Echtzeit-Eskalation

Wie die Medien Nordkorea beim Spiel mit der Angst helfen

Ende Oktober 1969 schickte Richard Nixon eine Staffel bis an die Zähne bewaffneter B-52 Bomber auf den Weg in die Sowjetunion. Jedes der riesigen Flugzeuge hatte die vielfache Sprengkraft der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki an Bord. Sie hatten den Auftrag, die Sowjetunion bis aufs Äußerste zu provozieren und kurz vor der Grenze abzudrehen.

Die Mission der riesigen Bomber war nicht etwa, den Dritten Weltkrieg zu beginnen – das hoffte man, verhindern zu können – sondern im Rahmen einer beispiellosen Strategie der psychologischen Kriegsführung die UdSSR dazu zu bringen, keine Waffen mehr an den Vietcong zu liefern – es war ja Vietnamkrieg.

Richard Nixon selbst hatte sich im Oktober 1969 zusammen mit Henry Kissinger eine Strategie überlegt, die er mit der Presse zusammen spielte. Beide Politiker waren Spieltheoretiker und glaubten an die „mad man“-Theorie. Wenn man sich nur unberechenbar genug zeigte, würde das Gegenüber in Angst erstarren und sich den politischen Forderungen beugen. Ein Vor und Zurück aus militärischen Signalen und obskuren Presseauftritten folgte. In mehreren Treffen mit sowjetischen Diplomaten präsentierte sich Nixon als außer Fassung, wütend und unbeherrscht. Würden die Sowjets nicht nachgeben, würde man den Vietnamkrieg mit eigenen „ungewöhnlichen Maßnahmen“ beenden.

Die Sowjets bekamen es mit der Angst zu tun. Sowjet-Botschafter Dobrynin kabelte nach Moskau zurück, dass sich der Mann im Weißen Haus „nicht mehr beherrschen könne“. Seine „wachsende Emotionalität“ könnte zu einem echten Problem werden.

Bluffen war immer ein Teil der Politik. Der Bluff als Element politischer Einflussnahme war schon in der Antike bekannt, erhielt aber mit dem Aufkommen nuklearer Waffen eine ganz besondere Brisanz. Denn wenn der „mad man“ auf der anderen Seite potenziell irrational war, könnte man die hyperrationale Grundannahme des Gleichgewicht des Schreckens nicht mehr sicher aufrecht erhalten. Denn nur wenn der andere sicher überleben wollte, machten Atomwaffen als nichteinsetzbare Waffen Sinn. Aber was wenn nicht?

Wer glaubt, dass Trumps Ankündigungen neu sind, laut derer sich Nordkorea auf „Fire & Fury“ einstellen kann (9. August 2017), dass die Waffen „locked & loaded“ (11. August) sind, dass „Rocket Man auf einer Selbstmordmission ist“ und man Nordkorea „komplett zerstören“ kann (18. September), irrt. Sie sind nur aus amerikanischer Richtung bisher ungehört, weil mit Donald Trump eben auch eine „Mad Man“-Version der Twitter-Diplomatie ins Amt gekommen ist. Ansonsten tut Trump nur das, was Kim Jong-un und sein Vater und Großvater schon seit Jahrzehnten thematisch vorschlagen.


Nordkorea hat seit Ende des Koreakrieges 1953 hunderte Male mit Krieg gedroht oder sich schon im Kriegszustand mit den USA befunden. Tatsächlich war die akute Kriegsgefahr im Kalten Krieg auf der koreanischen Halbinsel noch wesentlich akuter als heute: Das Jahr 1968 startete mit einem Kommando-Angriff nordkoreanischer Truppen auf den südkoreanischen Präsidentensitz in Seoul (ca. 60 Tote). Wenig später wurde die USS Pueblo, ein amerikanisches Spionageschiff, von Nordkoreanern in internationalen Gewässern gekapert und die US-Besatzung inhaftiert. Ein Jahr später ließ Staatsgründer Kim Il-Sung einen US-Aufklärer im internationalen Luftraum abschießen (31 tote Amerikaner). 1976 starben zwei US-Offiziere bei Baumfällarbeiten in der Demilitarisierten Zone bei einem Vorfall, der „The Axe Murder Incident“ genannt wurde. Sie wurden von nordkoreanischen Truppen mit Äxten totgeschlagen.

Verglichen mit diesen Tagen geht es im jahrzehntealten Konflikt mit Nordkorea derzeit fast zivilisiert zu. Stellen Sie sich einmal vor, was auf Twitter los wäre, wenn heute ein amerikanisches Schiff in internationalen Gewässern von Nordkoreanern gekapert würde. Oder ein amerikanischer Offizier im Rahmen seiner normalen Tätigkeit an der unnormalsten Grenze der Welt zu Tode gehackt würde? Können Sie sich das vorstellen?

Das Aufkommen schneller digitaler Medien und sich rasant verbreitender Tweets hat das gefährliche Spiel verschärft. Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un lässt diesen Konflikt durch Raketen- und Wasserstoffbomben-Tests massiv eskalieren, und Donald Trump spielt über Twitter Politik in Echtzeit. Wo massive Drohungen in der Politik in zurückliegenden Generationen eine Sache von Verhandlungsräumen und Botschafter-Meetings waren, wird die Weltöffentlichkeit heute live Zeuge eines Spiels, das auch die Populisten perfekt beherrschen: Wer das Unerhörte sagen will, nutzt soziale Medien und News-Schlagzeilen, die in Echtzeit ein Maximum an Angst erzeugen.

So scheint es, dass die Führung des abgeschottetsten Landes der Welt sehr wohl den Wert digitaler Echtzeit-Medien kennt und das virale Potenzial, das in seinen Botschaften liegt. Speziell wenn man mit Donald J. Trump eben nicht mehr einen Präsidenten als Antipoden hat, der gut durchdachte Pressemeldungen auf offiziellem Wege als Antwort lanciert, sondern stattdessen sowas twittert:

Entsprechend kalkuliert bezieht sich Nordkorea mit einem weiteren Eskalationsversuch unmittelbar auf Trumps Tweet und behauptet, sie seien eine „Kriegserklärung“. (Twitter sah sich daraufhin gezwungen, zu verteidigen, warum der Tweet Trumps nicht gelöscht wurde.)

So wie Online-Medien die Tabubrüche von Populisten unmittelbar verbreiten, helfen sie auch Kim Jong-un, seine Drohungen in Angst zu überführen. Wie viel Mal ist die Welt schon untergegangen? Mal sehen:

CNN, 25. November 2011
„Daily Telegraph“, 22. November 2013
„Spiegel Online“, 28. Februar 2015
CNN. 7. März 2016
Bild.de, 26. märz 2016
„Der Westen“, 19. April 2017

Dass Nordkorea mittlerweile alle zwei Tage mit einem Atomangriff droht, ist selbstverständlich absolut unakzeptabel. Dass die Medien sich aber auch hier zu einem willfährigen Helfer einer Nachricht gemacht haben, deren einzige Funktion es ist, Ängste zu wecken, und deren Wahrheitsgehalt für Ottonormalverbraucher intransparent sind, weiß natürlich auch die nordkoreanische Führung. Ängste sorgen für Druck. Ängste, die man der Öffentlichkeit machen kann, sorgen für noch mehr politischen Druck. Speziell wenn diese Öffentlichkeit überhaupt nicht weiß, wie viel kritischer das Spiel mit dem atomaren Feuer in den Jahrzehnten des Kalten Krieges auch in Korea war.

Natürlich hat sich die Situation in eine unglaublich gefährliche Richtung gewendet. Nach wie vor macht ein Atomkrieg für keinen der beteiligten Akteure auch nur ansatzweise einen Sinn. Aber wenn Pressevertreter gerade auf nationaler Ebene diskutieren, wie sie mit Populisten umgehen und ob das Hochjazzen jedes noch so dümmlichen AfD-Pupses nicht doch auch etwas mit der Katastrophe vom Sonntag zu tun hat, dann darf man die gleiche Frage auch auf internationaler Ebene stellen: Ist es wirklich eine „Breaking News“ wert, wenn Kim Jong-un zum 241. Mal Amerika ein Meer an Feuer androht? Sollten wir wirklich über jede angebliche Verlegung eines Mig-Regiments an die koreanische Ostküste informiert werden – ein Akt, der seit 1953 hunderte, wenn nicht tausende Male durchgeführt wurde, jetzt aber zur Info-Waffe wird?

Wenn der eine oder andere Medienvertreter in Deutschland gerade feststellt, dass man die hiesigen Populisten durch Dauerhysterie gefährlich groß gemacht hat, sollte sich die selbe Frage auch mal in Bezug auf Kim Jong-un stellen.

Dass das dauernde Spiel mit der Angst aber auch dazu führt, dass sich die Wahrnehmung von Normalität verändert, schrieb vor wenigen Tagen einer der letzten Journalisten aus Pyongyang. Da die Nordkoreaner ohnehin Tag für Tag mit der Angst vor einem Atomkrieg indoktriniert werden, herrsche derzeit auch keine besonders angespannte Stimmung: „Es ist einfach Business as usual.“

Gerald Hensel ist studierter Sicherheitspolitiker und hat 2004 ein Buch zu Nordkoreas Atomrüstung geschrieben. Hensel ist Vorsitzender des Vereins Fearless Democracy e.V., der sich mit der digitalen Wirkweise von Populismus beschäftigt.

8 Kommentare

  1. Ich mag diese historischen Beiträge, die Phrasen wie „Nie waren die Zeiten unsicherer als jetzt“ den heißen Wind aus den Segeln nehmen. Gerne mehr davon!

    Und gerne mehr Besonnenheit im Journalismus.

  2. Der erste Satz im dritten Absatz lautet: „Richard Nixon selbst hatte sich im Oktober 1969 zusammen mit Richard Kissinger eine Strategie überlegt, die er mit der Presse zusammen spielte. “

    Der Vorname von Kissinger ist „Henry“, nicht „Richard“.

  3. Schon wieder ein Beitrag über „Angst“ (Peter Hahne).

    Ist das das bestimmende Thema in Deutschland in diesem Herbst?

  4. Kann Fritz Grimm in 1. nur zustimmen.
    Siehe auch reißerische Artikel über Kriegsgefahr im Baltikum durch russische Manöver an der Grenze. Oder Manöver der NATO in Polen (mit einem Promill der Truppenstärke frühere Herbstmanöver.).
    Bei uns früher im kalten Krieg hieß das einfach Dienstag.

  5. Ich komm nicht so ganz mit. Also Nixon und Kissinger überlegen sich, Mad Man zu spielen, um die Russen zu verunsichern. Hat geklappt. Sprung zur heutigen Zeit.

    Sie sind nur aus amerikanischer Richtung bisher ungehört, weil mit Donald Trump eben auch eine „Mad Man“-Version der Twitter-Diplomatie ins Amt gekommen ist. Ansonsten tut Trump nur das, was Kim Jong-un und sein Vater und Großvater schon seit Jahrzehnten thematisch vorschlagen.

    Wieso denn ungehört aus amerikanischer Richtung, wenn vorher ausgeführt wurde, dass Nixon die gleiche Strategie und Rhetorik gefahren hat?

  6. Im ersten Satz des dritten Absatzes ist von „Richard Kissinger“ die Rede. Ich nehme an, gemeint ist der damalige Nationale Sicherheitsberater und spätere US-Außenminister Henry Kissinger?

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