Wechselwähler

Deutsche Kultur ist Wurst

45,8 Millionen Autos sind in Deutschland zugelassen, im Schnitt sind sie über neun Jahre alt, und ein Drittel davon tankt Diesel. Über 800.000 Menschen arbeiten in der deutschen Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern. Wer sein Haus in Deutschland in einem heiteren Grün streichen möchte, muss die Gestaltungssatzung seiner Gemeinde beachten. Selbst wenn es unmittelbar neben einer Tankstelle steht, deren gleißende Neonröhren noch auf dem Mond sichtbar sind. Die Deutschen lieben ihre Autos, und die 2015 in den USA enthüllte Abgasaffäre ist seit 2017 kein VW-Problem mehr, sondern eine ausgewachsene Krise, in der es um künstlich gesenkte CO2-Werte, zu niedrige Verbrauchsangaben, kleingefälschte Feinstaubwerte und ein geheimes Absprachekartell fast aller Hersteller geht.

Schon die Abwrackprämie der Großen Koalition, die in Deutschland von Januar bis September 2009 für über neun Jahre alte Autos gezahlt wurde, war keine Umweltprämie, sondern ein reines Konjunkturprogramm für die von der Wirtschaftskrise betroffene Automobilindustrie. In anderen Ländern mit Verschrottungsaktionen war die Prämie damals an den Neukauf eines umweltfreundlicheren Autos mit deutlich geringeren CO2-Emissionen gekoppelt – in Deutschland allein an die Erfüllung der Euro-4-Norm.

Zum Wahlkampfthema wurde der dreckige Diesel auch jetzt nicht wegen der verheerenden gesundheitlichen Folgen seiner CO2– und Feinstaubemissionen – er wurde es allein wegen drohender Fahrverbote und möglicher Stilllegungen von Fahrzeugen mit manipulierten Abgaswerten. Es geht in erster Linie um die Angst vor Wertverlusten: in privaten Garagen und in den Zentralen der deutschen Schlüsselindustrie.

Aber was unterscheidet denn nun die Positionen von SPD und CDU, die schon bei der Abwrackprämie von 2009 gemeinsam regierten? Im ARD-Sommerinterview am vergangenen Sonntag sprach Tina Hassel den Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, auf seine Forderung nach einer verbindlichen Elektroauto-Quote an. Sie insistierte hartnäckig, ob sein freitägliches Treffen mit Betriebsräten von Automobilherstellern und seine danach folgende Aussage, er wolle „Sicherheit für die Dieselfahrer schaffen“ und der Diesel müsse „möglichst lange behalten werden“, nicht ein „Umfallen“ gewesen sei.

„Wir müssen Fahrverbote vermeiden“, sagte er. Pendler und Automobilindustrie seien von der Dieselaffäre in gleichem Maße betroffen und er habe „einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt“. Seine Konkurrentin Angela Merkel habe zwar eine Million Elektrofahrzeuge bis 2020 vorgeschlagen, diesen Vorschlag aber „wieder abgeräumt“ – ebenso wie das angekündigte Ende des Verbrennungsmotors. Sein Rezept: „Ein Mix aus unterschiedlichen Maßnahmen, aber natürlich brauchen wir den Verbrennungsmotor noch sehr, sehr lange.“

Angela Merkel hingegen hält sich traditionell mit konkreten Aussagen zurück. Das „Manager-Magazin“ schreibt, sie habe die Autobosse aufgefordert, stärker an alternativen Antrieben zu arbeiten. Wie Schulz glaube sie, dass Verbrennungsmotoren noch „auf Jahre und Jahrzehnte noch eine Rolle spielen würden“.

Screenshots: adac.de

In der eben erschienen „ADAC-Motorwelt“, dem mit 15,17 Millionen Lesern knapp vor der „Apotheken Umschau“ leserstärksten Magazin Deutschlands, stellten sich sowohl Angela Merkel als auch Martin Schulz den Fragen der journalistischen Anwälte ihrer „ADAC Clubmitglieder“. Hier klingt Angela Merkel nicht wie die Bundeskanzlerin, sondern wie die Stimme von Automobilindustrie und Energiewirtschaft gleichzeitig. Auf die Frage nach dem immer noch hohen Kohleanteil in der Stromproduktion antwortet sie: „Wir werden künftig Strom mit immer weniger CO2-Emissionen produzieren. Wir werden die ökologische Batterieproduktion und das Recycling erforschen und optimieren.“

Am vagen Ziel einer Zahl von einer Million Elektromobilen bis 2020 hält sie fest. Wobei sie sich nicht auf eine Quote festnageln lässt. Eine Quote sei „nicht ausreichend durchdacht“, und was würde passieren, würde sie nicht erreicht: „Wollen wir dann den Kauf weiterer Verbrennungsmotoren verbieten?“. Ansonsten – Fahrverbote vermeiden, zweiter Dieselgipfel im Herbst und der einzige echte Dissenz zum Fünf-Punkte-Plan des Rivalen: Kein Wort zu einem Hardware-Update der betroffenen Fahrzeuge, sollte ein Software-Update nicht ausreichen.

So furchtbar weit sind die beiden allerdings gar nicht auseinander. Arbeitsplätze first, Umwelt als Bonus. Eine Frage, die in keinem Medium zu lesen ist und die auf der Zunge brennt: Die beiden Kandidaten sind fast gleichaltrig. Beide haben in ihrem Leben unglaubliche Umwälzungen von Technologie und Gesellschaft erlebt. Warum glauben sie nicht an disruptive Veränderungen der Mobilität?


Im Mai schrieb die Staatsministerin der Bundesregierung Aydan Özoğuz (SPD) „eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar“. Der Satz stammt aus einem Text im „Tagesspiegel“, der die Heterogenität der deutschen Regionalgeschichte als einen Beleg für die gelebte Vielfalt feiert. Wenn man kurz darüber nachdenkt, wie jung der Nationalstaat Deutschland erst ist, ist der Gedanke nicht unlogisch.

Alexander Gauland, der bekannt dafür ist, dass er in tausendjährigen Epochen denkt, grub das Zitat aus und wetterte bei einer Wahlkampfrede im thüringischen Eichsfeld: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt die nie wieder hierher. Und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können“

Nun könnte man sich fragen, was die spezifisch deutsche Kultur ist, aber Reinhard Müller von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ assistiert Gauland: „Wenn eine deutsche Staatsministerin und Integrationsbeauftragte meint, eine deutsche Kultur sei nicht identifizierbar – dann ist das deutsche Kultur.“

 Leider bleibt Müllers Beschreibung dieser deutschen Kultur so unscharf wie die Alexander Gaulands: „Dabei hat doch alle Welt ein Bild vom Deutschsein und von deutscher Kultur – wie auch jeder ein Bild etwa von italienischer Kultur hat, wie stimmig diese Vorstellung auch sein mag.“ Ah! Nun ist es klar – Leitkultur ist völkisches Tümeln: Italien ist Pizza und Amore, der Franzos’ trägt Baskenmütze zum Baguette, und die spezifische deutsche Kultur blüht im Wurstland Eichsfeld mit Garwurst und Weckewurst. Es ist dieses Deutschland mit seinen vielen Ecken, in denen die Menschen mürrisch und unfreundlich sind. Aber wenn man sie erst einmal näher kennengelernt hat, dann sind sie treu wie Gold. Im Prinzip wie auf der ganzen Welt, nur mit anderen Wurstrezepten.

Für Alexander Gauland lief es wie immer: Erst wollte er es nicht gesagt haben, dann gab er zu Protokoll: „Das war wohl etwas zu hart“, und schließlich sprang ihm seine Co-Spitzenkandidatin Alice Weidel bei, um noch ein bisschen Öl ins Feuer zu gießen. Nur entschuldigen wollte und musste er sich nicht.

Als es am Montag bei „hart aber fair“ um den diplomatisch richtigen Umgang mit Trump, Erdogan und Putin ging, saß auch Gauland hinter Frank Plasbergs Küchentresen. Da hatte er gerade vor ein paar Stunden geäußert, das Wort „entsorgen“ besser nicht benutzt zu haben. Frank Plasberg sprach den lodengrünen Senior mit Hundekrawatte auf diese halbherzige Semi-Entschuldigung an, und Gauland nutzte seine Redezeit, um vom Zurückrudern zurückzurudern. Stattdessen durfte er sich als Opfer inszenieren, der nach seiner Aussage von einem SPD-Abgeordneten „mieser, dreckiger Hetzer“ genannt worden sei, obwohl doch derselbe Abgeordnete noch 2013 davon gesprochen habe, Merkel „entsorgen“ zu wollen. „Es kann nicht sein, dass, wenn ich das Wort „entsorgen“ nehme…“ usw. usf.

Das ist natürlich unschön, das musste sogar Moderator Frank Plasberg zugeben, der dann an Alexander Gaulands Sprachgefühl als Journalist und Buchautor appelliert hatte. Er wollte wissen, wie ein Mann der Sprache das Wort „entsorgen“ in einer strukturierten Rede benutzen könne, wenn es nicht absichtlich geschehe. Die Antwort: „…und da habe ich den Begriff gebraucht, weil ich ihn in anderem Zusammenhang schon mehrmals gehört habe.“

Das kann natürlich sein. Das sind möglicherweise so Zusammenhänge, in denen auch über Unkraut, Abschaum und Entartung gesprochen wird, aber nachdem er fertig war und die anderen Teilnehmer seine Wortwahl kritisiert hatten, war ein Drittel der Sendezeit verstrichen und das eigentliche Thema nicht einmal angesprochen worden. Was die deutsche Kultur genau ausmacht, weiß man immer noch nicht. Ein verpflichtendes Lodensakko mit Hundekrawatte vielleicht? Das will man sich lieber gar nicht vorstellen.

Er hat es mal wieder geschafft. Zur besten Sendezeit eingeladen, Mittelpunkt gewesen und alles abtropfen lassen. Glückwunsch, das ist der Jackpot. Für sein persönliches Sahnehäubchen sorgte dann noch die „Welt“ in Person von Christian Düringer, der fand, Gauland habe „Plasberg in die Bredouille“ gebracht. Er hatte auch den von Gauland nicht genannten Namen des SPD-Parlamentariers Johannes Kahrs parat, der von der „Entsorgung Merkels“ sprach. Verrückt.

Sein Text endet mit den Worten: „Bei aller berechtigten Kritik an Gaulands verbaler Entgleisung wäre es clever gewesen, in dem Zusammenhang auch Özoguz’ durchaus fragwürdige und per Einspieler gezeigte These ebenfalls kritisch zu hinterfragen“. Verdammt noch mal! Was ist sie denn nun, diese deutsche Leitkultur? Wir haben nun so viele Flüchtlinge im Land, die sich an Deutschland assimilieren sollen – nur woran genau?

26 Kommentare

  1. Ich finde an Gaulands rassistischer Hetze ja den kaum verhohlenen Gewaltaufruf besonders widerwärtig: „…und sagt ihr dann, was deutsche Kultur ist. Danach kommt die nie wieder hierher.“ Heißt das, deutsche Kultur bedeutet Andersdenkende zu verprügeln? Ist diese Ansicht eigentlich patriotisch?

  2. Wenn die AfD so wie hier völlig unverblühmt ihr wahres Gesicht zeigt, wird klar, was man von diesem Klientel zu halten hat.

    Die Verteidigungsversuche sind ähnlich wie bei Frau Storch entweder infantil blöde wie „Das habe ich doch gar nicht gesagt“ oder schlicht unverschämt a la „Na und? Das wird man jawohl noch sagen dürfen“

    Und was passieren würde, wenn solches Gedankengut in Entscheidungspositionen gelangt, kann man sich auch unschwer ausmalen.

  3. …wie noch bei jeder der letzten Wahlen werde ich am Abend des 24sten frustriert als sog. Beisitzer und der unbeobachteten Wahlbeobachtung durch AfD- Leute nach der mindestens doppelten Nachprüfung und tel. Schnelldurchsage mich mit meinem Erfrischungsgeld besaufen, sturztrunken ins Bett gehen, so ich es denn finde, und mich am Montag früh einmal mehr mit der Raute abfinden(müssen).

  4. @Fred Milkereit, #2

    Nett ist auch die Kombination von „das habe ich doch gar nicht gesagt“ und „die anderen doch aber auch“. Sandkasten-Rhetorik.

  5. @4: Noch netter ist: “ …das habe ich so nicht gesagt…“; „…missverstanden worden…“; „…bösartige Unterstellung…“ etc. pp.
    Alles bekannt, funktioniert dennoch. Wie der Enkeltrick. Oder neuerdings 110 am Display eines Telefons.
    Eine Bekannte von mir weigert sich, ihr giftgrünes Tasten-Telefon auszutauschen:
    recht hat sie…

  6. Da gings Plasberg also um den diplomatisch richtigen Umgang mit Gauland – der wird zu dieser Thematik eingeladen als der Bock, den man gärtnern lässt…

  7. Ahhh, die Kommentarspalte, wo Rezepte Thema sind! Danke dafür!
    Deutsche Kultur ist nicht Wurst, aber Wurst gehört zur deutschen Kultur.
    Eine Kultur kann logischerweise nicht aus einem einzigen Kochrezept oder einen einzigem Theaterstück bestehen, deshalb gibt es in D. hunderte von Wurstsorten, hunderte von Biersorten, hunderte von Brotsorten, hunderte von Theatern.

    Wenn man dt. Kultur definieren will, ist das ganz einfach: alle Kultur, die in Deutschland stattfindet, ist deutsch. Das schließt dann auch Lodenmäntel mit ein, ich kann’s nicht ändern. (Man muss auf seine Kultur ja nicht stolz sein.)

    Der eigentliche Streitpunkt ist doch gar nicht, ob es dt. Kultur gibt und wenn ja, was sie sein soll, sondern, ob Kultur ein Ist-Zustand (der sich über die Jahrzehnte auch mal verändert) oder ein Soll-Zustand (aka Leitkultur) sei. Ich finde, ersteres. Ich muss nicht in einen Schützenverein, auch wenn das hier Tradition ist (und mit „hier“ meine ich jetzt „Sauerland“), aber ich kann auch nicht ehrlicherweise sagen: „Wenn _ich_ da nicht mitmache, ist das keine Tradition mehr“. Es ist daher eigentlich egal, was im einzelnen dt. Kultur ist. Gauland, wenn man seinen gewollt zweideutigen Äußerungen irgendetwas entnehmen kann, hält Kultur wohl für einen Soll-Zustand. Insofern wäre es interessant zu wissen, was dieser Sollzustand beinhalten soll. Jetzt ist das Gegenargument aber bei vielen Gauland-Gegnern aber nicht: „Kultur ist kein Soll-Zustand, es gibt keine moralische Verpflichtung, eine bestimmte Kultur zu übernehmen!“ sondern bloß: „Es gibt ja gar keine spezifisch deutsche Kultur.“ Letzteres verschiebt die Frage eigentlich nur nach hinten. Wenn man feststellte, dass sagen wir Eichfeld eine spezifische Kultur hätte, bestünde dann die Pflicht, dass jeder, der nach Eichfeld kommt, sich an der Eichfelder Kultur beteiligen muss?
    Nein.

  8. @7 mycroft
    Es ist bei derartigen Debatten immer mutig und vielleicht sogar übermütig zu definieren, was der eigentliche Streitpunkt ist. Der Satz, dass jenseits der Sprache eine deutsche Kultur nicht identifiziert werden kann, gefällt mir nicht. Allerdings frage ich mich zuerst, bevor ich diskutiere, weshalb mir dieser Satz nicht gefällt. Bereits da wird es schwierig. Ein schwer zu definierender Mix aus Kunst, Sprache, Brauchtum, Religion und meinetwegen auch Tradition sowie eine Übereinstimmung in Grundwerten macht eine Kultur aus, die möglicherweise landestypisch ist. Goethe, Schiller, Heine, Brecht, Böll, Grass und wie sie alle hießen und heißen, sind Bestandteile unserer Kultur. Zitate der Klassiker sind in der Alltagssprache in stetiger Verwendung, ohne dass die genaue Quelle in jedem Fall bewusst ist. Luthers Reformation war anders, als bspw. die eines Thomas Cromwell unter Henry VIII. Eine jahrhundertealte Kleinstaaterei und ein teilweise falsch aufgefasster Förderalismus haben für regionale Unterscheide gesorgt, die eine Kultur schwer identifizieren lassen. Weisswürste sind z.B. eher bayrische Kultur als deutsche usw.
    Ethische Grundwerte sind letztlich die Eckpfeiler einer Verfassung, die in jedem demokratischen Staat übereinstimmend gelten sollten, sie sind kein Alleinstellungsmerkmal. Vermeintlich deutsche Tugenden wie Pünktlichkeit und Ordnung sehe ich im Alltag etwa genauso oft vernachlässigt wie eingehalten. Aber auch eine Attitüde, die viel Wert auf Erhaltung des Erreichten legt, statt Verbesserung anzustreben, will mir in meiner subjektiven Wahrnehmung als typisch Deutsch erscheinen.
    Ich möchte die Frage nach der Existenz einer deutschen Kultur nicht verneinen, gleichwohl fällt es mit schwer sie zu erklären.
    Letztlich ist das eine eigentlich interessante Debatte.
    Wenn es gelingt eine deutsche Kultur oder meinetwegen eine Eichsfelder Kultur zu identifizieren kann in einem freien Land keine Teilnahmepflicht bestehen, diese Frage ist m.E. auch nicht verhandelbar. Andererseits sehe ich aber auch eine moralische Verpflichtung, diese Kultur zu respektieren.
    Dass sich eine Kultur verändert, was sich dann auf den Soll-Zustand auswirkt, steht außer Frage. Das merken wir z.B. am Sprachgebrauch.
    Ich zum Beispiel sorge mich wegen unseres Bildungssystems oder wegen des Klimawandels. Insofern hätte ich mich beispielsweise in 2011 selbst als besorgten Bürger bezeichnet. Heute würde ich das nicht tun, da diese Vokabel mittlerweile eine völlig ändere Konnotation hat, das muss man auch nicht erklären.
    Dennoch finde ich die Frage, ob es eine deutsche Kultur gibt, bislang nicht zufriedenstellend beantwortet.

  9. Kultur ist im weitesten Sinne alles, was Menschen tun, im Gegensatz zur Natur.
    Im engeren Sinne alles, was Menschen tun und tradiert wird, also ein Bündel von Traditionen oder Memen.
    Im weiteren Sinne ist dt. Kultur einfach jede menschliche Tätigkeit in D., im engeren Sinne die Summe aller Traditionen, die es in Deutschland gibt. Ich tue mich etwas schwer damit, ethische Grundwerte als „Tradition“ aufzufassen. Das sollte etwas sein, was man auch verfolgte, wenn es sonst niemand täte.
    Solche Differenzierungen wie „das ist nicht deutsch, das ist bairisch/hamburgerisch/rheinland-pfälzisch.“ halte ich für falsch. Genausogut könnte man sagen, die Weser sei kein deutscher Fluss, da sie nicht durch Bayern, Hamburg und Rheinland-Pfalz fließt. Oder Berlin sei keine dt. Stadt, weil sie in gar keinem anderen Bundesland liegt. Und die Bayreuther Festspieler wären dann natürlich auch Bayreuther Kultur, nicht deutsche Kultur. Und bairische mal gar nicht, Bayreuth liegt in Oberfranken. Wenn bairische Traditionen keine deutschen sind, selbst wenn Bayern in D. liegt, können oberfränkische keine bairischen sein. Sie merken, worauf ich hinaus will?
    Wer behauptet, eine Kultur dürfe nur genau eine Wurst, einen Käse, ein Brot und einen Palmenschnaps haben? Oder das alle Mitglieder einer Kultur alle Wurst-, Käse-, Brot und Palmenschnapssorten essen und trinken müssen, damit diese Dinge zu dieser Kultur gehören? Bzw. die Menschen zu dieser Kultur gehören?
    Das ist doch ein völlig wirklichkeitsfremder Definitionsversuch.

    Irgendwo habe ich gelesen, dass eine Kultur wie eine Sprache ist: als Außenstehender erkennt man die Strukturen der selbigen besser, als wenn man drin steckt, insofern wären Deutsche die falschen, die deutsche Kultur zu analysieren.
    Ist Ihnen bspw. bewusst, nach welchen Regeln die Satzbausteine im Deutschen angeordnet werden dürfen? Sie haben keine feste Reihenfolge wie im Englischen, sind aber auch nicht völlig beliebig wie im Latein, wo Yoda nie daneben liegt. Obwohl die meisten Deutschen diese Regeln nicht erklären können, wenden sie sie an.

  10. @Telemachos, #10:
    Kulturen oder Kulturkreise sind selten „abgeschlossen“. Dazu bräuchte man nämlich eine Mauer.

    (Kann ja sein, dass Gauland genau das vorhat, nämlich eine Mauer zu bauen, aber es ist kein Kriterium für die Definition einer Kultur, „abgeschlossen“ zu sein, weil dann nämlich kaum ein Mensch Kultur hätte, außer ein paar isolierter Steinzeitvölker im Amazonas, auf Neuguinea und die Sentinelesen. Steinzeit als die Speerspitze der Kultur, jau ey!)

  11. @ Mycroft

    Halten Sie mich für doof? Gut, nächstes Mal schreib ich wieder mit Zwinkersmilie, okay?

    Die Frage richtete sich doch ganz eindeutig nicht an Leute, die die Antwort kennen. ;)

    PS: Ob Mauern dafür tatsächlich ausreichen, darüber ließe sich sicherlich auch streiten, so man denn tatsächlich auf etwas derart unsinniges wie einen abgeschlossenen Kulturkreis abzielt.

  12. Ups, sorry!
    Ja, Mauern alleine wohl nicht – es braucht auch noch Stacheldraht und Selbstschussanlagen.

    Trotzdem nervt es mich, wenn in eine Diskussion random neue Adjektive wie „abgeschlossen“ eingeführt werden.

  13. Na wie verstehen Sie denn das Geplärre nach deutscher Leitkultur, wenn nicht als Form von Abgrenzung? „Abgeschlossen“ ist da doch nur konsequent zu Ende gedacht.

  14. Ich verstehe das Geplärre von der Leitkultur so, dass Menschen, die nach D. wollen, der dt. Kultur angepasst werden sollen; besagte Kultur müsste dazu natürlich irgendwie „genormt“ werden, was sich spätestens dann als Bumerang erweisen wird, wenn jemand eine neue Biersorte oder einen neuen Fußballverein etablieren wollte, aber da ich gegen Leitkultur bin, ist mir die konkrete Umsetzung der Idiotie im Detail egal.
    Wobei ich natürlich einräume, dass es bestimmt auch Leute gibt, die diese Leitkultur auch als Abschreckung verstanden wissen wollen, und dass viele Leute pro-Leitkultur wohl generell nichts gegen Mauern hätten, und andere Dinge.

    Aber nur, weil ich weder für eine Normung der Kultur bin, noch dafür, dass der Staat mir mein Leben vorschreibt – wodurch sich eben eine Leitkultur von einer normalen, gewachsenen Kultur unterscheiden würde – kann ich ja nicht behaupten: „Dt. Kultur gibt es gar nicht.“
    Wenn ich gegen etwas bin, dann will ich meine Sache mit Argumenten begründen und nicht mit rhetorischen Tricks.

  15. Klar, und die deutsche Kultur ist natürlich ohne die nicht-deutsche denkbar.

    Ach was red ich, natürlich sind sowohl das Rad als auch das Alphabet von Deutschen erfunden worden. Mein Fehler. ;)

  16. Ah, ein Ironiesmiley. Ihnen ist aber schon klar, dass zwar nicht das Alphabet, aber ä, ö, ü und ß vermutlich von Deutschen erfunden wurden, oder?

    Keine Kultur ist ohne eine andere Kultur denkbar. Das kann also auch kein Kriterium für eine Kultur sein.

  17. #7 + 9, MYCROFT: „(…) kann ich ja nicht behaupten: „Dt. Kultur gibt es gar nicht.“

    Könnten Sie schon – stattdessen behaupten Sie einfach, jemand anderes hätte das behauptet und behaupten selbst munter ‚Es gibt eine spezifisch deutsche Kultur‘.

    „Wenn ich gegen etwas bin, dann will ich meine Sache mit Argumenten begründen und nicht mit rhetorischen Tricks.“

    Und Ihre Argumente für die ’spezifisch deutsche Kultur‘ sehen dann so aus, dass Sie munter ‚Spezifisch deutsch‘-Aufkleber auf alle möglichen Sachen drauf kleben, ob auf Pfälzer Saumagen oder den rheinischen Karneval, und dann behaupten, das sei spezifisch deutsch, weil ja in Deutschland. Wenigstens sind Sie da konsequent und labeln munter weiter ins Beliebige:

    „Im weiteren Sinne ist dt. Kultur einfach jede menschliche Tätigkeit in D., im engeren Sinne die Summe aller Traditionen,“

    Also im weiteren Sinne auch k*cken und AfD wählen und Kinder schlagen. Und im engeren Sinne die Summe davon und von manch anderem vom Lodenmantel bis zu Luther.

    Gut, dass wir das geklärt haben.

  18. @Someonesdaughter, #18:

    „Also im weiteren Sinne auch k*cken und AfD wählen und Kinder schlagen. Und im engeren Sinne die Summe davon und von manch anderem vom Lodenmantel bis zu Luther.“

    Nein. Kultur im engeren Sinne kann logischerweise nicht die Summe von Kultur im weiteren Sinne sein. Der mathematische Fachbegriff lautet „Untermenge“.
    K*cken machen auch Tiere, ist also keine Tradition, sondern biologisch festgelegt, ergo keine Kultur im engeren Sinne.
    AfD wählen ist im engeren Sinne keine Kultur, weil es offenbar keine Tradition ist, da es die AfD erst seit ein paar Jahren gibt. Kinder schlagen ist, wenn es eine Tradition ist, eine eher traurige – ich habe nie behauptet, dass Kultur immer was gutes sei. :P Lodenmäntel und Luthertum und mittlerweile Wählen als solches gibt es seit mehreren Generationen, man kann das also als Tradition bezeichnen. Ja, ich labele Luthertum als deutsch, obwohl ich kein Lutheraner bin. (Um den Einwand vorwegzunehmen, viele Lutheraner leben auch in den USA, aber die haben nicht ganz dieselben Traditionen wie die deutschen.)

    „#7 + 9, MYCROFT: „(…) kann ich ja nicht behaupten: „Dt. Kultur gibt es gar nicht.“

    Könnten Sie schon – stattdessen behaupten Sie einfach, jemand anderes hätte das behauptet und behaupten selbst munter ‚Es gibt eine spezifisch deutsche Kultur‘.“

    Ok, ich präzisiere mich: „Es gibt _mindestens eine_ deutsche Kultur, vllt. aber auch mehrere, die sich von anderen Kulturen so weit unterscheidet/n, dass man sie unterscheiden kann.“ Spezifisch kam nicht von mir, daher können wir das Wort weglassen, wenn wir uns nicht einig sind, was das bedeuten soll.

    Die bloße Existenz einer deutschen Kultur wurde aber schon bezweifelt, ohne irgendwelche Einschränkungen wie „spezifisch“, unter anderem hier:

    „Dennoch finde ich die Frage, ob es eine deutsche Kultur gibt, bislang nicht zufriedenstellend beantwortet.“

    Und wenn solange die Frage im Raum noch steht, darf ich sie beantworten.

    @Herr Schumachr, #19:
    Ja, der Begriff „Kulturkreis“ wird von manchen als problematisch empfunden. Nennen wir es halt Kulturkonglomerat. Das klingt viel intellecktuellerer, hat keine kulturistische Konnotation, und Someonesdaughters Einwand, dass die Kultur in Bayern nicht diegleiche ist wie in Hamburg, wird auch Rechnung getragen.

  19. @Someonesdaughter, allg.:
    Nach nochmaligen darüber Nachdenken scheint es mir, Sie wären der Ansicht, dass eine Kultur einheitlich zu sein hat. Also, wenn bspw. Weißwürste zur dt. Kultur gehören soll, müssen _alle_ Deutschen Weißwürste essen, sonst zählt das nicht. Also, dass eine Kultur eine Einheitskultur sein muss. (Wenn nicht, betrachten Sie das Folgende bitte als gegenstandslos.)

    Das kann man natürlich so sehen, ich sehe das aber nicht so, aus drei Gründen:
    1.) es wäre eine sehr arme Kultur, die keinerlei Variationen zulässt.
    2.) aus der Anwendung des Haufenparadoxons heraus: wenn ich ein Mitglied einer mutmaßlichen Kultur finde, das dieses spezielle Merkmal nicht besitzt, und daraus ableite, dass das kein Merkmal dieser Kultur ist, kann ich praktisch jede Kultur in Abrede stellen.
    Wenn Weißwürste nicht Teil der dt. Kultur sind, weil z.B. Dt. in Hamburg keine essen, ok, aber weil es vegetarische Münchner gibt, die demzufolge auch keine Weißwürste essen, sind Weißwürste auch kein Teil der münchener Regionalkultur. So kann ich jedes mutmaßliche münchener Kulturmerkmal widerlegen, bis ich nachgewiesen habe, dass es keine münchener Kultur gibt. Dasselbe gilt für jede andere mögliche Regionalkultur. Ergo gäbe es weder eine dt. Kultur, noch Regionalkulturen in D., was ich ehrlich gesagt für ziemlich unzutreffend halte.
    3.) Gauland sieht das vllt. anders, aber ich bin der Ansicht, dass es weder eine Pflicht gibt, jedes Element eine Kultur anzunehmen (oder überhaupt eines), noch dazu, dass eine Kultur eine „Einheitskultur“ sein muss.

    Falls Ihre weiteren Argumente gegen die Existenz einer dt. Kultur auf der Prämisse basieren, dass eine dt. Kultur eine Einheitskultur sein müsste, so lehne ich sie weiterhin ab.

  20. # 21, MYCROFT: „Nach nochmaligen darüber Nachdenken scheint es mir, Sie wären der Ansicht, dass eine Kultur einheitlich zu sein hat. “

    Quark. Und nein, ich will gar nicht wissen, welche Prozesse zu so einer Einschätzung führen, mit Nachdenken hat das eher nichts zu tun. Wenn Sie wirklich noch mal drüber nachdenken wollen, dann doch bitte in der Richtung, dass Sie endlich darlegen, was eine „spezifisch“ (!) „deutsche Kultur jenseits der Sprache“ ist, ohne dass Sie munter Aufkleber auf regionalkulturelle Traditionen kleben und sich zu der Behauptung versteigen, dass alles, was in Deutschland stattfindet „deutsche Kultur“ sei, vom k*acken über Karneval bis zum Kinderschlagen.

    „Falls Ihre weiteren Argumente gegen die Existenz einer dt. Kultur“

    Es langweilt irgendwie, dass Sie nicht einmal in der Lage oder willens sind, das Ihren vergeblichen Bemühungen zugrunde liegende Zitat korrekt wiederzugeben.

    „auf der Prämisse basieren, dass eine dt. Kultur eine Einheitskultur sein müsste, so lehne ich sie weiterhin ab.“

    Grotesk.

  21. @Someonesdaughter:
    K*cken hatte ich doch rausgenommen, warum soll ich mir mit Zitieren mehr Mühe geben als Sie?

    Ok, aber gut, Sie meinen also keine Einheitskultur.
    Dann würde ich gerne wissen, wie Sie Kultur definieren? Ich frage nicht, nach „spezifischer Kultur“, ich frage nicht nach „deutscher Kultur“, ich frage, was meinen Sie mit dem Wort „Kultur“?

    Ich habe nämlich den Eindruck, dass ich was anderes meine als Sie, aber das ist mehr ein Bauchgefühl als Nachdenken. ;-)

  22. Ahja, deutsche Leitkültür? K.A. was das ist/sein soll.
    Vor kurzem eine Sendung auf 3Sat mit bairischen(bayerischen?) Milchviehbauern auf einer Hochwiese im sog. Bayern gesehen.
    Ich habe nicht ein Wort verstanden, als Düsseldorfer.
    Da ist mir Hanns-Dieter Hüsch doch immer noch näher und Venlo oder Roermond sowieso. Von der Nordseeküste in NL und meinem ersten Joint Anfang der 70er ganz zu schweigen. Ist eine Jugend her…
    France24-Nachrichten gucken:
    Dieses Englisch bekomme ich wenigstens mit, halbwegs…

  23. Ich fühle mich in Frankreich, Holland und sogar in der Schweiz fremd. Ob das an der „Kultur“ liegt weiss nicht, aber offensichtlich teile ich mit vielen Menschen etwas, was anderswo anders gemacht wird. Vielleicht ist es die gemeinsame Geschichte mit der zumindest meine Generation noch vertraut gemacht wurde. Deutsch zu sein heißt, sich für die Taten die unsere Großväter unter einem Österreicher gemacht haben, zu schämen und zu refklektieren warum das getan wurde.

    Wer diese Kultur abschaffen will, wird nichts gutes Ernten.

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