Hasswort (21)

Multikulti

Eine breite Mehrheit der Bevölkerung wird auf das Wort Multikulti wohl kaum mit „Hass“ im Wortsinne reagieren. Also nicht mit einer starken Abneigung, die Aggression hervorruft. Ganz im Gegenteil hat sich dieses nett anmutende Wörtchen Multikulti über Jahre – insbesondere in der Breite der Medienlandschaft – fast schon wohlklingend verfestigt.

Darauf wiederum reagiere ich – schon allein deshalb, weil es wenig stilvoll wäre – freilich nicht mit Aggression, sehr wohl aber mit einer gewissen Sorge. Ja, wenn ich es genau betrachte, mit einer Sorge, die sich gelegentlich in eine Abneigung gegen das Wort Multikulti selbst wandelt, weil dieses Wörtchen ein echter „Wolf im Schafspelz“ ist. Ein „Wolf im Schafspelz“, der auf den ersten Blick eine nonchalant-liberale „Weltoffenheit“ nahelegt, im Kern aber vor allem ein Antagonist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist.

Ja, das Wort Multikulti ist für mich das versinnbildlichte Gegenteil vom Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Das zeigt schon allein ein Streifzug durch die Geschichte dieses Wortes: Das Konzept von Multikulti (akademisch-korrekt: Multikulturalismus) fand seinen Platz in der deutschen Politik vor allem in den 1970er und 1980er Jahren. Damals sollten Zuwanderer ihre „kulturelle Identität“ „bewahren“. Vor allem, weil man davon ausging, dass sie Deutschland nach einigen Jahren wieder verlassen würden und insoweit auch nicht wesentlich in die deutsche Gesellschaft einbezogen werden müssten.

Insgesamt ein Gedanke, der durchaus folgerichtig war und für solche Zuwanderer, die kurzfristig wieder in ihre Heimat zurückkehren sollen, auch heute noch folgerichtig ist. Da dieser Gedanke im Kern aber vor allem ein staatliches (sogar ein nationalstaatliches) Interesse betont, was nicht immer auf sofortige gesellschaftliche Liebeserwiderungen stößt, brauchte dieses politische Konzept noch einen hübschen gesellschaftlich-akzeptierten Anstrich mit Wohlfühlcharakter.

Ein solchen Anstrich fand man in der Schöpfung von Multikulti: Den Zuwanderer nicht in das deutsche Wertesystem zu integrieren, weil man ihn zeitig wieder nach Hause schicken wollte, klang noch nach harter Staatlichkeit. Ihn nicht in unser deutsches Wertesystem zu integrieren, weil es sich multikulti viel besser und „weltoffener“ leben lässt, klingt demgegenüber viel besser, viel liebenswürdiger und weniger „schmuddelig“. Tada! Geboren war eine vorgeblich positive Idee einer kulturell vielfältigen Gesellschaft. Geboren war die Idee, dass Zuwanderung auf einmal nicht mehr von staatlichen Interessen abhängt, sondern ein großes, buntes Straßenfest ist. Geboren war Multikulti.

Die Probleme dieses so wohlklingenden Wörtchens zeigt der weitere Verlauf der Geschichte: Die Vorstellung, dass die nach Deutschland gekommenen Zuwanderer wieder in ihre Heimat zurückkehren, erwies sich oft als ein Irrglaube. Mit der Vorstellung, dass Multikulti für diese hier gebliebenen Zuwanderer ein richtiges Konzept ist, verhielt es sich ebenso.

Das Gegenteil ist richtig: Im Regelfall entpuppte sich die „Multikulti-Zuwanderung“ nämlich nicht als großes, buntes Straßenfest, sondern eher als dunkle Seitenstraße unseres gemeinsamen deutschen Straßenfestes. Fremdländische Kulturen und Wertvorstellungen, die unserer deutschen Kultur und unseren Wertvorstellungen intolerant gegenüberstehen, haben sich als unverbundener Teil der Gesellschaft verselbstständigt – auch weil eine linksliberale Mehrheitsmeinung in zu großer Scham vor der Benennung eigener nationaler Interessen auf einer Welle falscher Toleranz gesurft ist.

Multikulti integrierte nicht, sondern es beschwor geradezu eine Desintegration herauf. Ja, es bestärkte Zuwanderer im Prinzip sogar dazu, sich bewusst für eine Abgrenzung von der deutschen Gesellschaft zu entscheiden. Multikulti legte die Grundlage für Parallelgesellschaften, wie wir sie heute exemplarisch in kriminellen libanesisch-palästinensischen Clans in Berlin besichtigen können. Kurz und gut: Multikulti ist an der Realität gescheitert. Dass dies oft verkannt wird, begründet meine tiefe Sorge ob des häufig zu positiven Klanges dieses so nett erscheinenden Wörtchens.

Da „Hass“ allerdings immer ein schlechterer Ratgeber als Hoffnung ist, will ich meine kritische Haltung gegenüber dem Wörtchen Multikulti abschließend aber noch mit einer Hoffnung versehen: Das Scheitern von Multikulti bietet uns eine Chance zur Selbstvergewisserung. Wenn wir nicht wollen, dass legale Zuwanderer unverbunden neben oder gar abseits unserer deutschen Gesellschaft leben, dann müssen wir uns darüber klar werden, was eigentlich die deutsche Gesellschaft ist, mit der wir Zuwanderer verbinden wollen.

Wenn wir uns darüber klar werden wollen, müssen wir uns wieder mehr mit den uns tragenden und verbindenden Werten, ja, ich sage sogar, mit der uns verbindenden „Leitkultur“ beschäftigen. Diese „Leitkultur“ ist in meinem Verständnis nicht in Stein gemeißelt, nicht statisch, und sie verschließt sich Neuem nicht. Nein, sie lädt im Ausgangspunkt des christlichen Menschenbildes und auf der Grundlage von Aufklärung und Humanismus auch und sogar Ausländer dazu ein, Teil von ihr zu werden und unsere deutschen Gesellschaft mitzugestalten – allerdings nicht als unverbundenes Glied, sondern als Bestandteil in Form eines in kollektiven Werten eingehegten Individuums.

Das ist die Grundlage für mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft und das Gegenteil von Multikulti. In diesem Verständnis ist Deutschland ein sehr „weltoffenes“ Land. Auch ganz ohne Multikulti.

48 Kommentare

  1. Irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, diese Kolumne wird hier nicht unwidersprochen bleiben, insofern freue ich mich jetzt schon auf mindestens 200 Kommentare mit gegenseitigen Beschimpfungen und gewollten Fehl- und Überinterpretationen.
    Ich persönlich stimme der obigen Analyse übrigens vollumfänglich zu!

  2. Es gibt kein „deutsches Wertesystem“, dem ein werte-freies oder völlig anders-werte-haltiges Nichtdeutschsein gegenübersteht. Es gibt Werte. Diese sind prinzipiell intrahuman, dem Menschen innewohnend und generell. Sie sind somit vorkulturell und glz. durch gesellschaftl. Regeln überkulturell. Sie bilden einen Rahmen, einen Werterahmen. Sie mit Adjektiven wie „deutsch“, „europäisch“, „westlich“ versehen zu wollen, ist falsch. Sowohl von der Bedeutung her, als auch wegen der desintegrativen Wirkung. Das Handeln krimineller Banden ist in allen Kulturen verfehmt, genauso wie die meisten Verbrechen: Diebstahl, Körperverletzung, Vergewaltigung, Mord. Es ist nicht „deutsch“ nicht-kriminell zu sein und somit kein Multikulti, kriminell zu sein. Multikulturalismus existiert immer: lokal, regional, sozial, egal ob es so benennt oder nicht. Wichtig ist gerade, dass man Gemeinsames aus Vergangenheit und Gegenwart betont, wodurch sich auch Forderungen für die gemeinsame Zukunft aneinander ergeben.
    Und bitte: Ich als Individuum verwahre mich, „eingehegt“ zu werden.

  3. Der Text geht ja garnicht um „Multikulti“ sondern darum, was der Autor darunter versteht – nämlich „das versinnbildlichte Gegenteil vom Zusammenhalt unserer Gesellschaft.“

    Reden wir nun über Multikulturismus oder darüber, was der Autor in das Wort reininterpretiert?

  4. Im Prinzip reicht mir die Meinung #2 von Lars schon völlig – da steht wahrscheinlich Wesentlicheres als im (mir verborgenen) Ausgangstext.
    Danke

  5. Jein.
    Ich denke nicht, dass mit „multikulti“ generell gemeint ist, in einer Stadt leben im einen Viertel sagen wir die Bayern, im nächsten die Preußen, im übernächsten die katholischen Menschen mit Migrationshintergrund, im vierten die muslimischen Menschen mit Migrationshintergrund und im fünften alle, die nicht zu den anderen vier Gruppen passen. Jedes Viertel lebt mehr oder weniger für sich und man betritt andere Viertel höchstens, um „exotisch“ essen zu gehen.

    Es kann aber sein, dass das mal so aussieht, und da sollte man sich vorher fragen – auch ohne Kriminalität – ob man das für wünschenswert hält.

  6. @Lars
    „Das Handeln krimineller Banden ist in allen Kulturen verfehmt, genauso wie die meisten Verbrechen: Diebstahl, Körperverletzung, Vergewaltigung, Mord. “

    Das mag ja sein, ich sehe allerdings deutliche Unterschiede wie diese Verbrechen in Deutschland oder Dänemark bzw. in Somalia oder im Iran bestraft werden. Die Werterahmen der Bestrafungssysteme sind doch sehr unterschiedlich.

  7. Man, geht mir das auf die Eier, wenn die immer von einem christlichen Menschenbild, gar schlimmer noch womöglich vom christlich jüdischem Abendland sprechen. Die christliche Religion /Kirche war einer der größten Kultur-, Wissens- und Menschenvernichter in der Geschichte der Menschheit. So etwas sehe ich nicht als Vorbild für Menschen an. Egal woher sie kommen. Multikulti ist jetzt auch nicht unbedingt ein Wort was ich verwenden würde, da dies, das sollte unserem Jungpolitiker eigentlich aufgefallen sein, eher von den Konservativen bis Rechtsextremen in einem, freundlich gesagt, negativen Kontext verwendet wird. Inhaltlich sagt dieses Wort nix anderes als, viele Kulturen nebeneinander miteinander oder auch mal gegeneinander. Ich wage aber, gelinde gesagt, zu bezweifeln, das alle Türken, Albaner, Kurden, Russen, UKer, US-Amerikaner, Deutsche, wirklich jeweils nur eine Kultur, im Sinne einer Menge, sind. Jeder kann sich mehren Kulturen zugehörig fühlen. Es gibt Punks die sind nebenbei noch in Freikirchen. Es gibt Moslems die gehen auf Hardcoremetalkonzerte und davor noch geschwind in die Moschee. Deutsche Gothics werden sicherlich nicht im Umfeld der deutschen Helene-Fischer-Fanbase agieren wollen, sonder eher mit den walisischen Gothics und polnische Helene Fischer Fans werden sicher nichts mit deutschen Gothics aber mit den deutschen Fischer Fans zu tun haben wollen. Ich habe keine Ahnung was die immer mir ihrer „deutschen Leitkultur“ haben. Wenn es nach dem großen christliche Menschenbildvorbild der deutschen Leidpolitiker, Karl dem Großen geht, würden immer noch bewaffnete Christen Nichtchristen abschlachten, Bibliotheken vernichten und den Bestand an Pergamenten und Büchern auf christliche Literatur beschränkt; der Rest vernichtet. Es gebe dann nur „Schulen“ in den etwas lesen (für die Bibel), rechnen aber vor allem und in der Hauptsache nur religiöse Schwachsinn gelehrt werden würde.
    Also ich bleibe dann doch eher jemand der nicht der christlich jüdisch* abendländischen Kultur *(die jüdische Kultur wurde ja in Europa ja eigentlich von den Christen vernichtet) anhängig sein möchte. Lieber bin ich in vielen Kulturen verhaften, ob dies musikalisch, sportlich, politisch, sexuell, Klamotten oder was auch immer ist; ist ersten interessanter, zweitens hält’s den Geist fitter, drittens macht’s mehr Spaß, viertens fördert’s die Kommunikation und baut meistens auch Aversionen, Klischees ab und fünftens …
    Politiker*innen welche mir mit einem christlichen Menschen oder Wertebild kommen, können mir gestohlen bleiben; in jeder Partei! und brauchen auch nicht mit einer offenen Gesellschaft kommt, dafür braucht’s definitiv kein christlichen sonstwas, eher weniger davon.

    PS:Eine kleine Anmerkung. Da Amthor nun mal von christlich als Vorbild geprochen hat , geht es mir hier auch nur darum, und nicht um den Islam.

  8. Wenn der Autor schon mal festlegt, dass der Ausgangspunkt der glücklicherweise nicht statischen Leitkultur das christliche Menschenbild ist, fühle ich mich als legal in Deutschland geborener Atheist, irgendwie auf die dunklen Seitenstraßen abseits des großdeutschen Straßenfestes gedrängt, was mir so noch gar nicht bewusst war.
    Wie immer wird gerade dann unscharf geschwafelt, wenn es eigentlich interessant wird, denn die Definitionen über das christliche Menschenbild gehen in etwa soweit auseinander, wie die Ansichten über die tragenden und uns verbindenden Werte.
    Wenn, wie in Kommentar #2 beschrieben wird, bestimmte Grundwerte zur Ablehnung von gewalttätiger Kriminalität, zur Anerkennung des Eigemtums allen Kulturen immanent sind, wo sind denn dann die besonderen darüber hinausgehenden Werte der Leitkultur des deutschen Straßenfestes, das irgendwo an mir vorbei tobt?
    Meinungsfreiheit? Gleichberechtigung? Versammlungsfreiheit? Haben Franzosen, Briten und viele andere Länder auch.
    Wenn ich eine vertretbare Leitkultur beschreiben sollte, dann steht diese auf den Grundpfeilern von Freiheit, Gleichheit und Solidarität.
    Das scheint dem Autor , der uns (wie hier schon kritisiert wurde) in sein nicht näher bezeichnetes christliches Menschenbild einhegen möchte, aber nicht ganz so wichtig zu sein.

  9. @ ANDERER MAX, # 3:

    Auf die Kritik, dass es darum geht, was der Autor findet, muss man bei einer Kolumne erstmal kommen ;-)

  10. @BV:
    Och, die Diskussion gab es schon unter anderen HASSWORT-Kolumnen.
    Die Frage ist, ob ich als Kolumnist über Fakten rede, die ich dann subjektiv kommentiere oder ob ich einen Fakt subjektiv interpretiere und dann meine Interpretation zum Diskussionsgegenstand mache.
    Zweiteres würde man in einer Kommentarspalte wahrscheinlich „Derailing“ nennen.
    Aber klar, eine Kolumne ist kein starres Korsett und immer durch Subjektivität geprägt.

  11. Mal blöd gefragt, kennt hier einer das konfuzianische Menschenbild?

    @Jothaka:
    Das christliche Menschenbild ist das von Christus, nicht das von Karl dem Großen.
    Karl der Große war der mit der Idee von der europäischen Einheit. Jesus war sowas extremst wumpe.

  12. Bei rund 1.300 weltweit erfassten Ethnien und 193 Mitgliedsstaaten der UNO, ist jeder Staat der Welt Multi-Kulti. Damit ist die Behauptung, dass Multi-Kulti im „Kern aber vor allem ein Antagonist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist“ empirisch widerlegt.

  13. „Kultur“, „Wertesystem“, „Rechtssystem“, „Religion“ – geht hier alles ein bisschen durcheinander. Beste Voraussetzungen für ein ein Kommentar-Perpetuum-mobile.

    Vielleicht ist es ja gerade die Unschärfe des Begriffs „Multikulti“, die ihn so angreifbar macht.

  14. @MikefromFFM:
    Wenn man „Multikulti“ als „unterschiedliche Ethnien leben im selben Staat“ definiert, haben Sie sicher recht, aber nicht jeder Staat, der in dieser Definition multikulti ist, hat eine Gesellschaft, die zusammenhält.
    Ein Beispiel, wo das genau nicht so ist, ist Syrien.

    Und man kann bezweifeln, ob jede kleine ethnische Minderheit in den USA, Brasilien oder China sich als Teil der jeweiligen Gesamtgesellschaft betrachtet.

  15. @Mycroft: Sie versuchen eine Behauptung zu widerlegen, die ich nicht ausgesprochen habe. Anders formuliert: Um Herrm Amthors Behauptung empirisch zu widerlegen, reicht theoretisch schon ein gegenteiliges Beispiel aus. Die von mir vorgelegten Zahlen zeigen aber, dass der „Multi-Kulti-Staat“ eher die Regel denn die Ausnahme ist.

  16. Phillip Amthor ist doch der Mann, dem es so wichtig ist, sich gegen Vollverschleierung im öffentlichen Raum einzusetzen.
    Daneben möchte ich mal sagen, dass ich seit ca. 20 Jahren niemanden mehr das Wort „multikulti“ benutzen hören habe, außer irgendwelche Rechtspopulist*innen, wie von der AfD oder Jens Spahn. Die gebrauchen es, gerne im Zusammenhang mit Unterstellungen, um ihre politischen Gegner*innen in Misskredit zu bringen.

  17. @16
    „Daneben möchte ich mal sagen, dass ich seit ca. 20 Jahren niemanden mehr das Wort „multikulti“ benutzen hören habe, außer irgendwelche Rechtspopulist*innen, wie von der AfD oder Jens Spahn.“

    20 Jahre? War noch im Oktober 2010 von Merkel zu vernehmen:
    „… ‚Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!‘, sagte Kanzlerin Angela Merkel auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Potsdam. …“(*)
    (*) Quelle: Spiegel online, Samstag, 16.10.2010, 19:07 Uhr
    Merkel – eine „Rechtspopulistin“?

  18. @MikefromFFM:
    Ok, vllt. habe ich Sie missverstanden, aber ich sehe nicht, wie Ihr Argument Amthor zwangsläufig widerlegt.

    Aussage Amthor:

    Ja, das Wort Multikulti ist für mich das versinnbildlichte Gegenteil vom Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

    Soll wohl heißen, dass Multikulti und gesellschaftlicher Zusammenhalt irgendwie Gegensätze sind (was ein versinnbildlichtes Gegenteil im Unterschied zu einem normalen Gegenteil sein soll, weiß der Gilb).
    Um das zu widerlegen, müsste man eine Multikulti-_Gesellschaft_ anführen, keinen Multikulti-Staat. Ein Staat kann mehrere Gesellschaften haben, die mehr oder weniger parallel zueinander existieren. Einen solchen Staat könnte Amthor als Beleg seiner Aussage anführen: „Diese unterschiedlichen Gesellschaften halten nicht zusammen, also weist dieser Multikulti-Staat keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt auf.“

  19. b.hellwig, #17
    Da haben Sie es mir aber jetzt gegeben. Sie finden tatsächlich ein Beispiel, dass erst jungfräuliche acht Jahre alt ist!

  20. Hmm, vllt. liegt’s ja genau daran: Wenn Frau Merkel Multikulti für gescheitert erklärt, dann IST das auch gescheitert, und darüber wird entweder gar nicht mehr oder nur noch abfällig gesprochen.

    Aber warum hat Herr Amthor das nicht mitgekriegt?

  21. @19
    Geht auch noch „jungfräulicher“: ;)
    Z. B.
    „… Multikulti ist eine Lebenslüge. Das heißt für mich, jeder kann tun und lassen, was er will. …“
    (Merkel bei „Anne Will“, Das Erste, 07.10.2015)
    oder
    „… Ich bin gegen Multikulti, bei dem man nebeneinander her lebt ohne gemeinsame Grundlagen. …“
    (Merkel in „Klartext, Frau Merkel“, ZDF, 14.09.2017)
    P.S. Warum sollte ich es Ihnen „geben“ wollen? Ich kenne Sie ja gar nicht! ;)

  22. @Jothaka:
    Dass Karl der Große ein Europa „für alle“ wollte, hat wohl so ziemlich niemand behauptet. „Für alle“ würde nämlich auch Asiaten und Afrikaner (und Australier und Amerikaner, aber von denen wusste Karl eh nichts) einbeziehen, und wer hätte jemals ein Europa für Asiaten und Afrikaner gefordert? Das wäre ja so, als wollten Europäer Asien und Afrika haben. Achja, wollten sie ja…

    _Natürlich_ wollte Karl ein vereintes Europa nur für sich. Und zu diesem Zweck instrumentalisierte er die Kirche und das Christentum (Zwangstaufen wurden kirchlicherseits schon damals kritisiert), aber weil Jesus ihm privat so wichtig war, ließ er sich in einen schönen antiken Marmorsarkophag mit heidnischen Motiven beerdigen.
    Ich hätte die Ironie vllt. besser markieren sollen.

    Wie gesagt, das christliche Menschenbild war Karl nicht so wichtig, und Jesus war es nicht so wichtig, in was für einem Staat man lebt. „Buhuhu, Dein Staatsoberhaupt ist ein übler Diktator und droht Andersdenkenden mit Gefängnis? Heul doch!“ – „Mimimi, Du redest nicht mehr mit Deiner Nachbarethnie 50 km weiter? Hilf Ihnen trotzdem!“

  23. @b.hellwig, #21
    Worum es mir im Kern ging, war zu sagen, dass meiner Wahrnehmung nach, das Wort „Mulitkulti“, wenn überhaupt, von seinen Gegnern, nicht aber von irgendwelchen behaupteten Befürwortern benutzt wird. Ich nehme das zumindest nicht wahr. Und, Angela Merkel ist keine Rechtspopulistin, aber natürlich weiß sie auch, was ihre Wählerinnen hören wollen.

  24. @mycroft: Ein Staat kann nicht „mehrere Gesellschaften“ haben, da Gesellschaft das umfassendste soziale System ist – jene Einheit, die keine soziale Umwelt mehr hat und alle anderen sozialen Systeme inklusive Organisationen sowie Verhältnisse und Tatbestände umfasst.

  25. @Maike
    Eine der glühendsten Verfechter- und Verteidigerinnen von Multikulti ist die jetzige Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. In jeder Talkshow mit ihrer Beteiligung fällt das Wort mindestens einmal, auch in der jüngeren Vergangenheit. Einfach mal googeln, da findet man z.B. „Ich stelle mich“ moderiert von Sandra Maischberger.

  26. @Frank Reichelt
    Claudia Roth würde ich den Gebrauch dieses Wortes tatsächlich sogar zutrauen. Ich bleibe bei meiner Wahrnehmung, dass es sehr selten gebraucht wird, von den Menschen, denen der Gebrauch unterstellt wird. Ich gehöre ja dazu und bewege mich in entsprechenden Kreisen. Wir sagen das nicht. Wir gebrauchen Begriffe und denken in Konzepten wie „Diversity“. Aber letztenendes geht es darum ja gar nicht. Sondern darum, was damit inhaltlich verbunden wird. Und da bin ich natürlich für „Multikulturalität“ und finde die Forderung nach einer „deutschen Leitkultur“ einfach nur absurd.

  27. @Mikefrom FFM:
    Es gibt mehrere Definitionen von „Gesellschaft“, und die meisten von diesen Definitionen schließen weder implizit noch explizit aus, dass ein Staat mehr als eine Gesellschaft hat bzw. haben kann.

    Aber wie gesagt, Syrien ist, oder war zumindest, multikulturell, bevor der Bürgerkrieg begann. Wenn man annimmt, dass das eine einzige Gesellschaft war, dann war diese Gesellschaft zerrissen.

    Oder es waren eben mehrere Gesellschaften.

    Ist irgendwie immer noch kein Beweis gegen Amthor.

  28. Ich frage mich ja immer, wie sehr man an der Realität vorbei leben kann.

    Ob es nun „Multikulti“ oder „Melting Pot“ heißt: Dies exisitiert. Verschiedene Kulturen leben im gleichen Staat friedlich nebeneinander, egal welches Wort nun gerade dafür herhalten muss.

    Wieso muss man dem Ganzen jetzt wieder diese „Multikulti“-Pseudo-Ideologie-Kritik überstülpen?

    Es gibt nur zwei Möglichkeiten:
    Wir leben alle friedlich miteinander oder wir definieren, wer hier leben darf und schmeißen den Rest raus.
    Beides hamwa schon versucht, eines davon ging las nicht so tolles kapüitel in die deutsche Geschichte ein.

  29. Bin da bei anderer Max. Das ist eine absolute Scheindiskussion. Was sich meines Erachtens auch darin ausdrückt, dass die Menschen, die eine deutsche Leitkultur fordern, sich selten bis nie auf eine Diskussion über ihren Kulturbegriff einlassen. Ich würde ja mal behaupten, dass sich „Kulturen“ nicht primär innerhalb von (vermeintlichen) ethnischen Zugehörigkeiten definieren lassen. Sondern beispielsweise vielmehr anhand von Schichtzugehörigkeiten, Stichwort „globale Eliten“ beispielsweise. Oder ich fühle mich einer „türkisschtämmigen“ atheistischen Person viel näher als einer konservativen christlichen „deutschstämmigen“ Person.

  30. @mycroft: Mit Aussagenlogik muss man ihnen anscheinend nicht kommen. Da ist es natürlich einfach, sein Weltbild unbeschadet von Fakten zu bewahren. Und dass „multi-kulturell“ kein synonym von „multi-gesellschaftlich“ ist, gibt ihnen auch nicht zu denken, nehme ich. Wahrscheinlich nicht einmal, dass es Wort „multi-gesellschaftlich“ gar nicht gibt.

  31. @MikefromFFM:
    Welches Weltbild meinen sie denn, was ich mir bewahren will? Keine rhetorische Frage, ich bin ehrlich neugierig.

    Ich hatte Sie so verstanden, dass multi-kulti heißt, dass unterschiedliche Ethnien in einem Staat, bzw. einer Gesellschaft existieren. Stimmt das soweit?
    Ihr Argument war, dass es deutlich mehr Ethnien als Staaten gibt, dass es also Staaten gibt, in denen mehr als eine Ethnie gibt (soweit stimme ich Ihnen zu), und dass

    der „Multi-Kulti-Staat“ eher die Regel denn die Ausnahme ist.

    Und das ist, sorry, kein Argument für mich. Erstens, in D. gibt es mehrere Ethnien, seitdem es D. gibt, z.B. Deutsche, Friesen und Sorben, ohne dass das Multikulti genannt wurde, zwotens hatte ich hier unlängst eine Diskussion, wo mir erklärt wurde, dass es _die_ dt. Kultur gar nicht gibt, sondern bayrische, badische, sächsische, insofern gibt es in D. seit Karl dem Großen Multikulti, ohne dass das Multikulti genannt wird, drittens, wenn man das dann eben doch Multikulti nennt, wäre das dennoch kein Beweis, dass Multikulti notwendigerweise funktioniert. Dass Bayern, Sachsen, Sorben und so weiter aufhörten, Kriege untereinander zu führen, hat ja auch nur ein paar Jahrhunderte gedauert.
    Viertens, in manchen Staaten mit mehreren Ethnien besteht 95% der Bevölkerung aus einer Ethnie, die die anderen Ethnien marginalisiert und/oder ihnen die Kultur der Mehrheit aufdrückt.
    Soll das Multikulti sein?

    Dass Multi-Kulti funktionieren _kann_, will ich ja gar nicht bestreiten, aber dazu muss erstmal klar sein, was Multi-Kulti genau sein soll, und zwotens, wie dies umzusetzen ist.

  32. Mycroft versteht die Definition von „multikulturell“ nicht, daher gibt’s kein Multikulti.

    Und ja, unterschiedliche Menschen haben teils sehr lange dafür gebracuht, miteinander auszukommen und sich, z. B. in einem Staat zusammen zu schließen.
    Wofür oder wogegen ist das nun ein Argument?

  33. „Multikulti“ ist schon seit geraumer Zeit eine Art Kampfbegriff der gesamten politischen Rechten und Teilen der sich selbst als politische Mitte definierenden Milieus, um sich polemisch von vermeintlich naiver linker Migrations- und Gesellschaftspolitik abzugrenzen. Diese wachsende Beliebtheit als Negativschlagwort hat wohl auch damit zu tun, dass es in den Ohren des ordnungsliebenden Deutschen so schön nach „Wischi-Waschi“ klingt. Insofern ist es einfach Quatsch, wenn Herr Amthor behauptet, dass Wort Multikulti sei „nett anmutend“ und habe sich über Jahre „wohlklingend verfestigt“. Das Gegenteil ist der Fall.

  34. Anderer Max versteht Mycroft nicht, also hat Mycroft unrecht.

    Dass unterschiedliche Menschen teils sehr lange brauchen, um bspw. in einen Staat zusammenzuleben, ist ein Argument dafür, dass unterschiedliche Menschen nicht unbedingt das beste für den Zusammenhalt der Gesellschaft sind. Kann klappen, aber es klappt _nicht automatisch_.
    Speziell bei MikefromFFM stört mich die naive Argumentation, dass Staaten mit mehr als einer Ethnie ja häufig seien. Weil damit aber z.B. China als Beispiel für Multikulti gezählt wird, und ich mich jetzt trotzigerweise weigere, China als Beispiel für _gelungene_ Multikulti zu akzeptieren, fände ich ein konkretes Beispiel als Argument besser.

    Aber gut, mein Verständnis von Multikulti ist vllt. nicht Ihres. Oder das von MikefromFFM ist nicht dasselbe wie das von Amthor. Was verstehen Sie denn unter Multikulti?

  35. Multikulti ist ’ne Abkürzung für multikulturell.
    Mir reicht da die Denotation.
    Tipp: Das Wort besteht aus den Teilen „multi“ und „Kultur“.

    Multikulturelles Zusammenleben gibt es in jedem Staat, in jeder Region, in jeder Stadt, in jedem Stadtteil.
    Dort leben Meschen verschiedenster Religionen, Staatsangehörigkeiten, Hautfarben und Ideologien zusammen.

    Wie ich schon sagte: Da jetzt eine Pseudo-Ideologiediskussion zu unterstellen, nur weil man findet, dass Claudia Roth das Wort überstrapaziert, halte ich für nicht sachorientiert.

    Wenn man da schon eine Ideologie unterstellen muss, dass schauen Sie sich mal an, was das Gegenteil davon ist: Ethnopluralismus, der Super-Euphemismus für „Alle raus aus meinem Land!“

  36. „Ich hatte Sie so verstanden, dass multi-kulti heißt, dass unterschiedliche Ethnien in einem Staat, bzw. einer Gesellschaft existieren. Stimmt das soweit?“

    Dann hieße es Multi-Ethni.

    Kulturen und Ethnien sind nun echt nicht das gleiche.

    Entsetzte Grüße aus dem Sprachlabor

  37. „Ich hatte Sie so verstanden, dass multi-kulti heißt, dass unterschiedliche Ethnien in einem Staat, bzw. einer Gesellschaft existieren. Stimmt das soweit?“

    Dann hieße es Multi-Ethni.

    Achwas? Sprache ist tatsächlich so logisch?
    Nun, dann ist die Tatsache, das es mehr Ethnien als Staaten gibt, und daher typischerweise mehrere Ethnien in einem Staat leben, überhaupt kein Argument pro Multikulti, sondern höchstens pro Multi-Ethnie, und jedenfalls kein zwingendes Argument gegen Amthor.
    Sag ich ja.

    @Anderer Max: Was genau meinen Sie denn mit Kultur? Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, Religion und Ideologie sind ja was anderes als Kultur.
    Ich möchte Ihnen auch keine Ideologie unterstellen, sorry, falls das so rüberkam, aber dass unterschiedliche Leute unterschiedliche Vorstellungen haben, was „Multikulti“ in der Praxis sein soll, reicht meiner Wahrnehmung nach von: „Jede Gruppe lebt in ihrem eigenen Ghetto.“ bis zu „In jeder Nachbarschaft lebt mindestens eine Familie von jeder Kultur.“

    Das Gegenteil von Multikulti müsste eigentlich Monokulti sein, nicht Ethnopluralismus. (Ja, ich weiß, sie haben sich das Wort nicht ausgedacht.)

  38. Frohes Drauflosdefinieren!

    Ich trinke in der Zeit ein Bierchen mit meinem rothaarigen, russlandstämmigen, deutschen, christlich-orthodox getauften, AfD-gutfindenden Nachbarn.

  39. @Anderer Max: Prost!

    Funfact: Man kann nicht jüdisch-orthodox oder muslimisch-orthodox getauft werden, weil die Definition das ausschließt.

  40. „Achwas? Sprache ist tatsächlich so logisch?“

    Nein, aber Kultur und Ethnie kann sie immer noch gut auseinanderhalten. Wollen Sie wirklich darauf beharren, dass Ost- und Westdeutsche, die durchaus kulturelle Unterschiede haben, zwei verschiedene Ethnien sind?

    Es ist leicht, die besseren Argumente zu haben, wenn man einfach nicht über die Sache redet, um die es geht. Es bringt nur auch nichts.

    „Das Gegenteil von Multikulti müsste eigentlich Monokulti sein, nicht Ethnopluralismus. “

    Achwas? Sprache ist tatsächlich so logisch?

  41. „Nein, aber Kultur und Ethnie kann sie immer noch gut auseinanderhalten.“ Echt? Schade, dass das nicht für alle Sprechenden gilt, was? Den Begriff der Ethnie hatte nicht ich in diese Debatte eingeführt.
    Ich beharre schon deshalb nicht darauf, dass Ost- und Westdeutsche zwei verschiedene Ethnien seien, weil ich das nirgends behauptet hatte. Wenn man D. unbedingt kleinkariert einteilen will, wäre schon NRW von mehreren Ethnien besiedelt, wie unterschiedlich müssten dann erst unterschiedliche Bundesländer sein? Insofern wäre D. selbst dann noch „multikulti“, wenn es Migration und Flüchtlingskrise nie gegeben hätte, weil wir z.T. noch die Einteilungen vom Ende der Völkerwanderungszeit verwenden. Ob Rheinländer und Westfalen unterschiedliche Ethnien sind, kommt auf die Definition von Ethnie an; aber, um den anderen Max zu zitieren: „Frohes Drauflosdefinieren!“ , kulturelle Unterschiede sind aber vorhanden. Nur habe ich noch nie gehört, dass das friedliche Zusammenleben von Rheinländern und Westfalen und Leuten aus dem Ruhrgebiet als „multikulti“ bezeichnet wird, von daher nehme ich an, dass damit noch was anderes gemeint sein soll.

    „Achwas? Sprache ist tatsächlich so logisch?“ Leberkäse, anyone? Das Wort, soweit ich das nachvollziehen kann, wurde von Rechten entwickelt, die einen Supereuphemismus für „Alle raus aus meinen Land.“ brauchten. (copyright by Anderer Max)
    Ergo sind Supereuphemismen, Rechte und vor allem die Superkombi aus beiden unlogisch. *schulterzuck*
    Oder, anders ausgedrückt, ich habe mir weder „Ethnopluralismus“ als auch „Multikulti“ ausgedacht, also darf ich die Leute, die das Wort aktiv verwenden, fragen, wie sie es jeweils definieren. Je schwammiger die Antwort, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es selbst verwende.

  42. Oke, anders:
    Wenn ich unterschiedliche Leute frage: „Was ist eine Kultur?“, kriege ich unterschiedliche, teils widersprüchliche Antworten. Ich habe daher den Verdacht, dass es, wenn es schon keinen richtigen Konsens gibt, was eine Kultur eigentlich ist, erst recht keinen Konsens gibt, was „multikulti“ eigentlich sein soll.

    Insofern reden wir alle nicht über multikulti, sondern über das, was jeder von uns da hineininterpretiert. Um mit Frau Merkel zu sprechen: „Das heißt für mich, jeder kann tun und lassen, was er will.“ Klingt eigentlich total toll, ist aber für eine Diskussion eeetwas unpraktisch.

  43. Jau, daher sag‘ ich ja „Frohes Drauflosdefinieren!“

    Und ja, zugegeben, „Supereuphemismus“ war jetzt nicht so der Superneologismus.

    Und as mit dem Orthodoxen muss ich dem Niko dann wohl noch mal erklären ;)

  44. Das ist eine interessante Strategie, die der Herr Kommentator hier fährt. „für mich steht Multikulti für Kriminalität“ -> „Kriminalität ist schlecht“ -> „Multikulti ist schlecht“. Entscheidend ist der erste Zusammenhang, der so mir nichts, dir nichts hier eingeführt wird und im Grunde ja nichts anderes aussagt als „Kriminalität ist ein elementarer Bestandteil nicht-deutscher Kulturen“. Bemerkenswert finde ich auch das Umdichten des Begriffs „Weltoffenheit“ dahingehend, dass „weltoffen“ bedeute, andere einzuladen, sich anzupassen.

    Ehrlich gesagt finde ich diesen ach so akademisch, eloquent und harmlos daherkommenden Nationalismus, der in diesem Fall über das muntere Umdefinieren von Begriffen verkauft wird, auch nicht viel besser als die AfD-Grundeinstellung. Die Wirkung auf die breite Öffentlichkeit ist nur subtiler, weniger schreckenerregend und insofern vielleicht sogar gefährlicher, wenn man sich vorstellt wohin sich Deutschland im nächsten Jahrzehnt bewegen könnte. Für alle „ich bin ja kein Nazi, aber“-Sager sind solche Texte wie der obige mit Sicherheit eine hervorragende Selbstbestätigung.

  45. Herr Amthor hat eine beachtliche Rede im Bundestag gehalten und mit Fakten gegen die Afd gewettert. Chapeau!
    Gleichwohl folgt er mit seiner Interpretation von „Multikulti“ dem Diktum aller Konservativen bis hin zu AFD und arbeitet sich daran ab, um sich gegen Rot-Grün, denen das „Multikulti“ zugeschrieben wird, bei dem Wahlvolk als Konservativer herauszuheben. Als Zutat wird noch mit dem „Christlichen“ gepfeffert, das bei denen gut angkommt, die sich vor der Islamisierung fürchten. Identität durch religiöse Zugehörigkeisbekenntnisse sind jetzt in Deutschland wieder en vogue. der Trigger funktioniert. Schade! Schade, dass die Errungenschaften aus 68 so vor die Hunde gehen.
    Herr Amthor ist der Prototyp einer neuen stromlinienförmigen Politgeneration, die jung und dynamisch den vorgezeichneten Karrierewegen folgt, die die Machtorientierung zu bieten hat. Vor diesem Hintergrund sehe ich seine Einlassungen zum Hasswort.

  46. „Die Menschen draußen im Land“ schlagen nicht erst Definitionen nach und scheren sich nicht um die Exaktheit von Begriffen, wenn sie so vor sich hin grübeln und ins Unreine sprechen. (Das haben schon 1968 die Studenten unterschätzt, als sie theoretisierend vorm Werkstor standen und von den Arbeitern, die sie doch befreien wollten, nur als langhaarige Drückeberger wahrgenommen wurden.) Von einem Berufspolitiker und Kolumnisten dürfte man freilich Korrektheit erwarten. Anyway.

    Meiner ebenfalls sehr unwissenschaftlichen und draußen im Lande angesiedelten Beobachtung nach wird der Ausdruck „Multikulti“ in der Tat eher spöttisch und abwertend gebraucht, wenn man [wem auch immer] eine gewisse naive Alles-Fremde-ist-doch-gut-und-bereichernd!-Haltung unterstellt, multikulti halt. Vermutlich hätte auch niemand etwas gegen „multikulti“, wenn es dabei nur um malerische Gewandung, leckeres Essen und hübsches exotisches Kunsthandwerk ginge, und vielleicht, zu gegebener Zeit, mal eine interessante Melodei aus fernen Landen.

    Dummerweise umfaßt eine Kultur aber mehr als das, und sobald dann zum Beispiel die Orientalen ihre religiös motivierte Architekturkultur in eine Gegend tragen wollen, wo doch irgendwie nur romanische/gotische/barocke/klassizistische/neoklassizistische/neogotische/historizistische/jugendstilige/vollbetonierte/postmoderne Kirchen hingehören, dann geht dem Menschen angunfürsisch multikulti aber zu weit! Das wäre ja, als wenn die Kulturlandschaft durch Windkraftanlagen zerstört würde. (Yep, habe ich schon gehört. Argument gegen Windenergie: Das sieht doch nich‘ aus!). Und überhaupt, „versuch mal, in Saudi-Arabien ’ne Kirche zu bauen!“ Diejenigen, denen die Menschen draußen im Lande die Multikulti-Attitüde unterstellen, pochen da berechtigterweise auf die Gültigkeit der Kulturerrungenschaft „Religionsfreiheit“, welche wir in Mitteleuropa genießen.

    (Wenn die fremde, einzumultikultigende Kultur ihren Ausdruck in einer Stellung der Geschlechter findet, welche der hiesigen, zumindest nominellen, Rechtsordnung nicht 100%ig entspricht, enden möglicherweise auch die Toleranz und Akzeptanz derjenigen, die „Multikulti“ inhaltlich befürworten, ohne diesen Begriff dafür zu verwenden. Weiß ich aber nicht.)

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