Internetgedöns

Jaja, der Stock sitzt tief

Ja, diese Woche war was los im Youtubeland. 
Als bekannt wurde, dass der Rüpel-Vlogger und Rapcontest-Veranstalter JuliensBlog tatsächlich verurteilt wurde. Zu acht Monaten auf Bewährung. Und 15.000 Euro Geldstrafe. Wegen Volksverhetzung. Weil er im Mai 2015 ein Video veröffentlichte und auf sehr eigene Art über die damals streikenden Lokführer „witzelte“:

Vergasen sollte man diese Mistviecher. Wisst ihr noch, wie die Juden in Zügen nach Auschwitz transportiert wurden? Man sollte die Zugführer alle dahinbringen. Ich fahr auch den Zug, und zwar umsonst – und werde nicht einmal streiken.

(Das Video ist inzwischen auf seinem Youtube-Kanal nicht mehr verfügbar, wurde aber mehrfach von verschiedenen Nutzern neu hochgeladen.)

Die einen sehen in dem Urteil die gerechte Strafe für jahrelanges Bullshitverbreiten, die anderen fragen, wie das mit der Meinungsfreiheit zusammen passt. Und dazwischen? Dazwischen trollen Massen an Juliensblog-Fans in einer Sprachlichkeit, mit der sie ihrem Idol um nichts nachstehen: dass jeder, der JuliensBlog kritisiert, schwarzen Humor nicht versteht. Und einen Stock im Arsch hat.

Ich bin keine Juristin. Ich kann hier keine fundierte rechtliche Einschätzung abgeben. Aber ich habe mich im Studium und Leben viel mit der Kunstfreiheit beschäftigt, der Frage nach Ironie, Satire, Sarkasmus und den unterschiedlichen Schwarztönen. Im schwarzen Humor.

JuliensBlog versteht sich selbst als Kunstfigur, die bewusst mit schwarzem Humor provoziert. Für ihn bedeutet das (so sagte er in einem Interview zu dem Video, weswegen er nun verurteilt wurde) Witze zu machen, worüber man keine Witze macht: „Das ist ja der Sinn von schwarzem Humor.“

Nun sagte er laut einem Bericht der „Westfälischen Nachrichten“ zu seiner Verteidigung:

Ich habe noch krassere Sachen gemacht, nur ohne NS-Zeit. Dass man das in Deutschland nicht darf, habe ich nicht gewusst.

Das klang im Interview mit „Das Ding“ – direkt nach der Veröffentlichung des Videos – noch anders:

Ist mir klar, dass in Deutschland gleich jedem die Scheide juckt, sobald man den Holocaust erwähnt, aber da sollte man nicht so einen großen Stock im Arsch haben.

Stock im Arsch

Jaja, die Scheide juckt. Und der Stock sitzt tief, wenn man im Youtubeland kritische Töne äußert. Aber viel tiefer geht die Auseinandersetzung leider nicht. Kein Diskurs durch den Webvideokünstler über Tabubrüche oder den Holocaust. Auf Rückfragen bleibt es beim Stock-im-Arsch-Vorwurf. Und dem Hinweis, dass jeder, der das nicht witzig findet, wohl einfach nichts mit schwarzem Humor anfangen kann.

Ich erlaube mir an dieser Stelle, den tief sitzenden Stock aus dem Arsch zu ziehen und als Zeigestock zu verwenden. Für all jene Internetkinder, die Nachhilfe brauchen im Schulfach: Willkommen im echten Leben!

Schwarzer Humor ist nicht, einfach nur Witze über Tabus zu machen. Alle bösen Wörter aneinanderzureihen, die man bei Mama und Papa nie sagen durfte. Und dabei ohne jede zweite Ebene so lange Fotze und Schwanz zu schreien, bis man endlich mal Aufmerksamkeit bekommt.

Schwarzer Humor genügt sich nicht selbst. Er will mehr. Und nur witzig sein schon gar nicht. Ja, er bewegt sich an der Grenze. Ärgert den „guten Geschmack“. Und zieht die Etiquette am fein geflochtenen Schleifenzopf. Aber er will damit etwas erreichen. Er will dir im Hals stecken bleiben. Er will etwas auslösen. Und zwar mehr, als nur Klicks. Und ein ach so cooles Image.

Vielleicht habe ich sie nicht gesehen, die zweite Ebene des JuliensBlog. Vielleicht war ich zu abgelenkt. Von der juckenden Scheide. Aber ich freue mich, dass er nun endlich dem gerecht wird, was er sich immer auf die Fahne geschrieben hat: Endlich hat er einen Diskurs ausgelöst. Denn seit seiner Verurteilung diskutiert das Internet. Über Kunst- und Meinungsfreiheit. Über Satire und Humor. Und das hatte das Netz bitter nötig.

Denn viele freuen sich über die wachsenden Zahlen auf Youtube, Facebook, instagram, twitter, snapchat und wo auch immer. Feiern ihre Abo-Erfolge. Und sich. Aber was das bedeutet, dass sie nun in einer Öffentlichkeit stehen wie andere C-D-F-Promis eben auch und die Konsequenzen tragen müssen, das haben einige noch nicht verstanden.

Ich glaube, das Problem liegt auch darin, dass wir noch immer vom „echten Leben“ sprechen. Als Abgrenzung zum Neuland. Oder Wasteland. Oder wie auch immer. Aber das ist Quatsch. Es ist eben nicht weniger echt. Und für die Scheiße, die du im Netz verzapfst, musst du genau so gerade stehen wie für den Müll, den du auf offener Straße tust.

Also: Willkommen im „echten“ Leben! Willkommen in der Aufmerksamkeit anderer Internetkollegen. Im Radar der Jan Böhmermanns. Und der Gerichte dieses Landes.

Wenn du mit über einer Millionen Abonnenten auf Youtube völlig zugedröhnt einen YouNow-Stream machst (ohne zweiten Boden, wie ein Olli Schulz bei der Berlinale), wenn du einen Film mit einer Vergewaltigung vergleichst oder eben streikenden Bahnführern die Vergasung wünschst, dann musst du dafür gerade stehen. Und glaube mir: die, denen du einen Stock im Arsch andichtest, das sind die, die zuletzt lachen.

Ha. Ha.

22 Kommentare

  1. Ich finde, wir dürfen schon noch mal kurz über die Definition von Humor sprechen. Humor ist das, was man braucht, um Komik zu verstehen. Und Komik finde ich nicht mal in Ansätzen in dem, was Julien da schreibt. Drastik allein ist nicht komisch. Und von Witzen sehe ich da weit und breit nichts. Nur weil Menschen darüber lachen, heißt das nicht, dass das komisch wäre. Menschen lachen bei den absurdesten Dingen. Gerade solche ohne Humor. Also sollte man doch bitte Julien und Humor beziehungsweise Komik gar nicht erst in einem Atemzug nennen.

  2. Julien war selten witzig, aber nie dann, wenn er beleidigend und asozial gewesen ist. Ich habe eine Menge verdammt schwarzen Humor. Julien war witzig und an den Stellen habe ich seine Videos wirklich gefeiert, wenn er pointiert und bissig bestimmte gesellschaftliche Themen und ihre Absurdität auseinander genommen hat. Beispielsweise als er die Scheinheiligkeit von BILD und Bibel bearbeitet hat. Props dafür, hab ich gefeiert.
    In den meisten Videos war Julien aber einfach nur asozial und beleidigend. Dafür hatte er sein Publikum, sein Publikum hat ihn dafür sogar als Vorbild gefeiert: er konnte eben die Dinge sagen, für die seine kleinen Zuschauer auf dem Schulhof auf die Fresse bekommen haben. Er wollte mit seinen Beleidigungen eben nicht provozieren, um damit einen Denkprozess in Gang zu setzen und Missstände aufzudecken. Er hat immer nur beleidigt, um platt auf Kosten anderer zu unterhalten.

    Julien ist halt kein Serdar Somuncu. Denn auch wenn sich Serdars Hassprediger oft genau wie Julien angehört hat, so war da immer noch mindestens eine Ebene mehr im Spiel.

    Ob ich die Geldstrafe okay finde? 15000 Euro sind laut Gericht 60 Tagessätze und das ist schon heftig. Und heftig muss so ein Urteil auch sein, denn bei Volksverhetzung und Verharmlosung des Holocaust darf es keine Milde geben, besonders nicht bei einer Reichweite, wie sie Julien hat. 8 Monate auf Bewährung, da habe ich keine Meinung zu. Bei der Uneinsichtigkeit, die Julien aber laut einigen Berichten zeigt, wäre es wohl besser für ihn, wenn er sein Geschäftsmodell überarbeitet und sich in Zukunft nur noch auf Rapbattles konzentriert.

    Ein Thema, das ich nun noch nicht angesprochen habe, das ist nun aber die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit. Und da ich auch kein Jurist bin, will ich hier auch sehr vorsichtig sein. Deswegen nur soviel: Artikel 1 (Würde des Menschen) ist nicht zum Spaß der erste Artikel. Die Freiheitsrechte sind hoch angesiedelt, gegenüber der Würde müssen sie aber zurückstehen und das finde ich auch richtig so. Diese Rapper quatschen ja immer ganz gerne mal von RESCHPECKT DIGGA… Respekt vor anderen Menschen meinen sie damit oftmals nicht. Vielleicht bringt dieses Urteil ja wenigstens 1-2 dieser Typen dazu, über die Worte Respekt, Achtung und Würde nachzudenken. Bei einigen habe ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben.

  3. Mir wird schlecht, wenn ich unter Youtube-Videos zum Thema massenhaft Judenwitze lese. Wenn ich gefühlt nichts tun kann, ausser einen Meldebutton zu klicken. Weil ich erlebe, dass der Versuch, zu erklären, warum Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit eben nicht bedeuten, dass ich Massenmord herabwürdigen kann und es nicht so meinen darf, im besten Fall noch als Humorlosigkeit abgetan wird.
    Da tut es gut, Marie Meimberg zu lesen und nicht allein damit zu sein.

    Es macht mich tatsächlich fassungslos, wie abwertend die Sprache dort ist und wie sie an Bedeutungsgehalt verliert. Ich finde es so unvorstellbar, wenn wir im echten Leben so miteinander reden würden. Manchmal erwische ich mich dabei, solchen Menschen mangelnde Intelligenz zuzuschreiben. Dabei ist es wahrscheinlich eigentlich mangelnde Erfahrung. Oder mangelndes „echtes“ Leben.

    Deshalb finde ich es ein wichtiges Signal, dass „echtes“ Leben im Netz ankommt. Nämlich, dass es definierte Grenzen gibt, deren Überschreitung Konsequenzen hat, die nicht weggeklickt werden können.

  4. Hm. Jetzt steht da mal was Konkretes, und dann gefällt mir das auch wieder nicht. Publikum ist schwierig.
    Aber wirklich. Die letzten zwei Absätze haben es tatsächlich geschafft, dass ich … naja, nee. Auf Juliens Seite stehen kann ich dann doch nicht, dafür ist mir der Typ zu unsympathisch. Aber jedenfalls finde ich, dass es so nicht geht.
    Wenn jemand für eine noch so missglückte Meinungsäußerung bestraft wird, ist das kein Anlass für Schadenfreude, finde ich. Wenn jemand was sagt, das mir nicht gefällt, rechtfertigt das nicht, diese Person dafür zu bestrafen.
    Und gerade in diesem konkreten Fall, wo meines Erachtens an der Widerlichkeit und Unwitzigkeit seiner Sprüche genauso wenig Zweifel bestehen kann wie an dem Umstand, dass er keine Sekunde im Ernst zum Vergasen von streikenden Lokführern aufrufen wollte, finde ich eine strafrechtliche Sanktion völlig unangemessen. Und sich darüber schadenfroh lustig zu machen, als wäre hier was Erfreuliches passiert und hätte irgendwer irgendwas gewonnen, kommt mir dann eben umso trauriger vor.

  5. Zumindest trifft es einen (aus meiner Sicht: erstaunlich) gut betuchten »Täter«: 7.500 netto pro Monat wollen ja erst einmal verdient werden.

  6. Laut dem Gericht ist die Äußerung „Volksverhetzend“, nicht einfach nur missglückt. Man kann ja den § 130 Absatz 3 StGB kritisieren, aber er gilt nun mal. Und wenn ich mir die Zitate von dem was Julien gesagt haben soll durchlese kann ich leider auch als Laie nur sagen, dass er billigend und/oder verharmlosend mit den Taten des Naziregimes öffentlich umgegangen ist.

    Ob der mit dem Stock im Arsch tatsächlich lachen sollte…ich finde dafür ist die Sache zu ernst. Selbst als jemand der nicht in dieser Zeit gelebt hat empfinde ich diese Äußerungen erheblich zu krass um schadenfroh über die Verurteilung von Julien sein zu können. Das Urteil ist gut und wichtig, aber wichtiger noch wäre zu klären dass wir keinen Stock im Arsch, sondern einfach Rückgrat haben oder eine Haltung annehmen.

    Ein Stock im Arsch ist ja die Metapher für ein künstliches Gewissen / Anhängsel. Etwas, was man nicht braucht. Was man rauziehen könnte. Dabei sollte das Unrechtsbewusstsein gerade für das Thema „Holocoust“ kein Anhängsel sein, sondern tief integriert in den menschlichen Körper. Eine Art Instinkt. Etwas, was mir keiner so leicht rausziehen kann (und einfaches reinstecken genügt eben auch nicht).

    Julien kommt es scheinbar wie ein Stock vor. Aus meiner Sicht ist es Mitgefühl, Verständnis, Haltung, Moral und Anstand. Und daraus folgernd, wie schon ein Vorredner meinte, ein Verständnis dafür, wann die Würde eines Menschen angetastet wurde.

    Da die konkrete Beurteilung noch nicht vorliegt (bzw. ich sie nicht finden kann), aber die Medien sich auf die Volksverhetzung stützen, kommt es laut §130 (3) eben nicht auf irgendeinen „Aufruf“ an. Das wäre dann eher §111 StGB oder so, aber darauf wurde sich ja nicht bezogen.

    Aber Schadenfreude lehne ich trotzdem ab. Bei so einem Prozess gewinnt keiner, aber ich hoffe es hat erzieherischen Charakter. Und so habe ich den Text von Marie Meimberg auch zu 99% gelesen – das gerade dieser Themenkomplex Rassismus und Volksverhetzung sowie Meinungsfreiheit im Internet diskutiert gehört, damit hoffentlich wesentlich weniger Menschen sagen können, dass man nicht wusste, dass es in Deutschland verboten ist, so etwas zu sagen.

  7. Ich teile da eher Muriels Sicht: Dass das Gepolter von diesem Julien unterste geschmacklose Schublade ist bedarf keiner weiteren Diskussion, aber ich halte eine strafrechtliche Verurteilung dafür weder für einen Sieg der guten Sitten, noch für ein geeignetes Erziehungsmittel um zu demonstrieren, was für Sprüche hierzulande „zu weit gehen“.

    Oder vielleicht besser anders aufgezogen: Ohne weitere Infos zu dem Fall zu haben als was hier im Artikel steht, wunderte ich mich zunächst: Das soll tatsächlich volksverhetzend im strafrechtlichen Sinne sein? In meinen Augen steht das Julien-Zitat in einer Reihe mit sehr vielen anderen rüpelhaften Äußerungen (aktuell natürlich besonders gerne gegen Flüchtlinge) – bei denen der Straftatbestand der Volksverhetzung jedoch regelmäßig verneint wird. Ich will jetzt nicht in die Untiefen der Juristerei abtauchen, aber war Juliens „Fehler“ am Ende womöglich nur, dass er Auschwitz und vergasen bemüht hat, anstatt „nur“ zu sagen „alle innen Sack und Knüppel druff“ oder „die gehören doch alle an die Wand gestellt“? Das käme mir seltsam überspezifisch vor – aber dieses Problem habe ich zugegeben häufig mit der Sonderstellung, die im deutschen Recht Straftaten mit NS-Bezug zukommt…

    Wenn es „gut und richtig“ war, Julien zu verurteilen, wäre es dann konsequenterweise nicht auch gut und richtig, gegen die (erschreckend vielen) Hasskommentare auf Facebook & Co. mit dem scharfen Schwert des Strafrechts vorzugehen? Die mindestens genauso abstoßend und menschenverachtend formuliert sind, aber eben nicht von „vergasen wie damals in Auschwitz“ sprechen? Das würde ich jedoch weder angemessen noch sachdienlich finden.

    So wie sich die Sache jetzt darstellt, scheint die Moral von der Geschicht‘ hingegen eher zu sein: Du kannst ruhig ne große Fresse haben – aber pass auf, dass du nicht Auschwitz sagst!
    Finde ich auch nicht wirklich befriedigend…

  8. @Dennis: Natürlich gilt § 130 III StGB, aber das ändert ja nichts an meiner Bewertung der Situation.
    Ich würde zwar auch die Erfüllung des Tatbestands durch Julien sehr anzweifeln, weil ich zum Beispiel die erforderliche Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, nicht erkenne, aber das ist eine andere Frage.

  9. Doch, man darf dank Meinungs- und Kunstfreiheit über vieles Witze machen – man darf aber nicht „verharmlosen“. (Den Unterschied erkennt man spätestens, wenn man jüdische Witze mit Judenwitzen vergeleicht.) Daher greift die Verteidigungsstrategie mit „schwarzem Humor“ nur, wenn überhaupt Humor vorhanden ist.

    Um das mal zu verdeutlichen, bilden wir einen kurzen Satz aus dem oben angeführten Zitat: „Streikende Lokführer sollte man vergasen.“ Mehr steht da inhaltlich nicht. „Ich fahr‘ den Zug, und zwar umsonst“ kann man mit viel Wohlwollen als „lustig“ empfinden – aber eben nicht als schwarzen Humor. Ist einfach nicht vorhanden.

    Schwarzer Humor wäre zum Beispiel: „Ich hab den Zug nach Auschwitz verpasst: Ich hatte kein Geld für die Bahnsteigkarte.“

    Wenn Sie jetzt hier nicht lachen konnten, liegt es an mir: Ich bin kein Witzeschreiber. Aber ich glaube, das Prinzip wird klar…

  10. @Überfall: „alle innen Sack und Knüppel druff“ oder „die gehören doch alle an die Wand gestellt“? Ja, genau das wäre gegangen. Und ja unsere Rechtssprechung ist da sehr spezifisch. Aber wie gesagt, man kann das Urteil einfach nicht anfechten – wenn man will kann man §130 kritisieren. Oder das Grundgesetz und speziell Artikel 1. Hängt alles dicht am Thema NS Regime / Nazizeit, siehe den Kommentar zu Absatz 2 –> https://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_1_des_Grundgesetzes_für_die_Bundesrepublik_Deutschland

    Wenn es „gut und richtig“ war, Julien zu verurteilen, wäre es dann konsequenterweise nicht auch gut und richtig, gegen die (erschreckend vielen) Hasskommentare auf Facebook & Co. mit dem scharfen Schwert des Strafrechts vorzugehen?
    Wenn es Kommentare sind die stark in die Richtung gehen, die Julien einschlug, vermutlich schon. Jeden Einzelfall zu verfolgen ist schwer. Das eklige Kommentar was keiner anzeigt, wird vielleicht vom Customer Care Agent bei Facebook demnächst gelöscht – aber die die angezeigt werden, werden auch Gegenstand einer Ermittlung. Nicht immer wegen Volksverhetzung, es gab auch schon einige Ermittlungsverfahren gegen Kommentatoren die zu einer Straftat aufgerufen haben (bspw. Az. 4 Ss 42/2007, Oberlandesgericht Stuttgart)

    @Muriel: Ja, das mit dem öffentlichen Frieden ist ziemlich schwammig. Laut Wikipedia: „Der öffentliche Friede ist ein Begriff aus dem deutschen Strafgesetzbuch. Er bezeichnet den Zustand eines von der Rechtsordnung gewährleisteten, frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Bürger und das Vertrauen in der Bevölkerung, mindestens einer nicht unbeträchtlichen Personenzahl, in das Fortdauern dieses Zustandes“https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentlicher_Friede

    Ich denke die Äußerung von Julien, nicht öffentlich verurteilt so stehen zu lassen, würde mich beunruhigen. Ich würde mich fragen, ob er einer signifikanten Mehrzahl an Menschen aus dem Herzen spricht, wenn er das sagen kann ohne Konsequenzen zu fürchten. Ich würde nicht furchtlos in der Gemeinschaft leben können. Mein Frieden wäre dadurch gestört.

    Das Gesagte wurde aber angezeigt, im Namen des Volkes ein Urteil gesprochen und ich fühle mich dadurch wohl. Dass die Öffentlichkeit, die Rechtssprechung das auch so sieht wie ich. Für mich ist dadurch der öffentliche Frieden wiederhergestellt.

  11. @Dennis: Meines Wissens ist der Maßstab, den Gerichte an eine Störung des öffentlichen Friedens legen (sollten) doch ein anderer als der in deinem Kommentar. Insbesondere sind die Gerichte auch verpflichtet, das besondere Gewicht zu berücksichtigen, dass der Meinungsfreiheit zukommt und zum Beispiel Äußerungen in ihrem Kontext auszulegen, und so weiter.
    Aber das kann sogar dahin stehen, denn zumindest sind wir uns ja einig, dass die Entscheidung des Gerichts auch mit guten Gründen anders hätte ausfallen können, und mehr will ich gar nicht. Dass §130 III StGB auch (zumindest ungefähr) so ausgelegt werden kann, wie du es tust, mag nämlich wiederum ich nicht bestreiten, und illustriert in meinen Augen auch ganz wunderbar, warum der dringend ersatzlos gestrichen gehört.

  12. Hey Muriel – ich schaff’s jetzt nicht ganz alles durchzulesen. Ich habe das Dokument ein wenig gescannt – gibt es eine bestimmte Textstelle die Du meinst? Ich bin bspw. über den Absatz 37 gestolpert…der hört sich exakt so an, wie ich exemplarisch oben meine Definition von der Störung eines öffentlichen Friedens gemeint habe.

    „Auch bezüglich des Tatbestandsmerkmals der Störung des öffentlichen Friedens bestünden im Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach seinem Wortsinn setze der Begriff des öffentlichen Friedens nicht nur die Erfüllung von Sicherheitsbedürfnissen voraus. Vielmehr gehöre hierzu auch ein Mindestmaß an Toleranz und ein öffentliches Klima, das nicht durch Unruhe, Unfrieden und Unsicherheit gekennzeichnet sei und in dem einzelne Bevölkerungsgruppen nicht ausgegrenzt würden. Eine solche „Vergiftung des politischen Klimas“ könne gerade durch die positive Darstellung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erfolgen. Denn einem solchen System sei es immanent, dass das Entstehen eines Meinungsklimas propagiert werde, in dem – auch zur Erlangung politischer Macht – bestimmte Menschen zunächst ausgegrenzt und letztlich physischer Gewalt ausgesetzt würden. Der öffentliche Friede sei gestört, wenn offene oder latente Gewaltpotentiale geschaffen würden und damit in dem angegriffenen Bevölkerungsteil das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werde. Denn ein solches Szenario erschüttere das Vertrauen aller Bevölkerungsteile darauf, in der Bundesrepublik Deutschland vor gewaltsamen Einwirkungen geschützt zu sein, weil nicht die Gewähr bestehe, dass sich Handel und Wandel innerhalb der Staatsgrenzen im Einklang mit Gesetz und Verfassung vollziehen würden.“ Quelle

    Aus meiner Sicht kann man das Urteil auch gut und gerne ohne § 130 StGB zu zitieren festmachen. Menschenwürde – fertig. Watt meist Du?

  13. @Dennis: „Ich habe das Dokument ein wenig gescannt – gibt es eine bestimmte Textstelle die Du meinst?“
    Das tut mir leid, ich hätte das wirklich besser erklären müssen. Kommt davon, wenn man nebenbei noch schnell einen Kommentar schreiben will. Ich habe keine Einwände gegen deine Definition, die ist wie vieles von Wikipedia völlig in Ordnung. Es ging mir mehr um die Methodik der Anwendung, die ich anhand der BVerfG-Entscheidung illustrieren wollte, um zu zeigen, dass es zum Glück nicht reicht, dass dich die Äußerungen beunruhigen und durch die Strafe dein Friede wiederhergestellt ist. Aber das müssen wir wirklich nicht vertiefen. Wie die Rechtsprechung mit dieser Norm umgeht, ist für mich in der Bewertung des Sachverhalts sehr zweitrangig.

    „Aus meiner Sicht kann man das Urteil auch gut und gerne ohne § 130 StGB zu zitieren festmachen. Menschenwürde – fertig. Watt meist Du?“
    Ich fürchte… also… Nee, lass uns bitte nicht mit Menschenwürde anfangen. Und was ich zu der Idee meine, eine Strafe einfach auf Basis eines solchen Konzeptes ohne klare Strafnorm oder sonstige Grundlage zu fordern, mag ich leider nicht formulieren, ohne mich dem Risiko auszusetzen, selbst etwas Justiziables zu äußern, deswegen bin ich dann wohl raus aus dieser Diskussion, bedanke mich aber für den Versuch einer Verständigung.

  14. Wie immer gerne Muriel. Ich versuche ja das ganze mit dem System zu begründen…das musste ja so kommen. Einen schönen Abend noch und bis zum nächsten Mal!

  15. Also… juliensblog ist eine Künftiger. Ob man das selbst als Kunst sehen will sei dahingestellt. Ebenso ob das nun lustig ist oder nicht. Humor ist eben keine Definitionssache. Millionen Menschen finden Mario Bart lustig,da frag ich mich auch was da falsch ist und rein theoretisch könnte man dem Sexismus vorwerfen.

    Juliensblog wird also bestraft weil er blöderweise( mit falschen Worten) das gesagt hat was wir alle denken… Die deutsche Bahn ist scheisse. Aber uhhh wir sind Deutschland. Ist ein Judenwitz drin bist du Nazi oder ein Volksverhetzer… Oh mom Pegida und AFD… Ach ne das sind ja nur besorgte Bürger… Denkt da mal drüber nach

  16. @Lilly: Er hat nicht nur gesagt, dass die deutsche Bahn Scheiße ist, und er hat auch nicht nur einen Judenwitz gemacht, was auch schon bedenklich genug gewesen wäre, er hat (wenn auch wohl nicht ernstlich) zum Vergasen einer klar abgegrenzten Gruppe von Menschen aufgerufen und diese als „Mistviecher“ bezeichnet.
    Gerade weil ich ja eher zu denen gehöre, die die Strafe für ihn für keine gute Idee halten, fühle ich mich gedrängt, klar festzuhalten, dass er damit nicht einfach nur „gesagt hat was wir alle denken“.

  17. Nichts für ungut, ich sähe Julien angesichts dessen, was er verzapft, auch gerne geschädigt, aber die Strafe ist für ein paar gesprochene Worte doch objektiv viel zu hoch. Finanzielle Strafen oder allgemein die Anwendung des Zivilrechts wären ja OK und geeignet. Aber was hier für ein Urteil gesprochen wurde, ist völlig unverhältnismäßig. Bewährungszeit von 3 Jahren sowie 8 Monate Haft bei Verletzung der Bewährungsauflagen und das für eine (zugegeben extrem geschmacklose) Meinungsäußerung?! Es reicht zukünftig schon eine Verurteilung wegen des Duzens eines Polizistens oder zufällig in eine Schlägerei zu geraten und der nächste Prozess endet mit Sicherheit mit Gefängnis. Das kann man doch nicht angemessen finden. Lesen Sie mal regelmäßig Artikel zu Gerichtsprozessen, da werden Menschen vergleichbaren Alters mit begangener Körperverletzung oder Raub weit weniger streng verurteilt. Nochmal: Hier wurde lediglich gesprochen. Niemand wurde verletzt.

    Wer diese unverhältnismäßige Strafe für ein Meinungsvergehen als Journalist OK findet, ist aus meiner Sicht in diesem Job in einer freien Gesellschaft nicht richtig aufgehoben.

    Leider reiht sich die Meinung damit nahtlos in die restliche deutsche Medienlandschaft ein, in der Minister Maas medial applaudiert wird, wenn er Facebook zu mehr Selbstzensur zwingt – auch wenn keiner kotrolliert, wer in der Folge was löscht. Gerne wird auch unqualifiziert von härteren Strafen für sogenannte „Hetzpostings“ und „Hasskommentare“ geschrieben, ohne dass Straftaten vorliegen. Vielen ist offenbar der Unterschied zwischen Geschmacklosigkeiten und Straftat nicht klar. Nur so war auch die Verfolgung des Pegida-Galgen-Mannes, der Karnevals-Panzer oder der Aufschrei wegen Redner-Äußerungen auf Pegida-Demos erklärbar. Vom Deutschlandfunk, über Tagesschau bis in die Zeitungen wurden Ermittlungen wegen Volksverhetzung gefordert und die Staatsanwaltschaft ermittelte. Herausgekommen ist bisher nichts. Alles eingestellt oder im Sande verlaufen.

    Die Menschen müssen begreifen, dass geschmacklose oder hässliche oder unangenehme Äußerungen zur Meinungsfreiheit dazugehören und auszuhalten sind. Egal, wie abscheulich man die Personen findet. Das müssten Journalisten eigentlich vermitteln. Stattdessen tun die, die sonst bei Russland oder Chalie Hebdo die Apologeten der Meinungsfreiheit sind, das Gegenteil.

  18. Liebe Lilly, Ihr Logikmodul ist derzeit wohl generell defekt. Wenn Julien tatsächlich hätte ausdrücken wollen „Die Deutsche Bahn AG ist Scheisse“, dann hätte er ja voll auf Linie der streikenden Lokführer gelegen.

    Die Lokführer waren es doch, die die Deutsche Bahn AG kritisiert haben: Überstunden können nicht abgebaut werden, Dienstpläne werden nicht langfristig geplant, Kollegen mit gleicher Tätigkeit verdienen völlig unterschiedliches Gehalt. Das ist die Charkterisierung der Deutschen Bahn AG durch die Lokführer, nicht durch Julien.

    Julien hat die Arbeitnehmer mit verletzenden Worten angegriffen, die es wagen können, gegen dieses Unternehmen zu streiken. Er findet also die Deutsche Bahn AG supertoll.

  19. Und noch etwas: Die Deutsche Bahn AG ist immer noch zu 100% in Besitz des Bundes. Wie dieses Unternehmen sich verhält, ist im Wesentlichen durch die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen der Bahnreform bestimmt.

    Wenn Julien also tatsächlich die Deutsche Bahn AG kritisieren wollte, dann wäre der Ansprechpartner die Bundespolitik gewesen, aber nicht die bei diesem Unternehmen angestellten Arbeitnehmer.

    Aber es ist natürlich viel einfacher, erst mal nach unten zu treten, und das dann auch noch als Kunst oder Satire zu verklären, anstatt sich wirklich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen und ernsthaft etwas bewirken zu wollen.

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