Mehr über Künstliche Intelligenz

Wahrscheinlich war es eher kein Zufall, dass Jan Philipp Burgard, Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, jüngst so klang wie sein oberster Boss Mathias Döpfner. Der Springer-CEO hatte vor zwei Jahren seine Begeisterung für künstliche Intelligenz im Journalismus zum Ausdruck gebracht und in einem Meinungsartikel appelliert, man solle die Chancen künstlicher Intelligenz „verstehen, umarmen und gestalten“. Burgard ließ sich nun ganz ähnlich zitieren: „Wir werden die KI-Revolution nicht aufhalten können, deswegen sollten wir sie umarmen und mitgestalten.“
Was Burgard darunter versteht, ließ sich vor einer Woche erstmals on air betrachten – in der Sendung „KI-Welt“, die auch das Interesse anderer Medien weckte. Das dürfte ganz im Sinne des Verlags sein. Dort erklärte man schon vor der Ausstrahlung, man setze mit dem Format „neue Maßstäbe“. Immerhin handle es sich um „die erste deutschlandweite Sendung“, die von KI produziert und moderiert werde.
Das klang zunächst etwas unwirklich – erst recht im Umfeld eines Nachrichtenkanals, für den Echtheit doch zu den obersten Geboten zählen sollte. Doch ist das, was neuerdings wöchentlich zu sehen sein wird, tatsächlich die Zukunft des Fernsehens?
Inhaltlich ganz sicher nicht: Zum Auftakt sendete „Welt“ Berichte über eine Technikmesse in Shanghai und einen KI-Trend auf Social Media, der Katzen oder Pferde beim Hüpfen vom Sprungbrett ins Wasserbecken zeigt. Die zweite Ausgabe befasste sich in dieser Woche mit Roboter-Fußball und der Schwierigkeit, reale von künstlich erstellten Bildern zu unterscheiden – naheliegende Themen also, bei denen die KI auf viele schon bestehende Beiträge zurückgreifen kann. Dazu kommt, dass eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem zweifelsohne spannenden Themenfeld schon alleine deshalb nicht möglich ist, weil die Länge der Sendungen mit kaum mehr als fünf Minuten äußerst überschaubar ausfällt.
Der Moderatoren-Avatar, basierend auf „Welt“-Redakteur Paul Klinzing, spricht außerdem arg hölzern. Immer wieder sind es falsche Betonungen, die erkennbar machen, dass da gerade kein echter Mensch vor der Kamera steht. Den Monat August etwa spricht der Avatar wie den Vornamen August aus – mit Betonung der ersten Silbe, nicht der zweiten. Kleinigkeiten zwar, aber durchaus auffällig und störend.
Überhaupt wirkt „KI-Welt“ sogar unfreiwillig komisch, wenn – wie am Premieren-Tag – der „echte“ Paul Klinzing noch wenige Minuten vor der Sendung leibhaftig im Studio sitzt. Es stellt sich die Frage: Wenn das Nachrichtenstudio ohnehin im Dauerbetrieb und der Moderator sogar physisch anwesend ist: worin liegt dann der Vorteil, ihn künstlich zu erzeugen, noch dazu mit erkennbar schlechterer Aussprache?
Tatsächlich ist Klinzing nach Angaben einer „Welt“-Sprecherin sogar redaktionell an der Sendung beteiligt und bringe sich „aktiv in die Ausgestaltung“ ein. „Die Moderationen“, heißt es weiter, „entstehen also nicht ohne seinen Einfluss“.
Auch sonst bleibt unklar, welchen konkreten Nutzen der Einsatz von KI bei der Produktion des TV-Magazins hat. Eine Zeitersparnis für die Redaktion vielleicht? Doch auf Nachfrage von Übermedien hält sich der Sender dazu bedeckt. „Ein direkter Vergleich ist schwierig, da ‚KI-Welt‘ ein monothematisches Format mit einem klar umrissenen inhaltlichen Fokus ist“.
Damit unterscheidet sich der Produktionsprozess etwa von den täglichen Nachrichtensendungen, in denen die Redaktion weitaus schneller auf aktuelle Ereignisse reagieren muss als in dem inhaltlich oft doch sehr allgemein gehaltenen KI-Magazin. Dort, so versichert der Verlag, wähle die KI aber „tatsächlich alles aus, auch die Themen“. Ein Redakteur bewache den Prozess jedoch „bis zum Ende“. Paul Klinzings Avatar wird von der Software HeyGen erstellt, bei seiner Stimme hilft Eleven Labs – zwei Programme, die bei Axel Springer nach Angaben des Unternehmens auch in anderen Bereichen zum Einsatz kommen.
Doch nicht nur „Welt“ experimentiert im laufenden TV-Programm mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. Auch der WDR setzt bei Live-Untertiteln seiner elf „Lokalzeit“-Ausgaben seit einigen Monaten auf KI. Er bietet Zuschauerinnen und Zuschauern, die nicht oder nicht gut hören können, damit einen Service an, der bis dato in diesem Umfang nicht möglich war.
Gleichzeitig lauern Gefahren: Als RTL schon vor drei Jahren zu Testzwecken die Stimme seines Nachrichtenmoderators Maik Meuser mittels KI nutzte, um damit Nachrichtentexte verlesen zu lassen, ließ sich erahnen, wie einfach es möglich ist, Fake News zu verbreiten, wenn sie von vertrauten Stimmen vorgetragen werden – auch wenn RTL auf „strenge ethische Vorgaben“ verwies.
Zudem stellt sich die Frage: Werden Moderatorinnen und Moderatoren auf lange Sicht überflüssig, wenn deren synthetische Stimmen und Avatare eingesetzt werden? Das Beispiel „KI-Welt“ zeigt zumindest, dass es bis zur Perfektion noch ein bisschen hin ist. Ohnehin sei die Sendung als Experiment gedacht, „das zeigen soll, was aktuell technisch möglich ist“, schreibt die„Welt“-Sprecherin und betont zur Sicherheit, die regulären Nachrichtensendungen würden „selbstverständlich weiterhin von echten Menschen moderiert“.
Und so ist das von KI unterstützte Mini-Magazin vorerst vor allem als Leistungsschau von Axel Springer zu sehen, die bei Mathias Döpfners Erzählung helfen soll, den Konzern als „führenden Anbieter von KI-basiertem Journalismus für die freie Welt“ zu etablieren, wie es in der jüngst vorgestellten Unternehmensstrategie heißt.
Man könnte auch sagen: „KI-Welt“ ist in erster Linie ein Marketinginstrument. Und ganz nebenbei auch der Beweis, dass die Technik selbst mit menschlicher Unterstützung augenscheinlich noch nicht so weit ist, eine vollends ansprechende Sendung auf die Beine zu stellen.
Diesen Beitrag hat DWDL.de exklusiv für Übermedien verfasst. Das Medienmagazin ist Gesellschafter der Übermedien GmbH.
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Relevanter als die Döpfner-Rede vor zwei Jahren dürfte sein Edikt vor gerade mal drei Wochen sein:
At a global town hall, Axel Springer boss Mathias Döpfner delivered a blunt message—A.I. is here, and every employee must use it.
Ich habe den Eindruck, dass neuere Digitaltechnologien von den meisten Medien lediglich zum Sparen – Zeit, Mitarbeiter usw – genutzt werden. Wirkliche Verbesserungen im redaktionellen Angebot und innovative Formate sehe ich kaum.