Die Autorin
Sarah Kuttner ist Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin und Gastgeberin der Sendung „Kuttner plus Zwei“ (ZDFneo). Anfang des Jahres ist ihr dritter Roman „180 Grad Meer“ erschienen.
Heute Abend bin ich mit Stefan Niggemeier verabredet, um gemeinsam den Staffelstart von „Der Bachelor“ zu sehen. Gestern fragte er mich, ob wir über die Sendung livebloggen wollen. Darüber, was den Reiz solcher Formate ausmacht. Erst gebauchpinselt, sah ich plötzlich diverse meiner Felle wegschwimmen. „Ich sehe das doch nur auf eine gehässige Art. Ich weiß nicht ob ich das mit der ganzen Welt teilen sollte!“, schrieb ich, mein leichtes Schwindelgefühl nicht aus den Augen lassend.
Aber vielleicht schulde ich tatsächlich allen Menschen, die je im RTL-Dschungel waren oder in einer Villa in Südafrika zu zwanzigst um einen dümmlichen Single buhlten, eine nähere Betrachtung meiner zweifelhaften Intentionen. Ich brauche dafür nur etwas mehr Zeit und Platz, als ein Liveblog zulassen würde. Und ich will auch nichts verpassen heute Abend.
Es stimmt natürlich. Ich sehe solchen Mist gern. Ich sehe ihn nicht ironisch. Und ich sehe ihn nicht wegen der so irre kreativen und schaurig-ekligen Dschungelprüfungen oder der romantischen Helikopter-Dates mit anschließender erotischer Käseverkostung auf Ikea-Tagesdecke in der Wüste. Während dieser Abschnitte der Sendungen darf bei mir immer gern gequatscht, nachgeschenkt oder gepullert werden. Da bin ich großzügig, aber unbedingte Ruhe muss spätestens dann wieder eintreten, wenn die Kandidaten unter sich sind. Im sogenannten Alltag gefilmt werden. Beim Streiten. Beim Meckern, beim Selbstdarstellen, beim Menscheln. Oder bestenfalls eben beim Unmenscheln. Dann wird es interessant für mich. Und dann werde ich auch schon mal laut, wenn genau in diesen Momenten meine Fernsehbegleitung etwas sagen möchte.
Die gängige Meinung zu den genannten Sendungen ist ja, dass man das sogenannte Unterschichtenfernsehen ausschließlich aus narzisstischen Gründen sieht. Um sich zu erheben. Sich besser / schöner / interessanter / schlauer / moralischer zu fühlen als die armen Würste im Fernsehen. Außer man gehört selbst der Unterschicht an. Dann ist man wohl einfach nur dumm. (Wobei ich bei dieser Gelegenheit schon gerne mal sehen würde, wer eigentlich die Hand heben würde, wenn in die Runde gefragt würde: „Ey, wer von euch ist eigentlich Unterschicht?“ Vermutlich würde ich mich, einer Übersprungshandlung folgend, einfach selbst melden.)
Jedenfalls habe ich das so verstanden. Dumme Menschen im Fernsehen ansehen als Aufwertung des eigenen Egos.
Der Ansatz erscheint mir auf den ersten Blick nachvollziehbar. Man kann seinen eigenen Stellenwert in der Gesellschaft ein bisschen korrigieren, oder (ist man selbstbewusst genug) festigen. Soweit, so armselig.
Als ich diesem Gedanken ein wenig nachhing, um zu sehen, ob dieser unattraktive Hut auch auf meinen semiattraktiven Kopf passen könnte, schwindelte es mir sogar noch ein bisschen mehr, denn es öffnete sich plötzlich eine ganz andere, bisher versteckte Tür. Der Pottersche Bahnsteig 9 3/4 quasi.
Da wir hier, zumindest noch, weitgehend unter uns sind, möchte ich Sie gerne an meinen, für einige von Ihnen vielleicht erschreckenden, Gedanken teilhaben lassen. Wir können uns am Ende dieses Textes ja notfalls einfach darauf einigen, dass ich bei der Unterschichtenumfrage vollkommen zurecht die Hand gehoben habe.
Was mich bei der konzentrierten Beobachtung diverser C-Promis im Dschungel und zahlreicher, meist beeindruckend im Oberkörperbereich ausgestatteter Damen beim Bachelor kriegt, also nicht nur interessiert, sondern wirklich kriegt, ist deren Fehlbarkeit.
Natürlich triggern mich anfangs immer die furchtbaren Leute. Die Walter Freiwalds, Helena Fürsts und Giulia Siegels dieser Welt. (Die Namen der besonders furchtbaren Bachelor-Damen habe ich bereits wieder vergessen, bitte entschuldigen Sie. Irgendeine Chrissy wird schon dabei gewesen sein.) Die entzünden erst mal ein angenehmes Strohfeuer in meinem privaten Hasstresor. Das hält so ein bis drei Sendungen lang. Dann aber, wenn mein Hass aufgebraucht ist, ich all meine Verachtung wie Kamelle unters Volk geschmissen habe, fange ich an zu sympathisieren. Und zwar nicht, weil ich ein besonders guter, gar gütiger Mensch bin, sondern weil ich beginne, diese armen Würste mit mir zu vergleichen.
Und wenn ich dann ganz ehrlich bin, erwische ich mich dabei, die anstrengenden Kackbratzen, die mir so furchtbar auf die Nerven gehen, zu verstehen. Weil ich nämlich zum Beispiel auch nicht so irre gut flirten kann, genau wie die dralle Chrissy da im Fernsehen. Weil ich oft auch etwas zu laut bin, zum Lästern neige und zuweilen ein wenig überemotional reagiere. Die bockige Angelina zum Beispiel: Bei der vorletzten Bachelor-Staffel hatte sie sich ihr offizielles Nein vom glubschäugigen Klaus, oder wie er hieß, abgeholt, und danach hatte sie keinen Bock mehr, sich noch von ihm zum Auto begleiten zu lassen und stolperte (sicher zum Horror der gesamten Redaktion) eingeschnappt weg. Dafür habe ich sie sehr ins Herz geschlossen. Das hätte mir auch gut passieren können. Vielleicht wäre ich sogar noch laut und verletzend geworden. Die kindliche Eifersucht, die sie des weiteren nahezu berühmt machte, kann ich auch nachvollziehen. Hätte ich Interesse an dem glubschäugigen Klaus, dann würde ich auch nicht wollen, dass er noch andere Girls in knappen Bustiers küsst.
Dasselbe, wenn nicht noch ausgeprägter, spüre ich beim Dschungel. Ich bin sicher, dass man tatsächlich nach einiger Zeit die Kameras im Gestrüpp vergisst. Und dass man dann sein wahres Gesicht zeigt. Womit natürlich immer geworben wird, die Kandidaten erklären ja im Grunde selbst alle Nase lang, endlich zeigen zu wollen, wer sie wirklich sind. Nur sind wir eben dann am wirklichsten, wenn wir vergessen, dass Deutschland zusieht. Wenn wir am Lagerfeuer sitzen und flüsternd den Ricky auslachen, weil er beim Verteilen der Belohnungsbanane vergessen wurde. Und ja, das ist furchtbar, vor allem, weil der Ricky so gerne Bananen isst, und ja eh gerade so traurig ist, weil keiner ihn lieb hat, aber hey: Vermutlich würde ich wild mitkichern, säße ich da am Feuer. Vielleicht wäre er mir mit dem Mund voller Banane sogar wieder eingefallen und ich hätte trotzdem weitergegessen und die Klappe gehalten.
Und natürlich verachten wir alle ein wenig Helena Fürst dafür, dass sie sich in den Dschungelprüfungen so verweigert. Aber in den Tiefen meines Herzens bewundere ich sie dafür. Ich wäre ähnlich. Vielleicht schlimmer. Ich hätte auch Angst, Ekel und aus dem legatschen Drill entstehende Grundbockigkeit. Vielleicht würde ich anders als die Fürst nicht zeitgleich, zum Kompensieren, meine eigene Geilheit vor laufender Kamera überbetonen, andererseits: Was weiß ich denn? Vielleicht würde ich sogar am Lautesten krähen, dass das Publikum mich augenscheinlich liebt. Oder lieben sollte.
Das ist ja eh etwas, was die Zuschauer immer ganz eklig finden: Selbstdarstellung oder -vermarktung. Jeder sollte doch möglichst er selbst und ganz natürlich, bestenfalls Gluten-frei sein. Aber ist das nicht vollkommener Quatsch? Ich versuche doch auch, möglichst ansprechend, gut riechend, schlau oder zumindest schlagfertig bei einem Date oder Bewerbungsgespräch zu sein. Ist das nicht legitim, sogar evolutionär gesehen fürs Überleben unerlässlich?
Wer bin ich denn, mich über einen Haufen Mädchen zu echauffieren, die im Fernsehen um einen durchschnittlich interessanten BWL’er rumschwarwenzeln? Wenn sich nur alle elf Minuten jemand auf Parship verliebt (vermutlich auch noch nur einseitig) und auf Tinder alle nur noch vögeln wollen, warum denn dann nicht auf RTL Liebe oder zumindest Anerkennung suchen? Zugegeben: Mein Weg wäre es nicht. Ich suche und finde die Liebe woanders und Anerkennung lieber in den Öffentlich-Rechtlichen. Aber sollte das nicht jeder machen dürfen, wie er es für richtig hält?
Sie sehen hoffentlich, wo ich hin will: Dass Jenny Elvers beim Schlafen unfassbar unvorteilhaft aussieht, dass Gunter Gabriel immer auf die Klobrille pinkelt, es aber nicht zugibt, dass Thorsten Legat unerfüllbare Diktatorenansprüche an sich selbst und seine Umwelt stellt – all das kann man verächtlich belächeln. Aber man kann auch feststellen, dass das auch ganz schön ist. Beruhigend. Dass all diese auf den ersten Blick schönen und makellosen und manchmal sogar noch rest-berühmten Menschen fehlbar sind, manche sogar ein bisschen kaputt. Und man kann ein wenig Entspannung darin finden, dass die nicht nur nicht besser sind als man selbst, sondern man selbst auch nicht besser ist als die.
Wenn man sich ganz doll Mühe gibt, kann man sogar zulassen, all diese Menschen, und somit auch sich selbst, ein bisschen liebzuhaben. Dafür, dass sie nicht halten, was sie versprechen. So wie ich auch nicht halten kann, was ich zu versprechen scheine: eine ganz okay aussehende, immer schlagfertige TV-Tante zu sein, die mit allen Situationen perfekt umgehen kann. Weil ich nämlich auch Cellulite und ein Angermanagementproblem habe, weil ich bei Überforderung innerhalb von Sekunden anfange zu weinen, weil ich auch neidisch bin, wenn potentielle Konkurrentinnen gut in Hotpants aussehen und weil ich das auch sofort an einem Lagerfeuer meiner Wahl dem Nächstbesten mitteilen wollen würde.
Nun ist es raus.
Sie finden das armselig? Nun, dann schalten Sie heute Abend besser nicht ein. Ich bin sicher, dass zeitgleich irgendwo ein interessanter Rollkragenträger etwas über echte Kultur zu sagen hat. Oder Sie zappen bei einer alten Folge „Spiegel TV“ rein. Da wird man ganz herablassend und unreflektiert Ihrer Meinung sein, was die unerträgliche Armseligkeit der sogenannten C-Promis angeht.
Ich hoffe, dass Stefan heute Abend trotzdem mit mir zwanzig Mädchen in oft zu engen Glitzerkleidern beim Balzen zusehen möchte. Wir werden erst ein bisschen lästern, aber dann werde ich langsam still werden und anfangen die unsichere, und daher etwas zu laute Chrissy/Kim/Sandy zu mögen. Weil sie ist wie ich.
Sarah Kuttner ist Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin und Gastgeberin der Sendung „Kuttner plus Zwei“ (ZDFneo). Anfang des Jahres ist ihr dritter Roman „180 Grad Meer“ erschienen.
„Ich bin sicher, dass man tatsächlich nach einiger Zeit die Kameras im Gestrüpp vergisst. Und dass man dann sein wahres Gesicht zeigt.“
Ist dieses ‚wahre Gesicht‘ nicht der Fetisch der Authentizität, den wir nur anbeten können, wenn wir das Inszeniert- und Gemacht-Sein der Situation ausblenden? Ich fände es wichtig (zumal in einem Medium für Medienkritik), die Perspektive der Inszenierung nicht aus dem Blick zu verlieren. Spannend fände ich ein ausführliches Übermedien-Interview mit einem/r Verantwortlichem/n aus dem RTL-Produktionsteam.
Ich finde ja nicht. Aber mich fragt aus guten Gründen auch niemand.
Falls doch irgendwer es lesen mag: Dies ist der erste uebermedien-Post, den ich abgebrochen habe. Ich war stets eher pro Sarah Kuttner, weil ich die Sarah-Kuttner-Show damals toll fand. Insofern bin ich sogar mit leicht wohlwollender Voreingenommenheit reingegangen. Aber der Stil hat mir nicht über das langweilige Sujet hinweggeholfen und hat bei mir in seinem … formuliere ich das so richtig? … selbstgerechten Bemühen, nicht überheblich zu wirken, sogar eher alles noch schlimmer gemacht.
Liegt aber vielleicht auch an einer Überempfindlichkeit gegenüber solchen Formaten. Mag an mir liegen. Aber weil das Feedback ja vielleicht trotzdem irgendwie nützlich ist: Diesen Beitrag fand ich unerfreulich. Soweit ich ihn gelesen habe.
liebe sarah
besser hätte ich es nicht formulieren können :)
Sarah Kuttner guckt den „Bachelor“ – kreeeiiisssch! Die Öffentlich-Rechtlichen haben Mitarbeiter ihres Hauses schon wegen weniger rausgeschmissen…
„Und natürlich verachten wir alle ein wenig Helena Fürst dafür, dass sie sich in den Dschungelprüfungen so verweigert“ – Ich verachte Helena Fürst nicht nur ein wenig, sondern erheblich – und zwar schon seit Jahren.
Okay, das war ganz niedlich. Vorsuppenqualität.
Ich schalte jetzt um zu Rützel plus Forum. Hauptspeise und Nachtisch.
Ist ja okay. Jeder hat sein persönliches Schund-Faible. Ich muss mich da nicht mehr dadurch erhöhen, dass ich den Schund der anderen diffamiere.
Für mich gehören solche Formate dennoch zu den herausragenden Beispielen für Dekadenz spätrömischer Qualität.
Aber in zweierlei Hinsicht habe ich Widerspruch anzumelden:
a) Die Gleichsetzung Narzissmus=Unterschicht erstaunt mich. Die ist nicht nur absurd kenntnisfrei, sondern hier auch offenbar Grundlage irreführender Selbstreflektion. Gestörtes Selbstwertgefühl ist nicht schichtabhängig,
b) Die Auseinandersetzung mit diesen Formaten unterstellt eine Authentizität des Gezeigten, die es nicht hat. Mich stört es viel zu sehr, bei mir spontan die Rektion zu empfinden, die ich empfinden soll. Da werde ich spontan bockig und misslaunig, wohl der Hauptgrund dafür, dass mir je eine Staffel BB und DC reichten.
Letztlich das für mich spannendste daran ist die Klischdeefrage: In meinem persönlichen Umfeld interessieren sich eigentlich nur Frauen und die G’s vom LGBT dafür. Wird das durch die Quotenmessungen bestätigt?
Fazit: Guck et doch, aber reds dir nicht zu schön.
Ich ziehe jetzt den Rolli an, treffe mich mit Freunden zum Akademiejazzjam und anschliessend starten wir die Konsole zum fröhlichen Killerspielamoklauf und fühle mich dann irgendwie erhaben spätrömisch zwischenschichtig. Und Doppel-postmodern erhaben über das hier aufgemachte Gegensatzpaar.
@Symboltroll: „Die G’s vom LGBT“? Sie meinen nicht zufällig schwule Männer, oder?
@Stefan Niggemeier:
Klar, die meine ich. Genauer: …bei denen fällt es mir im Freundeskreis auf.
So wie ich beim Fussball gesteigertes Interesse häufiger bei den He’s aus dem straighten Stino-Lager bemerke.
Sorry für den verdrucksten Ausdruck. Ist halt so nahe an stumpfen Klischees, die ich eigentlich nicht noch bedienen mag.
Kam vermutlich erst recht so rüber?
Zur Frage der Authentizität respektive Inszenierung der angesprochenen Formate:
Ich setze jetzt zu Beginn die Behauptung, dass man zu 100% authentisch nur dann ist, wenn man allein ist, also ganz allein, zuhause ohne Gesellschaft. Sobald andere Menschen dazu kommen verhält man sich zu ihnen. Was die Formate vorgaukeln könnten, wäre eine Authentizität unter wenigen. Also die Frage: wie verhält sich mein Lieblingsstar (oder ein anderer Promi) eigentlich privat, wenn er oder sie nicht im Rampenlicht steht, Moderationskarten in der Hand und Regieanweisungen im Ohr hat?
Zurecht wird meines Erachtens daran gezweifelt, dass da nicht doch ein wenig an den Dialogen rumgedoktert wird, nicht doch die spontan erscheinenden Reaktionen abgesprochen waren. Meinetwegen.
Was ich bei Sarah Kuttner rausgelesen habe, war aber ihre Konzentration auf die Randphänomene, bei denen zu scripten schlicht zu aufwändig, zu detailliert und kostenintensiv wäre. Da wird die Kamera einfach draufgehalten, lautet hier die These. Da wird abgefilmt, was kommt, und nachher wird entschieden, ob es reinkommt oder nicht. Da denkt keiner: komm, lass uns die Jenny Elvers mal so hinlegen, dass sie unvorteilhaft aussieht. Nee, sondern: wenns so ist, Kamera drauf, aber schnell!
Diese Formate sind dann für den Normalo-Zuschauer die einzige Chance, etwas weniger Inszenierung und etwas mehr Wahrhaftigkeit bei ihren Stars oder den Schönen Menschen dieser Welt zu erleben. Das ist es ja was Sarah Kuttner sehen will: dass diese ganzen perfekten Menschen eben nicht so perfekt sind, wie sie sonst immer erscheinen.
Ich wohne in Köln und tausend mal hab ich mir schon vorgestellt, wie es wäre, wenn ich mal dem Jan Böhmenmann über den Weg laufen würde. Denn der kommt ja auch mega spontan rüber, mega cool, mega witzig etc. Je mehr ich ihn mag, desto mehr würde ich ihn gern mal kennenlernen. Wieder eine Behauptung: ich denke, dass man diesem Drang nur widerstehen, ihn nicht aber umgehen kann. Ich denke, dass alle Zuschauer die Leute aus dem Fernsehen (oder Kino oder Popstars) einfach gerne privat auch kennen möchten. Vielleicht um das Verhältnis aus der Einbahnstraße zu holen. Ich denke, dass das allen vor den Fernsehern so geht.
Aber ich fühle mich dabei unwohl. Wieso sollte ich denken, dass Jan B. ein Mensch ist, den ich unbedingt kennenlernen muss? Er will mich ja auch nicht kennenlernen. Ich komme mir dann immer etwas erbärmlich vor. Ich erniedrige mich ja dabei. „Oh bitte, lern mich kennen, ich bin auch cool.“
Was ich den Formaten vorwerfen würde, ist glaube ich genau das, was Sarah Kuttner an ihnen schätzt. Man kommt den Stars, den Schönen Menschen dieser Welt etwas näher, tritt in ihre Privatsphäre ein, kann sich von ihrer Fehlbarkeit überzeugen. Anstatt sich die Ironie klar zu machen, dass es ja das Medium Fernsehen ist, weshalb sie überhaupt erst so perfekt erscheinen. Und die Formate spielen mit diesem Bedürfnis nach Nähe. Das ist mE schlecht, weil es vielen Zuschauern ein distanziertes Verhältnis zu den Medien versperrt.
Ja, ich will Böhmi auch kennenlernen, aber ich reiße mich zusammen.
(Oder wäre genau das der Königsweg zu einem gesunden Verhältnis zu den Medien? Der Blick hinter die Kulissen?)
Nein, ich will Jan Böhmermann nicht kennenlernen.
Ich will Jan Böhmermann sein.
Und weil ich es nicht bin, und weil ich so im Normalsumpf versinke und weil mir das bewusst ist und weil ich das letztlich total langweilig finde und weil mich Boulevard nur auf der Metaebene interessiert
finde ich den Platz für diesen Artikel vergeigt.
Ich lebe mit der Depression, nicht Jan Böhmermann zu sein und liebe die Medien, die mit mir zusammen auf die Ebenen gehen, wo mein Hirn sich in Lust baden kann. Ebenen, wo Unterschicht und Oberschicht und Möchtegernkulturschicht sich entblößen und produzieren sind es nicht.
Und wer möchte J.B. im Dschungelcamp oder als Bachelor sehen?
Da kann man ihn doch endlich mal total authentisch kennenlernen.
Ich kann mich noch so sehr um geschmeidige, möglichst unironisch-neutrale Toleranz bemühen…es gelingt mir trotzdem nicht. Mich macht das ähnlich … wie die Titelblätter der Personality-Blätter am Kiosk.
Egal: Weiter viel Spaß beim Glotzen und sorry für die eine aggressive Formulierung („absurd…“) weiter oben hier. Doof, von mir.
Ich weiß nicht, was ich armseliger finde:
a) Menschen, die sich diebisch darüber freuen, dass jemand anders benachteiligt wird.
b) Menschen, die anderen Menschen dabei zuschauen, wie die sich diebisch darüber freuen, dass jemand anders benachteiligt wird.
c) Menschen, die andere Menschen sympathisch finden, weil die sich wie man selbst diebisch darüber freuen, dass jemand anders benachteiligt wird.
Liebe Frau Kuttner, das Lachen sollte Ihnen im Halse stecken bleiben, denn es ist nichts anders als das peinliche Zeichen von Gehässigkeit. Und auch ihr Feigenblatt „Immerhin bin ich so ehrlich und kann diese Fehlbarkeit zugeben“ kann das nicht verdecken.
Ich hätte Ihnen Selbstreflexion zugetraut, so dass Ihre Conclusio in etwa so gelautet hätte: „Wenn mir das Dschungelcamp eins klar gemacht hat, dann dass ich oft nicht besser bin, als die Kandidaten vor Ort. Aber ich wäre es gerne und daran werde ich arbeiten.“
Liebe Frau Kuttner,
die „Ich-schau-das-nur-ironisch-Haltung“ empfinde ich auch als problematisch. Dass Sie das alles aber offensichtlich wirklich für bare Münze nehmen, könnte man aber auch als genauso armselig empfinden.
Beste Grüße
Ich fand den Text gut, weil mich der Text zum Nachdenken angeregt hat und ich jetzt vielleicht den Erfolg dieser Sendungen besser verstehe.
Im Dschungelcamp sitzen ausschließlich Medienprofis, ich glaube da vergisst niemand die Kamera, auch wenn es noch so oft betont wird. Da vergleicht man sich als bekennender Trash-Gucker eher weniger mit den Protagonisten, es sei denn man kommt aus der Branche.