„Checkpoint“

Und täglich grüßt die Gegendarstellung

Der bekannte Anwalt Christian Schertz legt Wert auf die Feststellung, dass er nach wie vor für die Berliner Senatskanzlei tätig ist. Er legt soviel Wert darauf, dass er dafür gesorgt hat, dass diese Feststellung heute schon zum vierten Mal innerhalb von acht Tagen im „Checkpoint“-Newsletter des Berliner „Tagesspiegels“ steht – und das, obwohl der „Checkpoint“ nie direkt das Gegenteil behauptet hat.

Die Sache hat eine Vorgeschichte:

Im März 2016 enthüllte die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“, dass es einen Vertrag zwischen dem Land Berlin und der Kanzlei Schertz Bergmann gibt. Danach bekam die Kanzlei monatlich eine Pauschale in Höhe von 3500 Euro für die Beratung und presserechtliche Vertretung des Regierenden Bürgermeisters – eine in dieser Form höchst ungewöhnliche Konstruktion. Mit dieser Flatrate waren bis zu 15 Stunden Beratungsleistungen abgegolten; für jede weitere waren 350 Euro pro Stunde vereinbart. Die Senatskanzlei hatte vorher den Eindruck erweckt, es gebe einen solchen Vertrag nicht.

Im Frühjahr 2017 wurde dieser Berater-Vertrag mit der enthaltenen Pauschale einvernehmlich aufgehoben. Mehrere Zeitungen, die berichtet hatten, dass die Senatskanzlei ihn gekündigt hätte, mussten Berichtigungen abdrucken, auch der „Tagesspiegel“.

Soweit das.

Am 15. Mai März nahm Lorenz Maroldt in seinem „Checkpoint“ eine aktuelle Mitteilung von Schertz, die er merkwürdig fand, zum Anlass zu folgender, typisch launiger Bemerkung:

Seit Rechtsanwalt Christian Schertz nicht mehr als Gegendarstellungs-Pauschalist der Senatskanzlei dient, hat er offenbar wieder mehr Zeit in eigener Sache – es lohnt sich schon jetzt, einen Schertz-Ordner anzulegen.

Das scheint unproblematisch, denn Christian Schertz hat ja tatsächlich keine Pauschale mehr. Schertz ging dennoch dagegen vor – und bekam vor Gericht in zwei Instanzen recht. Das Kammergericht Berlin schrieb in einem Beschluss:

Der Senat geht – wie das Landgericht – davon aus, dass die Formulierung „Seit Rechtsanwalt Christian Schertz nicht mehr als Gegendarstellungs-Pauschalist der Senatskanzlei dient“ unter Berücksichtigung des Kontextes dahin zu verstehen ist, dass er (überhaupt) nicht mehr mit der Durchsetzung von Gegendarstellungen für die Senatskanzlei beauftragt ist.

Der „Durchschnittsleser“, so das Gericht, verstehe die „Checkpoint“-Formulierung nicht so, dass Schertz

nunmehr nicht mehr im Rahmen eines Pauschalvertrages, sondern auf einzelvertraglicher Basis für die Senatskanzlei tätig wird. Denn der Schwerpunkt der Aussage liegt in der Mitteilung, dass der Antragsteller der Senatskanzlei nicht mehr bei der Durchsetzung von Gegendarstellungen dient, und nicht in der Mitteilung, welche vertraglichen Regelungen dem zugrunde liegen.

Dass der „Checkpoint“-Text als Ende der Arbeit für den Senat – und zwar nur so – verstanden werden müsse, ergebe sich aus dem Zusammenhang und aus der Formulierung, dass Schertz „offenbar wieder mehr Zeit in eigener Sache habe“.

Maroldt musste also im „Checkpoint“ eine Gegendarstellung veröffentlichen. Den ersten Anlauf nahm er am Montag vergangener Woche, aber Maroldt ließ es sich nicht nehmen, sie entsprechend einzuordnen. Und so stand da:

Und weiter geht’s mit einem Beitrag aus der beliebten Rubrik „User Generated Content“, in diesem Fall, und das ist eine Checkpoint-Premiere, aus der neu eingerichteten Unterabteilung „Advocatus Generated Content“. Na, dann schauen wir doch mal rein:

Gegendarstellung

„Sie schreiben in ‚Tagesspiegel Checkpoint‘ vom 15. März 2017 in der Rubrik ‚Kurzstrecke‘:
‚Seit Rechtsanwalt Christian Schertz nicht mehr als Gegendarstellungs-Pauschalist der Senatskanzlei dient‘
Hierzu stelle ich fest: Ich bin weiter für die Berliner Senatskanzlei tätig.
Berlin, den 20. März 2017, Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz.“

Dazu auch folgende Anmerkung: Der Beratungsvertrag zwischen Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz und der Senatskanzlei wurde einvernehmlich aufgehoben. Die Senatskanzlei teilt dazu auf Anfrage ergänzend mit: „Rechtsanwalt Professor Schertz ist in konkreten presserechtlichen Einzelfällen für die Senatskanzlei tätig.“ Eine Antwort darauf, in welchen und wie vielen konkreten Einzelfällen Prof. Dr. Schertz für die Senatskanzlei tätig war oder ist, gibt es nicht. (…)

Das war zwar informativ, aber juristisch unzulässig – das wusste auch Lorenz Maroldt. Eine Redaktion darf eine Gegendarstellung am Tag ihres Abdrucks nicht in solcher Form entwerten.

Also musste der „Checkpoint“ Schertz Text, wenig überraschend, noch einmal veröffentlichen, ohne solche Zusätze, und tat das dann am Mittwoch:

Gegendarstellung

„Sie schreiben in ‚Tagesspiegel Checkpoint‘ vom 15. März 2017 in der Rubrik ‚Kurzstrecke‘:
‚Seit Rechtsanwalt Christian Schertz nicht mehr als Gegendarstellungs-Pauschalist der Senatskanzlei dient‘
Hierzu stelle ich fest: Ich bin weiter für die Berliner Senatskanzlei tätig.
Berlin, den 20. März 2017, Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz.“

Auch damit gab sich Schertz nicht zufrieden. Er monierte die Anführungszeichen am Anfang und am Ende. Laut Gerichtsbeschluss muss der „Checkpoint“ die Gegendarstellung in genau der geforderten Form veröffentlichen, und die enthält keine Anführungszeichen.

Eine erneute Veröffentlichung wurde fällig, und so lasen die erstaunten „Checkpoint“-Leser am Freitag:

Gegendarstellung

„Sie schreiben in ‚Tagesspiegel Checkpoint‘ vom 15. März 2017 in der Rubrik ‚Kurzstrecke‘:

‚Seit Rechtsanwalt Christian Schertz nicht mehr als Gegendarstellungs-Pauschalist der Senatskanzlei dient‘

Hierzu stelle ich fest: Ich bin weiter für die Berliner Senatskanzlei tätig.

Berlin, den 20. März 2017,

Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz.“

Ja, richtig, da waren die Anführungszeichen wieder drin. Nach Angaben von Lorenz Maroldt hat der Frühdienst sie vor der Veröffentlichung versehentlich wieder in den Text eingebaut.

Weshalb die „Checkpoint“-Leser nun heute früh zu lesen bekamen:

Gegendarstellung

Sie schreiben in „Tagesspiegel Checkpoint“ vom 15. März 2017 in der Rubrik „Kurzstrecke“:

„Seit Rechtsanwalt Christian Schertz nicht mehr als Gegendarstellungs-Pauschalist der Senatskanzlei dient.“

Hierzu stelle ich fest:

Ich bin weiter für die Berliner Senatskanzlei tätig.

Berlin, den 20. März 2017

Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz.

Anmerkung: RA Schertz hat recht. Die Redaktion

Damit, hofft Maroldt, ist nun die Gegendarstellung ordnungsgemäß veröffentlicht worden. Durch den Nachsatz soll auch gleich Schertz‘ Anspruch auf einen Widerruf erledigt sein.

Das ist alles ein bisschen lustig und ein bisschen ärgerlich – insbesondere, da der nunmehr viermal veröffentlichte Text rätselhaft bis irreführend ist: Schertz‘ Satz, er sei weiter für die Senatskanzlei tätig, widerspricht ja gar nicht dem davor zitierten Satz des „Checkpoint“. Lorenz Maroldt überlegt, ob er versuchen soll, das dem geneigten „Durchschnittsleser“ morgen noch einmal zu erklären.

Früher war Schertz übrigens auch als Anwalt für den „Tagesspiegel“ tätig. Nach Angaben von Maroldt hatte er einen Pauschal-Vertrag. Der vertrug sich aber nicht gut mit Schertz‘ Arbeit für den Regierenden Bürgermeister, wenn der gegen den „Tagesspiegel“ vorgehen wollte, was gelegentlich vorkam.

Korrektur, 10:40 Uhr. Hier stand zunächst irrtümlich, dass Schertz gleichzeitig Pauschal-Verträge mit dem „Tagesspiegel“ und der Senatskanzlei hatte. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

15 Kommentare

  1. Anwälte sind Zöllner, Wegelagerer und Ablasshändler in einem, und genausoviel verdienen die auch. Immer schön nach eigens erstellter Gebührenordnung abkassieren. Da wird nie und nimmer ein Politiker drangehen.

  2. „Onlinekommentatoren sind faule, fette Klugscheißer, arbeitslos und verdienen auch genauso viel! Immer schön Hartz und Kindergeld für den eigens erstellen Nachwuchs kassieren. Da wird aber nie ein Politiker was dran machen!“

    Hach, ich liebe dümmliche Verallgemeinerungen.

    (Off-Topic Kommentare generell löschen – Ich bin stark dafür!)

  3. Ich fände es witzig, wenn der Checkpoint quasi als Running-Gag den Text weiterhin jeden Tag so wie vom Autor gewünscht veröffentlicht. Vielleicht in einer Rubrik „Gegendarstellungen“ zum Abschluss.

  4. Komm Andi, da war ja wohl ’ne dreifach Alliteration mit wenig Aufwand drin. Zusammen mit der dreifachen Wiederholung des Wahnsinns hätten wir eine krasse Akkumulation.

    „Wahnsinnige Märchen, wahnsinnige Mätzchen, wahnsinnige Mäxchen.“
    Voll die Chance verpasst.

    Ach ne, quatsch, ging ja nur ums Linkdropping, sorry!

  5. @Stefan Niggemeier
    Mir scheint, da kann was an den Daten nicht stimmen, es müsste an der einen Stelle vermutlich „15. März“ statt „15. Mai“ heißen.

    Sind die vollständigen Beschlüsse eigentlich irgendwo veröffentlicht?

    Das war zwar informativ, aber juristisch unzulässig – das wusste auch Lorenz Maroldt. Eine Redaktion darf eine Gegendarstellung am Tag ihres Abdrucks nicht in solcher Form entwerten.

    Das würde mich genauer interessieren, woraus sich das ergeben soll, gerade vor dem Hintergrund um die Posse rund um Bild und Lafontaine damals.

    In dem Zusammenhang ein allgemeiner Wunsch von mir: wie wäre es mit einer eigenen Rubrik/Kolumne „Medienrecht“ auf Übermedien? Hier und da wäre etwas rechtlicher Hintergrund zur besseren Einordnung sicher hilfreich.

    (Um mal mit einem – allerdings wenig geeigneten – Beispiel anzufangen: warum sich Schertz‘ Arbeit für den Regierenden Bürgermeister nicht mit seinem Vertrag mit dem Tagesspiegel vertragen hat, ergibt sich hieraus bzw. hieraus).

  6. Wie wäre es mit wahnsinniger Wahnsinnswahnsinn?!
    Und Mätzchen und Mäxchen und Märchen-da lassen wir uns noch was geiles einfallen,Wortspielhölle wir grüssen dich…

  7. @Pepito: Ja, das muss März heißen, nicht Mai, danke!

    Über die Details, wann die Antwort einer Redaktion eine Gegendarstellung „entwertet“, kann ich auch nichts sagen. Das ist natürlich eine Grauzone, die immer im Einzelfall verhandelt werden muss.

    Schertz‘ Arbeit für den „Tagesspiegel“ vertrug sich natürlich auch ganz banal insofern nicht mit der Arbeit für den Regierenden, weil er ja nicht beide Seiten vertreten konnte.

  8. Achso, danke für die Erläuterungen. Ich hatte das für eine Realsatire a’la Böhmermann gehalten. Ich finde den Vorschlag von „BERNHARD“ super!
    Ahoi

  9. Ach ja, es ist schon merkwürdig, warum der Berufsstand der Juristen mittlerweile so einen schlechten Ruf hat – natürlich gibt es hier auch gute Rechtsanwälte. In der Zeit, in der sich Herr Dr. Schertz um diese Angelegenheit gekümmert hat, hätte er auch ehrenamtlich gute Arbeit für andere leisten können – aber nein, die „Anführungszeichen“-Affäre ist ja zu wichtig für ihn.

    Bernhards Vorschlag wäre toll, BITTE UMSETZEN!

    Alternativ könnte ja jeder in seinen sämtlichen Mails, Facebook-Postings, twitter-Nachrichten stets den Text runtersetzen (mit extra Anführungszeichen!):

    „“““““““Gegendarstellung

    Sie schreiben in „Tagesspiegel Checkpoint“ vom 15. März 2017 in der Rubrik „Kurzstrecke“:

    „Seit Rechtsanwalt Christian Schertz nicht mehr als Gegendarstellungs-Pauschalist der Senatskanzlei dient.“

    Hierzu stelle ich fest:

    Ich bin weiter für die Berliner Senatskanzlei tätig.

    Berlin, den 20. März 2017

    Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz.

    Anmerkung: RA Schertz hat recht. Die Redaktion“““““““

  10. Der Spielraum für redaktionelle Zusätze zur Gegendarstellung, auch Redaktionsschwanz genannt, ist an sich nicht so gering. Das Kammergericht hat in seinem Urteil vom 27. Juli 2007 (Az. 9 U 12/07) ausgeführt, dass der „Redaktionsschwanz“, soweit es an einer spezialgesetzlichen Regelung fehlt, „nur ausnahmsweise unzulässig“ ist, wenn er sich „als Schikane, sittenwidrige Schädigung oder Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt … bzw. wenn er den Zweck der Gegendarstellung vereitelt, dem Betroffenen Gehör zu geben und die Öffentlichkeit zu informieren…“

    Das kann ich selbst bei Lorenz Maroldts ironischer Einbettung der Gegendarstellung nicht erkennen.

    § 10 Abs. 3 des Berliner Pressegesetzes schreibt lediglich vor, dass die Gegendarstellung „in dem gleichen Teil des Druckwerks und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt“ wird und „nicht in Form eines Leserbriefs erscheinen“ darf.

  11. @Jur.: Ob die erste Gegendarstellung die „Form eines Leserbriefs“ hatte, darüber könnte man vielleicht schon streiten. Weil Marold sie ja ironisch in die Nähe des User Generated Contend stellte. Aber auch darüber hätte man sicher lange vor Gericht streiten können.

  12. @Pepito, Stefan: Presserecht ist Landesrecht, m.W. gibt es da unterschiedliche Regelungen, wie die Redaktion eine Gegendarstellung einbetten darf.

  13. @Jur., O aus H
    Danke für die Hinweise. Die Landespressegesetze scheinen bezüglich des Gegendarstellungsrechts weitestgehend identisch zu sein (Ausnahme: Bayern). Entscheidend dürfte tatsächlich § 10 Abs. 3 Satz 4 LPresseG sein:
    „Wer sich zu der Gegendarstellung in derselben Nummer äußert, muß sich auf tatsächliche Angaben beschränken.“
    Danach dürfte die Gegendarstellung des Tagesspiegels bzw. der „Redaktionsschwanz“ eigentlich nicht zu beanstanden gewesen sein.

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