen absurd, die Jugend so verächtlich abzuwerten, auch Lindner mit seinem „lasst das mal die Profis machen“ passt da rein. Da gibt es jede Menge junge Leute, die sich – idealistisch, wie die Jugend nunmal ist – für Werte wie Meinungsfreiheit, nachhaltigen Umweltschutz etc. einsetzt. Was wollt Ihr eigentlich noch, Ihr dämlackigen „Profis“? Zu meiner Zeit gab es die Wahl zwischen Rumgammeln mit den Punks, Punkprügeln mit den Nazis, Weltschmerz zur Schau tragen mit den Gruftis und noch ein paar ähnlich gehaltvolle Optionen. Ich drücke der Jugend, die „so drauf“ ist, jedenfalls alle Daumen. Sage ich als baldiger alter weißer Mann. Ihr werdet hoffentlich auf unseren Gräbern tanzen.

  5. Als (naja zumindest überdurchschnittlich) alter weißer Mann muss ich zugeben, dass auch ich zunächst die Auftritte von Greta Thunberg und die ersten Fridays-for future-Demos ziemlich kritisch gesehen habe. Eben weil ich durch meine berufliche Erfahrung in der Energiebranche sehr genervt davon bin, wenn irgendwelche selbsternannten Klimaretter mit wohlfeilen Forderungen auftreten, die schlicht und einfach unrealistischer Quatsch sind. Dass es keine einfachen Wege zu wirklich wirksamem Klimaschutz gibt. Dass das Problem furchtbar kompliziert ist. Und wenn dann noch Kinder und Jugendliche auf dem Niveau loslegen…
    Inzwischen sehe ich das anders. Denn natürlich sind gerade Kinder, Jugendliche und junge Menschen diejenigen, die vermutlich die Folgen des Klimawandels zu erleiden haben, während ich wohl nicht mehr leben werde, wenn es ernst wird. Vor allem sehe ich auf den Bildern von den Demos sehr viele Banner und Transparente, die sich nicht nur an die „böse“ Politik, sondern auch an die eigenen Eltern und an Jederfrau/mann richten, Forderungen wie „Kauft keine SUV“ und „Lasst diese ewige Fliegerei endlich sein“. Und diese Art von Bewusstsein in die Bevölkerung zu bringen, also dass erst einmal jeder bei sich selbst anfangen sollte, das finde ich dann doch sehr klug. Und dass das langsam zu einer Massenbewegung werden könnte, das macht mir sehr viel Mut. Denn das wird auf Dauer nicht mehr zu marginalisieren sein.

  6. Caspary mit den gekauften Demonstranten, Voss mit der Google-Verschwörung, beide berufen sich auf FAZ-Artikel und auch nachdem beides als flott dahergelogene VT erkannt wurde, verbreiten sie die objektiven Lügen einfach weiter. Wie Voss vor 2 Tagen im Interview oder Caspary hier: https://twitter.com/pkNRG/status/1110485826369175553

    Der bringt es sogar fertig, in einem Atemzug zu bestreiten, dass er das jemals behauptet habe, indem er zum Bewies die Behauptung wiederholt.

    Wahrlich nicht das erste Mal, dass sich das Argumentationsniveau der Mitläufer und executives aus dem Herzen der Bestie kaum noch von dem durchschnittlicher Reichsbürger unterscheiden lässt.

  7. >Ist schon ziemlich schwach, aber Jüngere und/oder Andersdenkende als generell irgendwie manipuliert oder unfähig zu denken zu denunzieren, ist eine Taktik, die die heutige Politikergeneration bestimmt von ihren Eltern und Großeltern gelernt hat.

    Im Bezug auf angebliche „russische Trolle“ und nachfolgende Schließung vieler Kommentarbereiche vor ca. 5 Jahren hat’s doch auch funktioniert, warum jetzt damit aufhören.

  8. Ich habe ein Dejavu. Vor 10 Jahren bin ich für und mit den Piraten auf die Straße gegangen. Gebracht hat es nichts, schon da hat die Politik junge Menschen mit Gestaltungswillen zermürbt.

    Jetzt dasselbe Schauspiel. Parteien, die den Lebensraum Internet und den Lebensraum Erde grob fahrlässig zerstören und dabei noch demokratische Grundpfeiler ins Wanken bringen. Ich wünsche den jungen Demonstranten diesmal mehr Durchhaltevermögen.

    Da muss mind. eine ganze Generation an abgehobenen weltfremden Berufspolitikern endlich abgesägt werden.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.