Das „Zeit Magazin“ interviewt den albanischen Regierungschef Edi Rama. Dabei interessieren sich die Reporter so sehr für Banalitäten wie Ramas Körpergröße, dass für kritische Fragen zu seiner umstrittenen Politik auch auf zehn Seiten kaum Platz bleibt.
Die Inszenierung passt: Das „Zeit Magazin“ interessiert sich offenbar mehr für Edi Ramas Kunst als für seine Politik. Ausriss: „Zeit Magazin“ / Foto: Ilir Tsouko
Interviews deutscher Medien mit ausländischen Regierungschefs kommen auf unterschiedlichen Wegen zustande. Idealerweise führen aber Korrespondent:innen solche Gespräche – meist aus aktuellem Anlass, mit regionaler Expertise und bestenfalls sogar in der Sprache des Gegenübers.
Eher ungewöhnlich ist, dass ein großes Interview erscheint, weil ein Regierungschef den Chefreporter des Mediums zuvor über 20 Minuten lang am Telefon beschimpft hatte. Genau so schildert es jedoch Stefan Willeke, Chefreporter der „Zeit“, im Einstieg zu seinem Gespräch mit Edi Rama, das im „Zeit Magazin“ erschienen ist: Der Ministerpräsident Albaniens sei mit einem von Willekes Texten unzufrieden gewesen und habe ihn deswegen angerufen. Zitat: „Sie haben mir mit Ihrem Artikel meinen Tag versaut. Jetzt will ich Ihnen mit meinem Anruf Ihren Tag versauen.“
Ramas Verhalten könnte durchaus auf eine gewisse Unprofessionalität oder ein schwieriges Verhältnis zur Presse hindeuten. Albanien belegt in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen einen bescheidenen 80. Platz. Dass Rama dann doch kurzerhand einem Interview zustimmte und Willeke per Sprachnachricht „my friend“ nannte, ist für den Chefreporter aber vielmehr Ausdruck einer „erstaunlichen Wandlungsfähigkeit“.
Der Autor
Foto: Nils Bröer
Krsto Lazarević, geboren 1989 in Tuzla, Bosnien-Herzegowina, lebt in Berlin und setzt seinen journalistischen Schwerpunkt auf Südosteuropa. Gemeinsam mit Danijel Majić betreibt er den Podcast „Neues vom BallaballaBalkan“. Zuvor lebte und arbeitete er in Brüssel, Wien, Belgrad und Sarajevo.
Und die bringt Edi Rama tatsächlich mit: Geboren als Sohn eines regimenahen Bildhauers im abgeschotteten Albanien, schaffte er es Ende der 1980er-Jahre in die Basketballnationalmannschaft. In den 1990er-Jahren zog er nach Paris und wurde zu einem international anerkannten Künstler, der das Regime des damaligen autoritären Machthabers Sali Berisha scharf kritisierte.
Als die Sozialisten die Macht übernahmen, bekam er 1998, im Alter von 34 Jahren, den Posten als Minister für Kultur, Jugend und Sport. Seit 2013 ist er Ministerpräsident des Landes – wobei ihm viele vorwerfen, selbst autoritäre Tendenzen entwickelt zu haben, demokratische Standards auszuhöhlen, mit der organisierten Kriminalität zusammenzuarbeiten und sich – für den Vorsitzenden einer sozialistischen Partei – erstaunlich wenig um die Belange der ärmeren Bevölkerung zu kümmern.
Faszinierende Größe
„Zeit“-Chefreporter Willeke führte das Gespräch schließlich gemeinsam mit Redakteur Stephan Lebert aus dem Ressort Verbrechen. Beide befassen sich sonst inhaltlich wenig mit Albanien oder Südosteuropa. Willeke hat im Jahr 2021 und 2024 je einen Text über Albanien geschrieben. (Es gibt übrigens auch sonst keine Person der „Zeit“-Redaktion, die regelmäßig über Südosteuropa berichtet. In der Berichterstattung der größten Wochenzeitung Deutschlands klafft ein riesiges Loch – mitten in Europa.)
Wie soll man also ein Interview mit einem Regierungschef beginnen, das zustande kam, weil dieser den Journalisten am Telefon beschimpfte? Nun – die ersten Fragen und Antworten des Interviews lauten:
ZEITmagazin: Herr Premierminister, lassen Sie uns mit Ihrer Körpergröße anfangen. Sie sind einer der größten Regierungschefs in Europa, oder?
Edi Rama: Ja, ich denke schon.
ZEITmagazin: Oder in der ganzen Welt?
Rama: Keine Ahnung, aber bestimmt in Europa. Milo Ðukanović, der frühere Präsident von Montenegro, war auch sehr groß, aber er ist nicht mehr im Amt.
ZEITmagazin: Sie waren früher Basketball-Profi. Sie bringen es auf 2,02 Meter.
Rama: Nein, auf 1,98 Meter.
ZEITmagazin: Wie Friedrich Merz. Acht Zentimeter mehr als Donald Trump. Ist es in der Politik von Vorteil, groß gewachsen zu sein?
Rama: Schon möglich. Ich kenne eine Statistik, die besagt, dass die körperlich größeren Kandidaten die Wahlkämpfe in rund 80 Prozent gewinnen.
Jetzt ist es nicht ungewöhnlich, nicht gleich mit den konfrontativsten Fragen einzusteigen – auch wenn es eher selten vorkommen dürfte, dass ein Regierungschef gefragt wird, ob er eigentlich der Größte der Welt sei. Doch selbst nach diesem Einstieg folgen weitere Fragen zu seiner Körpergröße, die einen erstaunlich großen Teil des Interviews ausmachen. Dabei gäbe es durchaus Gelegenheit, mal kritisch nachzuhaken.
Verpasste Fragen zu umstrittener Migrationspolitik
So antwortet Rama auf die Frage, ob mit der Körpergröße auch die politische Autorität steige: „Nicht unbedingt. Schauen Sie sich Giorgia Meloni an, die italienische Regierungschefin. Sie ist klein, aber ihr Charisma lässt sie groß erscheinen.“
Hier hätte man konkret nachfragen können, wie es zusammenpasst, dass der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Albaniens eine enge politische Freundschaft zur italienischen Rechtsaußen-Regierungschefin pflegt. Oder warum sich Albanien bereit erklärt hat, Geflüchtete aus Italien in zwei Lagern auf albanischem Staatsgebiet einzusperren. Oder wie Edi Rama dazu steht, dass italienische Gerichte diese Politik vorerst gestoppt haben. Aber all diese Fragen werden nicht gestellt, so wie in diesem Interview allgemein sehr wenige Fragen über die konkrete politische Landschaft in Albanien und die Regierungsführung Ramas gestellt werden.
Stattdessen erfahren die Leser:innen – an einer anderen Stelle – in einem redaktionellen Einschub nur: „Mit ihr (Meloni, d.Red.) beschloss er im vergangenen Jahr, in Albanien – und damit außerhalb der EU – Asyl-Aufnahmezentren für Menschen zu schaffen, die in Booten über das Mittelmeer in Richtung Italien geflüchtet waren.“
Verehrer: Edi Rama begrüßt seine italienische Kollegin Giorgia Meloni. Foto: Imago/Bestimage
Warum wird das nur dort erwähnt, ist aber nicht Teil des Gesprächs? Das sogenannte „Albanien-Modell“ ist eines der umstrittensten in der europäischen Flüchtlingspolitik und in einem zehnseitigen Interview, in dem es erstmal sehr lange über die Größe des Ministerpräsidenten geht, kann man etwa schlecht argumentieren, es habe der Platz dafür gefehlt.
Redaktionelle Einschübe als Freifahrtschein
Tatsächlich ist das Irritierendste an diesem Text, dass die wirklich kritischen Passagen gar nicht im Interview enthalten sind – sondern in solche redaktionellen Einschübe ausgelagert werden. Darin werden etwa albanische Journalisten zitiert, die Rama vorwerfen, mithilfe der organisierten Kriminalität an der Macht zu bleiben oder mit seinen diplomatischen Erfolgen eine Fassade aufzubauen, um seine „autokratische Macht“ zu legitimieren.
Manche dieser Einschübe greifen die Autoren in ihren Fragen auf, formulieren sie aber deutlich diplomatischer. So wird etwa der Schriftsteller Fatos Lubonja mit der Aussage zitiert, unter Rama „laufe es wie unter Putin“. Die Frage dazu lautet schlicht: „Wie erklären Sie sich, dass der Schriftsteller Fatos Lubonja, der einst Ihr Freund war, heute einer Ihrer schärfsten Kritiker ist?“ Durch diese Kombination aus freundlich-offenen Fragen im eigentlichen Interview und der scharfen Kritik in den Einschüben entsteht eine eigentümliche Diskrepanz im Text.
Grundsätzlich können solche redaktionellen Einschübe sinnvoll sein – um etwa die Gesprächssituation zu schildern, Sachverhalte zu konkretisieren oder einen Faktencheck einzubauen. Im „Zeit Magazin“ wirkt der Text aus dem Off jedoch an mehreren Stellen so, als würden dort die kritischen Aspekte platziert, die man im direkten Gespräch bewusst ausgelassen hat – vielleicht, weil sie die nette Plauderei über Ramas Körpergröße, seine Zeit als Basketballer oder als Künstler gestört hätten. So entsteht der Eindruck, die Einschübe dienten als eine Art Freifahrtschein für diese Form der Interviewführung – ganz nach dem Motto: Das kann man schon so machen, man hat es ja im Nachhinein eingeordnet.
Trivialer Plauderton statt nötiger Kritik
An vielen Stellen fehlt diese Einordnung aber ganz: So erfahren die Leser:innen, dass Edi Rama die Wahlen im Mai klar gewonnen hat. Was man auf den zehn Seiten allerdings nicht erfährt, ist, wie die OSZE diese Wahlen einschätzt. In einem Bericht spricht sie nach einer intensiven Wahlbeobachtung vom Missbrauch öffentlicher Ressourcen durch Ramas Regierungspartei, mit denen diese sich einen unzulässigen Amtsvorteil verschaffte. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Druck auf Wähler:innen ausgeübt wurde, insbesondere auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst.
Stattdessen dominiert ein gefälliger Plauderton. Nach den Fragen zu seiner Körpergröße geht es darum, wie Rama einen schweren Angriff im Jahr 1997 überlebte, um seine Kindheit in Albanien, seine Zeit als Basketballer, als Künstler in Paris und seine Rückkehr nach Albanien nach dem Tod seines Vaters. Teilweise wirkt das in seiner Trivialität fast komisch. Etwa hier:
ZEITmagazin: In Ihrem Büro finden sich überall Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen. Haben Sie schon als Kind gezeichnet?
Rama: Ja, seit ich drei Jahre alt war, und ich habe damit nie aufgehört. Zeichnen und Malen gehören schon so lange zu meinem Leben, wie ich mich erinnern kann.
An anderer Stelle wiederum klingt es merkwürdig bewundernd:
ZEITmagazin: Hat Ihnen Ihre physische Stärke geholfen, als jemand im Jahr 1997 versuchte, Sie umzubringen?
Altherrenwitze in der Überschrift
Am Ende des Interviews driftet das Gespräch zwischen den drei Männern noch in Richtung Altherrenwitz ab. Rama erzählt, dass seine größte Opposition seine Frau sei – die ihn nach Feierabend, wenn er einfach nur zu Hause einen Film schauen wolle, so scharf kritisiere, dass er sie regelrecht um Gnade bitten müsse. Das Interview endet mit den Worten: „Wenn Sie zu Hause eine solche Opposition haben und auf sie hören, werden Sie außerhalb Ihrer eigenen vier Wände unschlagbar. Dann können Sie sogar König von Albanien werden!“ Eine Steilvorlage, die sie beim „Zeit Magazin“ nicht ungenutzt liegen lassen – das Zitat hat es in die Titelzeile geschafft.
Es ist ein in weiten Teilen unterhaltsames Interview – was völlig in Ordnung wäre, wenn man einen Schauspieler, Musiker oder Reality-TV-Star interviewen würde. Ein Interview mit einem Ministerpräsidenten, dem autoritäre Tendenzen vorgeworfen werden, sollte aber anders laufen.
Verharmlosung zum Vergnügen des Publikums?
Das findet auch Gresa Hasa, Aktivistin, sowie Co-Gründerin und Chefredakteurin des ersten feministischen Onlinemagazins Albaniens Shota. Sie sagt im Gespräch mit Übermedien:
„Es ist beunruhigend, wie die aktuelle politische Realität Albaniens ignoriert wird – wo das Land nach den Wahlen am 11. Mai de facto als Einparteienstaat funktioniert. Während das Rama-Regime dabei ist, abweichende Meinungen mit Gefängnisstrafen zu kriminalisieren, indem es das Verspotten der Regierung unter Strafe stellt, veröffentlicht das ‚Zeit Magazin‘ einen Artikel, der einen semi-autoritären Regierungschef zum Vergnügen eines deutschsprachigen Publikums verharmlost.“
Es ist nicht so, als gäbe es gar keine kritischen Fragen in dem Interview, allerdings kommen diese erst recht spät. Dabei geht es um Themen wie Korruption, Umweltschutz, ein Immobilienprojekt von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, Pressefreiheit und das TikTok-Verbot in Albanien. Sie bleiben jedoch meist recht vage, und es wird kaum nachgehakt – was es Rama leicht macht, sich mit langen Tiraden herauszureden. Er erklärt dann, dass eigentlich alles sehr gut laufe, die Opposition jedoch unfair mit ihm umgehe, indem sie ihn etwa als homosexuell oder als Drogendealer darstelle.
Wenn Chefreporter auf Zitatejagd gehen
Politikern, die sich inzwischen in ihrer vierten Amtszeit befinden und das mächtigste Amt im Land innehaben, würde man vielleicht auch einmal die Frage stellen, wie sie selbst mit der Opposition umgehen – doch das passiert nicht. Stattdessen fragt das „Zeit Magazin“: „Haben Sie mal Drogen genommen?“
So zeigt das Interview im Kern, welcher Journalismus dabei herauskommt, wenn Reporter ohne spezifische Expertise primär auf der Suche nach skurrilen Typen, kuriosen Zitaten und einem bestimmten Storytelling sind. Über Albanien erfahren die Leser:innen des „Zeit Magazin“ sehr wenig. Stattdessen darf sich hier ein Regierungschef mit autokratischen Tendenzen als exzentrischer Macher inszenieren.
4 Kommentare
Krass, dass es in der ZEIT keine Mechanismen gegen so etwas gibt. „Ich würde gerne ein gefälliges Interview machen, aber in unserer Redaktion gilt leider, dass wir unseren Fragenkatalog vorher gegenlesen.“
Da bin ich ja nicht der Einzige, den die Diskrepanz zwischen dem plauderhaften Interview und den redaktionellen Einschüben gestört hat. Nach der Lektüre habe ich mich erst mal im Netz über den – mir bis dahin unbekannten – Edi Rama informiert und fand das Interview dann noch seltsamer.
Allerdings ist es ja nicht im Politikteil der ZEIT erschienen, sondern im Magazin. Da ist es meines Erachtens auch gut platziert, da es dort seit geraumer Zeit ohnehin kaum noch interessante oder erhellende Artikel gibt, sondern meist eher belanglose Inhalte. Von dem ganzen True Crime-Kram, der sich in der ZEIT (in verschiedenen Rubriken) immer mehr breitmacht, fange ich gar nicht erst an zu reden…
„Softball questions.“ Wie in den Pressekonferenzen des Weißen Hauses.
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Krass, dass es in der ZEIT keine Mechanismen gegen so etwas gibt. „Ich würde gerne ein gefälliges Interview machen, aber in unserer Redaktion gilt leider, dass wir unseren Fragenkatalog vorher gegenlesen.“
Da bin ich ja nicht der Einzige, den die Diskrepanz zwischen dem plauderhaften Interview und den redaktionellen Einschüben gestört hat. Nach der Lektüre habe ich mich erst mal im Netz über den – mir bis dahin unbekannten – Edi Rama informiert und fand das Interview dann noch seltsamer.
Allerdings ist es ja nicht im Politikteil der ZEIT erschienen, sondern im Magazin. Da ist es meines Erachtens auch gut platziert, da es dort seit geraumer Zeit ohnehin kaum noch interessante oder erhellende Artikel gibt, sondern meist eher belanglose Inhalte. Von dem ganzen True Crime-Kram, der sich in der ZEIT (in verschiedenen Rubriken) immer mehr breitmacht, fange ich gar nicht erst an zu reden…
„Softball questions.“ Wie in den Pressekonferenzen des Weißen Hauses.
Sehr schöner Text.
Jetzt hätte nur noch die Person, die Dachzeile und Teaser getextet hat, vorher mal einen Blick in diese Kolumne werfen können… https://uebermedien.de/25266/hasswort-umstritten/