Die Nischen im Special-Interest-Segment muss man wahrscheinlich Most-Special nennen, oder aber „Top Special“, so heißt dann auch gleich der Verlag, in dem „Fliegenfischen – Das internationale Magazin für Flugangler“ erscheint.1)Andere top-spezielle Titel des Verlages sind zum Beispiel „Kutter & Küste – Das Meeresangel-Magazin“, „Karpfen“ und „Angelsee aktuell – Das Forellenangler-Magazin“. Ganz ehrlich: Da könnten sie sich bei „Karl“, dem „Alles, was irgendwie mit Fahrrädern zu tun hat“-Magazin mal eine Scheibe Fokussierung abschneiden. Das Magazin ist derart spezialisiert, dass der Verlag es offenbar outgesourced hat in die Hände eines Ein-Mann-Redaktionsbüros im Hamburger Speckgürtel, der die gut 80 Seiten mithilfe einer treuen Armada von freien Mitarbeitern vollschreibt, die auch gleich die Fotos von ihren Angeltrips mitliefern. Das ist großartig nerdig und wirkt, als hätte da eine Truppe von Flugangel-Verrückten Spaß an der Sache, und Spaß ist bekanntlich ansteckend.2)Davon ausgenommen ist regelmäßig Spaß, der auf einem anderen Rausch- und/oder Verkleidungsniveau stattfindet als dem eigenen. Der ist abstoßend. Und das beginnt schon mit dem ersten Schritt in Richtung der Herstellung eines anderen Rauschniveaus. Auf gut Deutsch: Sobald du auf dieses Bier-Bike steigst, bist du unerträglich.
Ist eigentlich klar, was Fliegenfischen (beziehungsweise: Flugangeln) ist? Haben alle „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ gesehen? Jedenfalls ist es die mit Abstand schönste, eleganteste und wahrscheinlich auch elitärste Art zu Angeln, und die Typen hier angeln selbst solche Fische „mit der Fliege“, die anders einfacher zu fangen wären – weil es nämlich einfach geiler ist.
Ich nehme an, für komplette Nichtangler ist das auf jeder Ebene unverständlich. Sie sind schon durch Titelzeilen wie „Barben mit der Nymphe – Sommerpause für Salmoniden“ ausgeschlossen, und wahrscheinlich mit der Frage beschäftigt, ob „Barben“ eine Fischart ist oder eine Tätigkeit, und ob die Nymphe das auch will. Gemessen an den knappen Möglichkeiten3)Ich kann im Impressum nicht wirklich erkennen, dass das Heft einen Grafiker hat. Es sieht aus, als würde es in der Lithographie-Anstalt layoutet, was bedeutet, das Layout ist aus der bereits outgesourcten Redaktion noch weiter outgesourced. Mir kommt das vor wie eine Blinddarmoperation auf einer australischen Farm, bei der ein Chirurg über Skype der Bauersfrau erklärt, wo sie bei ihrem kranken Mann den Bauch aufschneiden soll. Aber es geht ja irgendwie gut. – aber in Wahrheit nicht einmal nur gemessen daran, sondern überhaupt – ist „Fliegenfischen“ ein für seine Zielgruppe sicher sehr befriedigendes, identitätsstiftendes, gelungenes Heft.
Aber was nicht da ist, ist nicht da, und deshalb möchte ich kurz über etwas reden, das total old school ist, aber auf mehreren Ebenen wichtig: über den „Lauf“ oder „Rhythmus“ eines Heftes.
Wir Old-School-Säcke mit den Brillen und den Hörgeräten haben auch heute noch die so genannte „Mini-Wand“, ein mit Schienen oder sonst irgendeiner Form von Halt versehenen Platte in der Redaktion,4)In richtig schicken Redaktionen läuft das inzwischen elektronisch auf riesigen Bildschirmen. Habe ich gehört. an der wir zumindest in verkleinerter Form5)Deshalb das „Mini“ in „Mini-Wand“, klar. alle Seiten eines Heftes in ihrer Reihenfolge aufhängen. Dann starrt man mit grimmigem Blick drauf und fragt sich, „ob das läuft“. Und das sind in Wahrheit mehrere Fragen auf einmal.
Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er ist Redaktionsleiter des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ und geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken und drüber zu schreiben.
Die erste und wichtigste ist: Kann man sehen, wo eine Geschichte aufhört und die nächste anfängt? Wenn sich Bilder und Layout zweier Geschichten hintereinander zu ähnlich sind, könnte ein Leser beim schnellen, unkonzentrierten Blättern des Heftes sonst durcheinander kommen. Dabei gilt es übrigens auch, die Position der Anzeigen miteinzubeziehen, die auch an der Mini-Wand hängen, und die man meist vorher nicht gesehen hat.6)„Man“ hier im Sinne von: Der Grafiker, der eine Geschichte baut, in der eine Anzeige platziert ist, kennt in der Regel in dem Moment nur das Format der Anzeige, nicht den Inhalt. Wenn etwas nicht passt, muss das hier auffallen und geändert werden.7)In der Regel durch das Verschieben der Geschichte oder der Anzeige, in Notfällen muss aber auch manchmal das Layout geändert werden.
Zum „Laufen“ gehört aber auch, dass Geschichten in einem guten Rhythmus aufeinander folgen. Als Faustregel könnte man sagen, sie sollen gegensätzlich sein, also optisch und inhaltlich „lang nach kurz“, „bildlastig nach textlastig“, „bunt nach monochrom“, „nah dran nach weit weg“ und „weich nach hart“. Das alles natürlich in einem homogenen Heftteil, die meisten Magazine beginnen ja mit kleinteiligen, „magazinigen“ Seiten, bevor die langen Geschichten, die so genannten „Strecken“ kommen. Und nach hinten fransen die Hefte wieder ein bisschen aus, wenn die servicelastigeren Themen folgen.
Bei „Fliegenfischen“ haben sie das alles nicht. Der allergrößte Teil des Heftes besteht aus vier-, fünf- oder sechsseitigen Geschichten, in denen geangelt wird, was bedeutet, auf den Bildern steht jeweils ein Fliegenfischer mit den Füßen in einem grünblauen Gewässer vor einem grünbraunen Ufer unter blauem Himmel. Es gibt jeweils noch Nahaufnahmen von dem Köder (den künstlichen „Fliegen“) und mindestens ein Bild von dem Angler mit einem großen Fisch in den Händen. Die Abwechslung hält sich in Grenzen.
Bei der Heftmischung haben die Macher – oder sogar noch wahrscheinlicher: der Macher – als Elemente zum Auflockern nur noch zwei Seiten mit Leserbriefen und ein paar Seiten mit „Notizbuch“ genannten „News“ von Veranstaltungen und ähnlichem. Erstaunlicherweise verkneift sich das Heft weitgehend, auch noch Seiten mit den sicher vorhandenen Produktfreistellern der Hersteller der Angelgeräte vollzuknallen, was preisgünstiger Inhalt wäre.
So geht es vorn direkt nach dem Editorial mit mittellangen Geschichten los, dann geht es mit mittellangen Geschichten weiter, bevor irgendwann zwei Seiten Leserbriefe kommen. Dann kommen mittellange Geschichten vor mittellangen Geschichten. In der Heftmitte sind ein paar Seiten „Notizbuch“, dann nur noch mittellange Geschichten.
Kurz: Mit dem, was zur Verfügung steht, könnte ich im Leben kein Heft mischen. Aber der oder die Zauberer bei „Fliegenfischen“ machen es einfach trotzdem, und es macht Spaß und ist rundherum erstaunlich.
Ich habe nicht ganz ergründen können, was genau der Trick ist, und ob nicht auch einfach der verzweifelte Mut dahintersteckt, dass halt irgendwas hintereinander kommen muss, und dann arbeitet man eben mit den minimalsten Mitteln, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Form von subtilem Genie niemals von einem Algorithmus imitiert werden kann. Geht nicht. So wie keine Künstliche Intelligenz jemals auf die Idee käme, worum es in dem Buch gehen könnte, das „Fliegenfischen“ in der Geschichte „Weißfisch macht den Sommer bunt“ anpreist, das nämlich heißt „Favoriten ohne Fettflosse“. Kann man nicht erfinden, nur erleben.
Allerdings würde ich doch noch gerne diesen „Bar-Ben mit der Nymphe“ in der „Frei ab 18“-Version sehen, der wird in „Fliegenfischen“ irgendwie unterschlagen. Die sind sehr, sehr mit ihren Fischen beschäftigt.
Fliegenfischen
Jahr Top Special Verlag GmbH & Co KG
9,80 Euro
Andere top-spezielle Titel des Verlages sind zum Beispiel „Kutter & Küste – Das Meeresangel-Magazin“, „Karpfen“ und „Angelsee aktuell – Das Forellenangler-Magazin“. Ganz ehrlich: Da könnten sie sich bei „Karl“, dem „Alles, was irgendwie mit Fahrrädern zu tun hat“-Magazin mal eine Scheibe Fokussierung abschneiden.
Davon ausgenommen ist regelmäßig Spaß, der auf einem anderen Rausch- und/oder Verkleidungsniveau stattfindet als dem eigenen. Der ist abstoßend. Und das beginnt schon mit dem ersten Schritt in Richtung der Herstellung eines anderen Rauschniveaus. Auf gut Deutsch: Sobald du auf dieses Bier-Bike steigst, bist du unerträglich.
Ich kann im Impressum nicht wirklich erkennen, dass das Heft einen Grafiker hat. Es sieht aus, als würde es in der Lithographie-Anstalt layoutet, was bedeutet, das Layout ist aus der bereits outgesourcten Redaktion noch weiter outgesourced. Mir kommt das vor wie eine Blinddarmoperation auf einer australischen Farm, bei der ein Chirurg über Skype der Bauersfrau erklärt, wo sie bei ihrem kranken Mann den Bauch aufschneiden soll. Aber es geht ja irgendwie gut.
„Man“ hier im Sinne von: Der Grafiker, der eine Geschichte baut, in der eine Anzeige platziert ist, kennt in der Regel in dem Moment nur das Format der Anzeige, nicht den Inhalt.
In der Regel durch das Verschieben der Geschichte oder der Anzeige, in Notfällen muss aber auch manchmal das Layout geändert werden.
3 Kommentare
Super, vielen Dank, auch mal ein Nerd-Heft für mein Hobby besprochen! Wobei selbst mir das zu „nerdig“ ist – Fliegenfischen erscheint mir schlicht zu aktivitätslastig. :)
„Haben alle „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ gesehen?“
Ohne jetzt hier eine Generationendebatte anstoßen zu wollen, aber: Der zeitgenössischere Referenzfilm zum Thema wäre eindeutig „Fliegenfischen im Jemen“.
Super, vielen Dank, auch mal ein Nerd-Heft für mein Hobby besprochen! Wobei selbst mir das zu „nerdig“ ist – Fliegenfischen erscheint mir schlicht zu aktivitätslastig. :)
„Haben alle „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ gesehen?“
Ohne jetzt hier eine Generationendebatte anstoßen zu wollen, aber: Der zeitgenössischere Referenzfilm zum Thema wäre eindeutig „Fliegenfischen im Jemen“.
Anyone?
„Lachsfischen im Jemen“.