FAZ-Experte mit falschen Daten

Haben US-Konzerne mit Twitter-Bots die EU-Urheberrechts­debatte beeinflusst?

Sind die Proteste gegen das geplante neue europäische Urheberrecht von amerikanischen Internetkonzernen orchestriert und inszeniert? Der Unternehmer, Blogger und FAZ-Autor Volker Rieck meint, eindeutige Indizien dafür entdeckt zu haben: So stamme zum Beispiel ein erstaunlich großer Teil der kritischen Tweets zum Thema gar nicht von europäischen Absendern, sondern aus den USA und vor allem aus Washington, D.C.

In dieser Woche, kurz vor einer wichtigen Abstimmung, schrieb Rieck zahlreiche EU-Parlamentarier an und warnte sie: Er habe „eindeutige Beweise für die Einmischung der USA in diesem EU-Gesetzgebungsprozess“.

In der FAZ hatte er bereits im vergangenen August, ebenfalls kurz vor einer wichtigen Abstimmung, ähnliche Warnungen veröffentlicht:

Die Content Creators Coalition aus den Vereinigten Staaten hat untersucht, woher die Tweets mit dem Hashtag #savetheinternet zwischen dem 1. Juni und 1. August eigentlich stammten. Das Ergebnis ist verblüffend: Allein aus Washington kamen mehr Tweets (88.000) als aus der ganzen EU (71.000). Es bleiben nicht viele Möglichkeiten, das sinnvoll zu erklären. Entweder sitzen in Washington besonders viele EU-Bürger, die das Internet „retten“ wollen, oder es handelt sich um den Sitz einer Botfarm.

Es gibt mindestens noch eine Möglichkeit: Die Daten, auf die sich Rieck stützt, sind falsch und damit auch die Schlüsse, die er aus ihnen zieht. Die Auswertungssoftware, die er benutzt, scheint englischsprachige Twitter-Accounts, die keine explizite Ortsangabe enthalten, pauschal in der amerikanischen Hauptstadt zu verorten. Auf diese Weise wurden selbst Tweets der deutschen Europa-Abgeordneten Julia Reda in die USA verlegt – und von Rieck als Indiz für transatlantische Einflussnahme gewertet.

Die Auswertung der geographischen Quellen der Tweets steht im Mittelpunkt des Papiers, das Rieck an die Parlamentarier schickte und das von ihm und Jörg Weinrich stammt. Rieck betreibt eine Firma, die gegen Urheberrechtsverletzungen im Netz vorgeht; Weinrich ist Vorstand des Interessenverbandes des Video- und Medienfachhandels in Deutschland.

Sie nennen das Ergebnis ihrer Analyse „in höchstem Maße irritierend“:

Obwohl es eigentlich um eine europäische Gesetzgebung geht, wird die Kampagne gegen die Reform und damit auch die Debatte auf Twitter im Wesentlichen von Aktivitäten aus den USA bestimmt.

Am klarsten zeigt sich das am Beispiel von #saveyourinternet:
42 % aller Mentions für diesen Hashtag, der eigentlich als europäische Kampagne konzipiert war, kamen aus den USA.

In immer neuen Varianten dokumentieren die Autoren die Anteile amerikanischer und Washingtoner Tweets. Sie errechnen sogar das Verhältnis von Tweets zur Bevölkerung und vergleichen so, wie viel häufiger in Washington pro Einwohner zum Thema getwittert wurde als in Deutschland pro Einwohner.

Das ist schon für sich genommen ein irreführender Vergleich. Auch die Wahl der untersuchten Hashtags ist zweifelhaft: Im vergangenen Jahr untersuchten Rieck und Weinrich nach eigenen Angaben Tweets mit dem Hashtag #savetheinternet. Der fand aber in diesem Zeitraum auch und gerade in den USA im Kampf für Netzneutralität Verwendung. Monate später korrigierte Rieck sich und behauptete, es sei der Hashtag #saveyourinternet untersucht worden und nur die Beschriftung falsch gewesen.

All das ist ohnehin sehr angreifbar. Aber darauf kommt es auch nicht mehr an, falls die ganze Grundlage der Auswertung falsch ist: die Angabe der geographischen Daten.

Rieck und Weinrich greifen für ihre Auswertungen auf die Plattform Talkwalker zurück. Ihre Analyse beruht allein auf deren Angaben, von wo aus getwittert wird. Talkwalker selbst weist darauf hin, dass das nur geschätzt werden kann, wenn im Twitter-Profil kein Ort angegeben ist.

Nach Recherchen des Datenanalysten Luca Hammer greift die Software dann zur geographischen Bestimmung auf die im Tweet verwendete Sprache zurück. Wenn es sich um Englisch handelt, geht Talkwalker davon aus, dass der Tweet aus Washington, D.C. kommt. Ist der Tweet auf deutsch, verortet sie den Urheber in Berlin.

Talkwalker hat auf eine Anfrage von Übermedien bisher nicht reagiert. Hammer konnte aber im Detail zeigen, dass Accounts so lokalisiert werden. (Nachtrag, 4. März: Talkwalker bestätigt Hammers Analyse, siehe unten.)

Seit Monaten staunt Rieck öffentlich über den außerordentlich hohen Anteil von Tweets aus Washington in der europäischen Urheberrechtsdebatte, den er mit einem Tool misst. Er kann ihn selbst kaum glauben, aber er hinterfragt nicht die Zahlen und die Methode der Messung, sondern findet den Schuldigen, den er ohnehin als Gegner ausgemacht hat: Google oder seine Partner in den USA.

Mit dieser Unterstellung, die er bewiesen zu haben glaubt, füllt er Blogeinträge, FAZ-Artikel und in dieser Woche einen Brief an die EU-Abgeordneten.

Für das Feuilleton der FAZ ist Rieck so etwas wie ein Sonderberichterstatter zur Verteidigung der geplanten Urheberrechtsrichtlinie gegen den Einfluss amerikanischer Konzerne geworden. Zunächst erschienen seine Berichte noch mit dem Zusatz, dass der Verfasser Geschäftsführer des „Content-Protection-Dienstleisters FDS File Defense Service“ sei. In den drei Artikeln, die er seit November vergangenen Jahres in der FAZ geschrieben hat, fehlt jeder Hinweis auf die geschäftlichen Interessen des Autors.

Rieck behauptet immer wieder, dass es kaum echte Proteste gegen das geplante neue Urheberrecht, gegen Uploadfilter und Leistungsschutzrecht gebe – jedenfalls nicht, bis Google die Youtuber mit einem alarmistischen Blogeintrag aktivierte. Hinter jeder E-Mail-Protestwelle vermutet er „Bots“ oder Spammer, im Zweifel keine europäischen Bürger. Weil Seiten wie saveyourinternet.eu Werkzeuge zur Verfügung stellten, mit denen man einfach und offenbar ohne wirksame Kontrolle der angegeben Daten oder der eigenen Herkunft massenhaft EU-Parlamentarier anschreiben konnte, sprach er von „Mail-Bombenteppichen“.

Am 5. September präsentierte Rieck in der FAZ die Rechnung, wonach mehr Tweets zum Thema aus Washington stammten als aus Deutschland, und mahnte:

Je näher der Termin der Abstimmung am 12. September kommt, desto mehr offenbaren sich weitere Einzelheiten des Hacks des EU-Parlaments. Über diese Hintergründe sollten die Abgeordneten und die Öffentlichkeit Bescheid wissen. Sie sollten wissen, wer sie mit Mails, Tweets und Anrufen eindeckt hat und wie groß die Zahl derer wirklich ist, die die Urherberrechtsnovelle ablehnen. Eine Graswurzelbewegung ist es jedenfalls nicht. Allerdings sollten die Abgeordneten sowieso viel mehr darüber nachdenken, worum es bei der Abstimmung wirklich geht, nämlich um europäische Werte und europäische Kultur. Diese werden nur dadurch gestützt, dass Urheber angemessen bezahlt werden.

Rieck weist in seinen Artikeln immer wieder auf die – tatsächlich bestehenden – Verbindungen von den Gruppen, die die Mail-Kampagnen organisierten, zu den amerikanischen Internet-Giganten hin. In seinem Schreiben in dieser Woche an die Parlamentarier sieht er die Wirkung von Google überall.

Er behauptet, der Suchbegriff „EU-Urheberrichtlinie“ „zaubert … auf den ersten Seiten der Google-Suche ausschließlich negative Artikel auf den Bildschirm“, was nicht stimmt. Er macht es auch daran fest, dass Sendungen wie die „Tagesschau“ in ihren Berichten „übermäßig“ Begriffe wie „Zensur“ oder „Uploadfilter“ benutzten und damit das Framing durch Google übernommen hätten.

Er schließt:

Andere Medien, die eine solche Entwicklung eigentlich kritisch begleiten müssten, sind abgetaucht, weil Ihnen [sic!] die ideologische Brille leider jeden kritischen Blick verwehrt.

Währenddessen verwehrte ihm seine eigene ideologische Brille den kritischen Blick auf die Unzulänglichkeit der Daten, mit denen er eine unzulässige amerikanische Einmischung in einen europäischen Gesetzgebungsprozess zu beweisen glaubte.

Auf unsere Anfrage, ob die zweifelhafte Art, wie Talkwalker Twitter-Accounts Orten zuweist, seine Analyse insgesamt nicht in Frage stellt, antwortete er:

Wir haben aktuell eine Anfrage bei dem Dienst laufen, die uns hoffentlich zum Anfang der nächsten Woche beantwortet werden wird.

Sollte es neue Erkenntnisse geben, dann werden die entsprechend kommuniziert.

PS: Als erste Screenshots aus dem Schreiben des FAZ-Autors Rieck an die EU-Abgeordneten auf Twitter kursierten, noch ohne Angabe des konkreten Verfassers, kommentierte FAZ-Wirtschaftsredakteur Hendrik Wieduwilt das so:

Nachtrag, 4. März. Rieck hat seinen Artikel auf webschauder.de vorerst gelöscht. In einer Stellungnahme gegenüber Übermedien räumt er ein, dass Tweets, deren regionaler Ursprung nicht zu erkennen ist, von Talkwalker pauschal der Hauptstadt des Landes zugewiesen werden. Das erklärt die große Ballung in Washington. Anderen Erkenntnissen von Luca Hammer über widerspricht er.

Am Mittwoch wollen Rieck und Weinrich eine korrigierte Version des Artikels veröffentlichen.

Nachtrag, 17:25 Uhr. Die Firma Talkwalker bestätigt die Ergebnisse von Luca Hammer und widerspricht den Annahmen von Rieck und Weinrich: Akkurate geographische Daten könne das Tool nur liefern, wenn ein Nutzer seinen Ort im Account nennt, räumt die Firma auf Nachfrage von Übermedien ein. Fehle diese Angabe, versuche Talkwalker sie auf andere Weise zu bestimmen, was oft zu falschen Verortungen führe. In den meisten Fällen greife die Software dann auf die Sprache zurück, in der ein Tweet verfasst wurde. Englischsprachige Tweets würden dann automatisch in Washington in den Vereinigten Staaten verortet, erklärt das Unternehmen.

Nachtrag, 6. März. Rieck und Weinreich haben gestern eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie einräumen, dass der Teil ihres Artikels, der sich mit der Herkunft der Twitter-Erwähnungen beschäftigte, „keine Veröffentlichungsgrundlage mehr“ hat. Sie „bedauern außerordentlich, dass uns die unsichere Datenlage trotz zahlreicher Checks nicht eher auffiel“.

Nach Angaben von Rieck wurden von ihnen auch die Mitglieder des Rechtsausschusses des EU-Parlamentes informiert, die sie angeschrieben hatten.

30 Kommentare

  1. Luca Hammer dankt einem anderen Nutzer, der darauf hingewiesen hat, dass die Sprache bei der Verortung der Tweets relevant zu sein scheint. Er selbst konnte es eben nicht im Detail zeigen. In Ihrem Text wird daraus „Nach Recherchen des Datenanalysten“…Das Ganze ist aber nach wie vor eine nicht substantiierte Annahme auf Basis von Indizien. Wie übrigens auch einige andere Schlüsse, die Herr Hammer zieht, der ja an einem Punkt sogar selbst schreibt, dass er nicht genau versteht, wie das System funktioniert.

    Was er vorträgt, sind teilweise interessante Aspekte, es ist aber mit Sicherheit nicht die belastbare Analyse als die es hier dargestellt wird. Er vergleicht übrigens auch völlig andere Zeiträume und insofern Äpfel mit Birnen.

    Selbst wenn die Verortung wie von ihm vermutet über die Sprache funktionieren würde, kann man wohl davon ausgehen, dass in Europa nur in einem geringen Teil der Tweets auf Englisch diskutiert wurde. Was die Beobachtung, dass eine überraschend hohe Aktivität in den USA statt fand, in keiner Weise beeinträchtigen würde.

    Schön ist doch, dass der FAZ Autor (über den übrigens nichts im Netz zu finden ist darüber, dass er Uploadfilter herstellt – da gab es wohl eine kleine Recherchelücke) die originalen Screenshots beigelegt und seine Quelle genannt hat. Jetzt kann jeder, der möchte, sich die Mühe machen und die Daten auf der gleichen Datenbasis nachprüfen, andere Screenshots vorlegen und damit zu anderen Schlüssen kommen. Das macht aber leider bisher niemand, auch nicht Herr Hammer. Statt dessen sagt der: „There is clearly a problem with the data“, um einen Tag später nachzuschieben „I am still trying to full understand the Talkwalker stats“.

    Die Frage der Analyse ist duchaus spannend, aber dann müsste man es auch journalistisch sauber aufbereiten. Z.B. auch die Frage klären, wo es die „richtigen“ Daten gäbe oder auf welcher Basis so etwas alternativ zu analysieren wäre. Darüber steht leider im Artikel kein Wort.

    Der Artikel ist wohl eher ein Versuch, einen Kollegen zu beschädigen als wirklich aufzuklären. Schade. Das Thema wäre eigentlich spannend.

  2. Man versucht also weiterhin dem Bürger einzureden das die Welle der Auflehnung gegen die EU Uhrheberrechtslinie nicht vom Bürger sondern von irgendwelchen Bots kommt? Wir machen uns das Internet kaputt und zuletzt wird auch unsere Wirtschaft darunter leiden. Herzlichen Glückwunsch und Willkommen im Neuland!

  3. @Hans: Doch, Luca Hammer konnte es inzwischen im Detail zeigen. Und wenn das die Art ist, wie das Tool Twitter-Accounts veortet, macht das den Zeitraum der Analyse völlig irrelevant.

    Und warum sollte in Europa über ein solches Gesetzesvorhaben nur in einem geringen Teil der Tweets auf englisch diskutiert werden? Die Kampagne gegen die Reform versucht doch, möglichst breite Wirkung zu entfalten – natürlich kommunizieren da viele auf englisch.

  4. Interessant fände ich in diesem Zusammenhang, wie eine solche Talkwalker-Analyse bei anderen Themen, die europaweit (und daher häufig auf englisch) diskutiert werden, aussähe, z.B. dem #ESC. Wenn man da auch auffällig viele Tweets aus Washington, D.C. fände, würde das die Kritik an den Zahlen nur bestärken.

  5. @Stefan Niggemeier
    Nur um das zu verstehen: Ihrer Meinung nach hat Herr Hammer nachgewiesen, dass englische Tweets aufgrund der Sprache in Amerika verortet werden, egal von wo sie tatsächlich abgeschickt wurden? Ich kann das tatsächlich nicht erkennen. Ich verstehe ihn so, dass die Zuweisung auf Washington damit zu erklären ist, aber nicht die grundsätzliche Länderzuweisung. Das würde ja bedeuten, dass die Talkwater Daten hinsichtlich der Lokalisierung komplett unbenutzbar wären und das würde einen zentralen Parameter von deren Business-Modell pulverisieren. Spannender Aspekt.

    Der Vergleichszeitraum ist schon relevant, wenn man konkrete Tweets untersucht. Wenn die Zahlen aber natürlich komplett falsch und hinsichtlich der Lokalisierung random sind, wie Sie behaupten, ist natürlich der ganze Artikel hinfällig. Dessen These war ja, dass eine überraschend hohe Aktivität in Amerika zu verzeichnen ist zu einem Thema, dass eigentlich nur ein EU-Thema ist.

    Ganz allgemein meine ich aber, dass eine „Gegenanalyse“ auf exakt den gleichen Vorgaben hätte basieren müssen wie das Original, sonst ist sie nicht fundiert. Allein der Schluss, Herrn Riecks Zahlen seien falsch (obwohl sie ja genau genommen Talkwaters Zahlen sind, wenn Herr Hammer recht hat) kann ja nur ein Teil sein. Komplett und auch valide wäre das Ganze nur, wenn auch die richtigen Zahlen auf den Tisch kämen. Davon ist aber weit und breit nichts zu lesen. Deshalb hat der Artikel auch so einen komischen Beigeschmack.

    Man mag Herrn Rieck vorwerfen, nicht ausgiebig genug geprüft zu haben, ob Talkwater möglicherweise falsche Daten liefert. Das Papier aber in Gänze zu skandalisieren (und in der Überschrift von „Bots“ und „US-Konzernen“ zu sprechen – von beidem ist überhaupt nicht die Rede), ohne die von ihm aufgeworfenen Fragen auch nur aufzugreifen, finde ich übertrieben und auch bedauerlich.

    Denn die Frage, welche Rolle Datenanalyse und globalisierte Meinungsbildung auf demokratische Prozesse haben, wäre hier an einem Paradebeispiel durchzuexerzieren gewesen. Das wäre deutlich ergiebiger gewesen als einen Autor anzugreifen, dessen „Werk“ sich sowieso nur auf eine handvoll Artikel beschränkt.

  6. @Hans: Ja, Luca Hammer hat das meiner Meinung nach bewiesen.

    Niemand hat versucht, eine „Gegenanalyse“ durchzuführen – wie soll die auch stattfinden? Dazu müsste man wissen, wo ein Account sitzt, und das weiß man eben nicht – auch Talkwalker nicht. Hammer unterstellt Rieck ja nicht, Daten erfunden oder manipuliert zu haben. Er sagt nur, dass die Daten nicht das messen, was Rieck glaubt.

    Es geht darum, dass Rieck behauptet, einen „eindeutigen Beweis“ gefunden zu haben und auf dieser Grundlage einen Brandbrief an die EU-Abgeordneten geschrieben hat. Das halte ich für eindeutig widerlegt.

    Wie viele Leute tatsächlich aus den USA zu dem Thema getwittert haben – ich würde mal sagen: Niemand weiß es. Aber Julia Reda war es – anders als Talkwalker annimmt – schon mal nicht.

  7. Ach so, und der Gedanke der Bots kommt doch von Rieck selbst. In seinem FAZ-Artikel im vergangenen Jahr schrieb er exakt zur Frage der merkwürdig vielen Washingtoner Tweets, um die es hier geht:

    Entweder sitzen in Washington besonders viele EU-Bürger, die das Internet „retten“ wollen, oder es handelt sich um den Sitz einer Botfarm.

    Und natürlich ist der Verdacht, um den es ihm geht, dass dahinter US-Konzerne sitzen (vulgo: Google), womöglich über Firmen, die in ihrem Auftrag handeln.

  8. Lieber Herr Niggemeier,

    ich habe normalerweise sehr viel Respekt vor ihrer Journalistischen Arbeit iund vor Übermedien. Aber in diesem Falle sind sie meiner Meinung nach ihren hohen Standards nicht ganz gerecht geworden,

    Insbesondere, da Sie in ihrem Artikel den Eindruck erwecken, als sein ein Großteil der Recherche von Herrn Rieck mit der möglichen Erschütterung der talkwalker-Zahlen hinfällig. Das ist sie nicht.

    Sie erwecken den Eindruck, als wäre die Geolocation der Tweets auch im Herbst schon Kernargument seiner recherche gewesen, und die ganzen findings der FAZ damit erschüttert. Das trifft nicht zu.

    Herr Rieck hat relativ zweifelsfrei bewiesen, dass der amerikanische Branchenverband CCIA hinter gleich mehreren Seiten stand, die im Sommer über eine europäische Schein-NGO (Copyright 4 Creativity) die Proteste angeschoben und aufgeblasen haben.

    Sie erwähnen diese Ergebnisse mit keinem Wort. Vielmehr versuchen Sie aber den Autor mit einem irreführenden Verweis auf seine sonstigen beruflichen Tätigkeiten eine Befangenheit zu unterstellen, während sie gleichzeitig seine wirklich spoannenden Findings absichtlich unterschlagen. Auch frage ich mich, welches Lobby-Interesse der Deutsche Videothekenverband (!!!) IVD an einer Verabschiedung des Artikel 13 haben sollte.

    Die Tendenz Herr Rieck hier in ein befangenes Lobbyumfeld zu stellen wird doch recht offensichtlich. Sehr schade, ich dachte gerade, dass sich Übermedien genau solche „Kniffe“ verkneifen wollte.

    Vielleicht denken Sie nochmal über eine Überarbeitung ihres Artikels nach.

    Mit freundlichem Gruß,

    Stefan Herwig

  9. Was bei dem ganzen Jonglieren mit Zahlen & Verortung einzelner Internet-Nutzer etwas aus dem Fokus gerät, ist, dass der von Herrn Rieck benannte „Schuldige“ des Widerstandes gegen die geplante EU Urheberrechts-Reform, insbesondere Artikel 13 (wo 11 & 12 auch sehr negative Auswirkungen haben) ja wohl die Datenkrake Google sein soll, welche aber als logisch-technische Konsquenz des Artikel 13 nebst dem zu errichtenden Upload-Filter de facto nur davon profitieren würde:
    Sowohl durch den Lizenz-Verkauf ihrer bereits für 100.000.000 $ entwickelten Upload-Filter, als auch durch die weitere Anhäufung von noch mehr Nutzerdaten (alle Rechte-Inhaber dieser Erde, alle Werke) – das alles quasi per EU-Edikt…

    Wer hat denn sonst die technischen Mittel und auch noch das Kapital dazu?
    Hierzu hat sich auch kein Geringerer als unser neuer Bundesdatenschutz-Beauftragter Ulrich Kelber am 26.02.2019 sehr versiert zu Wort gemeldet https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Pressemitteilungen/2019/10_Uploadfilter.html, indem er auf den doch schon ziemlich bauernschlauen „Kniff“ der EU, in Artikel 13 zwar keinen Upload-Filter zu benennen (der ist ein klarer Bruch des Koalitions-Vertrages von CDU & SPD, doch „was kümmert unser dummes Geschwätz von gestern?“) einging, jedoch in der technischen Umsetzung des Artikels die Konsequenz des einzurichtenden Filters sieht. Genau dieses führt dann letztendlich zu den „ganz Großen“, eben auch & vor allem Google, wie Herr Kelber als gelernter Informatiker warnen muß:

    „Letztendlich entstünde so ein Oligopol weniger Anbieter von Filtertechniken, über die dann mehr oder weniger der gesamte Internetverkehr relevanter Plattformen und Dienste läuft. Welche weitreichenden Informationen diese dann dabei über alle Nutzerinnen und Nutzer erhalten, verdeutlicht unter anderem die aktuelle Berichterstattung zur Datenübermittlung von Gesundheitsapps an Facebook.“

    Zumindest für die FAZ.net ist dies keine Meldung wert. Nach der Klassifizierung von Ulrich Kelber als „Mann fürs Grobe“ vom 19.03.2018 zur Amtseinführung kam die letzte Meldung zu ihm am 09.01.2019, wo dieser „Datenschutzkämpfer“ „nun Mäßigung gelobt haben soll“. Ansonsten Schweigen im Blätterwalde. Dagegen hat ein „Handelsblatt“ ja schon geradezu eine Revoluzzer-Berichterstattung in Bezug auf die strittige Urheberrechts-Reform.

    Nun haben wir noch die von der FAZ überproportional in Amerika lokalisierten Protest-Tweets (wie z.B. von der Abgeordneten Julia Reda, die sich nachweislich in Europa befand), ebenso wie Protest-Mails…von Bots, wie behauptet wird.
    Ja, so fragt sich die geneigte FAZ-Leserschaft dieses großen Blattes, wie kann das denn nur sein? – Ist es ein Wunder, wenn es nicht die journalistisch aufbereitete Verschwörungs-Theorie von Herrn Rieck nach dem Motto „alles von Google-Botfarmen gesendet“ wäre, „untermauert“ von Rieck mit den Talkwalker Daten hinsichtlich der Lokalisierung?

    Da haben wir nun das Problem, dass in unserer Gesellschaft tatsächlich auch bei den sog. „Neuen Medien“ wie Internet eine Schere auseinandergeht – die Wissens- und die Altersschere:
    Die FAZ wendet sich ja vorzugsweise an die „honorigen Bürger“ als Leserschaft, Selbstdarstellung „Erfolgreich, gut verdienend und gebildet“ https://www.faz.media/themen-branchen/finanzen-services/leserschaft/, wobei bekannt ist, dass selbst der Online-Ableger FAZ.net die altersmäßig älteste Leserschaft aufweist – so eher die 50+ Generation. Sehr gebildet, doch eher nicht technisch versiert, würde ich einmal meinen, wenn es um Internet-Technologie geht. Da kann es schon einmal vorkommen, dass gesellschaftspolitischer Widerstand in Europa mit angeblich amerikanischer Herkunft in den IP-Adressen stumpf so eingeordnet wird, als könnten die Absender physikalisch nur in Amerika sitzen.
    Doch das ist schlicht und ergreifend lachhaft, Talkwalker hin oder her!

    Was für den Einen entweder ein Wunder, wenn es keine transatlantische Verschwörung ist, nennt der Andere heutzutage VPN-Tunnel. Massenhafte Datenspeicherung der Konzerne mit Zugriff z.B. der NSA auf solche Daten haben nicht erst seit Snowdon die aufgeklärten Internet-Nutzer zu diesen Mitteln der „Daten-Hygiene“ greifen lassen.
    Wenn man will, kann man im Jahr 2019 also auch IP-mäßig da verortet werden, wo der Pfeffer wächst. Ganz simpel, oder?

    Geht es aber nach der benutzten Sprache in Tweets oder Mails und die ist in dieser globalisierten Welt nun einmal Englisch, soll das jetzt etwa ein Beweis sein dafür, dass wiederum nur das amerikanische Google dahinter stecken kann, weil das Schriftstück so Washington D.C. zugeordnet wird? Das macht mich wirklich sprachlos – aber keine Sorge, ich überwinde diese Schwäche gleich…
    Nehmen wir doch einfach einmal den Beitrag der EU-Kommision auf der US-Blogging-Plattform „Medium“ aus diesem Februar, der auf englisch verfasst wurde und bei dem bereits in der Überschrift die Urheberrechtsreform-Gegner als Mob bezeichnet wurden:
    Ist der Text aus Washington D.C. gekommen und wurde auch durch Google initiiert?

    Nun gut, ich gebe zu, dies wird schlecht zu klären sein, da dieses Qualitäts-Machwerk unserer europäischen Kommission zwar noch vorgestern zumindest unter https://web.archive.org/web/20190216094123/https://medium.com/@EuropeanCommission/the-copyright-directive-how-the-mob-was-told-to-save-the-dragon-and-slay-the-knight-b35876008f16
    einzusehen war, doch von meinem Anschluß aus zumindest ist es heute selbst bei web.archive.org plötzlich nicht mehr abrufbar. Die EU-Kommission fand es zu „mißverständlich“, hat es zuvor aus dem Medium-Blog gelöscht.
    Also, dies war ja nur ein Beispiel – und wenn, dann vielleicht dafür, dass sich Google hier alles andere, als „bockig“ gestellt haben kann, dieses erhellende Schriftstück im Schulterschluß mit der EU wohl selbst aus dem Cache und sonstwo zu löschen.

    In meiner Wahrnehmung ist das ganze Vorgehen in diesem Fall ohnehin gespickt mit wirklich miesen Tricks des EU-Parlamentes, um die als Urheberrechts-Reform ummäntelte Beschneidung der Meinungsfreiheit mit einer reinen Stärkung der Rechte-Verwerter wie GEMA, Bertelsmann & Co einhergehen zu lassen. Sind das die vom Rieck-Artikel im Namen der FAZ am 5. September so postulierten „europäische Werte und europäische Kultur“? Ein Axel Voss als oberster EU-Berichterstatter bezeichnet auf Trump-Niveau mißliebige Argumentationen als „fake news“ von „Lügnern“ (z.B. Medien-Rechtsanwalt Christian Solmecke https://www.youtube.com/watch?v=G2RdT5fQkXg&t=1s), die umschwärmten Wähler sind für das EU-Parlament jetzt der „Mob“, Gesetzestexte werden nur noch „geleakt“ – selbst etliche Parlamentarier sind, gelinde gesagt, nur noch irritiert.

    Am 28.02.2019 wirbt das EU-Parlament auf seinen Social-Media-Präsenzen für die scharf kritisierte Urheberrechtsreform, obwohl die finale Abstimmung noch aussteht – eine unzulässige und unangemessene Parteinahme, die wohl auch auf den neuen, europäischen Werten basiert, die uns in diesem Gesamt-Fall so anschaulich vorgeführt werden.
    Immerhin FAZ-Redakteur Hendrik Wieduwilt meldet sich kritisch per Twitter: „Noch eine Schaufel Anstand über Bord“ dazu. https://www.pressesprecher.com/nachrichten/eu-parlament-empoert-mit-werbung-fuer-uploadfilter-651268242

    Nur um es klarzustellen: Ich bin FÜR Europa, weil ich in dieser Gemeinschaft lebe. Das o.g. ist für mich nicht Europa, sondern ein häßliches Zerrbild dessen, was es sein könnte – allenfalls ist es ein abstossendes Beispiel für sehr schlechten, politischen Stil, wo insbesondere die Befürworter dieser EU-Reform selber mit den billigsten, demagogischen Tricks arbeiten, anstatt den argumentativen Diskurs zu suchen. Was dies für die öffentliche Wahrnehmung von Politikern, aber auch für den angeblich zu stärkenden EU-Enthusiasmus bedeuten kann, mag angesichts der wahrzunehmenden Arroganz & Ignoranz gegenüber begründeten Bedenken bei dieser „Banane aus Brüssel“ einfach jeder selbst für sich beurteilen.

    Ich für meinen Teil bin über 50 und lehne diese Urheberrechtsreform und insbesondere den Artikel 13 ab, wie sehr viele Kunstschaffende, Jounalisten und tatsächlich nicht nur Jugendliche auch. Allerdings haben die jungen Menschen echt Schwierigkeiten, sich in dieser Gesellschaft noch wiederzufinden – sie sind unsere Zukunft und keine Bots!

    Vielen Dank, liebe ÜBERMEDIEN und Stefan Niggemeier, dass Ihr Euch des Themas angenommen habt – aber wer auch, wenn nicht Ihr?

  10. Für mich ist der Punkt wichtig,
    das sich Europa möglichst elegant? zerlegen soll…
    Wenn man da schon mal einig wäre,
    das sowohl Hr. P wie auch Mr. T daran grosses Interesse haben..
    ist viel erreicht!
    „Teile und herrsche.“
    „Mehr oder weniger subtil.“

  11. Es ist schon lustig:
    Erst waren russische Bots an allem Übel schuld (polemische Übertreibung), jetzt sind amerikanische Bots die Bösewichte.

  12. Erst mal danke an SN und die sachkundigen Kommentierer. Man hat ja nicht die Zeit zu allem zu recherchieren, deshalb ist das sehr bequem wenn man das Maßgebliche hier quasi mundgerecht vorgesetzt bekommt.

    Zur Sache.
    Desinformation als Kampfmittel ist so alt wie die Menschheit. Insoweit glaube ich gern, dass diese und jenen nicht ganz redlichen Organisationen ihre Desinfo auch auf den Hightech-Kanälen verbreiten.

    Was mich stört ist die Beliebigkeit und die Menge. Alles Putin-Trolle und Trump-Bots.
    Dabei zeigt die einfache Plausibilitätsprüfung, dass die Menge sowieso nicht möglich ist. Das würde bei so vielen Involvierten ziemlich schnell rauskommen.

    Und wenn man sich dann noch die sehr gut bezahlten Aufklärer sieht, Obskuranten wie Correct!v oder ARD-Faktenfinder, dann hat man schon den Eindruck, dass es weniger um Putin-Trolle oder Trump-Bots geht, sondern mehr darum „Gründe“ (seien sie noch so fadenscheinig) für das eigene Tun zu produzieren.

    Am schönsten fand ich übrigens, wie die investigativen Wahrheitsmedien rausgefunden haben, dass die US-Präsidentenwahl von Mazedonien manipuliert wurde.

    https://www.buzzfeed.com/craigsilverman/how-macedonia-became-a-global-hub-for-pro-trump-misinfo?utm_term=.xqBnMQZ73n#.fu2okXaeKo

    https://www.theguardian.com/technology/2016/aug/24/facebook-clickbait-political-news-sites-us-election-trump

  13. Liebe Heike Jäger,

    danke für ihren engagierten Post. Die FAZ hat sich zumindest eines Teils der Argumente, die ich für sehr wichtig halte angenommen. Das mit der Altersschere steht sogar hier genau thematisiert.

    Lies diesen Artikel aus Frankfurter Allgemeine Zeitung: Das ist der perfekte Shitstorm. (Disclaimer: Ich bin derAutor desselben). Kelbers Einwurf ist richtig und wichtig, dass auch der Datenschutz bei #Artikel13
    relevant ist. Natürlich ist das so, solange personenbezogenenDaten dort zur Auswertung kommen. Aber: Hat das irgendwann mal jemand ernsthaft bestritten?

  14. Ich kann hier echt keinen Blendle-Lunk reinpacken???
    Schade eigentlich!

    Dann müssen sie selber suchen.

  15. @MARTIN DÄNIKEN Wer alles daran ein Interesse haben kann, dass Europa als der zweitgrößte Markt im Internet nach den USA „sich zerlegt“, damit die Einzelstaaten in der Bedeutungslosigkeit versinken, spielt vielleicht auch in die sog. Bot-Debatte mit herein. Aber tatsächlich werden mit der gerade entzündeten Debatte um die Urheberrechts-Refom hier in Europa ganz reale Menschen auf die Straße und zum demonstrieren gebracht, die selber fast gar keine eigene Demo-Historie haben. So wie ich.

    Nach meinem Erleben hat dies das EU-Parlament ganz alleine mit dem gezeigten Habitus „geschafft“, jedoch noch mehr mit den auf der Hand liegenden Konsequenzen z.B. von Artikel 13 und dem Upload-Filter. Ich habe jedenfalls in meinem Kopf keinen Programmcode-Start bemerken können…;-)
    Doch ich werde hier keinesfalls das Ende von Europa besingen, denn vielleicht ist es ja auch der Anfang von einem neuen, lebendigen Europa – da, wo die Abgeordneten sich ihrer ursprünglichen Funktion besinnen und sich weniger als reine Anordner begreifen. Wer weiß?

  16. Lieber Herr Niggemeyer,

    ich habe versucht einen Blendle-Link via Copy Paste in ihren Blog einzufügen. Er hat die Leseempfehlung („Lies diesen Artikel aus Frankfurter Allgemeine Zeitung: Das ist der perfekte Shitstorm.“) auch eingefügt, aber nicht den eigentlichen Link.

    Sei es drum, hier (Link unten) gelangt man auch zum Artikel. Aber jetzt hinter Paywall, daher die Empfehlung, den Artikel auf Blendle zu suchen und die Plattform zu unterstützen.

    https://www.deutschlandfunk.de/artikel-13-netzpolitik-berater-aufregung-ueber.1939.de.html?drn:news_id=982566

    Gruß,

    SH

  17. Vielen Dank für diese interessanten Informationen, Herr Niggemeier. Und danke auch an Ulrike Jäger, deren Bedenken ich im großen ebenfalls teile.
    Hier ist übrigens ein Artikel, der nochmal die Seiten der Urheberrechtsreform beleuchtet und zu einem Schluss kommt:
    https://www.literaturcafe.de/artikel-13-warum-autoren-die-urheberrechtsreform-bekaempfen-statt-bejubeln-sollten/

    Der Artikel in der FAZ „Das ist der perfekte Shitstorm“ ertrinkt dagegen in Polemik, um einen populären Unterstützer der kritischen Seite in Missgunst zu bringen. Dieser hat bestimmt persönliche und berufliche Gründe, aber zumindest sind dessen Ziele klar und verständlich. Es scheint Ironie zu sein, dass nach einem Tag eine Paywall als digitaler Filter den allgemeinen Zugriff auf den genannten Artikel eingeschränkt hat.

  18. Wir haben jetzt eine Antwort von Talkwalker. Das Unternehmen bestätigt die Analyse von Luca Hammer: Tweets ohne Ortsangabe werden in der Regel aufgrund der Sprache verortet. Bei englischen Tweets nimmt die Software dann Washington als Ort an.

    (…) The way our geolocation works is that we can only get accurate data if the account users have enabled access to their location. If this is not provided then we have to determine it through other means, which often leads to false positives.

    As you correctly assumed, in most cases our tool falls back on the language used in a tweet. Since the vast majority is in English, they will by default be placed in the US, the country with the most English speakers. The exact location for that is Washington. (…)

  19. Der Kommentar #2 und die Erwiderung von Stefan Niggemeier in #4 (danach fortgesetzt in #6 mit Erwiderung in #7) zeigt mal wieder sehr deutlich die heutigen Probleme der Massenkommunikation:

    Wer eine fachlich fundierte Erkenntnis mitteilen möchte, muß diese möglichst lückenlos und unangreifbar formulieren. Wer dagegen bloß Erkennisse bezweifeln und andere Motive unterstellen möchte, der kann einfach Zweifel äußern, ohne einen Gegenstandpunkt explizit begründen zu müssen.

    In diesem Fall geht es um Erkenntnisse aus IT-Prozessen und dem Vorgehen eines bestimmten Anbieters von Analysesoftware. In anderen Diskussionen geht es Schädlichkeit von Abgasen, um Auswirkungen von Migrationsvorgängen, um die Sinnhaftigkeit von Impfungen oder sogar um die Wahrheit der Mondlandung oder die Kugelgestalt der Erde. Das Muster ist immer dasselbe: Derjenige, der Zweifel hat (oder bewusst Zweifel säen möchte), kann einfach einfach ein wenig raunen oder grob anzweifeln, derjenige, der eigentlich recht hat, muß immer wieder neu begründen, wirkt dadurch in der Öffentlichkeit defensiv und hilfslos.

    Und das fällt auch noch in eine Zeit, in der Menschen zwischen Wahrheit und Unwahrheit nicht nach Fakten, sondern nach Gefühl unterscheiden. Wir leben in einer Zeit, in der logisches Denken, Abstraktionsvermögen, Verständnis für technische Prozesse immer noch nicht gut gelitten sind. Man erwirbt sich Sympathien (unter Kollegen, im Bekanntenkreis, in der Nachbarschaft), wenn man öffentlich damit prahlt, in der Mathematik schon als Schüler immer eine Niete gewesen zu sein.

    Ob Bertolt Brecht sich damals bei seinen Gedanken über die Radiotheorie wirklich ausgemalt hat, welche Konsequenzen es hat, wenn plötzlich alle Menschen senden können?

  20. Es gibt inzwischen eine Stellungnahme der Autoren:

    http://webschauder.de/stellungnahme-zur-veroeffentlichung-vom-28-02-2019/?fbclid=IwAR34XD-mYHKuLCHRJTl2Fm0S2VxrVBfgOA8SrRi89_6geTh90czfRSs4z3Q

    @Stefan Niggemeier
    Wissen Sie, wie hoch der Anteil der nicht lokalisierbaren Tweets war? Ohne diesen Wert kann man ja nach meinem Verständnis gar nicht beurteilen, ob die Schlüsse der Autoren falsch waren. Ändert natürlich nichts daran, dass der Artikel in Teilen offenbar auf wackeligen, weil nicht validierten Füßen stand, was ja bei Ihnen auch berechtigterweise Anlass zur Nachfrage gegeben hat.

  21. Na toll, die haben also eine wachsweiche Relativierung auf ihre Website gestellt. Die auch immer noch eher klingt nach: Da hat jemand eine technische Detailabweichung bemerkt, die aber eigentlich ohne relevanten Belang ist. Jetzt ist also das Messverfahren zwar leider -hmpf- nicht ganz sakrosankt, aber nun sollen doch die Nörgler erst mal konkret den Anteil der Falschpositiven benennen, die uns beim fröhlichen Beschuldigen und Diskreditieren nicht interessiert, solange wir damit durchkommen.

    Deshalb hier von mir die aus meiner Sicht dabei zentrale Frage:

    „In dieser Woche, kurz vor einer wichtigen Abstimmung, schrieb Rieck zahlreiche EU-Parlamentarier an und warnte sie: Er habe „eindeutige Beweise für die Einmischung der USA in diesem EU-Gesetzgebungsprozess“

    HAT er jetzt auch alle von ihm fehlinformierten Abgeordneten erneut angeschrieben und davor gewarnt, auf Basis seiner vormals angeblich sicher bewiesenen VT abzustimmen. Oder wissen die davon noch nichts.

    Wenn man die Profiteure der Neuregelung bedenkt und wie hier die Verhältnisse ins Gegenteil verdreht wurde:
    Der Ansatz der hybriden Kriegsführung scheint die dominanten Akteure im Westen sehr tief durchdrungen zu haben und ist offenbar ins Routine-Toolset übergegangen.
    Das geht auch ohne Putin und den bösen Russen.

  22. Die andere Frage, die mich da noch umtreibt im Kontext von …
    „In dieser Woche, kurz vor einer wichtigen Abstimmung, schrieb Rieck zahlreiche EU-Parlamentarier an“

    Manche, zahlreich? Welche?
    – Man würde doch gerne sicherstellen, dass die um die Unsicherheit der präsentierten, vorgeblich „sicheren Beweise“ wissen. Haben die Urheber dieser unbewiesenen Anschuldigung offengelegt, wen sie angeschrieben haben?
    – Auf welcher Grundlage wurden die Adressaten ausgewählt? Ging dem ein Profiling voraus?

  23. Vielen Dank für die Info.

    „Es waren wohl“ und „die sollen eine Korrektur bekommen haben“ deuten darauf hin, dass die Hintermänner/-Frauen dieser investigativen Verschörungsaufdeckung immer noch mit verdeckten Karten spielen, statt sich da wenigstens jetzt transparent zu machen?

  24. @28:
    Am Hauptkoordinator im europäischen Parlament ist die Richtigstellung offenbar vorbeigegangen. Er flechtet diese Behauptung fröhlich im Vice-Interview als Tatsachen ein:

    O-Ton Voss: „Ich spreche jetzt von der Sommerkampagne. Die wurde ja gesteuert von den großen Plattformen, wie man nun festgestellt hat.“ und… „Das wurde alles mal analysiert, und zwar von einem Herr Rieck in der FAZ.“

    Schön, wie sowas trotz „Dementi“ seine Wirkung entfaltet. Haben sich FAZ oder Rieck im Anschluss an dieses Interview darum bemüht, Voss über seine Fehlinformation aufzuklären?

    Das ist schon nahe an hybrider Fakeinfokriegsführung…und es wird unbemerkt bleiben. Toll. Bis zum nächsten Mal.

  25. Okay, verstehe.
    Voss‘ statement bei Vice zeigt jetzt doch aber, dass die Zielgruppe, *Entscheider und Multiplikatoren in der EU* auf Basis einer Falschbeschuldigung/Fakenews entscheiden und argumentieren und diese weiter verbreiten. Ob wissentlich-vorsätzlich oder nicht, spielt in den Auswirkungen dann keine Rolle mehr.

    Ich finde den Fall exemplarisch und extrem deprimierend. Pressure Groups mit priviligiertem Zugang schleusen Fehlinformationen, gewandet als „Experten“-analysen in Entscheiderkreise ein. Normalerweise erfährt man von diesen Inner-circlepapers nichts. Öffentliche Überprüfung ist auch die exotische Ausnahme.

    Hier haben die Urheber selbst eingestanden, dass ihr „Beweis“ nicht valide ist. Der zentrale EU-Koordinator erhebt diesen Beweis Wochen später trotzdem und verbreitet ihn weiter, noch dazu als schlichten Fakt. So werden aus Agitatproplügen Entscheidungsgrundlagen.

    Und das flutscht so durch. Passt für mich eher in ein Szenario einer politischen Dystopie als zu einem funktionierenden politischen Gemeinwesen.

    Und das am Steuerrad einer EU, die sich auch zu aktivem Gegensteuern gegen den Krebs der Fakenews berufen fühlt. Ich bemühe mich ja an sich, nicht zu sehr in fatalistischen Zynismus abzugleiten. Aber so was macht es dann schon sehr schwer, sich dem nicht hinzugeben…

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