Gesundheit

Bitterer Beigeschmack bei Blutzucker-Recherche

Glukosetracking ist der neue Trend unter Lifestyle-Coaches. Der Bayerische Rundfunk nimmt die Methode in einem sauber recherchierten Beitrag unter die Lupe – vergisst aber, eine entscheidende Information über eine Protagonistin zu erwähnen.
Auch gesunde Menschen können mithilfe von Apps ihren Zuckerspiegel überwachen. Belege für den Nutzen fehlen aber. Screenshot: BR

Die Selbstoptimierungs-Community hat ein neues Feindbild: Blutzuckerspitzen. Schnellt der Glukosewert nach kohlehydratreichen Mahlzeiten nach oben, wähnen Zucker-Coaches und selbsternannte Ernährungsexpert:innen die Menschheit der Apokalypse nah. Denn Blutzuckerspitzen – so verkünden sie es in sozialen Medien und Büchern – machten krank, faul und fett. Glücklicherweise haben sie aber auch die vermeintliche Lösung parat: Glukose-Diäten und Glukosetracking, also das Überwachen des Zuckerspiegels im Körper.

Der Bayerische Rundfunk (BR) hat sich den Trend mal genauer angeschaut und fragte am 20. Mai 2025: „Was bringt eine blutzuckerbewusste Ernährung für Gesunde?“ Der Beitrag der Reihe „Gesundheit!“ ist in der ARD-Mediathek ebenso abrufbar wie über die Webseiten der Tagesschau und des BR.

Abnehmen dank Glukosetracking?

„Testperson Dora“ kämpft darin mit einem Mittagstief und würde gern etwas abnehmen. Für den Beitrag kontrolliert sie eine Woche lang ihre Glukosewerte mithilfe eines Sensors. Claudia ist schon weiter, sie überwacht ihren Gewebezucker laut Beitrag schon „seit Jahren“: „Ich tracke, weil ich wissen möchte, wie mein Körper auf bestimmte Mahlzeiten reagiert“, erzählt sie den Fernseh-Zuschauer:innen.

Dafür trägt sie einen Sensor am Oberarm und liest die Werte auf einer Smartphone-App aus. Nach einem „gesunden Snack“ zeigt die App: alles im grünen Bereich!

Am Ende des Beitrags berichtet Claudia noch, dass sie seit Jahren versucht abzunehmen und sich wunderte, warum das nicht klappt. „Und dann habe ich mit dem Glukosetracking angefangen und habe gemerkt: Klar, wenn mein Blutzucker immer Achterbahn fährt, dann kann ich nicht abnehmen“, sagt sie. Jetzt seien es bereits vier Kilo weniger. Alles dank des Glukosetrackings, so jedenfalls der Eindruck.

Was die Zuschauer:innen nicht erfahren

Ansonsten erfährt man nicht viel über Claudia. Zum Beispiel, wie sie sonst lebt und sich ernährt. Ob sie außer dem Glukosetracking noch andere Dinge in ihrem Leben geändert hat. Und auch nicht, was Claudia beruflich macht.

Dieser Punkt wäre für die Zuschauer:innen aber vielleicht spannend. Denn ein Blick auf Claudias LinkedIn-Profil verrät: Sie ist diplomierte Oecotrophologin und arbeitet nach ihren Angaben als Ernährungstherapeutin und Pharmareferentin. Ihre – laut LinkedIn – aktuelle Beschäftigung: Team Lead Sales (Vertriebsleiterin; Anm. d. Red.) bei Perfood. Eine Anfrage bei ihr sowie bei dem Unternehmen bestätigt das.

Die Perfood GmbH wurde im Jahr 2017 in Lübeck gegründet und entwickelt „innovative digitale Therapien“. Eine Anwendung ist „sinCephalea“, eine App zur Migräneprophylaxe; die zweite heißt „glucura“ und soll die Diabetestherapie unterstützen. Beide Apps sind als Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) im Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (vorläufig) eingetragen. Das heißt, Patient:innen können diese DiGA von ihrer Krankenkasse erstatten lassen. Das Geld erhält Perfood.

Sowohl „sinCephalea“ als auch „glucura“ sammeln Daten von Gewebezuckersensoren, werten sie aus und geben Empfehlungen, etwa zur personalisierten Ernährung. Sensoren, wie auch Claudia einen im BR-Beitrag trägt und von dem sie sehr überzeugt zu sein scheint.

Warum der BR keinen Interessenkonflikt sieht

Sind das nicht Interessenkonflikte, die das Redaktionsteam von „Gesundheit!“ zumindest hätte offenlegen müssen? Übermedien hat beim Bayerischen Rundfunk nachgefragt. Die Redaktion sehe keinen Interessenkonflikt, antwortet die Pressestelle. Schließlich würden im Beitrag keine Produkte der Firma Perfood gezeigt oder genannt. Die langjährige Anwenderin verwende kein Perfood-Produkt und äußere sich auch nicht zu den Produkten der Firma. Und die Firma habe zum „damaligen Zeitpunkt Apps für Migräne- und für Diabetespatienten“ angeboten. „Im BR-Beitrag ging es aber um ein Lifestyle-Produkt für Gesunde und dessen zweifelhaften Nutzen“, heißt es.

Das stimmt zwar. Ohne Sensoren sind die Apps allerdings ebenso nutzlos wie die Sensoren ohne Apps. Dort eine Grenze zu ziehen, scheint kurzsichtig. Die Perfood-App „glucura“ etwa erlaubt es, den Glukosewert im Körper zu bestimmen und zu verfolgen. „Testen Sie Mahlzeiten mit unserem Glukosesensor und erfahren Sie, wie Ihr Blutzucker darauf reagiert“, schreibt Perfood auf der Website. Das ist die Definition von Glukosetracking. Und: Die App kann auch ohne Rezept erworben werden. Der Schritt zum Glukosetracking als „Lifestyle“ scheint hier also sehr klein zu sein.

Wusste die Redaktion also Bescheid, dass eine ihrer Testpersonen in der Branche arbeitet, die ihr Beitrag unter die Lupe nimmt? „Eine umfangreiche Recherche ist bei der Erstellung journalistischer Beiträge selbstverständlich, ebenso ein gründlicher Background-Check der Protagonisten“, heißt es dazu in der Antwort der Pressestelle. Und dieser Check hat offenbar auch stattgefunden: „Sie [Claudia; Anm. d. Red.] wird im Beitrag als Privatperson befragt, legte aber ihre berufliche Tätigkeit für die Firma Perfood vor dem Dreh offen.“ Für die Redaktion war diese Tätigkeit offenbar kein Problem.

Das Problem ist nicht die fehlende Einordnung

Dazu führt die BR-Pressestelle noch einen weiteren Punkt an, warum aus ihrer Sicht kein Interessenkonflikt vorlag: Es werde im Beitrag keine Werbung für derartige Geräte – sprich: die Sensoren – gemacht, sondern „ihr Nutzen für gesunde Menschen kritisch hinterfragt und auch die subjektiv positiven Erfahrungen von Claudia von unabhängigen Experten entsprechend eingeordnet“.

Das steht außer Frage. Der Beitrag liefert trotz der suggestiven Überschrift und Teaser eine saubere Einordnung. Denn wissenschaftliche Beweise dafür, dass ein schwankender Blutzuckerspiegel für gesunde Personen schädlich ist, fehlen. Ebenso dafür, dass Glukosetracking leistungsfähiger, wacher oder fitter macht. Die beiden Expertinnen im Beitrag, Diabetologin Diana von Welser und Ernährungswissenschaftlerin Cornelia Klug, zeigen klar die Schwächen und Risiken der Methode auf.

Und dennoch sehen die Zuschauer:innen eben zwei Protagonistinnen, deren Fazit jeweils unterschiedlich ausfällt. „Testperson Dora“ entscheidet am Ende, dass sie ganz gut ohne Glukosetracking auskommt. Und Claudia? „Auch ohne wissenschaftliche Belege: Claudia hält an der Glukose-Diät fest“, heißt es wenig überraschend. Trotz der Einordnung bleibt also hängen: Die eine sagt so, die andere so.

Redaktion sieht doch Ergänzungsbedarf

Gab es denn keine andere Person, mit weniger ‚arbeitnehmerischem Ballast‘ als Claudia, die als langjährige Glukosetrackerin hätte berichten können? Das ist unklar, aber wir erfahren vom BR: „Im Fall von Gesundheitsthemen ist es besonders aufwendig, Patienten oder Betroffene zu einer speziellen Fragestellung zu finden, die über ihre Erfahrungen berichten können und wollen.“ Für diesen Beitrag war es offenbar zu schwer.

Bemerkenswert ist auch, dass der BR in seiner Antwort an Übermedien zwar behauptet, die Redaktion habe „journalistisch korrekt“ gearbeitet, dann aber Verbesserungsbedarf einräumt: „Dennoch kam diese im Rahmen der Sendungskritik zu dem Schluss, dass ein Transparenzhinweis angebracht gewesen wäre, und hat sich deshalb entschlossen, einen solchen Hinweis in den zum Beitrag gehörenden Online-Texten noch zu ergänzen.“ Das ist mittlerweile erfolgt.

Tatsächlich ist es ja so: Es muss überhaupt nicht konkret um Produkte von Claudias Arbeitgeber gehen, damit ein Transparenzhinweis angebracht ist. Denn durch ihre berufliche Nähe zum Thema des Beitrags ist sie nicht die neutrale Testperson, als die sie präsentiert wird. Eine Offenlegung ist in solchen Fällen schlicht notwendig. Das würde den ansonsten sauber aufbereiteten Beitrag nicht schmälern, den Zuschauern aber erlauben, sich ein vollständiges Bild von Claudias finaler Entscheidung für das Glukosetracking zu machen. 

6 Kommentare

  1. Blutzuckermessen als Lebensstil. Statt Brillen aus Fensterglas. Und nächstens Hipsterrollstühle?
    Diesmal habe ich auch was sprachliches: die Berufsbezeichnung müsste „Ökotrophologin“ sein, auch wenn die konkrete Person es anders hipper findet.

  2. Ich lese gerade, dass der Berufsverband das tatsächlich so schreibt – okeeeeee…

    Sieht trotzdem falsch aus.

  3. Bei der ARD Mediathek (Link wie oben: https://www.ardmediathek.de/video/gesundheit/was-bringt-eine-blutzuckerbewusste-ernaehrung-fuer-gesunde/br/Y3JpZDovL2JyLmRlL2Jyb2FkY2FzdC9GMjAyNFdPMDE0OTk1QTAvc2VjdGlvbi9lN2IxNTk5MC1jMDdiLTRiOWMtOTg4Zi1kYzNkNTE0NDdiNzM) kann ich den Transparenzhinweis nicht finden.

    Der Hinweis auf den anderen Seiten enthält den Satz: „Diese bietet unter anderem Apps für Migräne- und Diabetespatienten an.“

    Im Artikel steht, dass die App auch fürs Glucose-Tracking verwendet werden kann. Das gehört meiner Ansicht nach in den Transparenzhinweis hinein. Da Unternehmen und Produkt nicht genannt werden, können Lesende nicht wissen, ob es sich hier um eine App mit einer solcher Funktion handelt.

  4. Schön, dass jetzt nach Ozempic und ähnlichen Wirkstoffen den Diabetiker*innen auch die Sensoren weggekauft werden. Über so einen Trend sollte man gar nicht berichten, um es eben überhaupt nicht erst zu einem Trend zu machen. Vermutlich denken jetzt viele, die das gesehen haben, darüber nach, das auch zu machen. Diese Sensoren sind übrigens auch noch Elektromüll, weil ja in jedem ein Chip ist.

  5. Wenn mir als Blutzuckerherausgeforderter weder mein Hausarzt noch andere mit dem Thema befasste Fachärzte empfehlen, meinen Blutzuckerwert laufend zu überwachen (also auch nicht täglich auf klassische Art), sondern zur Überwachung ein Messpunkt ca. alle 2 Monate in der Praxis und alle halbe Jahr als Langzeitzuckerwert völlig ausreichen, wer bin ich, mich mit einem zu viel an Überwachung und Informationen völlig nervös zu machen? Ich nenne sowas Geldschneiderei (und weil es die KK bezahlen auch noch auf Kosten der Allgemeinheit und der Solidargemeinschaft). Ich brauche sowas nicht, vermeide Zucker- und kurzkettige Kohlenhydratspender, esse frisch zubereitetes und wenig Fertigkram und alles läuft super.

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