„True Media“

Was in der Wahrheitspresse steht, kann ja gar nicht falsch sein

Fünf große deutsche Verlage haben die Antwort auf „Fake News“ gefunden. Sie nennen sich seit vergangener Woche „True Media“, auf deutsch etwa: Wahrheitspresse.

Sie haben eine „gemeinsame Agenda“ veröffentlicht, in der sie in fünf Punkten „ihren publizistischen Auftrag und die Bedeutung von Print im heutigen Medienmarkt auf den Punkt bringen“. Der erste ist gleich ein großer Aufschlag:

1. Wir sichern das publizistische Fundament für die pluralistische Demokratie

Mit unseren journalistischen Inhalten informieren wir die Menschen in unserer pluralistischen, aufgeklärten Gesellschaft. Damit leisten wir einen unersetzlichen Beitrag zur Sicherung der Freiheit von Meinungen und Information in unserer Demokratie.

Und in Punkt 3 wird es richtig konkret:

3. Wir investieren in die Wahrheit

Unsere publizistische Verantwortung nehmen wir sehr ernst – in Print und Digital. Wir recherchieren, wir überprüfen und wir separieren die Wahrheit, auch die unbequeme, von der Falschinformation – ob es um politische, inspirierende oder unterhaltende Inhalte geht.

Das klingt, wenn man es als Absichtserklärung liest, nicht völlig abwegig – bis man sich ansieht, wer die fünf Medienunternehmen sind, die diese Erklärung veröffentlicht haben und nun als Wahrheitspresse: Axel Springer, Burda, Gruner+Jahr, Bauer und Funke.

Lassen wir die von Axel Springer herausgegebene „Bild“-Zeitung, das große deutsche Wahrheitsblatt, mal beiseite und beschäftigen uns einen Moment mit den Mediengruppen Bauer und Funke. Sie geben eine Vielzahl von Zeitschriften heraus, zu deren Wesen und Geschäft es gehört, im Zweifel auf Recherche zu verzichten, haltlose Spekulationen zu verbreiten und die Unwahrheit zu schreiben.

Ein paar Beispiele:

Die „Woche heute“ (Bauer) macht Auflage damit, dass sie den falschen Eindruck erweckt, es gebe neue, gute Nachrichten über den Gesundheitszustand von Michael Schumacher. (In Wahrheit hat seine Frau nur jemandem geschrieben: „Wir wissen alle, Michael ist ein Kämpfer.“)

Die „Neue Post“ konstruiert aus einer gefährlichen, seitdem vielfach diskutierten Aktion für die Fernsehsendung „Rätselflug“ vor 36 Jahren eine vermeintlich aktuelle „Lebensgefahr!“ von Günther Jauch.

Die Zeitschrift „Frau Aktuell“ (Funke) behauptet (wieder einmal), Camilla betrüge Prinz Charles, zeigt dazu zur Irreführung ein Foto, das sie einfach bei einer Preisverleihung mit Gästen zeigt, und lügt im Inneren, die beiden hätten seit Anfang September „keine gemeinsamen offiziellen Termine“ gehabt.

Und die Zeitschrift „Die Aktuelle“ (Funke) suggeriert seit Jahren, Prinz Philip liege im Sterben, erfindet dazu auch mal passende Ereignisse und schreckt gelegentlich auch nicht davor zurück, Fotos zu fälschen.

Der Sinn von „unterhaltendem Journalismus“

Die Verantwortlichen haben in der Vergangenheit auf solche Vorhaltungen oft mit dem Hinweis reagiert, es handele sich bei diesen Blättern der Regenbogenpresse um eine besondere Form des Unterhaltungsjournalismus und die Leserinnen wüssten schon, mit den fließenden Grenzen zwischen Erfindung und Recherche, Fakten und Fantasie umzugehen.

Doch in der „True Media“-Erklärung ist von irgendwelchen Sonderregeln für solchen „unterhaltenden Journalismus“ keine Rede, im Gegenteil: Er ist ausdrücklich in einem Atemzug genannt mit politischen Inhalten.

Ich habe deshalb bei Bauer nachgefragt, ob mit der „True Media“-Erklärung auch ihre Blätter wie „Das neue Blatt“, „Neue Post“ und „Freizeitwoche“ gemeint sind: „Separieren diese Medien nach Ansicht der Bauer Media Group ‚die Wahrheit, auch die unbequeme, von der Falschinformation‘?“ Die Antwort:

Unsere Thesen zu True Media gelten für das gesamte Spektrum unseres journalistischen Angebots. Ob investigative Recherche oder Unterhaltung. „True Media“ definiert unseren Anspruch, dem unsere Redaktionen versuchen, täglich mit ihrer Arbeit gerecht zu werden. Dabei haben wir stets einen identifizierbaren Absender, für jeden einzelnen Inhalt steht eine verantwortliche Person im Sinne des Presserechts gerade. Wenn wir Fehler machen, dann räumen wir das ein und korrigieren diese.

Nein.

Die Funke Mediengruppe habe ich, bezogen auf ihre Blätter wie „Das Goldene Blatt“, „Echo der Frau“ und „Die Aktuelle“, dasselbe gefragt. Hier bekam ich folgende Antwort:

Unsere Thesen zu True Media gelten für das gesamte Spektrum unseres journalistischen Angebots. Ob investigative Recherche oder Unterhaltung. „True Media“ definiert unseren Anspruch, dem unsere Redaktionen versuchen, täglich mit ihrer Arbeit gerecht zu werden. Dabei haben wir stets einen identifizierbaren Absender, für jeden einzelnen Inhalt steht eine verantwortliche Person im Sinne des Presserechts gerade. Wenn wir Fehler machen, dann räumen wir das ein und korrigieren diese.

Nein.

Kurz darauf bekam ich noch eine Antwort der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK), in der sich die fünf „True Media“-Verlage zusammengeschlossen haben. Die hatte ich zwar gar nicht gefragt, aber sicherheitshalber teilte man mir dennoch mit:

Unsere Thesen zu True Media gelten für das gesamte Spektrum unseres journalistischen Angebots. Ob investigative Recherche oder Unterhaltung. „True Media“ definiert unseren Anspruch, dem unsere Redaktionen versuchen, täglich mit ihrer Arbeit gerecht zu werden. Dabei haben wir stets einen identifizierbaren Absender, für jeden einzelnen Inhalt steht eine verantwortliche Person im Sinne des Presserechts gerade. Wenn wir Fehler machen, dann räumen wir das ein und korrigieren diese. Bei unterschiedlichen Auffassungen entscheiden die Gerichte.

Interessant daran ist nicht nur die orwellsche Entschiedenheit, mit der Verlage wie Funke und Bauer einen Teil der deutschen Presse, dessen Faktenferne wirklich unbestreitbar ist, zur Wahrheitspresse erklären. Interessant ist auch, dass sich durch die Verlags-Partnerschaft auch Gruner+Jahr daran beteiligt.

Der Hamburger Verlag („Stern“, „Gala“) profiliert sich zwar seit einiger Zeit mit einer besonderen Bereitschaft, redaktionelle und werbliche Inhalte zu vermischen und betreibt ein Billigboulevardangebot wie „Tag24“. Regenbogenzeitschriften wie bei Funke, Bauer und Burda hat der Verlag aber nicht im Angebot. Trotzdem macht er sich durch das gemeinsame „True Media“-Label deren Umdefinition von „publizistischer Verantwortung“ zu eigen. Gruner+Jahr erklärt so die Unsitten der Regenbogenpresse zu Standards guter journalistischer Arbeit.

„Dem Gedruckten wohnt Vertrauen inne“: So illustriert die Fachzeitschrift „werben & verkaufen“ die „True Media“-Initiative

Kampf gegen Facebook

Die Leserinnen und Leser sollen glauben können, was diese Verlage veröffentlichen, aber sie sind nicht die Hauptadressaten der „True Media“-Initiative – das sind Unternehmen. Sie sollen in diesen Medien werben statt etwa auf Facebook.

G+J-Chefin Julia Jäkel ruft seit dem vergangenen Jahr Unternehmen dazu auf, verstärkt wieder in klassischen Medien zu werben – mit einer gewagten Doppelargumentation: Zum einen sei es gesellschaftlich verantwortugsvoll, das Werbegeld an klassische Medien zu geben, „die ihre Inhalte aufwendig erarbeiten und Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung liefern. (…) Die Medienwelt wandelt sich, jeder muss sich entscheiden: Wollen sie Medien unterstützen, die aufwendig recherchieren und für Transparenz und Pluralismus sorgen? Oder kanalisieren sie ihr Werbegeld auf Plattformen, die keine eigenen Inhalte produzieren und die sich sehr schwertun zu unterscheiden zwischen Wahr und Falsch.“ Zum anderen wirke Werbung auch besser in redaktionellen Umfeldern.

Das „True Media“-Projekt setzt Jäkels Vorstoß von damals gegen die digitalen Netzwerke fort. „Social Networks bieten die Technologie für Populismus und Propaganda“, heißt es in der „Agenda“:

„Während Algorithmen der Social Networks mit Reiz-Reaktion-Reflexen arbeiten und das Weltbild durch Filterblasen manipulieren, stellen wir den Menschen mit seiner Kraft zur eigenen Entscheidung in den Mittelpunkt.

Es ist eine originelle Idee, sich im Kampf gegen „Populismus und Propaganda“ ausgerechnet mit der „Bild“-Zeitung zu verbünden. Und was „Reiz-Reaktionen-Reflexe“ angeht, sind Medien aus der Wahrheitspresse-Allianz Meister darin, daraus Kapital zu schlagen.

Die „Huffington Post“ (Burda) zum Beispiel hat Clickbaiting betrieben, das offenbar ganz gezielt rassistische Reflexe triggern soll – und triggert. „TV Movie“ (Bauer) ließ lustig raten, wer von vier gezeigten Moderatoren Krebs hat.

Vergangene Woche lockte die „TV Movie“ auf Facebook zum Click mit der Behauptung, Sat.1 werfe die neue Soap „Alles oder nichts“ aus dem Programm. Erst nach vielen Absätzen stellt der Artikel klar, dass es nur um die Vormittagswiederholung geht. Das ist der ganz normale „journalistische“ Alltag dort.

Screenshot: Facebook
Screenshot: tvmovie.de

Dass Herausgeber solcher Medien glauben, sie könnten andere vor zweifelhaften „Reiz-Reaktionen-Reflexe“ warnen, zeugt von erstaunlicher Chuzpe. Selbstüberschätzung und -verleugnung sind allerdings Kernkompetenzen von Burda-Vorstand Philip Welte, der sich entsprechend in der „True Media“-Pressemitteilung mit den Worten zitieren lässt:

„Es ist Zeit, über die fundamentale gesellschaftliche Funktion zu reden, die uns Verlage einzigartig macht: Als journalistischer Teil der Medienindustrie sind wir der wertegebundene Gegenentwurf zu der nicht enden wollenden Flut an manipulativem Content, mit dem die Menschen heute in den sozialen Netzen konfrontiert sind.“

Um welche Werte es sich handelt, geht aus seinem Zitat nicht hervor. (Im Zweifel: Gold.)

Aber warum Welte diese „fundamentale gesellschaftliche Funktion“ der Verlage so betont, über die er reden will, anstatt ihr strärker gerecht zu werden, das lässt sich leicht beantworten: Um Werbekunden zu gewinnen. Punkt 5 der Agenda heißt: „Wir machen Marken begehrenswert“.

(…) Unsere Studien zeigen, wie sich gut geführte Marken über Jahre entwickeln, und dass nachhaltige Kommunikation in gedruckten Zeitschriften und Zeitungen sich auszahlt – nicht nur im Sinne von Markenbekanntheit und Sympathie, sondern sehr konkret in der Kauf-Aktivierung.

Das Zitat mit seinem unverblümten Schluss ist vielleicht eine ganz gute Erinnerung daran, dass das Publikum für werbefinanzierte Medien – ganz ähnlich wie bei den kostenlosen sozialen Netzwerken – nicht nur Kunde ist, sondern auch eine Ware darstellt, die an die eigentlichen Kunden, die Werbeindustrie, weiterverkauft wird. Hier mit dem Versprechen, dass sich Leser besonders gut zu Käufern machen lassen.

Das leere Versprechen von der Transparenz

Bemerkenswert ist schließlich eine weitere Behauptung in der „True Media“-Agenda: „Wir stellen uns in Print und Digital dem transparenten Vergleich mit anderen Medien.“ Parallel zu diesen Behauptungen reduzieren die Verlage die Ausweisung einzelner Online-Medien bei der Zählung der Klicks. Und bei Axel Springer hat die Intransparenz Methode: Der Verlag hat etwa noch nie verraten, wie viele Menschen die Zeitung „Welt kompakt“ kaufen, die er vor 14 Jahren gegründet hat – die Zahl wird nur gemeinsam mit der größeren Schwester ausgewiesen.

Ich hab mit Hinweis auf die behauptete „Transparenz“ einfach mal bei Springer nachgefragt, ob man mir die Auflage der „Welt kompakt“ nicht nennen mag. Pressesprecher Christian Senft antwortete:

„True Media ist eine Initiative mehrerer Verlage, Träger ist die GIK. Insofern bitte ich Sie, sich mit Fragen, die mit dieser Initiative im Kontext stehen, direkt an die GIK zu wenden.“

Dass die GIK dafür zuständig wäre, Auflagenzahlen der beteiligten Verlage zu nennen, ist natürlich ein Witz. (Wie die Sache mit der Transparenz. Die Zahlen gibt es nicht.)

Wem vertrauen die Menschen

Die „Welt“ berichtete über die „True Media“-Initiative übrigens unter der Überschrift: „Verlage verstärken den Kampf gegen Fake News“. Für die zutreffende Überschrift „Verlage verstärken Marketing in eigener Sache“ fehlte wohl der Mut zur Wahrheit.

Die „True Media“-Aktion ist reine Heuchelei. Sie zeigt, wie verzweifelt die beteiligten Verlage inzwischen beim Kampf um das Geld der Werbebranche sein müssen. Sie haken sich mit der Regenbogenpresse unter, um für die Überlegenheit von gedruckten Medien zu demonstrieren. Uns könnt ihr vertrauen!, schreien sie mit einer Kampagne, die selbst das Gegenteil beweist.

6 Kommentare

  1. Sorry, das (Selbst-)Zertifizierungsverfahren ist abgeschlossen und die Einspruchsfrist damit abgelaufen. Also ist das auch so.
    Irgendwo muss auch mal Schluss sein mit diesem manisch defätistischen Selbsthinterfragungswahn.

  2. „„True Media“ definiert unseren Anspruch, dem unsere Redaktionen versuchen, täglich mit ihrer Arbeit gerecht zu werden.“
    Er hat sich stets bemüht.

  3. Wer immer strebsam sich bemüht, den können wir erlösen.

    „True Media“ bei Journalisten klingt so ein bisschen wie „leckeres Essen“ bei Köchen, nur mit Bonus-Englisch.
    Natürlich sind das „echte Medien“, aber die möchten vermutlich, dass man das unterbewusst mit „wahren Medieninhalten“ übersetzt. Netter Versuch…

  4. „In Wirklichkeit testen wir die Medienkompetenz unserer Lehrer äh Leser!“
    aka
    „Wir hauen soviel Bullshit raus,das niemand mehr mit gesunden Menschenverstand uns glauben kann/sollte/dürfte..
    aber es funktioniert und es läuft wie geschmiert!“

  5. Der Gedanke an eine vertrauensvolle Presse wäre sehr beruhigend. In der Gegenwart allerdings kaum vorstellbar. Wie ernst man es damit meint könnte sich daran zeigen ob die Überzeugungshaltung dieser Verlage doch nur aufgesetzt ist. Ich denke es sollte kein so großes Problem sein eine Agenda auszuarbeiten, die mit einem richterlichen Eid verbunden wird. Um so eine vereinfachte Verfahrensweise vor Gericht zu ermöglichen, wenn eine bewusste Falschmeldung in der „True Media“ nachgewiesen wird. Sich gleichzeitig freiwillig zu empfindlichen Strafsummen bereit zu erklären, falls man überführt wird, wäre ein weiteres Gütesiegel.

    Die meisten einflussreichen Menschen glauben sich stets als überlegen gegenüber dem Rest der Gesellschaft. Für sie sind alle dumm wie Brot und können somit leicht manipuliert werden. In vielen Fällen natürlich gar nicht so falsch, wenn man sich die Ereignisse ansieht sowie den trivialen Geistern, die man dafür einspannt wichtige Grundpfeiler der Demokratie niederzureißen.

    Vertrauen muss verdient werden, man verschenkt oder erschleicht es nicht. Man kann nur gespannt sein wie sich die Dinge weiter entwickeln. Ich bin beruhigt, dass nicht alles so schwarz aussieht. Vernunft lässt sich am besten im Schatten derer verstecken, die all das Licht für sich beanspruchen. Brechen sie ein, kommt sie ganz von selbst wieder zum Vorschein.

  6. Dass “True Media“ tatsächlich davon ausgehen könnte, die Werbekunden interessierten sich für etwas anderes als für die Reichweite eines Mediums und für die Übereinstimmung von dessen Leserschaft mit ihrer eigenen Zielgruppe, erscheint mir geradezu rührend.

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