Wochenschau (23)

Die Ente ist nah

Am Samstag werden wir also von einem riesigen Asteroiden erschlagen. Das stand so vergangenen Freitag auf der Titelseite der Münchner „tz“, der Hamburger „Morgenpost“, des Kölner „Express“ und des „Berliner Kuriers“. Die Boulevard-Zeitungen informierten freundlicherweise auch darüber, wo es die besten Bunkerplätze gibt, sie klärten flugs die Schuldfrage, also ob die Politik versagt habe, und berechneten, wie groß unsere Überlebenschancen sind.

Sky-Werbeseite, erschienen am 22.1.2019 Foto: Sky

So ein Weltuntergang ist natürlich ein interessanter Scoop. Ich wüsste wenige Großereignisse, die spannender wären als das Ende der Zivilisation. Gut, vielleicht bis auf die feierliche Verkündung der Gewinnerin beim „Bachelor“, was dem Ende der Zivilisation aber schon sehr nahe kommt.

„Oh nein!“, werden Sie jetzt vielleicht rufen, „ich hatte doch schon so ein instagramtaugliches Karnevalskostüm als sexy aussterbende Biene!“ Tja.

Aber ich kann Sie beruhigen: Die Apokalypse steht doch noch nicht bevor, zumindest nicht am kommenden Wochenende. Die alarmistischen Titelseiten waren bloß Werbung des Pay-TV-Senders Sky, der damit seine „Apokalypse-Serie“ „8 Tage“ bewarb, wie sich auf Seite 2 der Zeitungen herausstellte.

Sky bezeichnet die werbliche Falschmeldung als „provokanten PR-Stunt mit maximalen Irritationsmoment“, mit dem erklärten Ziel, „die Endzeitstimmung der Serie ganz Deutschland besser näher zu bringen“. Und wie könnte man das besser, erläutert Cosimo Möller, „Vice President Creative“ bei Sky Deutschland, als diese apokalyptische Laune „in die Realität zu holen“:

„Das Thema der Serie als ‚echte‘ Schlagzeilen auf die Titelseiten der größten Publikationen Deutschlands zu bringen, garantiert uns maximale Aufmerksamkeit. Wir nutzen eine nie zuvor verwendete Plattform als wirkungsstarke Werbefläche unserer Botschaft so breitenwirksam und aufsehenerregend wie möglich – und das über die großen Städte Deutschlands hinweg.“

Das erscheint aus Marketingsicht beeindruckend, vor allem in seiner bundesweiten Wahrnehmbarkeit – ist allerdings nicht neu. Ich werde nie vergessen, wie im Jahr 2009 die ProSieben-Sendung „Schlag den Star“ für folgende vermeintliche Eil-Meldung unterbrochen wurde:

Mir tat Nachrichtensprecher Michael Marx damals aufrichtig leid. Da studiert er fünf Jahre Publizistik in Mainz, war mal beim WDR, landet daraufhin bei einem Privatsender – und dann degradiert ihn ProSieben zum Edel-Komparsen, um eine zweitklassige Alien-Serie zu bewerben, deren Name „Fringe“ sich passenderweise auf Cringe reimt. Was sagte das über das journalistische Selbstbild des Senders aus? Wozu die „Newstime“, wenn eh alles egal ist? Ich hätte als Michael Marx ein bisschen geweint, glaube ich.

(Die Werbung wurde damals von der Kommission für Jugendmedienschutz mit einem geringen Bußgeld belegt und gewann außerdem Preise.)

Krieg der Werbewelten

Ironischerweise beginnt fast jede journalistische Ausbildung mit der Betrachtung einer der größten Nachrichten-Falschmeldungen der Mediengeschichte: Am 30. Oktober 1938 glaubten viele amerikanische Radiohörer, die USA würden von Aliens angegriffen. Im Hörfunk lief ein vermeintliches Live-Feature über die Invasion und den Erstkontakt der USA mit Marsianern. Was manche nicht mitbekommen hatten: Es handelte sich um ein von Orson Welles inszeniertes Hörspiel des Romans „War of the Worlds“ von H. G. Wells.

Zwar gab es in der einstündigen Sendung Hinweise, dass es eine Fiktion sei, aber die authentisch atemlose und unmittelbar wirkende Präsentation – sowie natürlich auch die Neuartigkeit des Mediums Radio – ließ einige Hörer die fiktive Reportage für einen dokumentarischen Bericht halten.

Medienforschung und Kommunikationswissenschaft nahmen das mit dem damaligen Argwohn auf das verführerische Überzeugungspotenzial des neuen Mediums dankbar an, um vor den Gefahren zu warnen, die vom Radio ausgingen. Die Forscher schrieben Massenpaniken und Suizide herbei, die es wegen des Hörspiels gegeben hätte, was heute jedoch widerlegt ist. Ein paar Hunderte glaubten zwar den Spuk, die große Mehrheit der zuhörenden Amerikaner erkannte allerdings, dass es sich um ein Science-Fiction-Märchen handelt.

Auch bei den Sky-Titelseiten blieb eine Massenpanik aus. Die meisten werden es als Unsinn erkannt haben, was vermutlich auch an der extremen Natur der Meldung lag. (Am winzigen Wort „Anzeige“ in der Titelseitenecke wohl eher nicht.) Anders verhält es sich bei subtileren Formen von „Native Advertising“, also bei eingebetteter Werbung, die so aufbereitet ist, dass man sie optisch von echten redaktionellen Inhalten kaum unterschieden kann.

(Wenn Sie hier klicken, kriegen sie weitere spannende Informationen zum Thema „Native Advertising“ und einen guten Tipp wie sie ihr hartnäckiges Bauchfett in nur zwei Wochen loswerden können.)

Eine Online-Befragung in den USA ergab Ende 2018, dass neun von zehn Personen den Unterschied zwischen Nachrichten und als Nachricht getarnte werbliche Inhalte nicht erkennen. Hoffentlich erzählt der eine, der die beiden Inhaltsformen auseinanderhalten kann, den anderen neun davon.

Als Katastrophen-Nachricht getarnte Werbung für eine „maximale Irritation“, also quasi Irritainment, als spektakulärer Aufmacher – wie lässt sich das mit dem journalistischen Selbstverständnis vereinbaren? Unabhängig von medienethischen Implikationen, wenn man Menschen durch apokalyptische Meldungen grundlos verstören will: Kann das der Anspruch eines Blattes sein? Eine nervige Litfasssäule in Form einer trojanischen Zeitung zu werden?

Houston, wir haben ein Frame

Die öffentliche Reaktion auf das (wie ein Asteroid einschlagende) „Framing Manual“ manifestierte eine wütende Angst davor, von „den Medien“ ausgetrickst oder beeinflusst zu werden. Der Impact zeigte, wie sensibel Rezipienten auch heute und lange nach Orson Welles auf Manipulationsverdacht reagieren, in einer Zeit, in der der Nachrichtenkosmos sowieso schon durch ideologische Propaganda einiger Gruppierungen und durch politische Akteure und Berater erschüttert wird, die Desinformation abfeuern.

Also, wie sehr bestärkt so ein Stunt wohl die Glaubwürdigkeit der mitspielenden Medien in so einem Klima? In der Kommunikationswissenschaft betrachtet das so genannte „Persuasion Knowledge Model“ die Reaktion der Rezipienten auf wahrgenommene Persuasionsversuche und versucht zu klären, inwieweit sich deren Verhältnis zu Medien verändert.

Die vereinfachte Aussage des Modells: Sobald Zuschauer, Leser oder Hörer die Taktik hinter einer Botschaft erkennen, betrachten sie den Sender der Botschaft nicht mehr unvoreingenommen, anders gesagt: Sie nehmen ihn nicht mehr ernst. Es setzt ein kognitiver Prozess in Gang, dessen Folge ein schwer reparabler Glaubwürdigkeitsverlust des Medienangebotes werden kann.

Die wichtigste Währung einer Zeitung, auch und gerade einer Boulevard-Zeitung, und auch und gerade in Zeiten von aktiver Desinformation, ist stets ihre Kredibilität. Diese haben sie möglicherweise mit solch einer Aktion aufs Spiel gesetzt, und sei es bloß im Unterbewusstsein ihrer Käufer. Es erhöht nicht gerade das Vertrauen in Medien, wenn sie vermitteln, dass man mit genügend Geld im Grunde jeden Kokolores auf die Titelseite packen kann.

Nach uns der Weltuntergang!

Hinzu kommt, dass der Asteroid sich, sozusagen, in den eigenen Schweif beißt. Es ist ein grundsätzliches Problem des „Native Advertisings“: Indem sie ihre Produkte als Zeitungsinhalte tarnen, wollen Anzeigenkunden vom Vertrauen profitieren, das Zeitungen entgegengebracht wird. Bemerkt der Leser diese Irreführung, büßt die Zeitung eben diese Glaubwürdigkeit teilweise ein, aufgrund derer der Anzeigenkunde hoffte, sein Produkt veredeln zu können.

Und wenn ich kurz noch etwas naiv an den Ethos jedes Zeitungs- oder Zeitschriften-Machers appellieren darf: Die Titelseite ist jeden Tag auf Neue das kuratierte Kondensat nachrichtlicher Bedeutsamkeit. Sie ist die Visitenkarte, Produkt und Werbung in eigener Sache mit dem Ziel und dem Willen zu informieren, zu unterhalten und natürlich – dieses Produkt zu verkaufen.

Wenn Blattmacher (oder die Anzeigenabteilungen) glauben, dass Werbung für eine TV-Serie wichtiger und lukrativer ist als Werbung für die eigene Arbeit und das aktuelle Weltgeschehen, muss man (noch mal) feststellen, dass es Zeitungen gibt, die ernst genommen werden wollen – und dann gibt es solche, die nach dem Motto existieren: nach uns der Weltuntergang!

7 Kommentare

  1. Bin ich der Einzige, der sich relativ sicher war, mit dem YouTube-Link gleich gerickrollt zu werden? (So aus Nostalgie.)

  2. Habe es gerade überprüft, die scheinen sich wirklich sicher zu sein. Jedenfalls haben die von diesen 4 Blättern angebotenen Abos nur noch eine maximale Laufzeit von 4 Tagen, bei „Bestellung sofort“.

  3. Okay, es waren ’nur‘ Boulevardblätter, aber die „Lügenpresse“-Diskussionen der letzten Jahre, zahlreiche Ermahnungen des Presserates u.v.a.m. scheinen an manchen Medien (leider nicht nur Boulevard) völlig spurlos ohne jeden Anschein des Nachdenkens vorüber gegangen zu sein. Ich habe jedenfalls immer wieder Facepalm-Momente…

  4. Mich hat das gerade richtig erschrocken: Das neue Jahr hat gerade eben erst angefangen, und jetzt wird schon Werbung gemacht für eine Fernsehserie, die erst im März ausgestrahlt wird?

    Als jemand, der in seiner Kindheit gerne tschechische Fernsehserien gesehen hat, weiß ich natürlich, was bei Annäherung eines Asteroiden zu tun ist: Man reist zurück in das Jahr 1984, um dort den späteren Nobelpreisträger Adam Bernau zu finden, der als 10jähriger eine Formel entwickelt (und danach leider verbummelt) hat, mit dessen Hilfe sich solche Zusammenstöße vermeiden lassen. Und es wird soch am Ende herausstellen, daß die Formel gar nicht benötigt wird, weil die Kollision nur durch einen Messfehler des schief aufgestellten Zentraldenkers errechnet wurde, in Wirklichkeit aber gar nicht stattfindet.

  5. Aber mal im Ernst: Ist die Glaubwürdigkeit heutiger Zeitungen (die ja häufig nicht auf Papier, sondern online gelesen werden) nicht ohnehin bereits durch Werbung erheblich beschädigt?

    In der Regel stehen unter den Artikeln kleine Boxen mit weiteren Artikeln, aber auch Anzeigen. Bis auf den kleinen grauen Schriftzug „Anzeige“ ist beides kaum zu unterscheiden. Die Anzeigen sind häufig reines Clickbaiting, was zu irgendwelche obskuren Photostrecken führt, oder Sprüche wie „Alle Elektriker hassen diesen Mann“, „Millionäre fordern das Verbot dieser Fernsehsendung“ oder „Diese Erfindung erobert im Sturm das Internet“. Und immer wieder: Angebliche Empfehlungen (Aktien, Schlankheitsmittel, völlig egal) von Hans Meiser.

    Dahinter stecken dann so lustige Geschichten wie etwa die Behauptung, daß alle Anbieter von Pay-TV gesetzlich verpflichtet wären, ihre Sendungen auch unverschlüsselt terrestrisch auszustrahlen, sie dieser Verpflichtung aber auf einer niedrigen Frequenz nachkommen, die gewöhnliche Fernsehgeräte nicht empfangen können, und man deshalb jetzt in einem nur heute gültigen Sonderangebot eine spezielle Antenne kaufen soll. In einer anderen Geschichte wird behauptet, in einer Fernsehsendung wären der Finanzoptimierer Carsten Maschmeyer und einige andere Moderatoren, die sich „Löwen“ nennen, an eine Software herangekommen, die vollautomatisch mit Bitcoins handelt und damit jeden Menschen in wenigen Tagen zum Euro- oder Dollar-Millionär macht.

    Besonders intensiv durchmischt mit Links zu einigen journalistischen Inhalten sind derartige Anzeigen meiner Erfahrung nach bei den Webseiten der Zeitungen der Funke-Gruppe, aber selbst beim Spektrum der Wissenschaft habe ich solche Anzeigen schon gesehen.

    Letztlich basiert es wohl darauf, daß die Verlage die Vermarkung ihrer Anzeigenflächen auf den Webseiten gar nicht mehr selbst durchführen, sondern dies dem Algorithmus von Google Adsense überlassen. Für den Leser sieht es so aus, daß seine Zeitung derartige Betrugstexte genehmigt.

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