Bahnhofskiosk

Nachlassverwalter der guten alten Zeit

Früher war alles besser. Das ist eine in Printredaktionen ziemlich häufig vertretene Grundhaltung, und schon als ich vor inzwischen zwanzig Jahren meine erste Stelle in einer Magazinredaktion bekam, konnte man hören, dass die guten Zeiten vorbei sind. Seitdem ist alles nur schlimmer geworden und für die Jüngeren gehöre ich zu denen, die zumindest noch ziemlich gute Zeiten erlebt haben.

Und das ist nicht total falsch. Es gab eine Zeit, da waren Magazine das, was heute Fernsehserien sind: Ein hochgradig kreatives Medium, das pausenlos großartige Ideen gebar und die Formen des Geschichtenerzählens inhaltlich und optisch regelmäßig verschob. Es war viel Geld da. Als ich anfing zu arbeiten, kam in der Redaktion, in der ich angestellt war, einmal die Woche ein Masseur vorbei, bezahlt vom Verlag. Was angenehm ist, aber nicht kriegsentscheidend.

Wichtiger ist vielleicht: Im nostalgischen Rückblick wirkt es, als wäre damals einfach mehr Zeit gewesen, als hätte es mehr Möglichkeiten gegeben, Geschichten zu recherchieren und aufzuschreiben. Und das kann durchaus entscheidend sein. Ich kann, wenn ich ehrlich bin, diese Entwicklung für uns Texter gar nicht beschwören,1)Für Fotografen ist sie eindeutig. Deutsche Reportagefotografen haben in den letzten 15 Jahren durch die Digitalisierung mindestens zweimal ihre komplette Ausrüstung ersetzen müssen, während gleichzeitig die Tagessätze gekürzt wurden – und die Anzahl der Tagessätze, also die zur Verfügung stehende Zeit. aber das kann daran liegen, dass ich Glück hatte mit den Redaktionen, für die ich arbeiten durfte und darf.

Was ich eigentlich sagen will: Man kann die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre in meiner Branche auf zwei Arten lesen, die sich nicht gegenseitig ausschließen: Nach einer Zeit der totalen Übertreibung – ich brauche in meinem Job einen Masseur kein bisschen dringender als, sagen wir, ein Polizist – findet mit der Konsolidierung eine Rückbesinnung auf das Wesentliche statt. Oder man hat den Eindruck, dass längst auch das Wesentliche durch die Kürzungen beeinträchtigt wird.

Kurz: Früher war alles mehr, ob das besser war, ist nicht ganz klar.2) For the record: Wenn man sich nur die Zeitschriften von früher ansieht, war meiner Meinung nach sehr wenig wirklich besser als heute.

Die „The Heritage Post – Magazin für Herrenkultur“ ist ein Magazin, dass die gute alte Zeit besingt. Oder aber „das Wesentliche“. So ganz lässt es sich bei denen nicht trennen, es verströmt diese manufactumhafte „Als man Dinge noch reparieren konnte“-Nostalgie, die so verlockend wirkt, weil man innerlich erst einmal ganz langsam wird. Und dann stellt man sich vor, wie man Pfeife rauchend eine Schachfigur schnitzt, oder so etwas, das man heute auch jederzeit tun könnte, aber im Leben keinen Bock drauf hat. Nur der Gedanke fühlt sich gut an.

Aber es gibt Herren, die solche Dinge tun, und von denen handelt, unter anderem, die „Heritage Post“. Der Hefteinstieg beschäftigt sich mit diesen „Rugged Guys“ und dem Kram, den sie besitzen und der aus Leder und Metall ist, jedenfalls nicht aus Polyester3)Mit winzigen Ausnahmen: Eine Bomberjacke disqualifiziert noch nicht..

Der Rest des Heftes besteht in weiten Teilen aus Berichten über Menschen oder Betriebe, die Produkte auf eine klassische Weise herstellen, über Reisen nahe der Natur, generelle Klassiker wie einen alten Jeep, die Bücher von Karl May oder jene Geschichte über den Black Rebel Motorcycle Club, die als Vorlage für „The Wild One“ mit Marlon Brando diente. Und dann Kolumnen, über die wir hier gleich noch reden müssen, weil sie besser als alles andere zeigen, was hier gewollt wird, und was die Probleme dabei sind.

Aber da habe ich den wichtigen Satz schon gesagt: Es wird was gewollt bei der „Heritage Post“, und das ist immer besser als das Gegenteil. Ich würde sogar ganz kurz daran erinnern wollen, dass genau das der Inhalt von Artikel 5, Absatz 1 Grundgesetz ist:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […].“

Die Fettung ist von mir. Und ich finde das wichtig: Schon die Verfassung macht als erstes klar, noch vor der Freiheit der Presse und dem Verbot der Zensur, dass das Wichtigste, Schützenswerteste im gesellschaftlichen Diskurs die Meinung ist.

Ich bin ein riesiger Fan dieses Grundgesetzes, und manchmal glaube ich, man muss es ein bisschen als philosophischen Text lesen. Es lässt nämlich den Umkehrschluss zu: Wenn das Wichtigste und Schützenswerteste die Meinung ist, dann sollte man, wenn man etwas veröffentlicht, auch eine haben. Es gibt nichts langweiligeres als ein Heft ohne Haltung. Und die hat man bei der „Heritage Post“, und ich mag das, und ich sage es vorweg, weil die Haltung selbst mir durchaus Schwierigkeiten bereitet.

Ich fass sie hoffentlich fair folgendermaßen zusammen: Das wahre Leben ist analog. Wer wirklich leben will – hier natürlich: wer als Mann wirklich leben will -, tut das am besten so wenig artifiziell wie möglich, nah an der Natur, sowohl in den Materialien, die er berührt, als auch nah an seiner eigenen, leicht wilden, männlichen Natur. Und er benutzt Digitales als Werkzeug, zum Beispiel um im Internet Dinge aus Leder zu bestellen, anstatt als paralleles Universum, in dem er viel Zeit verbringt.

Eine der beiden angesprochenen Kolumnen handelt vom „Kleinen Mann“, der sein Leben mit dem Konsum von Plastik und „Brot und Spielen“ auf seinem HD-Flachbildschirm verbringt und endet mit dem verzweifelten Aufruf:

„Der Kleine Mann steckt in uns allen. Aber der kleine Mann muss weg. Und zwar dringend.“

Die zweite Kolumne handelt davon, dass das Leben auf dem Land dem Verkehrsinfarkt in der Stadt vorzuziehen ist. Und das ist, wenn auch mit einem sehr breiten Pinsel gemalt, als Meinung ja total ehrenhaft.

Aber es ist eben auch der Sound einer Midlife Crisis. Genau wie das Röhren des Motors einer Harley Davidson. Ich nähere mich dem Alter, und ich stelle fest, wie ich langsam alt und dick genug werde, um Motorradfahren wieder irgendwie rebellisch zu finden, aber es ist am Ende auch nur der Versuch, die Konsumgesellschaft zu überwinden, indem man das Richtige kauft.4)So funktioniert übrigens auch das Merchandising des superrebellischen, antikapitalistischen FC St. Pauli. Man kauft sich mit dem Totenkopf-Hoodie die Anti-Konsum-Credibility. In der „Kleiner Mann“-Kolumne heißt es:

„Jeden Tag treffen wir mit unserem Portemonnaie Entscheidungen, die die Welt verändern können. Jeder von uns hat es in der Hand.“

Und das ist ja nicht falsch. Ich kämpfe nur damit, dass ein Heft voller Konsumtipps den einen Konsum mit einer Philosophie auflädt, während es den anderen so ablehnt. Es hangelt an der Grenze zum Überheblichen, und ich merke, wie es genau das an mir triggert: meine eigene Überheblichkeit. Und die mag ich eigentlich nicht.

The Heritage Post
Uwe Van Afferden GmbH
9,50 Euro

Fußnoten

Fußnoten
1 Für Fotografen ist sie eindeutig. Deutsche Reportagefotografen haben in den letzten 15 Jahren durch die Digitalisierung mindestens zweimal ihre komplette Ausrüstung ersetzen müssen, während gleichzeitig die Tagessätze gekürzt wurden – und die Anzahl der Tagessätze, also die zur Verfügung stehende Zeit.
2 For the record: Wenn man sich nur die Zeitschriften von früher ansieht, war meiner Meinung nach sehr wenig wirklich besser als heute.
3 Mit winzigen Ausnahmen: Eine Bomberjacke disqualifiziert noch nicht.
4 So funktioniert übrigens auch das Merchandising des superrebellischen, antikapitalistischen FC St. Pauli. Man kauft sich mit dem Totenkopf-Hoodie die Anti-Konsum-Credibility.

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