Meinungsforschungsirrsinn

Begeisterung für Umfragen über Jamaika-Koalition nimmt ab

Von den vielen, vielen, vielen Umfragen, die deutsche Medien in diesem Jahr bei Meinungsforschungsinstituten in Auftrag gegeben haben, war diese die beste: Mitte Juli fragte der „Spiegel“ 1052 Bundesbürger nicht, ob sie wollen, dass Christian Lindner in Zukunft eine größere Rolle spielt – sondern welcher Partei er angehört. Er fragte sie nicht, ob sie mit der Arbeit ihres Ministerpräsidenten zufrieden sind – sondern wie er heißt. Er fragte sie nicht, wie Europa verteidigt werden soll – sondern welches der drei Länder Russland, Island, Albanien nicht in der Nato ist.

Die Ergebnisse waren eindrucksvoll. Nur 54 Prozent der Befragten wussten, dass Lindner in der FDP ist. (Alexander Gauland konnten sogar nur 23 Prozent der Befragten richtig der AfD zuordnen.) Nur 56 Prozent konnten den Namen des amtierenden Ministerpräsidenten ihres jeweiligen Heimatlandes richtig nennen. Nur 49 Prozent wussten, dass Russland nicht in der Nato ist.

All diese Leute (oder andere, die sich ähnlich gut auskennen) werden aber auch nächste Woche wieder darum gebeten, ihre Meinungen zu irgendwelchen aktuellen politischen Entwicklungen abzugebe, und die Medien werden das Ergebnis als wichtiges Urteil der Bevölkerung behandeln.

Das ist einerseits natürlich richtig und konsequent, denn all diese Leute dürfen ja auch wählen. Vor der Stimmabgabe steht kein Wissenstest. Man muss nicht wissen, wer Regierungschef ist, um den Regierungschef mitbestimmen zu dürfen. (Drei Viertel der Befragten hatten in der „Spiegel“-Umfrage über sich, sie seien vor einer Bundestagswahl „gut informiert“ und träfen eine „wohlüberlegte Entscheidung“. Klar.)

Die Ergebnisse des „Spiegel“-Wissenstests sollten andererseits aber eine Warnung sein, die Umfrageergebnisse, die so oft unsere Nachrichten dominieren, mit fundierten Urteilen informierter Bürger zu verwechseln. Eine Konsequenz daraus wäre dann womöglich, diese Umfragen nicht so oft unsere Nachrichten dominieren zu lassen.

Zur Zeit verhandeln in Berlin vier Parteien darüber, ob sie Verhandlungen zur Bildung einer Koalition aufnehmen sollen, die es noch nie gegeben hat. Viele Medien verfolgen und kommentieren diesen Prozess mit der Genervtheit eines Achtjährigen, der hinten im Auto auf dem Weg zu den Großeltern „Sind wir bald da“ ruft. Angeblich geht nichts voran, angeblich drängt die Zeit. Manchmal ist nicht ganz klar, ob die Journalisten nur vom mangelnden sichtbaren Fortschritt genervt sind oder auch schon von ihrer eigenen Genervtheit, jedenfalls zieht sich die Sache.

Gut, dass es da zwischen den ganzen „Sondierungen gehen weiter“-Meldungen, mit denen man Programm und Seiten füllt, weil ja sonst nichts passiert auf der Welt, gelegentlich ein paar handfeste Nachrichten gibt, wie diese, die in der vergangenen Woche die Menschen aufrüttelte: Die Zustimmung der Deutschen zu einer sogenannten Jamaika-Koalition ist drastisch gesunken.

„Mehrheit will Jamaika nicht“, titelt die „Welt“, die die Umfrage zusammen mit der ARD in Auftrag gegeben hat, als Aufmacher. „Die Mehrheit der Bürger hält ein mögliches schwarz-gelb-grünes Bündnis für keine gute Regierung“, heißt es in dem Artikel. „Während also die Jamaika-Parteien nicht einmal die Sondierungsgespräche abgeschlossen haben, zeigen sich die Bürger bereits ernüchtert.“

Das bedeutet wohl: Die Leute sind von den Ergebnissen, die es noch gar nicht gibt, enttäuscht.

Im Leitartikel daneben mischt „Welt“-Chefkommentator Jacques Schuster, um der Bedeutung der Umfrage-Ergebnisse gerecht zu werden, gleich mindestens drei Metaphern in einem Satz und erklärte die vermeintliche Genervtheit des Wahlvolks damit, dass die verhandelnden Parteien „ihre Ansichten mal mit apostolischem Eifer hinausposaunen, dann wieder wie Krankenschwestern jeden einzelnen ihrer Schritte laut dokumentieren und allesamt bisher nur zeigen, dass dieser Pudel keinen Kern hat“.

Die Bürger sehen die Sache also wie die Journalisten. Was vielleicht kein Zufall ist, weil es die Journalisten sind, die ihnen erzählen, wie die Sache läuft. Was aber natürlich umso eifriger von den Journalisten wieder als Nachricht verkauft wird.

Weil der Anteil der Befragten, die eine mögliche Regierungskoalition aus Union, FDP und Grünen als „sehr gut“ oder „gut“ bezeichnet, in der Infratest-Dimap-Umfrage innerhalb von vier Wochen um 12 Prozentpunte gesunken ist, schreibt man bei tagesschau.de: „Die bundesweite Begeisterung für ein Bündnis von Union, FDP und Grünen bricht ein.“

Die bundesweite Begeisterung, soso. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in meiner persönlichen Lebensfilterblase waren die Zahl der Schwampel-Partys (nur echt mit den leckeren Dragees) sehr überschaubar. Die „bundesweite Begeisterung“ scheint mir doch eher eine Illusion zu sein, die Überinterpretation der Tatsache, dass vor vier Wochen bei einer Umfrage 57 Prozent der Beteiligten sagten, sie fänden eine solche Regierung „sehr gut“ oder „gut“. (Für zdf.de war zwei Wochen später sogar eine „Eilmeldung“, als ihre eigenen Umfragen bestätigten: „Politbarometer: Mehrheit fände Jamaika gut“.)

Ich finde das fast noch unheimlicher als den gedankenlosen, routinierten Einsatz von Meinungsumfragen als günstige Nachrichtengeneratoren: Dass Journalisten das wirklich glauben, was sie da vermeintlich messen. Dass da draußen im Land eine Euphorie herrscht, weil 57 Prozent der angerufenen Menschen bei einer einigermaßen sinnlosen Umfrage nicht „schlecht“, sondern „gut“ sagen. Dass ein erheblicher Teil des Publikums „ernüchtert“ ist, was die Aussicht einer schwarz-gelb-grünen Koalition angeht, und es außerhalb eines ziemlich überschaubaren Kreises von Leuten viele gibt, die das Gefühl haben: Mensch, vor vier Wochen, da war ich noch voller Hoffnung, dass das ganz toll wird, mit dieser neuen Koalition, aber jetzt, wo die schon drei Wochen verhandeln, was sich dank der Berichterstattung der Medien anfühlt wie drei Jahre, da bin ich doch echt ein bisschen ernüchtert.

Sie könnten natürlich wissen, wie wenig Substanz hinter diesen Zahlen steht, die Journalisten, die diese Zahlen interpretieren. Am Tag der Bundestagswahl hatten laut Infratest Dimap nur 24 Prozent der Befragten eine schwarz-gelb-grüne Koalition für „gut“ oder „sehr gut“ gehalten. Am Tag danach waren es plötzlich 57 Prozent. Was war in der Zwischenzeit passiert? Die SPD hatte erklärt, in die Opposition gehen zu wollen. Schwarz-gelb-grün war plötzlich von einer exotischen Idee zur einzigen realistischen Option geworden. Und die Menschen sagten deshalb nicht mehr: Hö? Jamaika? Was soll der Quatsch? Sondern: Ja gut. Dann macht halt.

Das wäre zumindest meine Interpretation. Die von ARD-Zahlenmann Jörg Schönenborn lautete: „Viel Sympathie für Jamaika“.

Dabei ist auch die Fragestellung ein bisschen unklar: Sollten die Leute sagen, ob sie so ein Bündnis gut finden? Oder ob es gut „für Deutschland wäre“, wie es Schönenborns Kollegin Ellen Ehni formuliert? Oder ist das dasselbe? Oder ist es eh egal, weil ein nicht unerheblicher Teil der Befragten gar nicht weiß, was dieses „FDP“ sein soll, wovon da die Rede war, geschweige denn, wofür die Partei steht?

Und das erhöht bei diesen Jamaika-Umfragen zum jetzigen Zeipunkt noch die Beklopptheit: Was für eine Politik eine solche Koalition machen würde, das wissen nicht nur diejenigen Befragten nicht, die auch Probleme haben, Christian Lindner einer Partei zuzuordnen. Das weiß im Moment noch niemand.

Die Leute sollen sagen, ob sie eine Koalition gut finden, von der zum Zeitpunkt der Frage kein einziges konkretes Vorhaben bekannt ist. Was ist das für ein Unsinn? Was für Rückschlüsse soll das auf irgendwas erlauben? Wäre nicht die einzige richtige Antwort, die man dem Mann von Infratest Dimap oder der Forschungsgruppe Wahlen geben könnte: Weiß noch nicht, rufen Sie mich nochmal an, wenn klar ist, welche Steuern die erhöhen, wie die mit Flüchtlingen umgehen, welcher Klima-Kompromiss da am Ende rauskommt?

32 Kommentare

  1. „..das wissen nicht nur diejenigen Befragten nicht, die auch Probleme haben, Christian Lindner einer Partei zuzuordnen.“
    Was soll denn das jetzt wieder heißen? Christian Lindner ist der Vorsitzende und Spitzenkandidat der FDP und sollte nicht in andere Schubladen gesteckt werden.
    Und ja, natürlich sind diese Klein-Klein-Umfragen Käse.

  2. Genau so! Blöd nur, dass es einfach nicht keine Nachrichten geben darf, noch dazu zu so einem wichtigen Thema. Und wenn man in einen schiefen Blick tiefgreifende Probleme hineininterpretieren muss, um irgendeine schmissige Schlagzeile produzieren zu können, macht man das natürlich auch. Ich fürchte, das wird sich einfach nie ändern…

  3. „(…) und allesamt bisher nur zeigen, dass dieser Pudel keinen Kern hat“.“
    Was jetzt nicht so schlecht ist, denn wer will schon einen Mephistopheles im Bundestag?

    @1: FDP Fan? Merkt man kaum.

  4. @Andreas Müller
    Niemand wird in eine Schublade gesteckt, das ist nur Ihre verschwörungstheoretische völlige Fehlinterpretation der Aussage.
    Lindner dient hier nur als Beispiel für die Uninformiertheit vieler Wähler, sonst nichts.

  5. …in meinem Umfeld haben ungefähr alle eine andere Meinung.
    Trotzdem oder deswegen ist ein gemeinsames „Alt“ möglich.
    Selbst ein sog. „Kölsch“ ist möglich.
    Wir sind halt Rheinländer und, vor allem, Europäer.
    Punkt

  6. @ Stefan Niggemeier #2
    Das ist einerseits erstaunlich, andererseits auch 5 Mal mehr, als die FDP gewählt haben.

    @Anderer Max #4
    „FDP Fan?“
    Fan nicht, aber durchaus mit positiven Erwartungen an die FDP. Sie agiert und argumentiert seither definitiv am oberen Rand dieser Erwartungen. Wenn sie so schlüssig weitermacht, darf ich ihr bei Neuwahlen bald schon meine Stimme geben. Und damit dürfte ich nicht allein sein: dann sind 15% drin.

  7. @7: Wow! Erzählen Sie mir bitte mehr über diese tolle Partei! Und verlinken Sie bitte unbedingt Ihre Website noch 3-4 Mal! Danke!

  8. Hmmm… neulich habe ich noch gelernt „Der Klimawandel geht weiter“ keine Meldung ist. Aber „Die Jamaika-Verhandlungen gehen weiter“ schon? Kann mir das mal bitte jemand erklären?

  9. „Nur 49 Prozent wussten, dass Russland nicht in der Nato ist.“

    Stefan, Du machst hier meiner Meinung nach wie viele den Fehler, das Umfrageergebnis mit „Wissen“ gleichzusetzen: Wenn ich von so einem Umfrageheini am Telefon so blöde Fragen gestellt bekomme, würde ich mir mit der Antwort auch keine Mühe geben. Und wer weiß, was die Angerufenen noch nebenher gemacht und die Frage falsch verstanden haben. (Mglw.: „Welches Land ist nicht in der Nato“)

    Aus diesen und anderen Gründen (Brexit, Trump verliert die US-Wahl) denke ich auch, dass Umfragen generell eine viel zu große Aussagekraft beigemessen wird und ärgere mich regelmäßig, dass alle so tun, als wäre das in Stein gemeißelt.

  10. @ Felix aus Frankfurt

    Dieses Ergebnis wirkt auf mich auch eher befremdlich. Bevor ich mir das kleinteilig selbst suchen muss: Hat jemand auf Anhieb einen Link zu jener Umfrage? Ich würde mir die gerne mal genauer ansehen.

  11. So ein Glück. Ich dachte schon ich bin der einzige, dem diese Pseudoberichterstattung so dermaßen auf den Keks geht.

    Welt, Bild, Focus aber mittlerweile leider auch öfters die ARD oder der Spiegel: was die heute abliefern, das ist eine Relevanzsimulation…

    Mit viel Bohei so tun als hätte man etwas zu sagen, eine Botschaft, eine Nachricht, die irgendwie wichtig wäre.

    Aber in Wirklichkeit gibt es keine Nachricht. Man muss nur irgendwie die Seiten vollkriegen, Clicks generieren, Quote machen. Und womit geht das einfacher als mit Breaking News?

    Na gut, außer vielleicht mit Verliebt in Berlin, Bauer sucht Frau, oder Germanys next Topmodel…

    Das sind lauter erwachsene Leute, die mit Zucker bestäubten Bullshit für andere erwachsene Leute zusammen rühren, den diese letztgenannten Leute dann begierig konsumieren.

    Mich schaudert…

  12. Für solche Analysen liebe ich Niggemeier. Was die Medien Phasenweise an selbstreferenzierte Hysterie verbreiten, lässt an deren Intelligenz Zweifeln.

    Leider werden solche klaren Worte aber nichts ändern und wir müssen bis zur nächsten Medienhysterie weiter mit Nichtnachrichten über „jamaika “ leben.

  13. Schwampel, nicht Jamaica.
    Wir wollen ja nicht schon vor Amtsantritt mit Seibert-Euphemismen anfangen.

    Gut fand ich ja auch den Spahn heute im MoMa:
    „Wir wollen ja Steuern senken, eine andere Partei mit der wir derzeit koalieren will ja die Steuern erhöhen, also da sind wir ja dann schon mal auf dem richtigen Weg.“
    Weil Steuergelder und Investitionen und Rücklagen bilden zu Boomzeiten … Ach, egal, die Wirtschaftszyklen werden anscheinend durch die „schwarze 0“ negiert. Und in 4 Jahren übernimmt dann rot-rot-grün (lasst mich träumen, verdammt!) den Investitionsstau und darf sich dann 4 Jahre lang von der CDU vorwerfen lassen, dass es Deutschland schlecht geht.
    Hach, Spahn müsste man sein, dann braucht man auch nciht mehr auf die Realität achten und kann einfach alles fank und frei herausformulieren. Widerlegen können doch die anderen ;)

  14. Mir geht dies Jamaika-Verhandlungs-Newstickeritis vieler Medien gehörig auf den Geist.

    Sicher gibt es viele Diskrepanzen in den Wertevorstellungen der beteiligten Parteien.
    Sicher wird es ein schwieriger Prozess, Kompromisse zu finden, die die Basis einer handlungsfähigen Regierung bilden sollen.
    Wer hat denn bitte etwas anderes erwartet?

    Aber muss alle fünf Minuten über den Sachstand berichtet werden?
    Gibt es neuerdings außer dem Sommerloch auch noch ein Herbst-/Winterloch, dass es mit Sinnlosem zu füllen gibt?

    Auch die ständigen Updates der Verhandlungspartner, die dafür extra vor die Presse treten, sind meiner Ansicht nach völlig unnötig und eher sogar schädlich.
    Gerade die Art und Weise, wie Dobrindt dabei auftritt, verstärkt nur den Effekt, dass diese potentielle Koalition schlecht geredet wird, noch bevor konkrete Verhandlungsergebnisse vorliegen oder die Koalition als solche überhaupt schon existiert.

    Seid doch bitte so gut und verhandelt untereinander, zofft euch, tauscht euch aus und seht zu, zu welchen Kompromissen ihr euch durchringen könnt und zu welchen nicht, und sagt uns dann am ENDE Bescheid, ob ihr alle zusammen koaliert oder nicht.

    Wenn ja, dann erst wird interessant, worauf ihr euch geeinigt habt.
    Wenn nein, dann sollte wohl ernsthaft über die Möglichkeit einer Minderheitsregierung nachgedacht werden, in der Themenkomplexe einzeln eingebracht und im Bundestag parteiübergreifend für eine Mehrheit geworben wird.
    Der Beschluss zur Ehe für alle hat gezeigt, dass zukunftsweisende Änderungen auch ohne Mehrheit einer Koalition umgesetzt werden können und ein solches System funktionieren kann.

  15. Vielleicht ein bisschen off topic, aber die oben zitierten Umfrageergebnisse ruecken auch die oft diagnostizierte Ignoranz grosser Bevoelkerungsteile ueber die EU (bzgl. Personen und Sachthemen) in ein anderes Licht. Mein Verdacht ist, dass es um die Sachkenntnis der deutschen Politik auch nicht viel besser bestellt ist. Und das liegt auch an der Politikberichterstattung (z.B. des SPIEGEL, der sich ueber weite Strecken wie die BUNTE fuer Leute mit Abitur liesst), in der es fuer meinen Geschmack zu sehr „menschelt“. Da wird gerne berichtet wer mit wem ueber Kreuz liegt und munter ueber Motive kuechenpsychologisiert, leider oft auf Kosten einer eher sach- und themenorientierten Berichterstattung. (Ich weiss, das ist holzschnittartig, aber sei’s drum.) Beim Leser stellt sich dadurch vielleicht subjektiv – der haeufig leider falsche – Eindruck ein, man sei gut informiert. Ueber die EU-Politik kann so nicht berichtet werden, weil der politische Prozess auf dieser Ebene weniger personalisiert ist. Deshalb taeuscht sich das (Lese-)Publikum hier auch weniger ueber seinen eigenen Kenntnisstand, der von den Medien wiederum gerne thematisiert wird.

  16. @Stefan Niggemeier: Danke.

    Ich habe zu flüchtig gelesen und erkenne erst jetzt, dass Sie selbst eine wesentliche Info untergebracht haben, die ich dann in einer Fleischhauer-Kolumne fand:

    „Das Forschungsinstitut Kantar Public hat im Juli …eine Art Quiz veranstaltet, um ihr Wissen zu testen.“, dabei sollten die Teilnehmer ein Land auswählen, das nicht der Nato angehört. Zur Wahl standen Russland, Albanien und Island.
    (Ob mit oder ohne expliziten Hinweis: „Nur eine Antwort ist richtig“ bleibt unklar, ist schon da aber nur noch bedingt relevant)

    Unter diesen Umständen aus dem Ergebnis dieser „Umfrage“ abzuleiten, dass 51% der Deutschen derart ahnungslos sind, Russland für ein NATO-Mitglied zu halten, würde ich nicht empfehlen. Albanien hätte auch ich spontan nicht als NATO-Mitglied auf der Liste. Zwei plausible Kandidaten zur Auswahl zu haben, hat natürlich schon einen starken Einfluss auf das Ergebnis.
    Bei einer direkten Frage: „Ist Russland NATO-Mitglied?“ wäre ein weniger befremdliches Ergebnis denkbar.

    Dafür gilt noch mehr, was Sie berechtigt zu den Jamaika-Umfragen sagen:

    „Was ist das für ein Unsinn? Was für Rückschlüsse soll das auf irgendwas erlauben?“

    (Mal abgesehen davon, dass das Design eine für repräsentativ erklärte Opt-In Online-„Umfrage“ denkbar erscheinen lässt, was weitere Zweifel am Ergebnis begründen würde. In den frei zugänglichen Veröffentlichungen wird das ja leider nicht dokumentiert)

  17. Anhang: Wie das dann in der weiteren medialen Stillen Post noch irreführender weitergetragen wird, zeigt der Zeit-Artikel dazu. Wo Fleischhauer noch korrekt beschreibt, wie dieses Ergebnis zustandekommt, fehlt das hier
    http://www.zeit.de/news/2017-07/28/wahlen-deutsche-halten-sich-fuer-politisch-gut-informiert-28180802
    dann ganz. Stattdessen klingt es nun tatsächlich so, als wenn nur 49% eine direkte Frage richtig beantwortet hätten:

    „Drei von vier Deutschen halten sich für politisch gut informiert – aber die Hälfte kann elementare Wissensfragen zum politischen System nicht richtig beantworten.“ … „Nur 49 Prozent wussten, dass Russland kein Nato-Mitglied ist.“ … „67 Prozent der Männer konnten die Frage beantworten, ob Russland in der Nato ist, aber nur 32 Prozent der Frauen. “

    Ein schockierendes Ergebnis also zu einer „Frage“ , die gar nicht gestellt wurde.

  18. Noch schockierender wäre das Ergebnis sicherlich geworden, würde Russland als Antwortmöglichkeit gegen Schweden oder Finnland ausgetauscht. ;)

  19. @ Stefan Niggemeier:

    Guter Artikel.
    Hoffentlich klingt das jetzt nicht kleinkariert, aber einen kleinen sprachlichen Lapsus gibt es:

    „(Drei Viertel der Befragten hatten in der ‚Spiegel‘-Umfrage über sich, sie seien vor einer Bundestagswahl ‚gut informiert‘ […].“

    Hier fehlt was im Prädikat (etwa ein „gesagt“ oder „angegeben“).

    @ Symboltroll, 19:

    Dass Albanien ein Mitglied der NATO ist, muss man sicher nicht unbedingt wissen. Dass Russland hingegen definitiv kein Mitglied des Nordatlantik-Bündnisses ist, sollte man eigentlich schon wissen – jedenfalls, wenn man politisch interessiert ist. (Und wenn man die Frage so versteht, dass nur eines der aufgeführten Länder nicht in der NATO ist, folgt aus der richtigen Antwort „Russland“ logisch, dass Albanien in der NATO sein muss.)

  20. Im Zusammenhang mit Umfragen finde ich aktuell auch spannend: Laut OECD-„How’s Life?“-Umfrage haben nur 25 Prozent in Deutschland das Gefühl, das Handeln ihrer Regierung mitbestimmen zu können. Bislang habe ich dazu aber kaum deutsche Medienberichte gefunden. Die FAZ berichtet zwar allgemein über die umfangreiche Befragung, mit dem Titel „Die Deutschen leben gut“ und bebildert mit einem strahlenden Kindergesicht, und auch der Stern „registriert verbesserte Lebensqualität in Deutschland“ – aber in keinem der beiden Berichte wird das subjektiv wahrgenommene demokratische Defizit erwähnt. Meiner Meinung nach wäre das durchaus ein Befund, der medial größer thematisiert werden sollte. Gerade bei so viel umfragefokussierter Berichterstattung. Vielleicht habe ich aber einfach was übersehen oder da folgt noch was.
    Quellen:
    http://www.oecd-ilibrary.org/economics/how-s-life-2017_how_life-2017-en
    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/oecd-better-life-2017-hohe-lebensqualitaet-in-deutschlandnd-15293626.html
    https://www.stern.de/panorama/oecd-registriert-verbesserte-lebensqualitaet-in-deutschland-7701288.html

  21. Danke! Ich bin schon so abgestumpft von den ganzen sinnentleerten Umfragen, dass ich die schon gar nicht mehr hinterfrage.

    Wie rechtfertigen eigentlich die Redaktionen der öffentlich-rechtlichen diese unnötige Subventionierung von Infratest und Co.?

  22. @LLL #23:

    Ändert nichts daran, dass diese Erhebungsmethode zwingend ein anderes Ergebnis auswirft als eine klare Frage. Sogar mit Hinweis, dass nur eine Antwort korrekt ist (vo dem wir nicht wissen, ob es ihn gab).

    Wenn ich für einen Artikel „So ahnungslos sind die Wähler“ passende repräsentative „Beweise“ haben wollte, würde ich mir dafür genau dieses Design bestellen.

  23. Und hier noch ein aktueller Volltreffer des ZDF Politibarometer.

    Während für Viele hoffe ich inzwischen klar ist, dass es bei dem Familien-Nachzug um die Aufweitung des Gesetzes für Migranten ohne Asylstatus also subsidären Schutz geht, scheint das ZDF-Politbarometer dieser Präzisierung nicht gewachsen zu sein. Welche Gründe gäbe es noch bei diesem Fakten-Checker für folgende Darstellung.

    Recht auf Familien-Nachzug für anerkannte Asylsuchende…der Knackpunkt für die Jamaika-Verhandlungen

    https://www.zdf.de/nachrichten/heute/politbarometer-mehrheit-fuer-familiennachzug-100.html

  24. Derartige Schilderung von Umfragen, Berichte darüber, dann die Reaktionen auf Berichte usw. sind leicht erzieltes Honorar und viel einfacher zu verfassen, als etwa etwas zu den Verbrechen Saudi-Arabiens und dem drohenden Völkermord an den Jemeniten. Völlig sinnlos, aber nicht zu überhören. Anne Will macht es uns vor: Heute abend werden wir die fünfte Anne Will Sendung zu „Jamaika“ sehen dürfen! 5 Mal hintereinander. Kein Wunder, dass sich die Leute angeeckelt fühlen. Und freie Journalisten? Sie müssen Zeilen füllen, Spalten füllen, Seiten füllen, sinnlos wie möglich, aber ohne dass man es merkt. Blödsinn schreiben kann jeder, aber es soll nicht auffallen.

  25. „Blödsinn schreiben kann jeder, aber es soll nicht auffallen.“
    Gilt auch für (Meinungs-) Kommentare.

    Können Sie Ihren stupiden Behauptungen auch Argumente hinzufügen?

    Niveau anprangern, aber es für eine Handcreme halten …

  26. Ich frag mich ja, wie dieser Trend gestoppt werden kann, dass Medien freiwillig so viel Blödsinn zu einem Thema berichten und sich in Dusseleien versteigen. Das war doch scheinbar nicht immer so.
    Da gibt es so eine Studie von 2015 (glaub ich), die sehr schön aufzeigt, wie sich die Art der Medienberichterstattung einiger Leitmedien und öffentlich-rechtlicher Anstalten in den letzten ca. 50 Jahren in Deutschland verändert hat (Ergebnis: schnelllebiger, gleichzeitig breittretender, personalisierter, dramtisierender, etc.). Ich finde sie nur gerade nicht mehr. (Kann zufällig wer aushelfen?)

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