Bahnhofskiosk

Sei du s€lbst!

Wenn man Dinge einmal einreißen lässt! Nachdem ich vergangene Woche meine selbsterfundene Regel gebrochen und ein amerikanisches Heft besprochen habe, mache ich es diese Woche wieder, weil ich – so weit ich mich erinnern kann – noch nie wegen einer Zeitschrift gleichzeitig hysterisch lachen und in Weltschmerz-Tränen ausbrechen wollte.

Es ist schon besonders, das Ding: „Teen Bo$$ – Dream Big & Learn Fast“ ist eine Art „Bravo“, die sich nur darum dreht, Kindern zu erklären, wie sie mit einem Social-Media-Kanal schnell reich werden. Und schon wenn ich das nur aufschreibe, möchte ich mir gerne einen Eiszapfen ins Auge rammen, um endlich wieder etwas Eindeutiges zu spüren.

Die Titelzeile lautet „How to build your brand by being you“ – Wie du deine Marke erschaffst, in dem du du bist. Die innere Spreizung dieser Aussage ist für mein Gehirn ähnlich unverarbeitbar wie das meiste, was Donald Trump so sagt.1)Ein wütender Tweet, in dem er verkündet, er sei ein mental „stabiles Genie“, macht Sachen mit mir. Nicht alle davon lustig. Einerseits kann ich mir keine bessere Botschaft für meine Töchter vorstellen als: „Sei du selbst!“ Das versuche ich ihnen auch zu vermitteln.2)Mit der leichten Modifikation: Sei du selbst in einem aufgeräumten Zimmer.

Gleichzeitig kann ich mir nichts Seelenfressenderes vorstellen als den Hinweis, Kinder sollten aus sich selbst eine Marke basteln. Weil Dinge aber mehr als zwei Seiten haben und einerseits/andererseits nicht ausreicht, versuche ich in mir zu suchen, was denn anders ist an meinen Töchtern, die Youtube- und musical.ly-Stars3)Google it! bewundern und wahrscheinlich davon träumen, selbst welche zu sein, als an mir, der ich Pierre Littbarski oder Eddie van Halen sein wollte.4)Ja, jeweils inklusive der Frisur. Ist das nicht irgendwie das gleiche, nur in einer anderen Zeit?

Die Antwort im Kontext von „Teen Bo$$“ ist: nein. Ich werde das gleich erklären, aber möglicherweise sind die Dollarzeichen im Namen ein Hinweis, aus welcher Richtung meine Kritik kommen könnte.

Das Heft ist voller kurzer, jeweils auf einer Doppelseite erzählter Geschichten von meist Mädchen, die Teen-Bosse sind, weil sie zum Beispiel Youtube-Kanäle haben und Seife in Form von Cupcakes verkaufen, oder Youtube-Kanäle haben und Tanzklamotten verkaufen, oder Youtube-Kanäle haben und eigene Make-Up-Linien verkaufen, oder andere Kanäle, in jedem Fall aber ganz sie selbst sind und ganz viel Spaß haben, dabei aber irgendwie zufällig mit ganz viel Disziplin ihre Marke gebildet haben. Manche hatten auch Hilfe. Von der 12-jährigen Ari, die seit vier Jahren an ihrem Tanz-Trikot-Imperium baut, stammt der großartige Satz: „Ich bin beschäftigt mit Schule und Tanzen, deshalb kümmert sich meine Mama um das Finanzielle.“ Mama hat auch die Tanz-Trikotage genäht, bis man das outsourcen konnte.

Ich hasse das alles.

Dann wiederum ärgere ich mich über mich, denn Mädchen völlig ungehemmt immer wieder zu erzählen, dass sie Erfolg haben können und sollen, und dass sie Bosse sein sollen, ist ja nicht verkehrt, und es sind nebenbei eben gar nicht nur 12-jährige Online-Teen-Bosse im Blatt, sondern in homöopathischen Dosen auch andere, zum Beispiel eine Töpferin in Schottland, die – „Ein Tag im Leben eines Girl Boss“ – vor der Arbeit Yoga macht und dann eine Playlist, die sie für die ganze nötige Kreativität des Tages beschwingt.

Aber geiler sind natürlich die mit den Headlines „Wir haben 15.000 Dollar in 7 Tagen verdient“, „Meine Tutoring-Webseite hat Millionen gemacht“ und „Ich besitze ein Millionen-Dollar-Schleim-Imperium“.5)Das wird möglicherweise das nächste Firmenmotto des Bauer Verlages. Erfolg ist hier am Ende doch ziemlich gleich Geld, wo ich schonmal gern Diskussionsbedarf anmelden würde, aber die Wahrheit ist sogar noch ein bisschen perfider.

Die eine Headline, die den Appeal von „Teen Bo$$“ meiner Meinung nach perfekt verkörpert, lautet „Ich kriegte 1,5 Millionen Abonnenten dadurch, dass ich Ich bin“. Denn natürlich ist die größte Motivation, der größte Anreiz dafür, Youtuber zu sein, der Wunsch beliebt zu sein.

Dabei schafft dieses Internet eine Abkürzung: Während Pierre Littbarski und Eddie van Halen in ihren respektiven Feldern zumindest sehr gut sein mussten, ist die Werkhöhe, die ein Künstler erreichen muss, um beliebt sein zu können, inzwischen gefallen auf minutenlanges Labern und Coolsein auf Youtube oder, bei musical.ly, auf 15 Sekunden Playback-Singen und tanzen. Ich sag das nochmal: 15 Sekunden Playback, und dabei kann und soll man viele Schnitte einsetzen. Das ist ziemlich genau: nichts.

Jetzt halte ich persönlich die Motivation, beliebt zu sein, für fatal. Sie ist unerfüllbar, niemand ist nur beliebt und sowieso nie beliebt genug, und die Motivation frisst dich, was man an Menschen mit narzisstischen Tendenzen sieht, die einfach nur von allen gemocht werden wollen und es so regelmäßig schaffen, dass niemand sie ertragen kann. Jemandem, schon gar einem Kind, zu erklären, es solle ganz sein Selbst sein, und ihm gleichzeitig Geschäfts-, Lebens- und Persönlichkeitsmodelle zu propagieren, die auf Popularität gründen, ist meiner Meinung nach perfider Scheißkackdreck!

Meine zehnjährige Tochter würde es lieben.

Teen Bo$$
Bauer Publishing Company
5,99 Dollar

Fußnoten

Fußnoten
1 Ein wütender Tweet, in dem er verkündet, er sei ein mental „stabiles Genie“, macht Sachen mit mir. Nicht alle davon lustig.
2 Mit der leichten Modifikation: Sei du selbst in einem aufgeräumten Zimmer.
3 Google it!
4 Ja, jeweils inklusive der Frisur.
5 Das wird möglicherweise das nächste Firmenmotto des Bauer Verlages.

21 Kommentare

  1. …das ist alles ganz furchtbar,
    Noch furchtbarer aber ist die Bezahlschranke, bei allem Verständnis.
    Mein Eikommen reicht nicht für all das, was zu wissen man meint, das ich es wissen müsste, gegen Kohle, versteht sich.
    Werde wohl nach Jahrzehnten wieder das örtliche Käseblättchen abonnieren, dazu die Zwangsabgabe für die Öffis. Kabelgebühren entfallen wg. DVB-T2 HD, gelegentlich den „Spiegel“ am Samstag, vielleicht.
    TAZ zahl ich und BILDblog auch…

  2. @1

    Also, mal ganz abgesehen davon, dass der Text trotz der ‚Bezahlschranke‘ lesbar ist – warum denn nicht einfach mal ein paar Tage warten, bis der Artikel freigegeben ist? Wenn man denn schon der Meinung ist, dass es bei allem Verständnis nicht möglich ist zu zahlen :).

    PS.: Gerade dafür ist doch der ÖR gedacht. Damit man ein hochwertiges und unabhängiges Informationsangebot werbefrei konsumieren kann. Aber das ist ein anderes Thema und gehört hier nicht her.

  3. Kann nur ich die Fußnoten nicht sehen? 1 bis 5? Wo? Ich wünsche mir so, dass da drinsteht, dass dieser ganze »Scheißkackdreck« in Wirklichkeit nur ein Fake ist. Eine Sonderausgabe von MAD oder so was.

  4. @ Michael Frey Dodillet

    Das ist Zauberschrift, die nur bei Vollmond lesbar ist. Also bitte noch etwas Geduld.

  5. Für die Ü40 Generation hier ist es anscheinend schwer zu verstehen, dass das Ziel eine Teenies nicht zwangsläufig eine 40-Stunden-Woche im Büro ist.
    Klar wird man mit 10-Minuten YT Videos nicht zum Inschenör, aber wayne, wenn man bis 25 genug verdient hat und nie wieder arbeiten gehen muss?
    Die versteifen auf das „beliebt sein“ in der Kolumne … „beliebt sein“ ist Mittel zum Zweck. Wer sein Ego-Vermaktungsbusiness mit der Prämisse aufbaut, „mein-Image-bin-nicht-ich“ sollte damit klarkommen.
    „Ich bin ich“ ist auch nur Marketing, das weiß die Zeitschrift, das wissen die YT Stars. YT ist auch nur ein Kanal.
    Was mich stört an diesen ganzen YT Erfolgsgeschichten: Wieviele Prozent der Möchtegern-Bibi-Schminktipps-Kanalbetreiberinnen schaffen es denn tatsächlich, mit dieser Scheiße Geld zu verdienen?
    Aber das wird auch seit Jahrzehnten in Musik-, Fernseh- und Filmbranche verschwiegen, so what?

  6. Hier noch ein passendes Zitat von Bob Burnam nachgereicht:
    “I would say don’t take advice from people like me who have gotten very lucky. We’re very biased. You know, like Taylor Swift telling you to follow your dreams is like a lottery winner telling you, ‘Liquidize your assets, buy Powerball tickets, it works!’”

  7. @Michalis

    Ich hätte ja mal die Aussage „Ich kriegte 1,5 Millionen Abonnenten dadurch, dass ich Ich bin“ auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft. Ich meine, den Jugendlichen wird hier suggeriert, dass diese Leute auf YouTube sich so geben, wie sie sind – nicht, dass das alles auch eine Inszenierung sein muss, wenn man so sich so eine Zuschauerschaft aufgebaut hat. Die Message ist zwar ganz hübsch, hält aber der Überprüfung an der Realität nicht ganz stand.

  8. Sie finden stets passende und ausdrucksvolle Worte für Dinge, die mich selbst ratlos und stumm zurücklassen. Großes Kompliment und auch ein bisschen Danke.

  9. Jetzt hab ich Worte. Vor zwei Generationen hieß es: “ …würde selbst seine Großmutter verkaufen.“
    Mittlerweile haben wir alles Gute und Feine bereits millionenfach verkauft und verdorben, bleibt als letztes Handelsgut noch eine ehemalige Weisheit wie “sei du selbst“.

  10. Was mich stört an diesen ganzen YT Erfolgsgeschichten: Wieviele Prozent der Möchtegern-Bibi-Schminktipps-Kanalbetreiberinnen schaffen es denn tatsächlich, mit dieser Scheiße Geld zu verdienen?

    (Anderer Max, 6)

    Und wieviele enden als Drachenlord, Mimon Baraka oder Suzie Grime, weil sie die Maxime „Ich bin wie ich bin“ umgesetzt haben und das bei zuvielen Leuten auf Ablehnung gestoßen ist? Aber das Problem ist: Man kann ja nicht jedes Mal den gleichen Warn-Artikel unterbringen oder einen Warn-Hinweis an das Ende eines jeden Artikels klatschen – wer (in der Zielgruppe) würde das lesen wollen?

    Das Heft generiert aber einen ganz anderen Vorteil: Es ist auf englisch und es gibt meines Wissens kein deutsches Pendant.* Ich könnte mir gut vorstellen, daß solche Hefte einen Anreiz bieten können, die eigenen Englischkenntnisse zu verbessern.** Und dann sind die Eltern gefragt, die ihren Kindern ein bisschen was über Datenschutz und daß man seine Adresse nicht in die Kamera halten sollte, erklären.

    —0—

    Noch furchtbarer aber ist die Bezahlschranke, bei allem Verständnis.

    (Ekkehard, 1)

    Ich hielt das zuerst für einen interessanten Meta-Gag im Hinblick auf das rezensierte Magazin, bin mir aber mittlerweile nicht mehr so sicher. Falls nicht:

    Es ist vielleicht ein bisschen müßig, darüber zu diskutieren, aber: Abgesehen von technischen Möglichkeiten, diese zu umgehen*** und abgesehen davon, daß Übermedien tollerweise alle Texte ohnehin frei zur Verfügung stellt und man nur ein bisschen warten muß und abgesehen davon, daß man für gute Arbeit auch bezahlen kann bzw. muß, wenn man will, daß diese eine Zukunftschance hat, kommt es – finde ich – immer darauf an, was man sich leisten will.
    Ich bin aktuell immernoch am überlegen, ob ich mir ein Republik-Abo hole. Man konnte die Amerika-Serie beispielsweise auch frei lesen und allein diese und Constantin Seibt wären ein Grund dafür, aber 240 Franken sind ja nun auch 407 DM, also 403.178 italienische Lira. Das ist somit nicht wenig!
    Trotzdem finde ich, kann man nicht verlangen, Journalismus, der sich nicht durch Werbung finanziert****, kostenlos zu bekommen, nur weil man für andere Produkte zahlt. Was ist denn das bitte für ein Argument? „Ihr habt zwar nichts davon, aber seht her – andere bezahle ich schon! Ich kann also bezahlen!“

    —0—

    Fußnote Eins‘ Tweet machte mich betroffen, Fußnote Zwei versöhnte mich wieder mit der Welt. Zum Glück kam ich darauf: Mit einem Fünffach-Klick kann man sie sich auch dieses Mal anzeigen lassen.

    —0—

    * Ich kenne allerdings auch 90 % der im Bahnhofskiosk vorgestellten Hefte nicht. Sowas findet man hier offline nirgends.

    ** Was schwierig wird, wenn man die Hefte offline tatsächlich nirgends findet.

    *** Ich habe mich nicht genauer damit beschäftigt, habe daber dunkel in Erinnerung, daß es möglich ist, die Steady-Schranke zu umgehen.

    **** Es ist zwar eine Binsenweisheit, aber es ist nunmal so: Bei Werbefinanzierung zahlt man einfach nur auf andere Art. Das ist ja nicht schlimm. Die Frage ist nur, ob man das will.

  11. Danke, Raoul. Auf die Idee, im Internet etwas anzuklicken, bin ich natürlich nicht gekommen. Ich schlage jetzt ein bisschen den Kopf auf den Tisch und lese anschließend Zeitung*.

    *analog**

    **Papier

  12. Stimmt, der automatische Fußnoten-Finder wäre auch eine tolle Idee für den Ü-Shop. Der hätte schon fast WLAN-Kabel-Qualitäten. :)

  13. Was mich am meisten verblüfft: Dass man die YT-Girlie-Generation durch eine Zeitschrift glaubt erreichen zu können.
    Und am zweitmeisten: Dass anscheinend überhaupt keine Pferde in dem Heft vorkommen.

  14. OT: Narzissten wollen nicht von allen gemocht werden. Die stabilisieren ihr eigentlich fragiles Selbstwertgefühl eher durch Selbstüberhöhung und die Herabwürdigung anderer. Was Sie beschreiben sind eher histrionische Persönlichkeiten.

    Abgesehen davon ist die Rezension wie immer super und sehr unterhaltsam. Scheint wirklich ein gruseliges Heft zu sein!

  15. @6: Als Ü-Vierzigern hab ich auch keinen Bock mehr, jeden Tag 8 Stunden Zeit im Büro abzusitzen, ob’s was zu tun gibt oder nicht. Meine Kinder (11 und 15) würden Dir sicher recht geben, und wenn man rein die finanzielle Seite betrachtet, ist es super, wenn man zum Beispiel mit Gaming-Videos mehrere Tausend Euro im Monat von zu Hause aus verdient und dabei auch noch Spaß hat… Fände ich für mich auch reizvoll, zugegebenermaßen.
    Wenn sich dabei der Zombie-, Tussi-, Ich-Muss-Immer-Perfekt-Sein-, oder wahlweise eine anderer Scheißkackdreck-Modus, in dem sich viele Kinder dann befinden auch irgendwann durch eine Erleuchtung oder eine Stimme aus der Unterwelt wieder irgendwann verflüchtigt, ist es ja okay. Ich warte jedenfalls noch drauf… ; ) …und auf die mehreren Tausend Euro im Monat auch, haha!

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