Lastenrad, Veganismus, Gendern: Ein „Zeit“-Autor versucht, den Erfolg der Neuen Rechten zu erklären – und schreibt einen populistischen Text voller Klischees über Linke.
Dieser Artikel ist zuerst am 30. August 2025 in unserem Mitglieder-Newsletter erschienen. Mit einem Übermedien-Abo bekommen Sie diesen jeden Samstag ins Postfach.
Die „Zeit“ forscht in ihrer aktuellen Ausgabe nach, welchen Anteil die Linke am Aufstieg der Rechten hat. Auf der Titelseite prangt die Frage: „Sind die Linken selber schuld?“ Seit der Veröffentlichung am Donnerstag sorgt das für Empörung in den Kommentarspalten und sozialen Medien – bei manchen schon allein deshalb, weil diese Frage überhaupt gestellt wird.
Mich stört die Frage an sich weniger – auch wenn sich die „Zeit“ damit nun wirklich nichts Neues ausgedacht hat, wie Anton Rainer vom „Spiegel“ hier schön zusammenfasst.
Wenn es das Ziel der „Zeit“ war, mit dem aktuellen Titel Aufmerksamkeit zu bekommen, hat sie das erreicht. Und ich finde die Headline auch nicht – wie manche nun anmerken – vergleichbar mit der Überschrift „Oder soll man es lassen?“ von 2018, für die sich die „Zeit“ später sogar entschuldigte. Damals ging es um private Seenotrettung und ertrinkende Menschen im Mittelmeer. Jetzt geht es um die politische Stimmung. Warum also nicht die Frage stellen, welchen Anteil die Linke daran hat?
Was mich vielmehr stört, ist die Art, wie die „Zeit“ diese Frage beantwortet.
Die Autorin
Foto: Yvonne Michailuk
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
Sie tut das unter anderem mit Kurzbeiträgen – etwa von FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube (der findet, dass zu viel rumgeopfert wird), Schauspielerin Iris Berben (die nach eigenen Angaben schon noch links ist, aber nicht mehr so Axel-Springer-Proteste-links wie früher) – sowie einem Porträt über die Journalistin Julia Ruhs (nach „Spiegel“ und SZ schon das dritte Porträt über die „bekannteste konservative Stimme der ARD“ innerhalb von zwei Wochen). Am meisten Beachtung fand aber der Aufmachertext von Jens Jessen. Ein Text, der versucht, den Erfolg der Neuen Rechten zu erklären, indem er deren Argumente gleich selber übernimmt – was dazu führt, dass er vor Populismus nur so trieft.
Der „Zeit“-Feuilletonist ist der Meinung, die Linke habe der Rechten mit „Wokeness“ und den „damit verknüpften Beschränkungen der öffentlichen Rede“ das größte Geschenk gemacht. Wobei den ganzen Text über gar nicht richtig klar wird, wen er mit den Linken genau meint. Mal nennt er explizit die Linkspartei, mal sind es die Universitäten in Nordamerika. Irgendwie scheint er alle zu meinen, die gegen Rassismus und Diskriminierung laut sind. Ob ein FDP-Mitglied, das gendert, sich für Rechte von trans Personen und gegen Rassismus einsetzt (die gibt es ja auch) ebenfalls links ist? Nach Jessens Logik wohl schon.
Klischees wie bei „Nius“
Dass er in seinem Text selbst schreibt, die Formel „Man traut sich ja nichts mehr zu sagen“ sei der „Urstoff“, „aus dem die Rechten (…) die Litanei ihrer Propaganda spinnen“, ist ein erstaunlicher Gedankenspagat. Jessen schafft es, einerseits die Neue Rechte von Deutschland bis in die USA als „beängstigend“ erfolgreich und gefährlich zu beschreiben, andererseits aber genau deren Leier zu übernehmen.
Über die Linke, also wer immer damit genau gemeint ist, schreibt er etwa:
„Sie geht davon aus, dass jenseits von ihr gar keine anständigen Menschen mehr existieren. Wer sich nicht als links und Migrationsfreund bekennt, gilt schon als rechts, wer sich nicht vegan ernährt und kein Lastenfahrrad fährt, ist ein Klimasünder, wer Israel unterstützt, ein kolonialistischer Ausbeuter des Globalen Südens, wer nicht gendert, ein Frauenfeind, und so weiter.“
Das sind genau die Klischees, die man auf Seiten wie „Nius“ oder in Reden von Rechtspopulisten immer wieder hört.
Es fehlt nur noch das angebliche Currywurst-Verbot
Die Grünen, oder zumindest ein Teil von ihnen, zählen für Jessen natürlich auch zu den Schuldigen. Jessen bezeichnet sie als:
„Weltanschauungsgemeinschaft, der man nach Sprach- und Lebensstil, nach Kleidung und Alltagsgewohnheiten genügen muss. Nicht grillen! Nichts aus Leder tragen, keinen ‚überzüchteten‘ Rassehund, sondern einen Mischling halten, muslimischen Familiensitten keine Frauenverachtung vorwerfen, sondern nur dem ‚weißen‘ Mann. Kinder sollten im Wickeltuch am Leib getragen werden, vorzugsweise vom Vater. Ein Waldorfkindergarten wird empfohlen.“
Jessen hat in dieser Aufzählung eigentlich nur noch das angebliche Fleisch- und Currywurst-Verbot vergessen. Immerhin erwähnt er noch den armen Bürger, der „für jedes Rasensprengen an den Pranger“ gestellt werde. Die Information, von wem genau und wann, bleibt er allerdings schuldig. Konkrete Beispiele oder Belege würden so einen als Edelfeder-Beitrag getarnten Stammtisch-Monolog ja nur verhunzen.
Fragwürdig ist auch, was Jessen über linken und rechten Terrorismus schreibt:
„Rechtsextreme Attentate richten sich gegen Migranten, Homosexuelle, Juden – also gegen Minderheiten. Linksextreme Attentate richten sich gegen die Mehrheit – durch Anschläge auf Stromtrassen, auf die Bahn, auf parkende Autos, durch die ‚Klimakleber‘ auch auf den Straßenverkehr. Es geht gegen Mobilität und Infrastruktur und das Funktionieren des Staates – also gegen das Wohlbefinden der Mitte, die es sich in Klimasünde und Konsum bequem macht.“
Man könnte auch sagen, rechtsextreme Attentate richten sich gegen Menschen. Linksextreme Attentate gegen Dinge. (Wobei das natürlich auch eine grobe Vereinfachung wäre.) Aber diesen Unterschied will Jessen offenbar nicht bewerten.
Es wirft jedenfalls die Frage auf, was Jessen selbst eigentlich von der „Mitte“ denkt. Der Autor Max Czollek kommentierte bei BlueSky:
„Der Autor probiert damit zu belegen, dass ‚die Linke‘ die Mitte verloren hat. Und ein Argument lautet offenbar: Angriffe gegen Minderheiten sind eben kompatibler mit der Mitte als Klimaproteste, die ihre Lebensweise infrage stellt. Bei so viel Selbstgerechtigkeit fehlt einem echt die Sprache.“
Diversity-Trainings als Umerziehung
Richtig abwegig wird es, als sich Jessen über Antirassismus- und Diversity-Trainings auslässt. Solche Angebote gibt es etwa in Unternehmen oder Behörden. Dort lernen Mitarbeiter, rassistische Strukturen zu hinterfragen, die eigene Rolle zu reflektieren und die Perspektive von, zum Beispiel, Schwarzen Menschen nachzuvollziehen.
Für Jessen sind auch diese Trainings ein Grund für das Erstarken der Neuen Rechten – und nichts weniger als ein Versuch ideologischer Umerziehung:
„So ähnlich gehen Sekten vor, denen Passanten zufällig in die Fänge geraten. Aber da hier kein Zufall waltet, drängt sich eher ein Vergleich mit der kolonialen Heidenmission oder den Exzessen der Gegenreformation auf. (…) Man kann sich aber auch an die jüngere Geschichte halten, an die Umerziehungslager in der Sowjetunion und China, um die Retraumatisierungsängste ostdeutscher und anderer Bürger des einstigen Ostblocks zu erahnen.“
Das Diversity-Training, in das Jens Jessen von der „Zeit“-Chefredaktion geschickt wurde, muss sehr, sehr schlimm gewesen sein.
Da war doch schon mal was
Einige „Zeit“-Leser dürften ein Déjà-vu haben. Schon 2018 griff Jessen zu abwegigen Vergleichen, um seinen Unmut über eine aktuelle gesellschaftliche Debatte loszuwerden. Damals schrieb er in seiner „Zeit“-Titelgeschichte zu #MeToo („Der bedrohte Mann“) über den angeblichen „totalitären Feminismus“, der jeden Mann unter Generalverdacht stelle. Unter anderem hieß es:
„Das System der feministischen Rhetorik folgt dem Schema des bolschewistischen Schauprozesses, nur dass die Klassenzugehörigkeit durch die Geschlechtszugehörigkeit ersetzt ist. So oder so steht die Schuldigkeit schon durch Herkunft fest.“
Die „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski schrieb daraufhin, Jessen habe „den intellektuellen Nullpunkt der #MeToo-Debatte freigegraben, in der nun niemand mehr Angst haben muss, die oder der Peinlichste zu sein“. Aber gut, was sagt schon Margarete Stokowski – für Jessen ist sie wahrscheinlich auch an allem mitschuldig.
Nur, um das noch einmal klarzustellen: Natürlich gibt es auch in linken Teilen der Gesellschaft problematische Dynamiken, gerade in sozialen Medien. Das zu leugnen, wäre falsch. Ich habe das vor ein paar Wochen selbst erlebt: In einem Text hatte ich geschrieben, dass Medienberichte über angebliche Attacken auf Frauen journalistisch unsauber waren – vermutlich gab es diese Attacken nie. Prompt wurde mir in Kommentaren bei Instagram vorgeworfen, der Text sei frauenfeindlich.
Auch die politische Linke soll kritisiert, diskutiert, problematisiert werden – aber bitte nicht so populistisch wie bei Jessen.
Nachtrag vom 2. September 2025: „Zeit“-Redakteur Christian Bangel hat am vergangenen Samstag eine Replik auf Jessens Text veröffentlicht.
4 Kommentare
„Prompt wurde mir in Kommentaren bei Instagram vorgeworfen, der Text sei frauenfeindlich.“
Da würde mich ja mal interessieren, ob real oder evtl. von agent provocateurs?
Ich stelle auf Steam immer wieder fest, dass rechte Akteure links-anmutende Posts unter z. B. Patchnotes schreiben, um imaginäre Steam-Punkte mittels des „Narr“-Emojis zu farmen. Klassischer Ragebait. War evtl. hier auch so? Kann mir aber auch durchaus vorstellen, dass es reales Feedback war.
So oder so, Sie machen das falsch, Frau Kräher: Sie sind jetzt das Opfer linker Gesinnungs-Bimmelbommelei. Gehen Sie zu Springer und erzählen Sie exklusiv, wie unterdrückerisch die Scheißlinken sind. Sie wurden gekänzelt, so isses nämlich!
Danke für diesen Beitrag. Ich würde mich als langjähriger Übonnent sehr darüber freuen, wenn die diversen fragwürdigen journalistischen Praktiken und Umtriebe der „Zeit“ hier noch öfter beleuchtet werden würden. Das fängt bei deren voyeurpornographischen True Crime-Podcasts an und gipfelt für mich in deren langjährigen Bemühungen, das deutsche Bürgertum ins rechte Jahrtausend zu führen, insofern würde ich der Autorin in diesem Punkt widersprechen: „Oder sollen wir sie absaufen lassen? Wäre das nicht viel einfacher für uns alle?“ sehe ich als unmittelbare Vorbedingung für diesen äußerst peinlichen Versuch, aus Alt-Right-Talking Points direkt aus dem Jahr 2016 publizistisches Kapital zu schlagen. Giovanni di Lorenzo und seine Kumpels sind da eben Schritt für Schritt auf den Geschmack gekommen, einerseits, haben andererseits gemerkt, dass rechte Hetze in etwas weichgespült neben Laberpodcasts und Kreuzfahrten an Rentner verticken ein stabiles drittes wirtschaftliches Standbein ist. Im Gegensatz zu einem Jürgen Kaube und der FAZ im Allgemeinen, die schon immer ein reaktionäres Sturmgeschütz gewesen ist, von der ich also zu vielen, vor allem politischen Themen gar nicht erst so etwas wie eine vernünftige, durchdachte Meinungsäußerung erwarte, weil die qua Auftrag mit primitivem Kampagnenjournalismus beschäftigt sind, wie man in den letzten Jahren immer wieder gesehen hat, ist es ziemlich deprimierend, den Marsch nach Rechts der „Zeit“ und ihres Publikums mit anzusehen. Aber immerhin macht die FAZ sehr gute Film- und Literaturrezensionen, und ich kaufe denen schon noch ab, dass die sich auf ihre ranzige, spießbürgerliche Art und Weise wirklich für Kultur interessieren. Den Blattmachern der „Zeit“ ist außer Geld und Macht schon seit längerem alles scheißegal.
Das Ankleben auf der Straße als „Attentat“ zu bezeichnen und damit denselben Begriff zu nutzen wie bei der Beschreibung von Mehrfachmorden ist mehr als nur „fragwürdig“, sondern übelste Gleichsetzung aus Angst vor Ärger vom eigenen Stammtisch, der offenbar tatsächlich Morde nicht so schlimm findet, wenn’s halt nur nervige Minderheiten trifft.
Nein, die Linke ist nicht Schuld.
Linke Politiker, Journalisten und sonstige Aktivisten machen keine Fehler, wenn sie nicht den Erfolg haben, den sie sich erhoffen, kann das nur an den dummen Idioten liegen, aus denen das Volk besteht.
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„Prompt wurde mir in Kommentaren bei Instagram vorgeworfen, der Text sei frauenfeindlich.“
Da würde mich ja mal interessieren, ob real oder evtl. von agent provocateurs?
Ich stelle auf Steam immer wieder fest, dass rechte Akteure links-anmutende Posts unter z. B. Patchnotes schreiben, um imaginäre Steam-Punkte mittels des „Narr“-Emojis zu farmen. Klassischer Ragebait. War evtl. hier auch so? Kann mir aber auch durchaus vorstellen, dass es reales Feedback war.
So oder so, Sie machen das falsch, Frau Kräher: Sie sind jetzt das Opfer linker Gesinnungs-Bimmelbommelei. Gehen Sie zu Springer und erzählen Sie exklusiv, wie unterdrückerisch die Scheißlinken sind. Sie wurden gekänzelt, so isses nämlich!
Danke für diesen Beitrag. Ich würde mich als langjähriger Übonnent sehr darüber freuen, wenn die diversen fragwürdigen journalistischen Praktiken und Umtriebe der „Zeit“ hier noch öfter beleuchtet werden würden. Das fängt bei deren voyeurpornographischen True Crime-Podcasts an und gipfelt für mich in deren langjährigen Bemühungen, das deutsche Bürgertum ins rechte Jahrtausend zu führen, insofern würde ich der Autorin in diesem Punkt widersprechen: „Oder sollen wir sie absaufen lassen? Wäre das nicht viel einfacher für uns alle?“ sehe ich als unmittelbare Vorbedingung für diesen äußerst peinlichen Versuch, aus Alt-Right-Talking Points direkt aus dem Jahr 2016 publizistisches Kapital zu schlagen. Giovanni di Lorenzo und seine Kumpels sind da eben Schritt für Schritt auf den Geschmack gekommen, einerseits, haben andererseits gemerkt, dass rechte Hetze in etwas weichgespült neben Laberpodcasts und Kreuzfahrten an Rentner verticken ein stabiles drittes wirtschaftliches Standbein ist. Im Gegensatz zu einem Jürgen Kaube und der FAZ im Allgemeinen, die schon immer ein reaktionäres Sturmgeschütz gewesen ist, von der ich also zu vielen, vor allem politischen Themen gar nicht erst so etwas wie eine vernünftige, durchdachte Meinungsäußerung erwarte, weil die qua Auftrag mit primitivem Kampagnenjournalismus beschäftigt sind, wie man in den letzten Jahren immer wieder gesehen hat, ist es ziemlich deprimierend, den Marsch nach Rechts der „Zeit“ und ihres Publikums mit anzusehen. Aber immerhin macht die FAZ sehr gute Film- und Literaturrezensionen, und ich kaufe denen schon noch ab, dass die sich auf ihre ranzige, spießbürgerliche Art und Weise wirklich für Kultur interessieren. Den Blattmachern der „Zeit“ ist außer Geld und Macht schon seit längerem alles scheißegal.
Das Ankleben auf der Straße als „Attentat“ zu bezeichnen und damit denselben Begriff zu nutzen wie bei der Beschreibung von Mehrfachmorden ist mehr als nur „fragwürdig“, sondern übelste Gleichsetzung aus Angst vor Ärger vom eigenen Stammtisch, der offenbar tatsächlich Morde nicht so schlimm findet, wenn’s halt nur nervige Minderheiten trifft.
Nein, die Linke ist nicht Schuld.
Linke Politiker, Journalisten und sonstige Aktivisten machen keine Fehler, wenn sie nicht den Erfolg haben, den sie sich erhoffen, kann das nur an den dummen Idioten liegen, aus denen das Volk besteht.