„Doomscrolling“ und „Digital Detox“: Warum Nachrichtenkonsum politisch ist

Eigentlich wollte ich diesen Monat einen Text über den Skandal um den Psychiater Michael Winterhoff schreiben. Ihm wird vorgeworfen, zahlreiche Kinder mit seinen Behandlungsmethoden geschädigt zu haben. Der Text sollte zeigen, wie Medien aufgrund der Dauerpräsenz Winterhoffs als Talkshowgast und Interview-Experte zu der Macht beigetragen hatten, die er dann missbrauchen konnte. Während ich aber an dieser Aufgabe saß, wanderte meine Aufmerksamkeit immer wieder in Richtung „Spiegel Online“ und den Sozialen Medien. Es ist schwer, sich zu konzentrieren, wenn in den USA die demokratischen Strukturen zerstört werden und weltweit die Finanzmärkte auf Talfahrt gehen.
Ich muss in diesem Zusammenhang an einen Satz denken, den Donald Trump am Ende seines katastrophalen und würdelosen Zusammenstoßes mit Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus geäußert hatte: „This is going to be great television“.
In gewis…
Wo kommt diese moralische Aufladung her? Warum bildet „man“ sich ein, ein besserer Mensch zu sein, wenn man im 5-Minuten-Takt Nachrichten in den Sozialen Medien wegsuchtet? Es ist doch kein moralischer Wert, das zu tun. Und am Zustand der Welt ändert es gar nichts.
Ich empfehle von X, Insta und Co. die Finger zu lassen, Push-Meldungen zu deaktivieren und zweimal am Tag Nachrichten im Radio zu hören. Zur Vertiefung gerne politische Podcasts mit etwas Abstand oder analytische Artikel. Das erspart eine Menge Stress und beugt der Illusion vor, durch Nachrichten-Dauerbeschuss sei man besser informiert – oder gar besser als Person.
Meines Erachtens ein falsches Dilemma. Es gibt doch nicht nur gar nicht oder rund um die Uhr! Wenn man sich einredet, man würde „wegschauen“, weil man von Trumps neuester Zoll-Volte erst nach fünf Stunden statt nach fünf Minuten gehört hat – dann überschätzt man vielleicht einfach den Einfluss des persönlichen Informiertseins auf den Gang der Dinge (als hätte man es verhindern können, wenn man es sofort gewusst hätte).
Es wird ja auch immer gleich Deutungshoheit verhandelt. Die Union und SPD halten noch die PK und schon gibt es erste oberflächliche Analysen und (vorbereitete) Pressemeldungen, welcher Verband mit dem Ergebnis unzufrieden ist.
Es wird ja nicht nur berichtet, was passiert, sondern im Anschluss immer noch 5 Leute, die das kritisieren. Ich bin ja eher linksgrün, aber können wir vielleicht der neuen Regierung mal ein paar Monate geben, bevor wir ihre Arbeit kritisieren? Oder bevor wir Wahlumfragen zu Schlagzeilen machen, obwohl die nächste Bundestagswahl noch 4 Jahre hin ist?
@Paddepat (#2)
Da ich in genau der Branche arbeite, muss ich das verteidigen: Du musst eine schnelle Reaktion raushauen, damit Du in der ersten dpa-Meldung landest, sonst kommst Du mit Deinen Positionen in der Berichterstattung nicht vor. Denn setzt Schwarz-Rot allein die Schlagzeilen, wie grandios das alles sei – und die Lücken in der Klima- oder Sozialpolitik kommen nicht vor.
Aber sonst hast Du recht: Politik braucht Zeit, und die Analyse des Vertrags auch. Deshalb sollte man sich als Rezipient der Nachrichten auch Zeit nehmen, sein Urteil zu fällen. Und das gelingt nur, wenn man nicht aufgeregt irgendwelche Ticker verfolgt, sondern tiefer einsteigt. Am besten erst mit etwas Abstand, wenn sich die Neuigkeiten gesetzt haben.