Expertinnen kommen in den Medien viel seltener zu Wort als Experten. Bei der „Apotheken Umschau“ ist das anders. Hier ist Parität Pflicht – denn ohne Quote würden weiterhin Männer erklären, wie sich eine Mammographie für eine Frau anfühlt.
Momentaufnahme beim „Spiegel“ am Freitag, 11. April: Auf der Startseite des Nachrichtenmagazins werden 13 Interviews angeteasert. Befragt werden: ein Politiker, ein Immobilienfinanzierer, ein Paartherapeut, ein Schiedsrichter, ein Historiker, ein Nahostexperte, ein Finanzexperte, ein Psychotherapeut und ein Psychiater. Und Kai Pflaume.
Frauen, möchte man einwenden, kennen die aber schon, oder? Man muss ein wenig suchen, aber dann findet man auf der Startseite auch eine ADHS-Spezialistin, eine Historikerin und eine Mutter, die über ihre Teenager-Schwangerschaft spricht. Zehn Männer, drei Frauen.
Ein typisches Bild
Expertinnen sind in den meisten Medien in der Unterzahl. Es mag mehr Schiedsrichter als Schiedsrichterinnen geben und auch mehr Politiker als Politikerinnen, aber in den meisten Berufsfeldern ist das Geschlechterverhältnis (bis auf die oberen Führungsebenen) recht ausgeglichen. In den Medien teilen trotzdem überwiegend Männer ihre Expertise. Eine von der Malisa-Stiftung initiierte Studie von 2021 hat ergeben, dass 74 Prozent der Fachleute in deutschen TV-Informationsformaten männlich sind. 2020 kamen dem Weltwirtschaftsforum zufolge weltweit weniger als 24 Prozent der Expertenstimmen in Medienberichten von Frauen.
Wer in der Branche auf dieses Missverhältnis hinweist, bekommt entweder vorsichtige Zustimmung oder hört von vagen Bemühungen. Ganz vorne bei Erklärungsversuchen, warum man noch nicht weiter ist: Es finden sich einfach keine Frauen, die zu dem Thema sprechen wollen. Und eigentlich – Lieblingsausrede Nummer zwei – soll es ja um Expertise gehen, ums Fachliche, nicht ums Geschlecht. Was schon als Argument gegen die Frauenquote in Führungspositionen nicht aufgeht: Frauen sind nicht weniger präsent, weil sie weniger können oder wissen, sondern weil Männer von gewachsenen Strukturen profitieren.
Screenshot: Apotheken Umschau
Beim Wort & Bild Verlag, zu dem unter anderem die „Apotheken Umschau“ gehört, ist das anders. In kaum einem Publikumsmagazin tauchen so viele Fachleute auf wie in dem zweiwöchentlich erscheinenden Magazin, das kostenlos in den Apotheken ausliegt. Und dabei ist die Hälfte der zitierten Expert:innen weiblich. Wie machen die das?
Mal durchgezählt
Bis vor ein paar Jahren habe bei der Auswahl von Expert:innen niemand auf deren Geschlecht geachtet, sagt Julia Rotherbl im Gespräch mit Übermedien. Als sie 2021 Chefredakteurin der „Apotheken Umschau“ wurde, fing sie an, in den Ausgaben durchzuzählen. „In manchen Heften wurden 80 Prozent Experten und 20 Prozent Expertinnen zitiert“, sagt sie. Ihr liebstes Beispiel: In einem Artikel über Mammographie antwortete auf die Frage, ob die Untersuchung schmerzhaft sei, ein Mann, der einer gynäkologischen Fachgesellschaft vorsitzt. „Das ging mir so gegen den Strich“, sagt Rotherbl. „Man muss keine Brüste haben, um ein Brustkrebsexperte zu sein, aber bei der Frage sollte doch wohl jemand mit Brüsten zu Wort kommen.“
Über diese Kolumne
Wir schreiben meistens dann über Medien, wenn Fehler passieren oder etwas schiefläuft. Diese Kolumne ist für Lob reserviert. Ist Ihnen im Fernsehen, Internet, Radio oder in der Zeitung etwas aufgefallen, das Sie positiv überrascht hat? Schreiben Sie uns!
Rotherbl machte es zum redaktionellen Standard, dass Expert:innen paritätisch zitiert werden. „Uns lesen vor allem Frauen, und unsere Redaktion besteht überwiegend aus Frauen. Ich finde es schwierig, wenn uns ständig Männer die Welt erklären, in unserem Fall Gesundheitstipps geben.“ Ihrer Redaktion sei sie mit dem Vorstoß „ziemlich auf die Nerven gegangen“. Aber sie hat sich durchgesetzt. Inzwischen gehört Rotherbl auch zur Chefredaktion für die Titel „Apotheken Umschau Eltern“, „Diabetes Ratgeber“ und „Senioren Ratgeber“, die Paritätsregeln gelten auch da.
Wer Parität nicht einhält, muss das begründen
Auch freie Autor:innen werden beim ersten Auftrag über die redaktionellen Standards informiert. Wer die Parität nicht einhält, müsse erklären, warum. Gründe, die Rotherbl gelten lässt, sind zum Beispiel, wenn Universitäten oder Organisationen keine Expertin vermitteln können, nur Männer eine aktuelle Studie geleitet haben – und manchmal auch Zeitdruck.
Die „üblichen verdächtigen“ Experten seien in der Regel männlich, weiß und um die 50 oder älter, sagt Rotherbl. Dabei sind dem „Deutschen Ärzteblatt“ zufolge
heute rund 40 Prozent der Ärzt:innen in Deutschland weiblich, zwei Drittel der Studienanfänger sind Frauen. Doch bei Presseanfragen werden oft Vorstände und Sprecher von Fachgesellschaften vermittelt, die größtenteils männlich seien.
Der Großteil des Publikums der „Apotheken Umschau“ ist älter als 60. Achtet diese Generation so sehr darauf, wer im Heft medizinischen Rat gibt? „Meine Erfahrung ist, dass die Leserinnen und Leser mittlerweile sensibler sind als Journalistinnen und Journalisten denken“, sagt Rotherbl. Sie erinnert sich an eine ältere Frau, die vor vielen Jahren eine Brustkrebstherapie gemacht hatte und einen Leserbrief schrieb. „In Arztgesprächen saßen ihr immer Männer gegenüber – über die Frage, ob eine Brust abgenommen wird, hätte sie gern mit einer Ärztin gesprochen. Sie hat sich gefreut, dass bei uns im Heft so viele Ärztinnen zu Wort kommen.“
Julia Rotherbl, Chefredakteurin der „Apotheken Umschau“ Foto: W&B/Anne Hufnagl
Der Check
Aber hält die „Apotheken Umschau“ auch ein, was sie sich vorgenommen hat? Stichprobe: Für die Titel-Story der „Apotheken Umschau“ vom 1. April über den „gefährlichen Hype um E-Zigaretten“ wurden befragt: eine Präventionsforscherin, eine Allgemeinmedizinerin, ein Psychologe und eine Krebsforscherin. 3:1 für die Frauen.
Im FAQ über das Leben mit Diabetes Typ 2 geben Auskunft: ein Chefarzt einer Diabetes-Klinik, ein Diabetologe, eine Diabetologin und eine Apothekeninhaberin. Unentschieden.
Über Scheidentrockenheit sprechen eine Gynäkologin und eine Apothekerin, über Nahtoderfahrungen ein Kardiologe, ein Schlaganfall-Spezialist und eine Sterbegleiterin, über sicheres Radfahren ein Unfallchirurg, über Angst im Krankenhaus ein Oberarzt und eine Psychologin. Manchmal ist es eine Frau mehr, mal ein Mann, insgesamt ist es ausgewogen, was auffällt, weil es den Lesegewohnheiten nicht entspricht. Erfrischend ist das, wohltuend, empowernd, überfällig. Und leider eine Seltenheit.
In ihren Magazinen achtet Rotherbl nicht nur auf ein ausgewogenes Verhältnis. „50:50 reicht nicht, wenn die Professoren immer männlich und die Ergotherapeutinnen immer weiblich sind, als gäbe es keine Professorinnen und Ergotherapeuten“, sagt sie. „Natürlich gibt es die Konstellation, aber wenn sie in fünf Artikeln hintereinander vorkommt, ist das ein schiefes Bild.“ Wären doch alle Blatt- und Medienmacher:innen so achtsam und ambitioniert!
Expertinnen gibt es genug
Initiativen und Plattformen erleichtern Redaktionen sogar die Recherche nach Expertinnen: Die Gleichstellungsinitiative Pro Quote Medien startete 2020 eine Kampagne für mehr Corona-Expertinnen und sammelte die Namen von Spezialistinnen. Die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. hat auf ihrer Webseite Expertinnen in der Onkologie gesammelt. Speakerinnen.org listet mehr als 21.500 Expertinnen in Bereichen wie Politik, Umwelt und Technik auf, die sich nicht nur in ihren Fächern auskennen, sondern auch auf Bühnen darüber sprechen. Netzwerk Recherche hat internationale Plattformen zusammengetragen, über die man explizit Expertinnen findet.
Rotherbl und ihrem Team geht es um die Sichtbarkeit von weiblicher Expertise, auch bei Protagonist:innen achten sie auf Diversität. Die Reichweite der Magazine sieht sie als Verantwortung, allein die „Apotheken Umschau“ erreicht knapp 16 Millionen Leser:innen pro Monat. Rotherbl ist sich sicher: Ohne Quote ändert sich nichts. „Man muss es wollen“, sagt sie. „Und dann geht es in der Regel auch.“
Die Autorin
Foto: Georg Jorczyk
Kathrin Hollmer arbeitet als freie Journalistin in München. Sie schreibt nicht nur über Filme und Serien, sondern diskutiert auch gern in Jurys darüber, insbesondere, wie Frauen und Diversität erzählt werden. Sie ist Vorsitzende der Nominierungskommission des Grimme-Preises für die Kategorie Fiktion. Für Übermedien hebt sie einmal im Monat Medien und Medienmacher:innen hervor, die ihrer Meinung nach ein Lob verdienen.
6 Kommentare
„Die „üblichen verdächtigen“ Experten seien in der Regel männlich, weiß und um die 50 oder älter“
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir dieses aus den USA importierte „weiß“ auf die Nerven geht. Vor allem, wenn es noch so völlig unmotiviert als „Zusatzmakel“ (zusammen mit dem Alter) gedropt wird, wenn es doch explizit um Mann-Frau-Ausgewogenheit geht. Wie „weiß“ und wie alt sind denn die weiblichen Expertinnen?
Zum Thema: Arbeite selbst auch in den Medien und unterstütze die gezielte Suche nach weiblichen Expertinnen ausdrücklich. In meinem Metier – Industrie und Technik – sieht es viel viel düsterer aus als in der Medizin. Wird aber tatsächlich langsam besser. 50:50 bleibt hier jedoch ein ferner Traum. Gut aber, daß die Umschau vorlegt.
Da der Frauenanteil in der Medizin bei über 50% liegt, wäre es schon verdächtig, wenn der Männeranteil bei diesen Expertenrunden höher bliebe.
„Ganz vorne bei Erklärungsversuchen, warum man noch nicht weiter ist: Es finden sich einfach keine Frauen, die zu dem Thema sprechen wollen.“
Habe ich leider selbst so erfahren müssen. Wir haben eine Veranstaltungsreihe zum Thema KI als Unterstützung von Unternehmensprozessen veranstaltet. Zugegeben recht technisches Thema aber aus dem Berufsalltag kannte ich genügend Frauen, die sich auch intensiv damit beschäftigen und das einsetzen. Als ich dann für die Veranstaltungen Speaker gesucht habe und versucht habe, eine ausgewogene Runde auf die Bühne zu bekommen, bin ich fast verzweifelt. Keine der angefragten Frauen wollte teilnehmen und gut 90% der Männer haben zugesagt.
Hier im Artikel wird das wie eine billige Ausrede dargestellt. Leider(!) ist es das oftmals aber nicht.
Wir haben ja vielerorts Probleme mit der Parität. Die Frage ist immer ob es fachlich sinnvoll ist, eine solche zu halten. In meinem Arbeitsbereich sind die führenden Köpfe Frauen. Hier geht es so weit, das in vielen Fachbüchern nur die weibliche Form Therapeutin genutzt wurde.
Ich fände es durchaus nicht sinnvoll hier zur hälfte Männer in die Berichte zu zwingen und das obwohl wir es oft, wegen etwas schwerer haben. Dennoch ist es nicht sinnvoll, Fachwissen dem Gedanken der Gleichberechtigung unterzuordnen.
Ein paritätisches Modell kann nur die letzte Möglichkeit sein, wenn ein bias erkannt und nicht inhaltlich behoben werden kann. Besser wäre es immer, nur inhaltlich auszuwählen. Gerne auf Grundlage von Publikationen ohne Vornamen.
Übrigens davon ab aber auf der selben mechanic basierend, halte ich wenig vom Gendern, (obwohl ich ständig falsch gegendert werde) . Ich bin überzeugt, das ein Begriff in seiner inhaltlichen änderung scheitert, wenn man ihn grundsätzlich in Geschlechter teilt. Besser ist es auch hier immer, den bestehenden Begriff breiter zu belegen.
Das ist zb beim englischen Prime Minister geglückt. Es wäre sicher auch beim deutschen Kanzler möglich gewesen, hätte man Merkel als Kanzler bezeichnet.
Will sagen, das teilen in Geschlechter bringt sie nicht enger zusammen.
Mega gut, liebe diese neue Rubrik!
Die Apotheken Umschau hat leider schon viel zu lange ein „angestaubtes“ Image, das absolut unberechtigt ist.
Wieder einmal feier ich die Publikation für ihre Arbeitsweise und der Umsetzung der Parität.
„Die „üblichen verdächtigen“ Experten seien in der Regel männlich, weiß und um die 50 oder älter“
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir dieses aus den USA importierte „weiß“ auf die Nerven geht. Vor allem, wenn es noch so völlig unmotiviert als „Zusatzmakel“ (zusammen mit dem Alter) gedropt wird, wenn es doch explizit um Mann-Frau-Ausgewogenheit geht. Wie „weiß“ und wie alt sind denn die weiblichen Expertinnen?
Zum Thema: Arbeite selbst auch in den Medien und unterstütze die gezielte Suche nach weiblichen Expertinnen ausdrücklich. In meinem Metier – Industrie und Technik – sieht es viel viel düsterer aus als in der Medizin. Wird aber tatsächlich langsam besser. 50:50 bleibt hier jedoch ein ferner Traum. Gut aber, daß die Umschau vorlegt.
Da der Frauenanteil in der Medizin bei über 50% liegt, wäre es schon verdächtig, wenn der Männeranteil bei diesen Expertenrunden höher bliebe.
„Ganz vorne bei Erklärungsversuchen, warum man noch nicht weiter ist: Es finden sich einfach keine Frauen, die zu dem Thema sprechen wollen.“
Habe ich leider selbst so erfahren müssen. Wir haben eine Veranstaltungsreihe zum Thema KI als Unterstützung von Unternehmensprozessen veranstaltet. Zugegeben recht technisches Thema aber aus dem Berufsalltag kannte ich genügend Frauen, die sich auch intensiv damit beschäftigen und das einsetzen. Als ich dann für die Veranstaltungen Speaker gesucht habe und versucht habe, eine ausgewogene Runde auf die Bühne zu bekommen, bin ich fast verzweifelt. Keine der angefragten Frauen wollte teilnehmen und gut 90% der Männer haben zugesagt.
Hier im Artikel wird das wie eine billige Ausrede dargestellt. Leider(!) ist es das oftmals aber nicht.
Wir haben ja vielerorts Probleme mit der Parität. Die Frage ist immer ob es fachlich sinnvoll ist, eine solche zu halten. In meinem Arbeitsbereich sind die führenden Köpfe Frauen. Hier geht es so weit, das in vielen Fachbüchern nur die weibliche Form Therapeutin genutzt wurde.
Ich fände es durchaus nicht sinnvoll hier zur hälfte Männer in die Berichte zu zwingen und das obwohl wir es oft, wegen etwas schwerer haben. Dennoch ist es nicht sinnvoll, Fachwissen dem Gedanken der Gleichberechtigung unterzuordnen.
Ein paritätisches Modell kann nur die letzte Möglichkeit sein, wenn ein bias erkannt und nicht inhaltlich behoben werden kann. Besser wäre es immer, nur inhaltlich auszuwählen. Gerne auf Grundlage von Publikationen ohne Vornamen.
Übrigens davon ab aber auf der selben mechanic basierend, halte ich wenig vom Gendern, (obwohl ich ständig falsch gegendert werde) . Ich bin überzeugt, das ein Begriff in seiner inhaltlichen änderung scheitert, wenn man ihn grundsätzlich in Geschlechter teilt. Besser ist es auch hier immer, den bestehenden Begriff breiter zu belegen.
Das ist zb beim englischen Prime Minister geglückt. Es wäre sicher auch beim deutschen Kanzler möglich gewesen, hätte man Merkel als Kanzler bezeichnet.
Will sagen, das teilen in Geschlechter bringt sie nicht enger zusammen.
Mega gut, liebe diese neue Rubrik!
Die Apotheken Umschau hat leider schon viel zu lange ein „angestaubtes“ Image, das absolut unberechtigt ist.
Wieder einmal feier ich die Publikation für ihre Arbeitsweise und der Umsetzung der Parität.