Wir haben wenig Ahnung, aber: Es war ein Flüchtling!
Eine Polizistin hat am Mittwochabend in einem Zug nach Flensburg einen Mann erschossen, der sie mit einem Messer angegriffen haben soll. Viele Berichte, die dazu erschienen, lassen sich in drei Sätzen zusammenfassen:
Es war ein Flüchtling!
Offenbar war es kein Terroranschlag.
Aber es war ein Flüchtling!
Und damit das auch jeder mitbekommt, bringt es „Bild“ groß auf der Titelseite: „Junge Polizistin erschießt Flüchtling“, steht da, inklusive Comic, wie der „Bild-Zeichner“ sich die Situation im Zug so ausmalt, und natürlich, wir sind ja ganz unten auf dem Boulevard, spritzt das Blut und die Waffe glüht.
Zweierlei ist ungewiss. Erstens: Wie viele Menschen sich diese Titelseite eingerahmt und mit einem Lorbeerkranz versehen haben, zu Ehren der tapferen Verteidigerin gegen das böse Fremde. Und, zweitens: Ob die „junge Polizistin“ tatsächlich so blond und blass war, wie sich der „Bild-Zeichner“ eine deutsche Polizistin vorstellt, oder doch brünett und mit dunklem Teint. Aber das sind ja bloß Feinheiten. Der Angreifer jedenfalls war schwarz! „Bild“ belegt das auch mit einem (unverpixelten) Foto von ihm.
Was genau an Bord geschah, ist weiter unklar; die Ermittlungen laufen. Es sieht aber alles danach aus, dass „Bild“ gleich zwei Falschmeldungen zum Hergang verbreitet hat: eine noch am Mittwochabend, eine am Morgen danach.
Erst schrieb „Bild“, es hätte einen Streit gegeben zwischen dem später erschossenen Mann und einem Mitreisenden. „20 Kilometer vor Flensburg“ sei dieser Streit „eskaliert“, der eine Mann hätte den anderen „mit einem Messer attackiert“. Als der Zug dann in Flensburg eingefahren sei, „kamen nach bisher unbestätigten Angaben zwei Polizisten dazu“, behauptete „Bild“. „Der Angreifer soll dann im Zug eine Polizistin attackiert und verletzt haben“ und „ihr Kollege“ – nicht sie selbst – hätte „den Mann daraufhin erschossen“.
Am nächsten Morgen schrieb „Bild“ dann, der Zugchef hätte nach dem angeblich eskalierten Streit über Lautsprecher gefragt, ob ein Polizist an Bord sei. Daraufhin wäre die Polizistin zur Hilfe geeilt und auch attackiert worden, und dann hätte sie den Mann erschossen. Die Quelle: „‚Bild‘-Informationen“.
Polizei und Staatsanwaltschaft schwiegen anfangs zum Hergang. In einer Pressemitteilung am Mittwochabend schrieb die Polizeidirektion Flensburg: „Die Hintergründe zum Geschehen sind derzeit völlig unklar.“ Am nächsten Morgen trug sie nach: „Die Hintergründe zum genauen Geschehensablauf sind nach wie vor unklar.“ Auch die zuständige Staatsanwältin beteuerte am Donnerstag im Fernsehsender „Welt“, sie könne nichts sagen, da man „noch kein genaues Bild“ davon habe, wie alles ablief.
Aber „Bild“ wusste da ja längst Bescheid, und so gut wie alle schrieben es ab, auch die Deutsche Presse-Agentur – mit der Folge, dass sich am Freitag alle korrigieren mussten.
Die Polizei hatte, wie üblich, am Tag nach dem Vorfall Zeugen gehört, und deren Aussagen zufolge gab es gar keinen Streit, der irgendwo vor Flensburg „eskalierte“. Der Mann soll vielmehr zuerst die Polizistin angegriffen haben, als der Zug in den Bahnhof einfuhr und sie sich zum Ausgang begab. Ein Mitreisender versuchte offenbar, ihr zu helfen. Er und die Polizistin wurden bei dem Kampf verletzt, anschließend griff die Polizistin offenbar zur Dienstwaffe.
„Was geschah wirklich im IC 2406, in dem eine Polizistin einen Flüchtling erschoss?“, fragt „Bild“ nun und schiebt die Falschinformation scheinheilig der Polizei in die Schuhe:
„Bislang ging die Polizei davon aus, dass die Beamtin einen Streit zwischen dem Messerstecher und einem Passagier (35) schlichten wollte und dabei attackiert wurde (‚Bild‘ berichtete).“
Ja, „Bild“ berichtete. Aber die Polizei ging offiziell nie davon aus, obwohl das auch die Deutsche Presse-Agentur so darstellt: Erst zitierte sie den von „Bild“ geschilderten Ablauf und schrieb, die Polizei mache noch keine Angaben dazu – um dann später, als die Polizei ihre Version veröffentlicht, zu schreiben, bisher sei die Polizei ja von einem Streit ausgegangen.*
„Liebe Polizistin im IC 2406, Sie haben einen Messermann, einen Asylbewerber, erschossen“, schreibt „Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner. Der Einschub muss schon sein, immerhin weiß auch die „Welt“, was so ein Vorfall mit einem Flüchtling bedeutet, auch noch ausgerechnet in Flensburg, und sie schreibt es gleich in die Überschrift: „Blutiges Ende des Flensburger Bahnhofs-Idylls“.
Was mit „Idyll“ gemeint ist, steht dann im Text: „Der Flensburger Bahnhof, das ist noch gar nicht so lange her, war einmal eines der Zentren der deutschen ‚Willkommenskultur'“, schreibt „Welt“-Redakteur Ulrich Exner. Zu „Hunderten, Tausenden“ seien im Herbst 2015 Flüchtlinge dort angekommen.
„Sie wurden von Dutzenden freiwilligen Helfern versorgt, verpflegt, ausgestattet. Die Fotos und Videos mit den Bergen von Spenden, Spielzeug, Bekleidung in dem schon etwas heruntergekommenen Klinkergebäude gingen damals um die Welt. Sie zeigten eine freundliche Seite der Flüchtlingskrise.“
Tja, und jetzt schaut mal alle her!
Die aktuellen Fotos aus Flensburg zeigten „Polizisten, Rettungskräfte, den mit Flatterband abgesperrten Flensburger Bahnhof“, fürchtet sich Exner, und sie zeigten damit „ein anderes, schlimmes Bild der Migrationskrise“.
Damals also, will Exner sagen, zeigte die „Migrationskrise“ noch ihr freundlichstes Grinsen, aber das war nur Show – und all die Willkommensklatscher sind drauf reingefallen! Denn dies hier jetzt ist kein Grinsen mehr, sondern die reale Fratze dieser Krise, und die Bilder, die künftig mit dem Flensburger Bahnhof „verbunden werden dürften“, spukt Exner noch ein bisschen, „sind sehr viel düsterer geworden“. Es ist feinste Untergangspoesie.
So ist das jetzt schon länger: Geschieht etwas wie in Flensburg, ist es für viele Medien erst mal von vorwiegendem Interesse, die Nationalität mutmaßlicher Täter zu vermelden, noch bevor klar ist, was geschah. „Bild“ und „Welt“ sind da nicht allein, doch die Art, wie sie die Nationalität betonen, sticht hervor.
Auch Exner weiß nicht, was im Zug passiert ist. Auch er schreibt, es habe einen Streit gegeben. Und auch er behauptet, dass er das aus „ersten, noch recht dürren Mitteilungen der Behörden“ wisse. Aber ist ja auch egal. Der „Welt“ geht es, wie „Bild“, vor allem darum, die „Migrationskrise“ mit „dramatischen“ Bildern zu illustrieren. Tausende sind einst nach Flensburg gekommen, keiner zückte ein Messer. Nun hat es einer getan, und man spürt die Häme.
Aber man kann die ganze Sache natürlich auch von einer anderen Seite genauso einfältig betrachten, zum Beispiel wie die „taz nord“, die schreibt:
Klar: Wer mit einem Messer angegriffen wird, darf sich wehren. Aber was löste den Angriff aus? Litt der Mann vielleicht unter einer psychischen Störung, hat der Anblick der Uniform eine Panikreaktion ausgelöst? Wenn ja, war richtig Pech im Spiel: Die Beamtin aus Bremen hatte eigentlich dienstfrei, hätte also keineswegs in Uniform reisen müssen.
Kurios, wie sich die linke Tageszeitung irgendeinen möglichen Grund für den Angriff ausdenkt und der Polizistin quasi eine Mitschuld unterstellt, weil sie Uniform trug, auf die der arme Mann vielleicht empfindlich reagierte.
Dabei kann und darf die Polizistin in Uniform reisen, auch in ihrer Freizeit, zum Beispiel nach Dienstschluss. Mehr noch: Es ist ausdrücklich erwünscht. Die Deutsche Bahn und Politiker meinen, dass sich Reisende sicherer fühlen, wenn ein Polizist oder eine Polizistin an Bord ist. Deshalb fahren uniformierte und bewaffnete Polizisten auch gratis mit der Deutschen Bahn.
Die Polizistin, übrigens, schweigt bis dato zur Sache, was ihr gutes Recht ist, denn auch gegen sie wird wegen des Gebrauchs ihrer Schusswaffe ermittelt. Bislang gebe es aber für den Moment des Angriffs keine weiteren Zeugen als sie, sagt die Staatsanwaltschaft. Bis der Vorfall aufgeklärt ist, dürfte es also noch dauern, und möglicherweise wird sich manches nicht abschließend klären lassen. Aber immerhin wissen wir schon mal, dass der Mann ein Flüchtling war und Flensburg jetzt angeblich düstere Zeiten bevorstehen.
*Korrektur, 21:37 Uhr. Anders als oben behauptet, hat sich die Deutsche-Presseagentur (dpa) bei der Schilderung des vermeintlichen Hergangs nicht nur auf „Bild“ bezogen. Froben Homburger, dpa-Nachrichtenchef, weist in den Kommentaren (#9) darauf hin, dpa sei der zunächst angenommene Ablauf „aus Sicherheitskreisen“ bestätigt worden. Das hat dpa auch so am Donnerstagmorgen gemeldet, was wir oben aber nicht berücksichtigt hatten. Wir bitten, das zu entschuldigen.
Nachtrag, 18.7.2018. „Welt“-Redakteur Ulrich Exner widerspricht in den Kommentaren (#31). Ich habe ihm geantwortet.
Auch künstlerisch wertvoll, wie der Bildzeichner der Polizistin Furcht und Entsetzen in das Gesicht malt, wie sie deine Hand zum Mund hebt (um den Schrei zu unterdrücken?) und mit der anderen Hand die Waffe anfeuert, die Zeichnung suggeriert hier schon, dass sie keine andere Wahl hatte. Dazu noch die von Wut verzerrte Fratze des wenig edlen Wilden, der hier das bluttriefende Messer schwingt, sowie in die Sitzlehne krampfende Hände eines Zeugen, den es offiziell gar nicht gibt.
Also nach der Zeichnung ist doch jede weitere Recherche oder differenzierte Berichterstattung völlig überflüssig, sie sagt doch alles aus was man wissen muss.
Von Springer (Bild, Welt) erwarte ich schon nichts anderes mehr. Aber die taz schlägt mit ihrer kruden Theorie dem Faß den Boden aus. Waren es nicht die linken Medien, die vor eineinhalb Jahren in der #Aufschrei-Debatte das Argument „wer Minirock trägt ist an einer Vergewaltigung mitschuld“ – völlig zurecht – als absurd abgetan haben? Und nun sollen Polizisten, die Uniform tragen, eben selbst schuld sein, wenn sie attackiert würden?
Die Polizisten greift sich wohl ans Kinn, weil sie da geschnitten wurde. Wieso der Schnitt senkrecht verläuft, obwohl das Messer horizontal geschwungen wurde, weiß mal wieder nur der Gilb.
Aber nur ein Detail unter vielen in der allgemeinen Meinungsmache…
@Leo Friedrich: das soll die Polizei bestimmt lehren, kein Victimblaming zu veranstalten. Weil: Minus mal Minus ergibt Plus.
Ja, es ist eine krude Theorie, die die taz hier aufstellt, aber ich finde nicht, dass sie der Polizistin damit die Schuld gibt. Ganz im Gegenteil schreiben sie ja, dass es Pech war und eben nicht die Schuld der Polizistin.
Ob die taz der Polizistin die Schuld geben will, weiß ich nicht, aber sie will eindeutig den Mann mit dem Messer entschuldigen. Die Leute, die bei sexueller Belästigung auf Miniröcke abstellen, wollen i.d.R. ja auch nicht die Täter völlig freisprechen.
Und nein, das kann keine Entschuldigung sein. Ob die Polizistin zur Eskalation beigetragen hat oder nicht, kann momentan keiner wissen, aber „Uniform provozieren halt“ ist genausowenig eine Ausrede wie „Miniröcke provozieren halt.“ Oder die Entschuldigung gilt für alle, die mit der Polizei aneinander geraten. Statt „Mach doch die Bluse zu!“, eben „Zieh Dir doch keine Uniform an!“ Dass die Frau nicht im Dienst war, ist dabei auch nicht wichtig – angenommen, sie wäre im Dienst gewesen, hätte der Mann das gewusst? Vermutlich nicht, ergo hat er sich vermutlich so verhalten, wie er sich verhalten hätte, wenn sie im Dienst gewesen wäre.
@Mycroft:
Die taz schreibt aber eben gar nichts davon, dass sich der Angreifer provoziert gefühlt hat, sondern dass er vielleicht eine Panikreaktion hatte. Was wie gesagt eine krude These ist, aber eben keine Schuldzuweisung.
Die TAZ schreibt als linkes Blatt dass was sie schreiben muss: sie gibt den äußeren Gedankenrahmen vor. Wo kämen wir hin wenn plötzlich In Massenmedien dauerhaft an deutsche Kriegsführung erinnert würde, wenn man mal grundsätzlich die Hypothese aufstellen würde dass der Mann vielleicht durch eine NATO-Bombe/Drohne traumatisiert wurde? Dann würden wir mal über die wirklich wichtigen Sachen diskutieren. Aber so kann sich links und rechts mal wieder um formfragen streiten. Spitzenarbeit!
Ok, „Panikreaktion“ und „provoziert sein“ ist nicht das gleiche (auch wenn’s hier zum selben Ergebnis – Messerattacke – geführt hätte).
Aber wenn hier psychische Probleme behauptet werden, ist das jetzt extreeeem spekulativ, jedenfalls deutlich spekulativer, als das ein Streit zwischen eigentlich psychisch normalen Menschen eskaliert (rein statistisch gesehen). Dann schon eher, dass sie zuerst die Waffe gezogen hat, und DAS hat seine Reaktion ausgelöst.
Und ja, psychische Probleme gelten als mildernde Umstände, aber schon aus Respekt gegenüber Menschen mit psychischen Problemen sollte man darüber nicht wild drauflos spekulieren, selbst, wenn man damit nicht der Polizistin eine Mitschuld geben will.
Die Story könnte man ja auch noch ganz anders aufziehen: „Unschuldiger Schwarzer wird von junger Polizistin außer Dienst erschossen – war Rassismus im Spiel?“
Lieber Herr Rosenkranz,
Sie schreiben:
>>>>>Aber „Bild“ wusste da ja längst Bescheid, und so gut wie alle schrieben es ab, auch die Deutsche Presse-Agentur – mit der Folge, dass sich am Freitag alle korrigieren mussten.
Die Polizei hatte, wie üblich, am Tag nach dem Vorfall Zeugen gehört, und deren Aussagen zufolge gab es gar keinen Streit, der irgendwo vor Flensburg „eskalierte“. Der Mann soll vielmehr zuerst die Polizistin angegriffen haben, als der Zug in den Bahnhof einfuhr und sie sich zum Ausgang begab. Ein Mitreisender versuchte offenbar, ihr zu helfen. Er und die Polizistin wurden bei dem Kampf verletzt, anschließend griff die Polizistin offenbar zur Dienstwaffe.
„Was geschah wirklich im IC 2406, in dem eine Polizistin einen Flüchtling erschoss?“, fragt „Bild“ nun und schiebt die Falschinformation scheinheilig der Polizei in die Schuhe:
Bislang ging die Polizei davon aus, dass die Beamtin einen Streit zwischen dem Messerstecher und einem Passagier (35) schlichten wollte und dabei attackiert wurde (‚Bild‘ berichtete).“
Ja, „Bild“ berichtete. Aber die Polizei ging offiziell nie davon aus, obwohl das auch die Deutsche Presse-Agentur so darstellt: Erst zitierte sie den von „Bild“ geschilderten Ablauf und schrieb, die Polizei mache noch keine Angaben dazu – um dann später, als die Polizei ihre Version veröffentlicht, zu schreiben, bisher seien die Behörden ja von einem Streit ausgegangen.<<<<<<<
Es ist Ihnen natürlich völlig unbenommen, Informationen nur dann für relevant und meldenswert zu halten, wenn sie mit der Pressemitteilung einer Behörde einen amtlichen Stempel erhalten (Sie schränken ja selbst ausdrücklich ein: „…die Polizei ging OFFIZIELL nie davon aus…“).
Tatsächlich entsprach der zuerst von „Bild“ und später auch von dpa gemeldete Streit zwischen den beiden Männern als (wie sich später herausstellte: vermeintlicher) Ausgangspunkt des ganzen Geschehens dem Informationsstand zu diesem Zeitpunkt. Das wurde dpa aus Sicherheitskreisen auch noch am Donnerstagmorgen ausdrücklich bestätigt und von dpa auch mit dieser Quelle noch einmal vermeldet.
In Ihrem Text bleibt das erstaunlicherweise unerwähnt. Eine Anfrage bei uns wäre da sehr hilfreich (und im übrigen auch sehr im Sinne der journalistischen Sorgfalt) gewesen.
Somit war es aus unserer Sicht und auf dieser Informationsgrundlage auch zulässig, am Freitag zu schreiben, dass die Behörden ursprünglich von einem anderen Ablauf ausgegangen waren.
Es wäre schön, wenn Sie das in ihrem Text entsprechend berücksichtigen und bei der Gelegenheit vielleicht auch den manchmal etwas inflationären und leichtfertigen Gebrauch des Begriffs „Falschmeldung“ überdenken könnten.
Beste Grüße
Froben Homburger
(dpa-Nachrichtenchef)
Lieber Froben Homburger,
ich habe nachgetragen, dass dpa „aus Sicherheitskreisen“ informiert wurde. Entschuldigen Sie, dass ich das nicht berücksichtigt hatte! Später allerdings schreibt dpa nicht, „die Behörden“ seien davon ausgegangen, sondern: „die Polizei“. Ich habe auch das oben angepasst, aber sicherlich ist die Polizei ja auch Teil der informierenden „Sicherheitskreise“.
„Falschmeldungen“ gab es hier: „Bild“, zum Beispiel, sprach anfangs von einem Streit und von einem zweiten Polizisten, der schoss, und von dieser Lautsprecherdurchsage. Das alles soll so nicht gewesen sein. Und der Duden schreibt, eine „Falschmeldung“ sei „eine Meldung, die nicht dem wirklichen Sachverhalt entspricht“ – putziger ausgedrückt: eine Ente.
Sie haben sicherlich recht, dass nicht nur meldenswert ist, was einen „amtlichen Stempel“ erhalten hat. Allerdings ist auch die Frage, wie sinnvoll es ist, alles zu melden, was Behörden so intern annehmen, als erste Ermittlungsgrundlage. Es gab immer wieder Fälle, in denen sich nur kurze Zeit später vieles anders darstellte, aber zuvor wurde alles fleißig irgendwo gemeldet. Diese Eile, insgesamt, ermüdet mich in der Tat.
Eine Anfrage hielt ich hier übrigens nicht für notwendig, aber nächstes Mal schreibe ich Ihnen wieder eine Mail.
Viele Grüße!
„Es gab immer wieder Fälle, in denen sich nur kurze Zeit später vieles anders darstellte, aber zuvor wurde alles fleißig irgendwo gemeldet. Diese Eile, insgesamt, ermüdet mich in der Tat.“
Besser kann man, meiner Meinung nach, die Gesamtsituation der Berichterstattung allgemein nicht zusammenfassen.
Schnelligkeit gilt so oft vor allem anderen. Man hat als Medium anscheinend bereits verloren, wenn man das Richtige als Letztes verkündet – egal wie viel Falsches die Anderen zuvor gemeldet haben.
die andere Frage wäre, was ein Flüchtling, insofern er einer war, überhaupt ein Messer mitführt. oder generell Waffen. ich bin bis jetzt, Gott sei dank, auch so zurecht gekommen
Wieso wird eigentlich in den Berichten nicht problematisiert, dass es einen TOTEN durch Schusswaffengebrauch der Polizistin gab? Werden Polizisten inzwischen bei Schusswaffenübungen nicht mehr darauf trainiert, kampfunfähig zu machen, statt totzuschießen? Auch auf eskalierende Streitereien werden Polizisten in der Ausbildung trainiert, um angemessen agieren zu können. Wieso wurden diese Aspekte nicht berücksichtigt?
@13 Gute Frage! Das wird natürlich Gegenstand der Ermittlungen sein. Möglicherweise war es gar nicht möglich, in so einer (vermutlich sehr unübersichtlichen) Situation das Gegenüber „kampfunfähig“ zu machen. Aber, wie Sie sagen: Das Verhalten der Polizistin wird in den Berichten tatsächlich nicht hinterfragt. Im Gegenteil: Sie wurde rundweg für ihren Einsatz gelobt, insbesondere von Politikern – und auch der Tatsache zum Trotz, dass man noch gar nicht richtig weiß, wie alles abgelaufen ist.
@11: das wäre ja fast noch entschuldbar wenn es der „schnelligkeit“ oder einer schludrigen recherche zu verschulden ist, aber es ist wohl eher – was aber auch erstmal nur meine these ist – eine philosophie, programm, sichtweise die das blatt vertritt und stets entweder ganz konkret oder, wohl am meisten u d besonders ärgerlich eher im subtext indirekt mitkommuniziert.
@13 Daß der Tod durch Schußwaffengebrauch nicht thematisiert würde, kann man ja doch wirklich nicht sagen. Immerhin lautet die große Schlagzeile „Junge Polizistin erschießt Flüchtling“.
Auch finde ich die Tatsache, daß der Tote ein Flüchtling aus Eritrea ist, durchaus bedeutsam für den ganzen Fall. Denn dies zeigt die Tragik der ganzen Ereignisse: Es kommt jemand aus Eritrea, ein junger Mensch voller Hoffnungen auf ein besseres Leben, und nun ist er tot und zwei andere sind verletzt.
Amnesty International berichtet aus Eritrea von willkürlichen Verhaftungen, von Verschwindenlassen in Geheimgefängnissen, von Militärgefängnissen mit Entzug von Wasser, Internierungslagern mit sexuellem Mißbrauch, Zwangsarbeit und Folter, vom Einsperren in Erdlöchern oder Schiffscontainern.
Wir (die wir jetzt hier diskutieren) können uns also im Groben ausmalen, was Menschen, die aus Eritrea fliehen, dort durchgemacht haben, in welchen psychischen Ausnahmesituationen sie sich seit Jahren befinden.
Kein Mensch greift einfach nur so einen Polizisten an. Es gibt immer einen Grund, eine Vorgeschichte.
Wenn ich mir überlege, ich würde in einem Land leben, in dem ich von uniformierten Kräften willkürlich verhaftet, zusammengeschlagen, mit Nahrungs- und Schlafentzug gefoltert würde, könnte ich sagen, was das mit mir macht? Wüsste ich, welche Trigger dann bei mir Gewaltreaktionen hervorrufen würden? Wenn ich vor dieser Gewalt in ein anderes Land auf einen anderen Kontinent fliehe, wäre es dann nicht ganz besonders wichtig, daß diese Traumata fachkundig behandelt werden?
Insofern ist es ein wichtiger Punkt, daß es ein Flüchtling aus Eritrea ist, der jetzt tot ist. Es ist ein Weckruf an die Gesamtgesellschaft: Es kommen Menschen nach Europa, die vor Krieg, vor Folter und Willkürherrschaft fliehen, und die schwer traumatisiert sind. Diese Menschen darf man nicht einfach in irgendwelche Unterkünfte stecken, von unqualifiziertem Personal bewachen lassen und ansonsten sich selbst überlassen! Traumata verschwinden nicht von selbst – vor allem nicht, wenn man sie als Kind oder Jugendlicher erlitten hat.
Flüchtlinge, die aus Kriegen oder aus totalitären Staaten kommen, brauchen Hilfe, nicht Verwahrung – das ist die wesentliche Botschaft, die ankommen sollte.
@Daniel Rehbein,
Ihr Einsatz in Ehren, aber eigentlich spekulieren Sie jetzt auch.
– Wir wissen nicht, ob ein Trauma vorlag.
– Es ist sicher nicht abwegig anzunehmen, dass Menschen aus Krisenregionen häufiger traumatisiert sind als der Durchschnitt, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man das bei jedem einzelnen Flüchtling logistisch überprüfen und behandeln könnte (angefangen von der anfänglichen Sprachbarriere, über das Misstrauen, das man auch als nicht traumatisierter Mensch gegenüber Befragungen haben kann, bis hin zum chronischen Therapeutenmangel in D.).
– es kann auch einem Nicht-Flüchtling in D. passieren, von der Polizei erschossen zu werden. https://www.wp.de/staedte/hagen/toedlicher-schuss-der-hagener-polizei-taeter-ein-sonderling-id12286958.html
@16
„es kann auch einem Nicht-Flüchtling in D. passieren…“
Danke für den Hinweis. Wen auch immer es tödlich trifft, es muss, wie im Fall der Hagener Polizei, ermittelt werden , weshalb es zum Todesschuss kam, und Aufgabe der Journalisten ist es, genau darüber zu recherchieren und berichten.
@17: Es wird ja auch ermittelt, wie bei jedem Schusswaffeneinsatz mit Todesfolge seitens der Polizei. Letztlich hat der Flüchtling aber vor seinem Tod mit einem Messer zwei Menschen schwer verletzt, eine davon eine Polizistin in Uniform. Sollte man über diesen Aspekt der Geschehnisse auch berichten oder halten Sie das für unwichtig?
Mon Dieux, was ist nur aus diesem Land geworden? Lauter vermeintliche Täter- und Opfer-Versteher oder sind alle Opfer und Täter? Wer Bild liest und zitiert, hat noch immer nicht verstanden, das schwarz gegen weiss, oben gegen unten gehetzt wird.
Es geht doch um zwei Menschen, einen, der aus Eritrea kam und sicher mal glücklichere Entwürfe für sein Leben dachte als in einem IC vor Flensburg zu enden und eine junge Frau, die sicher nicht Polizistin wurde, um jemanden zu töten. Das sind doch beides menschliche Dramen, die traurig machen. Einfach mal schweigen und ruhig sein.
@18
„Sollte man über diesen Aspekt der Geschehnisse auch berichten oder halten Sie das für unwichtig?“
Falls das keine rhetorische Frage war: Wichtig ist, auch darüber zu berichten.
Wenn es zum Waffengebrauch eines*r Angehörigen der Staatsgewalt kommt, da muss ein nicht Waffen tragender einfacher Staatsbürger Vertrauen haben dass Polizist*innen verantwortlich mit der Waffe umgehen, deswegen sollten Journalisten m. E. in diesen Fällen sensibel, genau recherchieren.
@20: Welchen Grund gibt es denn anzunehmen, dass hier unverantwortlich gehandelt wurde? Sie gehen von etwas anderem als Notwehr aus? Auf welcher Grundlage?
Natürlich könnte man auch einfach die Aussage des verletzten Mannes (oder anderer eventueller Zeugen) abwarten, aber das wäre ja zu einfach.
@20
Ich weiß nichts und muss auf seriöse Berichterstattung über die Ermittlungen hoffen und warten.
Was den Fall in Hagen betrifft, so hatte ich ihn in Papierform verfolgt und kann das jetzt schlecht verlinken. Soweit ich mich aber erinnere, war das Notwehr. Insbesondere, dass die Polizistin damals nicht versucht hatte, den Mann ins Bein zu schießen, war ok, weil er weniger als mEn 6 m entfernt war, und da wird der Polizei beigebracht, dass tödliche Schüsse verhältnismäßig seien. Man kann wohl auch mit Beinschuss noch ein paar Schritte laufen und jemanden mit eine Machete töten, bevor das Adrenalin nachlässt.
Ohne andeuten zu wollen, dass das in Flensburg auch so war oder nicht.
@15 Daniel Rehbein
„Es kommt jemand aus Eritrea, ein junger Mensch voller Hoffnungen auf ein besseres Leben, und nun ist er tot und zwei andere sind verletzt.“
Wäre es aus Ihrer Sicht umgekehrt besser, also wenn die beiden Verletzten tot wären und der ‚junge Mensch aus Eritrea, voller Hoffnung auf ein besseres Leben‘ weiterhin seine Hoffnungen hätte?
„Kein Mensch greift einfach nur so einen Polizisten an. Es gibt immer einen Grund, eine Vorgeschichte.“
Stimmt haargenau! Brauchen eben alle nur ne Therapie, dann läuft wieder alles rund. Bleiben Sie einfach so lange zu haus, bis alle durch sind. Wenn Sie danach vor die Tür treten, stimmt das Weltbild wieder.
Manoman…
Ja, auch einem Nicht-Flüchtling kann es in Deutschland passieren, in einer psychischen Ausnahmesituation von der Polizei erschossen zu werden. Wir erinnern uns an Tennessee Eisenberg, der im Zustand geistiger Verwirrung im Treppenhaus von einer Polizeistreife erschossen wurde. Oder an den nackten Mann, der im Neptunbrunnen am Berliner Alexanderplatz mit einem Messer herumfuchtelte, sich selbst dabei Schnittverletzungen zufügte, aber nicht daran, sondern an einer Polizeikugel gestorben ist.
In jedem einzelnen Fall kann man sich fragen, warum diesen Menschen nicht rechtzeitig geholfen werden konnte. Ein psychisch kranker Mensch verdient nicht, erschossen zu werden, sondern er benötigt Hilfe. Wenn sie Situation so weit eskaliert, daß Menschen gefährdet werden, ist schon vorher etwas schiefgelaufen, dann hat die bereits im Vorfeld notwendige Hilfe versagt oder der Hilfebedarf wurde gar nicht erkannt.
Bei Flüchtlingen aus bestimmten Gebieten und in bestimmten Alterstufen kann man sehr sicher sein, daß ein Trauma vorliegt, was dringend behandelt werden muß. Es ist also von vornherein klar, daß Hilfe notwendigt ist. Trotzdem werden diese Menschen in Unterkünften verwahrt und teilweise auch noch von rechtsradikalem Wachpersonal schikaniert. So werden psychische Belastungen nicht aufgearbeitet, sondern weiter verstärkt. Die Folge sind derartige Ereignisse wie der hier berichtete.
So sehe ich den Kern der Berichterstattung in diesem gesamtgesellschaftlichen Skandal: Eine reiche Industrienation ist nicht in der Lage oder ist nicht willens, Flüchtlingen, die hierher kommen, die zwingend notwendige Hilfe zu gewähren.
@24
Ich finde den Beitrag von @ 15 bedenkenswert, er beschreibt die mögliche Problematik, ohne einfache Lösungen zu präsentieren. Es geht sicher nicht darum, abzuwägen, was „besser“ wäre, nichts davon findet sich in seinem Beitrag. Und Zynismus ist auch keine Lösung.
Menschen, die aktiv nach psychologischer Hilfe suchen, treffen nicht gerade auf ein Meer an freien Therapieplätzen. Nicht alle, die Hilfe bräuchten, suchen aktiv danach, weil teilweise genau die Sache, wegen der sie Hilfe bräuchten, diese Suche hemmt. Und als Außenstehender kann man den Menschen nur bis vor die Stirn gucken, und jemanden nur auf Verdacht in Behandlung zu stecken, verhindert unser GG.
Klingt jetzt vllt. etwas zynischer, als gemeint.
@26 Daniel Rehbein
„So sehe ich den Kern der Berichterstattung in diesem gesamtgesellschaftlichen Skandal: Eine reiche Industrienation ist nicht in der Lage oder ist nicht willens, Flüchtlingen, die hierher kommen, die zwingend notwendige Hilfe zu gewähren.“
Stimmt! Dann sollten wir es folglich bleiben lassen und das ‚Experiment‘ abbrechen.
@ 29 Blinse
http://www.der-postillon.com/2015/08/alles-wieder-gut-osterreich-versenkt.html
Die Idee hätte auch von dir stammen können – biste auch Satiriker?
btw- ist mit dem Ende des „Experiments“ das Ende der Kriege in Syrien, Afghanistan und dem Irak gemeint?
Sehr geehrter Herr Rosenkranz,
in Ihrem Kommentar „Wir haben keine Ahnung, aber es war ein Flüchtling“ widmen Sie mir und meinem Bericht über die Messer-Attacke bzw. das Erschießen eines Flüchtlings durch eine Polizistin viele Zeilen. Sie unterstellen mir dabei Häme, schlechte Recherche, Untergangspoesie und, drastisch ausgedrückt, eine klammheimliche Freude darüber, dass es zu diesem Vorfall in Flensburg gekommen ist. Nun ist ein Kommentar ein Kommentar, aber angesichts des Anspruchs, den Sie und „Übermedien“ erheben, hätte ich mich über einen kurzen Anruf, man könnte es auch eine kurze Recherche nennen, sehr gefreut. Wenn Sie diese wenigen Minuten geopfert hätten, wären Sie möglicherweise zu anderen Überlegungen gekommen.
Ich habe Ihren Text erst heute zu sehen gekommen. Das ist spät, aber ich würde dennoch einige Anmerkungen dazu machen.
Sie schreiben:
„Was mit „Idyll“ gemeint ist, steht dann im Text: „Der Flensburger Bahnhof, das ist noch gar nicht so lange her, war einmal eines der Zentren der deutschen ‚Willkommenskultur’“, schreibt „Welt“-Redakteur Ulrich Exner. Zu „Hunderten, Tausenden“ seien im Herbst 2015 Flüchtlinge dort angekommen.Sie wurden von Dutzenden freiwilligen Helfern versorgt, verpflegt, ausgestattet. Die Fotos und Videos mit den Bergen von Spenden, Spielzeug, Bekleidung in dem schon etwas heruntergekommenen Klinkergebäude gingen damals um die Welt. Sie zeigten eine freundliche Seite der Flüchtlingskrise.“
Korrekte Zusammenfassung.
Sie schreiben:
„Tja, und jetzt schaut mal alle her! Die aktuellen Fotos aus Flensburg zeigten „Polizisten, Rettungskräfte, den mit Flatterband abgesperrten Flensburger Bahnhof“, fürchtet sich Exner, und sie zeigten damit „ein anderes, schlimmes Bild der Migrationskrise“.“
Nein. Exner fürchtet sich nicht. Er beschreibt nur ein anderes Bild von diesem Ort.
Sie schreiben:
„Damals also, will Exner sagen, zeigte die „Migrationskrise“ noch ihr freundlichstes Grinsen, aber das war nur Show – und all die Willkommensklatscher sind drauf reingefallen! Denn dies hier jetzt ist kein Grinsen mehr, sondern die reale Fratze dieser Krise, und die Bilder, die künftig mit dem Flensburger Bahnhof „verbunden werden dürften“, spukt Exner noch ein bisschen, „sind sehr viel düsterer geworden“. Es ist feinste Untergangspoesie.“
Nein, lieber Herr Rosenkranz. Das will Exner nicht sagen. Kein Wort von „freundlichstem Grinsen“, kein Wort von „Show“, kein Wort von „Willkommensklatschern“, die auf irgend etwas „reingefallen“ wären. Das sind Ihre Bilder, Herr Rosenkranz, nicht meine. Es liegt mir völlig fern, die großartigen Helfer des Flensburger Bahnhofs zu „Willkommensklatschern“ zu degradieren. Das ist Ihre Phantasie. Ich war damals vor Ort. Ich weiß, welch wunderbare humanitäre Hilfe die Flensburger Initiativen damals geleistet haben. Richtig ist, und da zitieren sie angemessen, dass diese freundlichen Flensburger Bilder aus dem Herbst 2015 durch den Angriff auf die Polizistin und auch durch die Schüsse der Polizistin konterkariert werden. Das ist bitter. Und leider kein Spuk.
Sie schreiben:
„Auch Exner weiß nicht, was im Zug passiert ist. Auch er schreibt, es habe einen Streit gegeben. Und auch er behauptet, dass er das aus „ersten, noch recht dürren Mitteilungen der Behörden“ wisse. Aber ist ja auch egal. Der „Welt“ geht es, wie „Bild“, vor allem darum, die „Migrationskrise“ mit „dramatischen“ Bildern zu illustrieren. Tausende sind einst nach Flensburg gekommen, keiner zückte ein Messer. Nun hat es einer getan, und man spürt die Häme.“
Sie haben Recht, auch Exner weiß nicht, was im Zug passiert ist. Und ja, ich gebe deshalb die Behörden (Staatsanwaltschaft, Innenministerium, Polizei Flensburg) als meine Quellen an. Das ist schlichtes Handwerk, nicht Behauptung. Und ja, ich weiß, dass die Informationslage zu jenem Zeitpunkt dünn war. Deshalb nenne ich die Mitteilungen der Behörden auch „dürr“, damit der Leser oder die Leserin weiß, dass die Dinge noch nicht ausrecherchiert sind. Das ist mir alles andere als „egal“, wie sie unterstellen. Aber deshalb nicht zu berichten, ist aus meiner Sicht keine Alternative. Noch eines: Die „Häme“, die Sie spüren, ist mir fremd. Sie dürfen Sie gerne behalten.
Ulrich Exner
Korrespondent, WELT
@31 Lieber Ulrich Exner,
vielen Dank für Ihren Kommentar zu meinem Kommentar!
Sorry, dass ich Sie nicht angerufen habe, aber ich hielt das in diesem Fall nicht für nötig, wie ich auch bereits Herrn Homburger schrieb. Wie Sie ja sagen: Es ist ein Kommentar. Meine Sicht. Ich befasse mich hier damit, was Medien publizieren – und welche Wirkung das hat.
Mag sein, dass ich Sie zu hart angefasst habe und Verben wie „fürchten“ oder „Häme“ so nicht zutreffen. Ich finde den Artikel jedoch immer noch überzogen. Das fängt mit der Überschrift an, die Sie sich womöglich nicht selbst ausgedacht haben, aber: „Blutiges Ende des Flensburger Bahnhof-Idylls“? Das hätte so auch (oder viel eher) in „Bild“ stehen können.
Nicht zu berichten, sei keine Alternative, schreiben Sie. Das finde ich auch, deshalb steht das auch nicht in meinem Text. Denn: Natürlich muss man berichten. Es geht bloß darum, wie man berichtet.
An anderer Stelle haben Sie mal geschrieben, dass im Internet „die Urteile fallen, ehe überhaupt Anklage erhoben wurde“. Und dass dies eine Entwicklung sei, „die nicht nur, aber auch mit Migration zu tun hat“. Das stimmt. Wenn es um Migranten, um Flüchtlinge geht, werden im Netz sehr schnell Schlüsse gezogen. Aber nicht nur dort. Auch in Zeitungen.
Sie haben in diesem Fall ebenfalls schnell geschlussfolgert, zu einem Zeitpunkt, an dem der genaue Hergang noch völlig unklar war, und zwar auch: Wer wen wieso angegriffen hat. In der „Welt“ aber wird das Ganze gleich zu einer Art symbolischem Akt, der die heilen Bilder von damals „düster“ überlagern wird – das „blutige Ende“ der „Willkommenskultur“. Das hat natürlich, in seiner ganzen „Dramatik“, eine Wirkung.
Dennoch gut, dass Sie noch kommentiert haben. Ich habe das unter dem Beitrag nachgetragen. Und bei nächster Gelegenheit rufe ich Sie mal an.
Viele Grüße
Boris Rosenkranz