Dubiose Telegram-Werbung

Der Kryptobot der „Tagesschau“

Die ARD-Nachrichtensendung verdient in ihrem Telegram-Kanal an Werbung für dubiose Fußballwetten mit – und merkt es nicht. Nach dem Hinweis einer Nutzerin und einer Anfrage von Übermedien will die Redaktion den Kanal nun abschalten.

Dass eine Redaktion aus Versehen Geld verdient und das noch nicht einmal merkt, kommt vermutlich eher selten vor. Ausgerechnet die Redaktion der öffentlich-rechtlichen „Tagesschau“ hat vor ein paar Tagen entdeckt, dass sie – nach eigenen Angaben: unbewusst – ein kleines Geldpolster angespart hat. Allerdings nicht in Euro, sondern in der Kryptowährung Toncoin.

Passiert ist das Ganze bei Telegram, dem Messenger-Dienst, den wegen seiner Anonymität auch viele obskure Gestalten nutzen. Die „Tagesschau“ betreibt dort seit 2019 einen Kanal, der automatisiert von einem Bot befüllt wird.

Zweimal am Tag schickt dieser Bot die drei wichtigsten Nachrichtenmeldungen samt „Tagesschau“-Links aufs Handy, morgens garniert mit einem Kaffeetassen-Emoji, abends mit einer Weltkugel. Nach „Tagesschau“-Angaben hat der Account 60.000 Follower. Es ist einer von vielen digitalen Kanälen der Redaktion, die ihre Inhalte auch über die Messenger von WhatsApp, Facebook und Apple verschickt.

Für öffentlich-rechtliche Online-Angebote gilt Werbeverbot

Weil alle diese Angebote von Rundfunkbeiträgen finanziert werden, sind sie werbefrei. Wo und wie öffentlich-rechtliche Sender Geld mit Werbung verdienen dürfen, ist im Medienstaatsvertrag geregelt. Für Online-Medien gilt laut Paragraf 30 ein absolutes Werbeverbot (nur Produktplatzierung ist davon ausgenommen).

Trotzdem tauchte im Telegram-Kanal der „Tagesschau“ mehrfach ein Werbebanner auf – und das führte in eine dubiose Ecke des Telegram-Kosmos. Beworben wurde ein Kanal namens „DeinBolzPlatz“, der wiederum auf den Account „Bolzplatz“ weiterleitet. Und der lädt dazu ein, sich an betrügerischen Sportwetten zu beteiligen. 

Werbung von „DeinBolzPlatz“ im „Tagesschau“-Kanal bei Telegram mit dem Text: „Die Jungs sind BACK. Checkt Sie ab es ist ehrenlos.“
Ehrenlose Werbung im Telegram-Kanal der „Tagesschau“Screenshot: Tagesschau/Telegram

Angeblich „todsichere“ Fußballwetten

Angeblich habe man Fußballspiele so manipuliert, dass sich darauf todsichere Wetten abschließen ließen, versprechen die Kanalbetreiber: „Clubs und Spieler eingeweiht“. Wer mitmachen will, muss nur ein kurzes Stichwort an einen gewissen „Marcus“ schicken – und bekommt dann per Sprachnachricht erklärt, man könne „100 Prozent sichere Fußballtipps“ erhalten. Den Gewinn der Wetten dürfe man behalten, man müsse nur zehn Prozent Provision abgeben. 550 Euro soll man per Crypto oder PayPal zahlen, um Tipps für zwei Spiele zu bekommen.

Schon Anfang Juli fiel einer Nutzerin auf, dass es nicht im Sinne der „Tagesschau“ sein kann, wenn in ihrem Telegram-Kanal diese Art von Werbung auftaucht. Sie wendete sich sowohl an die Redaktion als auch an Übermedien.

200 Dollar Krypto-Guthaben – ohne es zu merken

Denn Fragen wirft nicht nur der Inhalt auf: Laut Telegram verdienen Kanäle an Werbeanzeigen mit. Sie bekommen die Hälfte der Einnahmen. Das steht auch in einem Infofeld neben der Werbung im „Tagesschau“-Kanal.

Infofeld zu Werbung bei Telegram
Die „Tagesschau“ verdient als Bot-Besitzer mitScreenshot: Telegram (Hervorhebung von uns)

Auf Anfrage beim zuständigen NDR teilt eine Sprecherin mit, Telegram habe „ohne unser Wissen“ eine Funktion eingeführt, die Accounts eine Beteiligung an Werbeeinnahmen gutschreibt. Den Bot betreibe ein externer technischer Dienstleister. Der habe im Juli aber „keinerlei Hinweis darauf gefunden, dass tatsächlich auf unserem Account irgendwelche Gutschriften erfolgen. Sämtliche Einstellungen, die in irgendeinem Zusammenhang mit Monetarisierung stehen könnten, haben wir damals geprüft.“

So genau scheint der Dienstleister aber nicht hingeschaut zu haben. Denn Anfang August entdeckte er „in der Detailansicht des Bots“ dann doch noch, dass „für unseren Account ein Saldo angezeigt wird, der tatsächlich eine Gutschrift in Toncoin aufweist“. Toncoin, kurz TON, ist eine für Telegram entwickelte Kryptowährung. Ein TON ist demnach rund 3,30 Dollar wert.

Monetarisierung kann wohl nicht abgeschaltet werden

Nach bisheriger Recherche gebe es offenbar keine Möglichkeit, diese Monetarisierung abzustellen, heißt es vom NDR: „Wir haben uns daher dazu entschlossen, der Chefredakteursrunde vorzuschlagen, den Telegram-Bot der Tagesschau zu schließen.“ Der Kanal solle „in Kürze“ abgeschaltet werden.

Rund 200 Dollar Guthaben haben sich laut NDR auf dem Account angesammelt. Werbung auf Telegram scheint also nicht mehr so hochpreisig zu sein wie noch vor ein paar Jahren. Was mit dem Geld nun passiert, teilte der Sender nicht mit – womöglich verfällt die Gutschrift einfach. Für eine Runde heiße Wett-Tipps vom Account „Bolzplatz“ reicht die Summe auf jeden Fall nicht.


Update vom 7. August: Kurz nachdem wir den Text veröffentlicht haben, hat die „Tagesschau“ bei Telegram angekündigt, ihren Kanal einzustellen – mit Verweis auf die unfreiwilligen Werbeeinnahmen. In einer Abschiedsnachricht an die Follower heißt es: „Wir können und wollen derartige Einnahmen nicht annehmen, da es sich bei dem Tagesschau-Chatbot um ein öffentlich-rechtliches Angebot handelt. Daher müssen wir den Tagesschau-Chatbot auf Telegram leider schließen.“

Korrektur, 14:55 Uhr. Wir hatten in einer Zwischenüberschrift ursprünglich geschrieben, der NDR habe 200 Dollar „verdient“. Es geht allerdings um ein Telegram-Guthaben in dieser Höhe, das bisher nicht ausgezahlt wurde. Wir haben das präzisiert.

5 Kommentare

  1. Jetzt stelle man sich mal vor, die ganzen „obskure Gestalten“ würden auch ihren Kanal schließen, nur weil sie damit zwangsweise Geld verdienen…

  2. Ich halte ja nicht viel von Telegram an sich, aber der erste Punkt der Werbungs-Werbung fällt mir sehr positiv auf: Telegram hat also als erstes (mir bekanntes ;) Medium die Vorzuge Kontext- statt Trackingbasierter Werbung erkannt und wirbt auch damit. Blindes Huhn und so?

  3. HI,
    ich möchte zu bedenken geben, dass man aus den „nur“ 200.- USD nicht unbedingt schließen kann, dass Telegram Werbung billiger geworden ist. Falls es sich um einen Beteiligung per Klick handelt, kann man die Hoffnung hegen, dass nur wenige auf die Werbung reingefallen sind.
    Des weiteren scheint der Dienstleister von der Tagesschau evtl. noch andere Probleme zu haben: Nach der „Abschiedsnachricht“ hab ich noch die „Eil“ Nachricht bekommen, dass „Juristin Frauke Brosius-Gersdorf“ nicht mehr als Kandidatin zur Verfügung steht.

  4. Bedeutet die Tatsache, dass die Tagesschau Einnahmen durch den Bot hatte, dass wirklich User des Bots das „Angebot“ von Bolzplatz genutzt und dort Geld ausgegeben haben?

    Nachdem der erste Screenshot, den ich von der Werbung gemacht hatte, aus dem Mai war und mir die Werbung zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach aufgefallen war, würde ich sagen, dass diese dort etwa seit vier bis sechs Monaten lief, ohne dass es auffiel.

  5. …ich hätte auch erwartet, das die Redaktion eher peinlich berührt ist, das sie mit einer solch üblen Werbe-Art in Verbindung gebracht wird (und damit auch Geld verdient…unfreiwillig, naja), als das eine solche Formulierung kommt „…Wir können und wollen derartige Einnahmen nicht annehmen…“?
    Es geht nicht um ‚wollen‘ oder ‚können ‚, sondern um volle Distanzierung.
    Vielen Dank für die Recherche und Aufklärung 👆

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