Die jungen Wählerinnen und Wähler, die am 24. September erstmals in die Wahlkabine einer Bundestagswahl gehen, wurden bei Antritt der amtierenden Kanzlerin gerade eingeschult. Für sie ist es schwer vorstellbar, dass es dieses Land ohne Angela Merkel an der Spitze gab, und ihr Herausforderer Martin Schulz trat für die meisten erst vor einem Dreivierteljahr in Erscheinung. Brüssel ist weit weg und trotz seiner exponierten Rolle als Präsident des Europaparlaments tauchte Schulz eher im Politikteil auf als auf den Titelseiten.
Vor der Europawahl 2014 lag sein Bekanntheitsgrad über alle Altersgruppen hinweg in Deutschland bei nur 27 Prozent. In einer Umfrage unter 14- bis 17-Jährigen, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov vor einem Monat zusammen mit der „Bravo“ veröffentlichte, kannten ihn immerhin schon 66 Prozent der Teilnehmer. AfD-Sprecherin Frauke Petry erzielte sogar drei Prozent mehr, und Katrin Göring-Eckart kam gerade mal auf einen Bekanntheitsgrad von 20 Prozent. Nur Nutella hat mit 99 Prozent einen höheren Bekanntheitsgrad als Angela Merkel (94 Prozent), aber Nutella tritt nicht zur Wahl an.
In acht der vergangenen zwölf Jahre wurde die Bundesrepublik von einer Großen Koalition regiert, was es nicht nur Jungwählern schwermacht, die unterschiedlichen Positionen der Regierungsparteien CDU und SPD klar zu unterscheiden. Im politischen Kurzzeitgedächtnis sind: Flüchtlingskrise, Terroranschläge und der Mann mit dem seltsamen Politikstil aus den USA. Die Top-3 der für Jugendliche wichtigsten Themen in der „Bravo“-Studie sind: „Innere Sicherheit“, „Schule und Ausbildung“, „Einwanderung und Flüchtlinge“.
Wenn Altkanzler Gerhard Schröder (dessen mögliches Aufsichtsratsmandat in Russland die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ diese Woche zu der taz-esken Headline „Alte Liebe rosneft nicht“ hinriss) zu sagen pflegte: „Wahlen werden in der Mitte gewonnen“, dann ist für junge Wähler in diesem Wahlkampf viel Mitte und wenig Orientierung zu sehen. In der zwangsläufigen Beschränkung auf wenige Meta-Themen schmelzen in den Headlines der Wahlplakate die vorhandenen Unterschiede zusammen. Interessanter ist da die Möglichkeit, sich auf bundestag.de das Abstimmungsverhalten der Vergangenheit anzusehen oder die Antworten der für den Bundestag Kandidierenden auf abgeordnetenwatch.de zu lesen.
„Bei Interviews mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel kann man einschlafen. Ihre Antworten sind immer diplomatisch, häufig unkonkret, oft erwartbar.“ Das schreiben Ole Reißmann, Katharina Hölter und Marc Röhlig auf bento.de, dem „Spiegel Online“-Jugendableger, über das Live-Interview der Bundeskanzlerin mit vier Youtubern, das es am Mittwoch zum ersten Mal so gab.
Die „Bento“-Autoren arbeiten an der Abfolge der kurzen Frage-Antwort-Sequenzen zu dritt, weil sie ihre Geschichte in Echtzeit produzieren. Und sie kommen gleich nach dem Teaser zu einem vernichtenden Fazit:
Aber nur bei einer Frage wurde Merkel konkret: Es ging um Emojis.
Ja, doch. Die Emojis kamen vor, aber nur als Schlenker am Ende eines Interviews. Ja, doch. Es gibt Menschen, die verbal unterhaltsamer sind als Angela Merkel. Aber das ist erstens bekannt und zweitens arbeitet sie stark mit mimischen Mitteln – wenn sie von dem Emoji mit der Schnute spricht, ist ihr Gesicht für einen Moment exakt dieses Emoji.
Vor allem aber war es ein neues Format und es funktionierte überraschend gut: Die Namen der Youtuber Ischtar Isik, AlexiBexi, ItsColeslaw und MrWissen2go klingen für einen über 20-Jährigen wie Industrieklebstoffe, aber in ihrer Zielgruppe haben sie zusammen drei Millionen regelmäßige Zuschauer. Die Fragen, die ihre Fans unter #DeineWahl einreichten, haben Angela Merkel zwar nicht ins Schwitzen gebracht, aber auch nicht unterfordert.
Wer abschätzig einen gemeinsamen Haul von Kosmetikartikeln erwartete, wurde positiv von der Professionalität und Ernsthaftigkeit überrascht – inklusive einer live übertragenen Manöverkritik der Fragenden im Anschluss an das Interview.
„Der ‚Wahlswiper‘ will dem ‚Wahl-O-Mat‘ Konkurrenz machen und bei der Entscheidungsfindung zur Wahl 2017 helfen“, schreibt Stern.de und stellt die App vor, bei der man sich auf dem Smartphone durch 30 programmatische Fragen wischt, bis schließlich ein Endergebnis die Übereinstimmung der eigenen Position mit den zur Wahl stehenden Parteien anzeigt.
Dass der „Wahlswiper“ dem „Wahl-O-Mat“ Konkurrenz machen will, stimmt nicht so ganz, denn die App ist – wie das etablierte Vorbild der Bundeszentrale für politische Bildung – kostenlos erhältlich. Sie funktioniert gut, kleine Erklärfilme erläutern Hintergründe, und die Fragen wurden von Studenten des Geschwister-Scholl-Instituts der Ludwig-Maximilians-Universität München gegengeprüft. Nachteil ist die fehlende Gewichtung einzelner Themengebiete und die Möglichkeit zur unentschiedenen Auswahl. Aber es ist schon ein schlauer Schachzug, die Logik der App der Datingplattform „Tinder“ ähneln zu lassen. Und es ist kostenlose Werbung für eine Berliner Werbeagentur.
Wer auf das 2002 bewährte Original setzt, muss allerdings noch ein paar Tage warten. Der Wahl-O-Mat startet erst am 30. August: Mit Versionen für iPhone, Android, Windows Phone 8 und – ganz klassisch – im Browser werden dort 38 Thesen abgefragt, die außer Zustimmung und Ablehnung auch „neutral“ als Antwortmöglichkeit zulassen.
Die Kolumne
„Ich bin Wechselwähler. So schwer wie in diesem Jahr fiel mir die Wahl noch nie. Was ich mir für eine Politik wünsche, weiß ich sehr genau, aber ich suche schon seit Monaten nach Anhaltspunkten. Sind es die da, die da oder die da – mit dem dicken Pulli an? Jetzt wird’s langsam ernst, und ich schaue mich um, informiere mich. Medien sind dabei meine Quellen und manchmal auch der Anhaltspunkt, mir noch mehr Informationen zu suchen. Am Ende werde ich wählen gehen und nicht verraten, wen.“
Peter Breuer macht sich für uns bis zur Bundestagswahl Notizen.
3m: Muttis Mimik meschugge.
Müllers Mimimi megalangweilig