#Freizeitfake

Gerichts-Drama: Hat die „Freizeitwoche“ wirklich von nichts gewusst?

„Und es ist wirklich noch kein anderer Prominenter dagegen vorgegangen?“, fragt einer der Richter am Ende der Verhandlung, als könne er selbst kaum glauben, dass all die Merkwürdigkeiten nicht früher aufgefallen sind.

Freitagmorgen, Raum B335 im Hamburger Landgericht. Zehn Jahre lang hatte die „Freizeitwoche“ regelmäßig erstaunlich intime „Exklusiv-Interviews“ mit Hollywoodstars veröffentlicht. Auch mit Sandra Bullock, die nun hier dagegen vorgeht. Die Schauspielerin behauptet, dass die angeblichen Interviews mit ihr nie stattgefunden hätten. Sie seien in weiten Teilen erfunden.

Aushang an der Tür des Verhandlungssaals mit Angaben zu den verschiedenen Parteien.
Aushang im Landgericht Hamburg zum Prozess am Freitag

Vertreten wird Bullock, die wegen Dreharbeiten zurzeit in Kalifornien ist, von ihrer Anwältin Nina Lüssmann. Für die „Freizeitwoche“, das Klatschblatt aus den Häusern Bauer und Klambt, ist Anwältin Verena Haisch gekommen. Und nach knapp einer Stunde ist die Verhandlung auch schon wieder zu Ende, was vor allem daran liegt, dass Haisch den Vorwürfen nicht viel entgegenzusetzen hat. Statt überzeugender Belege liefert sie vor allem Ausflüchte – und einige erschreckende Einsichten in die Arbeitsweise der „Freizeitwoche“-Redaktion.


Insgesamt geht es um fünf „Exklusiv-Interviews“, die in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren erschienen sind. Wir haben darüber bereits 2016 ausführlich berichtet (siehe Kasten unten).

Da wäre zunächst ein Interview von 2007:

"Exklusiv-Interview" mit Sandra Bullock, Überschrift: "Die perfekte Ehe gibt es nicht"

Das Interview habe die „Freizeitwoche“ tatsächlich nicht selbst geführt, räumt Anwältin Haisch ein. Die freie Mitarbeiterin, von der die Redaktion es gekauft habe, habe es von einem englischen Kollegen übernommen. Sie könne jedoch weder sagen, welcher Kollege das war, noch wann oder wo das Interview stattgefunden haben soll. Auch sonst legte sie keinerlei Belege vor. Ihre Erklärung: Die Mitarbeiterin sei gerade umgezogen und habe ihre Kisten noch nicht ausgepackt. Deshalb habe sie die Unterlagen nicht gefunden.

Dem Gericht war das zu wenig. Sie gingen davon aus, dass die Geschichte unwahr sei, so die Richter. Der Unterlassungsanspruch sei demnach begründet.


Das nächste angebliche Gespräch erschien 2009.

"Exklusiv-Interview" mit Sandra Bullock, Überschrift: "Ich habe einen kleinen Teufel in mir"

Wie Haisch zugeben musste, war auch dieses „Exklusiv-Interview“ weder exklusiv noch ein Interview: In Wahrheit stammten die Aussagen Bullocks von einer Pressekonferenz zu einem ihrer Filme.

Hier sei also „unstreitig, dass es kein Vier-Augen-Gespräch war“, stellte das Gericht fest. Der Unterlassungsanspruch sei auch in diesem Fall begründet.


Die drei jüngsten – und spektakulärsten – „Interviews“ erschienen 2013, 2014 und 2016. Darin plauderte Bullock scheinbar ungehemmt über ihr Privat- und Intimleben, über ihre Kinder, ihre Ehe und darüber, was sie „erotisch erregt“.

Drei "Exklusiv-Interviews" mit Sandra Bullock, Überschriften: "George Clooney macht mich einfach an", "Ich bin wie ein Elefant - ich vergesse nie!" und "Ich bin von Kopf bis Fuß verliebt"

Verfasst wurden alle drei von Jörg Bobsin, einem etwa 80-jährigen Deutschen, der in Kalifornien lebt und sich als „investigativen VIP-Reporter“ bezeichnet. Die „Freizeitwoche“ arbeitet seit Jahren mit ihm zusammen und hegte nach eigenen Angaben nie Zweifel an Bobsins Glaubwürdigkeit – schließlich sei er, so die Anwältin, „unstreitig ein angesehener Journalist“.

Nun ja. Nicht nur, dass Bobsin etliche dubiose Internetseiten betreibt, auf denen er unter anderem die Privatadressen von Schauspielern und vertrauliche Informationen über Prominente zum Kauf anbietet …

… auch in Sachen angeblicher Star-Interviews hatte er bereits für Aufsehen gesorgt. 2010 druckten mehrere deutsche Zeitungen ein von Bobsin geliefertes Interview mit Michael Douglas – dessen Sprecher kurz darauf erklärte:

Dieses Interview wurde sorgfältig zusammengesetzt aus Bemerkungen, die Michael Douglas auf verschiedenen Pressekonferenzen und in Interviews im vergangenen Jahr gemacht hat. Aber das meiste ist komplett ausgedacht.

Später gab Bobsin zu, das Interview nicht geführt zu haben. Er behauptete, er habe es von einem amerikanischen Medium übernommen. Belege gibt es dafür keine.

Und so einem Mann vertraut also die „Freizeitwoche“?

Ja, gut, ein einziger Vorfall in 60 Berufsjahren – das könne ja jedem mal passieren, so die Anwältin der „Freizeitwoche“.

Doch für Bobsin war selbst das nicht das einzige Mal. Schon im Jahr 2000 teilte das Liechtensteiner Fürstenhaus mit, der „angebliche Journalist“ habe sich mit gefälschten Unterlagen als Mitarbeiter einer Radiostation ausgegeben und versuche nun, Interviews mit dem Fürsten, „welche in dieser Form nicht gemacht wurden“, in Medien zu platzieren.

Und nun also Sandra Bullock. „Meine Mandantin kennt Herrn Bobsin nicht, sie hat nie mit ihm gesprochen“, sagt ihre Anwältin. Um zu untermauern, dass die Interviews nie stattgefunden hätten, führt sie unter anderem an, dass die Beiträge inhaltliche Widersprüche und Fehler enthielten. So spricht Bullock (angeblich) in einem der „Interviews“ über ihren deutschen Pass – dabei hat sie nie einen besessen. Zudem habe Bobsin angegeben, eines der Interviews habe in New Orleans stattgefunden, doch im fraglichen Zeitraum sei Bullock gar nicht in New Orleans gewesen.

Diesen Widersprüchen hat die Anwältin der „Freizeitwoche“ nicht viel zu entgegnen. Es habe zwar Tonbänder gegeben, doch die seien gelöscht worden. Angehört habe sie davor auch niemand. Die Anwältin muss letztlich feststellen: „Was wirklich gewesen ist, wissen wir nicht.“ Auf jeden Fall habe die „Freizeitwoche“ nicht die Absicht gehabt, falsche Interviews zu veröffentlichen. Falls sie wirklich gefälscht waren, sei auch die Redaktion betrogen worden.


Das Gericht deutet am Freitag bereits an, dass es auch nicht unbedingt von einem Vorsatz ausgehe, wohl eher von grober Fahrlässigkeit: Die Redaktion hätte die Interviews „viel genauer überprüfen müssen“. Gerade die Vergangenheit Bobsins („Stichwort Michael Douglas“), kombiniert mit dem Umstand, dass Sandra Bullock in seinen Interviews überraschend intime Dinge verrate, hätte Anlass sein müssen, „da ganz genau nachzufragen“. Und zwar nicht nur bei Bobsin selbst, der wolle seine Interviews schließlich verkaufen.

Auch Bullocks Anwältin argumentiert, dass es ein Leichtes gewesen wäre, die Sache zu überprüfen: Die „Freizeitwoche“ hätte ja wenigstens mal beim Management der Schauspielerin nachfragen können. Für sie mache es jedenfalls keinen Unterschied, ob man Interviews von jemandem wie Bobsin ungeprüft abdruckt – oder sie sich einfach selbst ausdenkt.

Die Zeitschrift bekommt nun noch einmal die Gelegenheit, überzeugende Belege vorzulegen. Gelingt ihr das nicht, könnte es teuer werden für die Verlage: Bullock fordert neben einer Richtigstellung auch eine Geldentschädigung in Höhe von 100.000 Euro. Die Urteilsverkündung ist für den 6. April angesetzt.

7 Kommentare

  1. Liest sich ja eigentlich ganz gut, bis „Das Gericht deutet am Freitag bereits an, dass es auch nicht unbedingt von einem Vorsatz ausgehe, wohl eher von grober Fahrlässigkeit“

    Dies wiederum halte ich für eine grobe Fahrlässigkeit des Gerichts. So blöd können nicht mal Yellow-Press Angestellte sein, dass sie glauben der Müll den sie verbreiten hätte irgendeinen reellen Hintergrund. Die wissen genau was sie tun.

  2. mich würde interessieren, was als nächstes an billigen Ausflüchten aufgetischt wird, wenn der Richter sagt – okay, wir geben der Mitarbeiterin eine Woche Zeit, ihre Kisten auszupacken. Dann sollten die Unterlagen da sein.
    Wahrscheinlich hat sie dann, ganz zufällig natürlich, der Hund gefressen. Oder Einbrecher waren da und haben alles mitgenommen.

    Und ein Richter, der angesichts der Häufung von infamen Lügen in diesen Klatschblättern, von Fahrlässigkeit ausgeht, muss schon ein arg gutmütiges Wesen haben.

    So jedenfalls werden diese ignoranten Schmierfinken nie zur Vernunft kommen.

  3. „… Klatschblatt aus den Häusern Bauer und Klambt“ könnte für den interessierten Leser noch dahingehend ergänzt werden, dass die Klambt-Gruppe 20 % an der gemeinsamen Unternehmung hält, Bauer somit 80 %.

  4. Was für einarmseliges Berufsdasein muss man führen, um in so einem Fall bereitwillig die Verteidigung zu übernehmen.

  5. Danke für den Artikel, finde ich sehr spannend. Auch mir ist das Ausgehen von Fahrlässigkeit des Richters (4) zunächst komisch aufgestoßen; letztenendes muß er aber eben auch schauen, was sich hinreichend belegen lässt. Und zur Frage der Verteidigung (6): So funktioniert ein Rechtsstaat glücklicherweise. Jeder hat das Recht auf einen Anwalt, der im Sinne des Mandanten handelt. Und gute Rechtsbeistände sind meist das Gegenteil von Schönwetter-Anwälten.

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