„Was nun, Herr Seehofer“

Fucking personelle Konsequenzen

Ich finde, Horst Seehofer sollte zurücktreten, aber vorläufig wäre ich auch schon damit zufrieden, wenn Bettina Schausten und Peter Frey ihre Ämter zur Verfügung stellten. Irgendjemand muss nach der Bayernwahl Verantwortung übernehmen und personelle Konsequenzen ziehen, und nachdem ich gestern Abend „Was nun, Herr Seehofer“ gesehen habe, fände ich die Hauptstadtbüroleiterin und den Chefredakteur des ZDF nicht die schlechteste Wahl.

Zwanzig Minuten hatten sie den Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zu Gast, und sie haben diese Zeit genutzt, ihm ungefähr eine einzige Frage zu stellen: Treten Sie zurück?

Nichts anderes hat sie am Ergebnis dieser Landtagswahl interessiert als die Möglichkeit, dass es Seehofer aus seinen Ämtern spülen könnte. Nach wenigen Sekunden war klar, dass der Betroffene ihnen nicht den Gefallen tun würde, in ihrer Sendung seinen Rücktritt anzukündigen, egal wie und wie oft sie ihn fragen würden, aber das schreckte die beiden Moderatoren nicht davon ab. Sie können nicht ernsthaft davon ausgegangen sein, dass ein Profi wie Seehofer irgendwann, etwa nach der zehnten Fragevariation, doch noch kapitulieren und alles hinwerfen würde. Aber vielleicht dachten sie, es wäre eine gute Simulation eines toughen Interviews, es trotzdem immer weiter zu versuchen. Oder, und das ist die für mich plausibelste These: Sie hatten wirklich keine Idee, was sie Seehofer sonst hätten fragen können.

Es war ein eindrucksvolles Dokument der Fixierung von Journalisten auf solche Personalfragen und ihr Desinteresse an Inhalten. Es war nicht das erste Dokument dieser Art, die Fernseharchive sind voll davon, aber das macht es ja nicht besser, im Gegenteil.

Das einzige Thema des 20-minütigen Interviews wurde schon von Matthias Fornhoff in der Anmoderation gesetzt:

Fornhoff: „Wer übernimmt Verantwortung für das zweitschlechteste CSU-Ergebnis aller Zeiten?“

Peter Frey begann mit der Frage an Seehofer:

Frey: „Trotz dieses miserablen Wahlergebnissees vom Wochenende wollen Sie ja offenbar Parteivorsitzender bleiben. (…) Warum klammern Sie sich so an die Macht?“

Das ist eine berechtigte Frage. Seehofer bestritt erst einmal, dass das so sei, und erklärte dann, was die CSU offenbar vereinbart hat, um solchen Fragen vorerst ausweichen zu können: Jetzt soll erst einmal die Regierung in Bayern gebildet werden, dann kommt die vielbeschworene Analyse, und am Ende stehen Konsequenzen, vielleicht sogar personelle.

Man kann darin einen Plan sehen, Zeit zu schinden, insbesondere bis nach der Hessenwahl. Man kann darin auch den Versuch sehen, darauf zu spekulieren, dass mit ein bisschen zeitlichem Abstand der Druck auf die Verantwortlichen in der Partei nicht mehr so groß ist. Man kann das richtig oder falsch finden, aber klar war, dass Seehofer zum jetzigen Zeitpunkt sich nicht öffentlich zu seinem oder irgendeinem Rücktritt äußern würde.

Frey fragte sicherheitshalber nach:

Frey: „Das heißt, am Ende dieses Verfahrens könnte auch Rücktritt stehen?“

Ja, könnte auch. Bettina Schausten hatte nun ihren ersten Einsatz und wollte wissen, wie im Parteivorstand auf das Ergebnis reagiert worden sei. Und das wäre eine gute, offene Frage gewesen, aber unmittelbar danach machte sie deutlich, dass es ihr eigentlich nur um einen einzigen Aspekt ging:

Schausten: „Wieviel Rückhalt gab es da noch? Gab es Rücktrittsforderungen? Gab es entsprechende Erwartungen an Sie, die auch geäußert wurden?“

Seehofer antwortete, es gebe ein Bündel von Ursachen. Und wurde erstaunlich konkret:

Seehofer: „Auch strukturelle Veränderungen in unserer Gesellschaft, die wir als CSU vielleicht nicht ausreichend gesehen und berücksichtigt haben. Ich nehme nur mal vorweg, unsere Präsentation, unsere Repräsentanz in den Großstädten. Und alles, was man unter ökologischen Fragen subsumieren kann.“

Ist das nicht interessant? Auch, dass ein Vorsitzender das so offen einräumt – selbst wenn es vielleicht Themen sind, über die er besonders gerne reden möchte, weil sie von anderen, brisanteren ablenken? Wie konnte das passieren, dass die CSU diese Themen so verschlafen hat? Wie soll die CSU attraktiver für Großstädter werden, wenn sie nun ausgerechnet wahrscheinlich mit den Freien Wählern koaliert, die vor allem die Provinz und die Sorgen der Menschen auf dem Land in den Mittelpunkt rücken will? Und was hat dazu geführt, dass eine konservative, christliche Partei das große Thema der Bewahrung der Schöpfung vernachlässigt hat? So viele spannende Fragen!

Schausten stellte stattdessen diese:

Schausten: „Und an Ihnen als CSU-Vorsitzender wurde keine Kritik geäußert?“

Nun gut.

Frey nahm nun einen historischen Umweg, um dasselbe Ziel anzusteuern:

Frey: „Die CSU ist eine Partei mit langer Geschichte, und zu dieser Geschichte gehört auch, dass sie schnell und unbarmherzig sein kann bei Niederlagen. Sie wissen’s am besten: Stoiber musste gehen, trotz seiner Erfolge; Sie selbst haben Beckstein und Huber beerbt, die lagen noch bei 43 Prozent ungefähr, und jetzt soll dieses Ergebnis, das die Partei sozusagen zu einer normalen Partei macht, gar keine personellen Konsequenzen haben? Man muss ja nicht nur über den Vorsitzenden reden. Es gibt Ministerpräsident, Fraktionsvorsitzende, eigentlich sieht’s ja heute so aus: Alles bleibt beim Alten.“

Seehofer bestritt das und nahm das Angebot nicht an, wenn schon nicht über seinen eigenen Rücktritt zu spekulieren, dann doch wenigstens über irgendeinen anderen.

Frey: „Aber die Wahrnehmung ist doch heute: Alle flüchten sich nochmal in ihre Ämter.“

Seehofer: „Nein, ich hab ja in Bayern überhaupt kein Amt. Aber ich bin Parteivorsitzender. Und als Parteivorsitzender hat man für eine Entwicklung bei einer Wahl eine Verantwortung. Und die nehme ich wahr und zu der werde ich mich auch stellen. (…)“

Schausten: „Wir wollen nur wissen, was das bedeutet, wenn Sie sagen, sie stellen sich. (…) Könnte es sein, dass das ein Sonderparteitag wird, noch in diesem Jahr, wo dann auch über den CSU-Vorsitz neu entschieden wird? Ist das denkbar?“

Seehofer bejahte das dem Grunde nach.

Frey: „Sie bekennen sich hier ausdrücklich in diesem Gespräch zu Ihrer Verantwortung. Sie haben auch von Fehlern gesprochen. Was waren denn Ihre ganz persönlichen politischen Fehler in den letzten sechs Wochen?“

Seehofer wich wieder aus und wollte nicht über seine persönlichen Fehler sprechen. Er zählte stattdessen zwei Dinge auf, die die CSU hätte stärker aufgreifen müssen – es waren die beiden, die er schon weiter oben erwähnt hatte:

Seehofer: „Gesellschaftliche Veränderungen gerade in den Großstädten. Das hat uns zugesetzt im Wahlkampf und im Wahlergebnis. Da gibt es andere Lebensgefühle als im ländlichen Raum. Und vor allem auch eine Vielfalt der Lebensauffassungen. Da muss eine breite Volkspartei das auch abbilden. Das haben wir nicht so gemacht und auch nicht aufgegriffen in unserer praktischen Politik. Und das Zweite: Offensichtlich (…) sind die ökologischen Fragen, die Fragen des Klimaschutzes, des Umweltschutzes und des Verbraucherschutzes doch von weitaus größerer Bedeutung als wir das bisher gesehen haben. (…) Das wären zwei Bereiche, wo wir entschieden besser werden müssen.“

Man kann ja beklagen, dass Seehofer sich nicht auf persönliche Versäumnisse einlassen will, aber wäre das nicht – wieder – ein interessanter Ansatzpunkt für eine Diskussion über die Inhalte und die Strategie der CSU gewesen? Schausten wies immerhin zu recht darauf hin, dass die Vehemenz, mit der die CSU – und insbesondere Seehofer persönlich – das Thema Flüchtlinge in den Mittelpunkt gestellt habe, auch eine Rolle gespielt haben könnte.

Irgendwann räumte Seehofer ein, dass der „Stil der Auseinandersetzung im Sommer“ ein Problem gewesen sei. Er klagte, dass die Koalition viele gute Dinge auf den Weg gebracht habe, damit aber nicht durchdringe, und Schausten erklärte ihm eifrig, woran das liege:

Schausten: „Man merkt’s nicht, weil Sie zuviel streiten. Und das liegt auch an Ihnen!

Sie hat ja nicht unrecht, aber der Triumph, mit dem Sie ihm das vorhielt, wirkte ein bisschen merkwürdig, wenn es doch nicht zuletzt auch Journalisten wie sie sind, die jeden Tag lieber über irgendwelche personellen Streitigkeiten berichten als über inhaltliche Debatten – wie nicht zuletzt diese Sendung wieder zeigt.

Es gab nun trotzdem einige Momente in der Sendung, in denen es um etwas anderes ging als um personelle Konsequenzen, was Peter Frey gegen Ende des Interviews auch schmerzlich aufgefallen sein muss:

Frey: „Sie haben ja durchaus zu erkennen gegeben, dass am Ende eines Prozesses, der jetzt beginnt, eines Analyseprozesses, eines Reflektionsprozesses möglicherweise ein Parteitag, auch ein Rückzug von Ihnen als Parteivorsitzender stehen könnte. Würden Sie das auch tun im Dienste der großen Koalition? Sie wissen ja, dass auch für die SPD die Personalie Horst Seehofer schwierig ist. Oder ist es so, dass Horst Seehofer eher seine Minister aus der großen Koalition zurückzieht, als selbst zu gehen?“

Nachdem Seehofer viele Male deutlich gemacht hat, dass er nicht sagen wird, ob er zurücktritt, fragt ihn der ZDF-Chefredakteur, warum er zurückträte, wenn er zurückträte, und wie? Schon während Frey sich noch in seiner Frage verstrickt, sieht man, wie amüsiert Seehofer über diesen originellen Versuch ist:

Seehofer: „Jetzt sind wir wieder am Anfang unseres Gespräches, da wollten Sie das aus anderer Himmelsrichtung schon mal wissen.“

Aber Freys Kollegin Schausten will sich nicht lumpen lassen und nutzt die Chance der allerletzten Frage, sich endlich mal danach zu erkundigen, ob Horst Seehofer womöglich als Konsequenz aus der Bayernwahl von seinem Parteiamt zurücktritt.

Schausten: „Sie versprechen Besserung, ziehen wir daraus doch mal als kleines Fazit. Und sind Sie, Herr Seehofer, Ende des Jahres noch CSU-Vorsitzender?

Sie wird aber sicher schon bald wieder in einem Kommentar oder einer Analyse erklären, wie furchtbar das ist, dass die Politik die Interessen der Menschen aus den Augen verloren hat und nur noch mit sich selbst beschäftigt ist.

13 Kommentare

  1. Wo kommt denn dieser neuerdings so dermaßen anmaßende apokalyptische wunsch vieler medienschaffende her? Mir scheint als würde sich jede/r nun den totalen Zusammenbruch herbeischreiben und berichten wollen. Deshalb auch der andauernde fast schon neurotisch-perverse blick und gierige geifern nach AfD-Skandälchen und -zitaten, damit ja was? Endlich mal wieder was passiert? Warum? Ist es der Wettbewerb um Quote dem sich die Medien immer mehr stellen müssen?

  2. Puh! Da tun zwei ZDF-Hofschranzen mal was gegen ihr ramponiertes Image, lassen sich nicht mit Allgemeinplätzen abspeisen und der Ankündigung, jetzt erst mal alles ausgiebig und in aller Ruhe analysieren zu wollen und schon regt sich Kritik, die sonst (etwas das ganze Jahr über) nicht zu hören ist.

  3. Das kann der Herr Lanz noch besser: Immer wieder dieselbe Frage stellen, die der oder die Befragte nicht beantworten will.

  4. Gibt’s übrigens auch im Sportjournalismus (und Sport-„Journalismus“) leider oft. Da wird auch schonmal dreimal hintereinander auf unterschiedliche trickreiche Art die gleiche Frage nach meinetwegen der Zukunft des Trainers, ob er denn nun gefeuert wird, usw. Als ob der Inhalt der Antwort sich ändert wenn man mit der Frage nur oft genug nervt. Und wehe (Vereinspräsident) weigert sich auf den Zinober einzugehen oder über das hingehaltene Stöckchen zu springen und die Frage zu Vereinsinterna so knallig zu beantworten wie der Fragende es gerne hätte. Und trotzdem wird daraus dann irgendwas gestrickt was nach „(Trainer) ist angezählt“ aussieht oder „(Präsident): Kein klares Bekenntnis zu (Trainer)“ oder dergleichen interpretierte Unsäglichkeiten. Ein ewig gleiches absurdes Spielchen für Schmerzbefreite.

  5. Kann es nicht sein, dass hier lediglich die ständig gleiche Analyseantwort vom Sonntag mit der ständig gleichen Rücktrittsfrage vom Montag vergolten wurde?

  6. Richtiger Kommentar, dem ich voll zustimme. Auch sonst geht es immer (in erster Linie) um Schuld, Verantwortung und Rücktritte/Verurteilung von Personen. Egal ob zB Hambacher Forst, Dieselskandal, Sommermärchen, G 20 in Hamburg, Loveparade oder Breitscheidplatz: Immer nur geht es darum, eine Person (Personen) zu identifizieren, die Schuld haben.

  7. >Fucking
    ?

    >wenn Bettina Schausten und Peter Frey ihre Ämter zur Verfügung stellen
    >wenn Bettina Schausten und Peter Frey ihre Ämter zur Verfügung stellten

    >Und alles was man unter ökologischen Fragen subsummieren kann.
    >Und alles, was man unter ökologischen Fragen subsumieren kann.

    >bekenen
    bekennen

    >Klimatschutzes
    Klimaschutzes

    >größerer Bedeutung als wir das bisher gesehen haben
    größerer Bedeutung, als wir das bisher gesehen haben

    >durchdringt
    durchdringe

    >Analyseprozessese
    Analyseprozesses

    >Personale
    Personalie

    >CSU-Vorsitzende
    CSU-Vorsitzender

  8. Im einstigen Ostblock gab es noch eine fucking funktionierende Zensur und Selbstreinigung( 6 feet under ;-)) um zu verhindern das mental zusehr in Mitleidenschaft gezogene einstige Grössen sich in den Medien herumtrieben…
    Und hier Mummelgreis-medien-okratie

  9. Fucking Anti-Seehofer Kampagne kann ich dazu nur schreiben!
    Ein fähiger Minister, der (was nicht selbstverständlich ist) für seine Überzeugungen einsteht. Vom SPIEGEL deswegen als „Gefährder“ diffamiert, was eine Frechheit ist.
    Ich finde anders als Stefan Niggemeier keinesfalls, dass Seehofer zurücktreten sollte. Warum, weil ihm seine Poltik nicht passt?
    Dann soll er das schreiben, aber sich nicht hinter der Bayern Wahl argumentativ verstecken.
    Bleibe lange im Amt Seehofer, als einziger Lichtblick dieser traurigen „GroKo“!
    Ob nun Bettina Schausten und Peter Frey ihre Ämter zur Verfügung stellen ist mir dagegen völlig schnuppe.

  10. Finde toll das die marginalisierte Minderheit der Seehofianer hier auch mal zu Wort kommt. War ja nicht alles schlecht unterm Horst!11!

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