Online-Werbung

Bei der „Sächsischen Zeitung“ wird Auschwitz zum Genuss-Moment

Das Amtsgericht Meißen hat einen Mann wegen Volksverhetzung, Bedrohung und Beleidigung verurteilt. Er hatte auf seiner Facebook-Seite unter anderem ein Foto des Konzentrationslagers Auschwitz gepostet, mit dem Schriftzug „Asylantenheim“ über dem Eingang und dem Kommentar: „Kommt ihr Pack, es ist wieder offen.“

Andererseits ist am kommenden Wochenende Ostern, und bei Penny kostet das Zanderfilet nur 4,99 Euro.

Die „Sächsische Zeitung“ hat es gestern geschafft, beide Ereignisse zu verbinden, sogar mit einer schwungvollen Animation, und fröhlich flatternden Schmetterlingen:

Das Foto zeigt den Schriftzug „Arbeit macht frei“ über dem Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz. Bei der „Sächsischen Zeitung“ ist darüber das Logo der Penny-Marke „Best Moments“ eingeblendet: „Jeder Moment ein Genuss“.

„In-Image Ad“ heißt diese Werbeform, bei der automatisch eine halbtransparente Anzeige über ein redaktionelles Foto gelegt wird. Die Münchner Firma Recognified, die sie anbietet, verspricht „vielfältige und innovative Produkte, für ein Maximum an Ausmerksamkeit. Ein garantiert sichtbarer Mehrwert!“

Das „In-Image Ad“ bewirbt sie mit Worten:

Unsere treffsichere Lösung. Ihre Werbung wird native, passgenau und sichtbar kontextsensitiv ins Bild eingebunden.

Gut, größere Aufmerksamkeit kann man sich für einen Discounter kaum vorstellen, als seine „schönsten Momente“ mit dem Bild eines Konzentrationslagers zu kombinieren. An der Treffsicherheit und Kontextsensitivität muss vielleicht noch gearbeitet werden.

„Das ist nicht nur unglücklich, das soll auch nicht passieren“, sagt Denni Klein, der Geschäftsführer der „Sächsischen Zeitung“. „Es lässt sich aber technisch nicht ausschließen.“ Auf die angezeigten Inhalte habe man keinen Einfluss; zur Zeit sei es auch nicht möglich, bestimmte sensible Fotos so zu markieren, dass sie von dieser Werbeform ausgeschlossen sind. Bis zu einer Klärung mit dem Dienstleister Recognified, wie sich eine solche Funktion zum Beispiel ins Redaktionssystem einbinden lasse, verzichte man vorläufig komplett auf diese Anzeigen.

Die Seite sz-online.de nutze seit Mai 2017 „In-Image Ads“, sagt Klein. „Das ist der erste Vorfall dieser Art.“ Auch bei der Boulevardschwester „Tag24“ sind diese Formate zu finden. Beide Seiten gehören zur DDV Mediengruppe, deren Gesellschafter Gruner+Jahr und mittelbar die SPD sind.

Schon prinzipiell ist diese Werbeform problematisch, da sie in besonders invasiver Form die Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten aufhebt: Ein journalistisches Foto dient als Leinwand, auf das eine Anzeige so projiziert wird, dass beide als eine Einheit erscheinen.

Angesichts der Fotos, die in einem Nachrichenangebot dominieren, ist aber auch klar, dass es immer viele Bilder gibt, für die sich eine solche Kombination in besonderem Maße verbietet, weil sie sich nicht als Werbefläche eignen: Fotos von Unglücken und Katastrophen etwa, Tätern und Opfern. Bei Portraitfotos werden Menschen selbst zu Litfasssäulen gemacht.

Das automatische Einblenden von vermeintlich passender Werbung bringt viele Probleme mit sich. Ein Mitarbeiter der Werbeabteilung von sz-online.de nennt als Beispiel, dass zu einem Unfallcrash mit vier Toten die Anzeige einer Lebensversicherung eingeblendet wurde. Durch die „In-Image Ads“ rückt nun der Werbeinhalt noch enger und untrennbarer an den redaktionellen Inhalt heran.

Mit der Frage, ob die „Sächsische Zeitung“ grundsätzlich weiter an dieser problematischen Werbeform festhält, wenn sich die Gefahr besonders unpassender Kombinationen verringern lässt, tut sich Geschäftsführer Klein schwer: Zu groß sind offenbar die Werbeerlöse durch solche Formate. Er deutet aber an, dass man diese automatisch ausgespielten und für die Nutzer besonders lästigen Anzeigen in Zukunft kritischer betrachten werde. Im Zuge einer stärkeren Fokussierung auf die Finanzierung durch Nutzer soll die Seite dann konsequenter darauf ausgerichtet sein, loyale Leser zufrieden zu machen. Dazu soll dann wohl auch handverkaufte statt automatisch generierte Werbung gehören.

16 Kommentare

  1. Fehlplatzierungen hat es immer schon gegeben. Ich erinnere mich an eine Ausstrahlung von »The Day After« vor Jahren auf SAT 1. Der Werbeblock wurde präzise nach der Detonation der A-Bombe gesetzt. Als erstes liefen mir drei Pappnasen im »Abtei-Pharma-T-Shirt« entgegen, und der Jingle jodelte »Bihitte bleiben Sie gesuuund!«

    Das war damals noch menschliches Versagen. Im Netz »versagen« die Maschinen bzw. es ist ihnen wurscht, wo sie platzieren, solange die Zielgruppin und der Zielgrupperich erreicht werden. Weswegen kaum ein Unternehmen weiß, in welchen Umfeldern die Werbung landet.

    Aber genau das hat ja schon Gerald Hensel 2016 zu Recht angemahnt. Und wurde dafür im Netz fürchterlich verprügelt.

  2. Nicht den Maschinen ist es egal. Denjenigen, die entscheiden, dass sowas eingesetzt wird, ist es egal.

  3. „Ein Mitarbeiter der Werbeabteilung von sz-online.de nennt als Beispiel, dass zu einem Unfallcrash mit vier Toten die Anzeige einer Lebensversicherung eingeblendet wurde.“
    Also ne besser Platzierung gibt’s ja wohl nicht!
    (Klar, das kann man durchaus moralisch verwerflich finden … Aber das ist ein anderes, subjektives Thema)

    Idiocracy lässt grüßen!

  4. Unsere Lokalzeitung vor 10/15 Jahren hat mal neben den Artikel zum Auschwitz-Gedenktag Werbung für einen Gaslieferanten geschaltet (und war damit nicht die einzige, https://forum.chip.de/discussion/944238/auschwitz-artikel-und-eon-gas-werbung). Ich nehme mal an, das war auch unbeabsichtigt.

    Es geht aber auch absichtlich. So wie bei der BILD-„Zeitung“, die ich letztens mal mit dem Aufmacher gesehen habe, dass x Menschen in Deutschland glücksspielsüchtig sind, und direkt daneben ihre obligatorische Lotto-Werbung. Das hat mich in dem Moment so überhaupt nicht überrascht, dass ich da nicht mal ein Foto von gemacht habe. Schade eigentlich.

  5. Sehr geschmackvoll ist das ja nicht gerade.
    Das Zanderfilet sind in echt bestimmt nicht so lecker aus wie auf dem Bild!

  6. Die EON-Anzeige von ErwinZK (4) ist mir auch direkt eingefallen und zeigt schön, daß das auch im Print-Bereich passieren kann. Jetzt ist das Problem ja nur, daß sowas eigentlich darauf hindeutet, daß die redaktionelle Trennung von Werbung und Inhalt bestens funktioniert – was man auch wiederum positiv sehen kann.

    Anders natürlich bei den eingeschlichenen Layer-Ads. Auch wenn man hier nicht direkt vorwerfen kann, daß jemand bemüht war, der Werbung einen redaktionellen Anschein zu geben, ist diese Werbeform einfach eine Frechheit.

  7. „Ein Mitarbeiter der Werbeabteilung von sz-online.de nennt als Beispiel, dass zu einem Unfallcrash mit vier Toten die Anzeige einer Lebensversicherung eingeblendet wurde.“

    Ich fühle mich echt ganz übel an Quality-Land von Marc-Uwe Kling erinnert. Wir stehen echt so kurz davor!

  8. Berührt diese schwachsinnige Werbelayer über Bilder legen nicht auch irgendwie die Rechte des Bildurhebers, oder darf man jedes Bild verhunzen solange es nicht permanent ist?

  9. @8: Das kommt darauf an, mit welchen Rechtefreigaben das Bild gekauft wurde. Einfach mal bei Google nach irgendwas suchen, auf Bilder gehen und dann unter Tools –> Nutzungsrechte schauen, da stehen dann die Möglichkeiten.
    Bei Kennzeichnung „kommerziell + Veränderung“ sollte dem nichts im Wegestehen.

  10. Wenn die Verantwortlichen wissen, dass es technisch nicht möglich ist einzelne Bilder auszuschließen, warum kommt dann keiner auf die Idee einfach an diese Stelle kein solches Bild zu platzieren? Weil es ihnen ganz offensichtlich egal ist, hauptsache Einnahmen. Dieses Bild hätte ja ganz offensichtlich zu keiner Werbung gepasst.

  11. Ja, die Medien müssen noch lernen, wie man online Werbung platziert, die Werber aber auch.
    Bei stern.de war mir mal eine Werbung von einem Autohersteller aufgefallen, die bei der Meldung eines schweren tödlichen Autounfalls in meiner Region eingeblendet wurde. Hier wurde die Werbung offensichtlich auch nur mit dem Stichwort „Auto“ eingeblendet.

    Aber sicherlich ist es technisch möglich bei Tod, Katastrophe, Krieg oder Massenmord keine Werbung einzublenden – man kann ja Sperrworte definieren oder Artikel gegen Werbung sperren im System

  12. Ist ja auch ärgerlich, wenn Realität und Werbung kollidieren.
    Wir brauchen bessere Filter, die diese beiden Kategorien noch konsequenter voneinader trennen!

  13. Es kann auch unterhaltsam sein. Ich erinnere mich an Werbung für Better Call Saul, die rundherum um Spiegel Online eingeblendet wurde. In der Mitte die redaktionelle Headline irgendwas mit geplatzten Krediten Griechenland: „Guter Anwalt gefällig?“

    Aber selbst hier kommt es wohl auf den Standpunkt an.

  14. Mal ganz abgesehen von der Frage von Trennung Redaktion/Werbung und potenziellen Geschmacklosigkeiten stellt sich auch noch die Frage von Urheberrechten. Keine Ahnung, wie so die Nutzungsbedingungen bei Agenturmaterial aussehen, aber wenn ich Werbung quasi vollautomatisch in ein Bild einblende, ist das nicht rein urheberrechtlich eine Bearbeitung? Wenn ja: potenziell unzulässig. (wie gesagt, je nach Nutzungsbedingungen).

  15. so ist das halt, wenn die Gier der Werbetreibenden den Verstand ausschaltet. Dass es zu derart dummen Kombinationen aus Nachrichten und Werbung kommen kann, kann sich jeder, der mehr als drei Zellen Hirn hat, von vornherein denken. Erst recht, wenn er weiß, dass sich das technisch nicht verhindern lässt.

  16. Finde ich nicht so wild. Passiert immer wieder online wie offline.

    Schlimm ist eher die zugrunde liegende Problematik von Online-Werbung (oder Werbung) generell als Solches, als Geschäftsmodell und als absurd hoher Anteil des täglichen Lebens.

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