Telefonquizterror

Sind Schlagerradio-Hörer zu dumm, um einfache Quizfragen zu beantworten?

Beim Quiz im Schlagerradio dauert es regelmäßig sehr lange, bis endlich ein Hörer die Rätselfrage richtig beantwortet und Geld gewinnt. Was nach Live-Anrufen klingt, wurde allerdings vorher aufgezeichnet. Über ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, Hörer in die Irre zu führen.

Beim Schlagerradio ist die Welt noch in Ordnung. „Mit Melodie und Rhythmus, mit viel Herz und mit Verstand“, singt eine Frau, „so nehmen wir uns in den Arm, halten uns fest bei der Hand“, reimt ein Mann, und ein Chor haucht: „Schlager!“ Der Privatsender, der in mehreren Bundesländern über Antenne oder DAB+ zu empfangen ist, hat ein eigenes, harmonisch erstaunlich komplexes Lied, das man gelegentlich im Programm hört und bei dem man gar nicht anders kann, als sich innerlich zu erheben.

„Hier fühlst du dich geborgen,
Hier kannst du glücklich sein,
Wo du auch bist,
Was war und ist,
Bei uns bist du daheim –
Schlagerradio.“

Kurz darauf beginnt dann regelmäßig der Telefonquizterror.

Moderator am Limit

Ein Sonntagvormittag, Ende Januar. Seit vielen Minuten schon wird die Antwort auf folgende Frage gesucht: „7 Heuhaufen und 11 Heuhaufen werden zusammengetragen; wie viele Heuhaufen ergibt das?“ 100 Euro gibt es zu gewinnen. Der Moderator wiederholt ununterbrochen die Frage und die kostenpflichtige Telefonnummer. Es klingelt, ein Anrufer wird durchgestellt, legt aber sofort wieder auf. Es klingelt, Herr Schneider ist dran, seine Lösung: 18, falsch. Es klingelt, Timo ist dran, seine Lösung: 11, falsch. Es klingelt, Norbert ist dran, seine Lösung: 7, falsch.

Die Musik im Hintergrund wechselt von plätschernd zu dramatisch zu unerträglich spannend und ist irgendwann ganz weg. Der Moderator ist verzweifelt und fragt sich, ob das heute noch was wird. Er fragt seinen Co-Moderator, ob sie das Spiel vielleicht abbrechen müssen. Er fragt sich und seinen Co-Moderator, ob die Frage vielleicht zu schwer ist. „Mirko“, fleht er ihn an, „es rennt uns hier die Sendezeit weg, was kann man denn noch tun, ich hab noch niemanden hier im Studio gerade?!“

Mirko weiß, was man noch tun kann: die Gewinnsumme erhöhen. Auf 300 Euro. 500 Euro. 600 Euro. 750 Euro. 1000 Euro.

Es klingelt, jemand wird durchgestellt, legt aber sofort wieder auf.

„Es hat wahrscheinlich keiner raus“, stöhnt der Moderator. „Ich kann nichts mehr tun. Mirko, ich kann nichts mehr machen, dann müssen wir’s abbrechen, ich kann nichts machen. Was soll ich machen?“

Mirko weiß wieder, was man noch machen kann: die Zahl der Gewinnleitungen erhöhen. Zur Gewinnleitung 2 kommt die Gewinnleitung 4. Dann 6, 8, 12, 13, 14, er hat 7 Gewinnleitungen geöffnet, der Moderator scheint verblüfft, dass sowas überhaupt geht. Die 7-fache Gewinnchance! Später wird es die 10-fache Gewinnchance sein, mehr geht überhaupt nicht! Später wird es die 13-fache Gewinnchance sein.

Aber die Zeit, sie rennt davon! „Wir haben keine Sendezeit mehr“, klagt der Moderator, „ich muss in die Abmoderation gehen. Mirko, hier ist meine Abmoderation! Die letzten Sekunden!“

„In den nächsten 120 Sekunden ist definitiv Schluss“

Vom Gefühl der Geborgenheit und des Daheimseins beim Schlagerradio ist nun nichts mehr übrig, da sind nur noch Hektik und Leere und Verzweiflung, dass niemand das weiß oder niemand anruft oder niemand durchgestellt wird, und nun wird offenbar auch noch eine wichtige Zeitmarke erreicht. „Die Sendung ist gleich 17 Minuten lang“, warnt der Moderator. „In 58, 57, 56, 55 Sekunden.“ Er wiederholt noch einmal die Telefonnummer. „In 45 Sekunden ist diese Sendung 17 Minuten lang.“ Er wiederholt noch einmal die Telefonnummer. „Achtung, jede Sekunde zählt.“ Er wiederholt noch einmal die Telefonnummer. Er wiederholt noch einmal die Frage. „Keine 15 Sekunden mehr, dann ist diese Sendung 17 Minuten lang!“ Er wiederholt noch einmal die Telefonnummer. Er wiederholt noch einmal die Telefonnummer. Er wiederholt noch einmal die Telefonnummer. Er wiederholt noch einmal die Frage.

Werbung für das "Superquiz" im Schlagerradio
50 Cent kostet ein Anruf beim Superquiz. Der Anbieter verspricht Radiosendern „sichere Gewinne“. Screenshot: Schlagerradio

Dann ist die Sendung 17 Minuten lang. „Mirko, es ist noch niemand da.“ Dann ist die Sendung 18 Minuten lang.

„Achtung, die Regie sagt, in den nächsten 120 Sekunden ist definitiv Schluss.“ Man hört ein bedrohliches Ticken. „Ich brauche Sie jetzt“, ruft der Moderator. „Ich sage die Telefonnummer jetzt ein allerletztes Mal.“ Er wiederholt noch einmal die Telefonnummer. Er wiederholt noch einmal die Frage. Es klingelt.

„Hallo, wer ist dran? Hallo? HALLO?“

„Hallo.“

„Ihre Lösung?“

„Na einer.“

„Ist richtig!“

Man hört noch kurz den Anfang eines Katsching-Jingles, dann nichts mehr. Ein kurzes Sendeloch. Dann Gesang: „Hör auf dein Herz, Schlagerradio.“

Anrufsendung wie im Privatfernsehen

Samstags und sonntags läuft das 20-minütige „Superquiz“ im Schlagerradio. Es erinnert an die Anrufsendungen, die vor 15 bis 20 Jahren das Privatfernsehen zuwucherten; ein Sender namens 9live setzte damals fast ganz auf solche für die Anrufer teuren Spiele. Das Wort, das sich dafür durchsetzte, war „Abzocke“.

Die Schlagerradio-Versionen sind nicht nur ähnlich nervig wie viele der Sendungen damals, sondern klingen auch ähnlich zweifelhaft. Die Produktionsfirmen damals hatten ein großes Repertoire an Praktiken, mit denen die Zuschauer getäuscht und zum Anrufen animiert wurden. Dazu gehörte, den falschen Eindruck eines nicht vorhandenen Zeitdrucks zu erwecken oder Fake-Anrufer mit falschen Antworten durchzustellen. Und viele vermeintlich leichte Aufgaben waren in Wahrheit praktisch unlösbar.

Das ist im Schlagerradio eindeutig anders. Wenn es keine Wissensfragen sind oder ein Schlager an den ersten Noten erkannt werden muss, sind es bekannte Trickfragen wie: „Die Arche war 135 m lang und 22 m breit. An Bord waren 8 Menschen. Doch wie viele Tiere nahm Moses mit auf die Arche?“ (Richtige Antwort: Moses nahm gar keine Tiere auf die Arche.)

Der Ablauf beim „Superquiz“ ist verblüffend vorhersagbar. Typischerweise geht es so: Ein erstes Spiel verläuft relativ unauffällig. Die Frage ist nicht schwer; nach kurzer Zeit wird ein Anrufer durchgestellt, der eine kleine Summe gewinnt, 100 Euro. Das zweite Spiel hingegen wird regelmäßig erst in den allerletzten Sekunden gelöst. Bis dahin werden zwar anscheinend Anrufer durchgestellt, die aber alle entweder auflegen oder falsche Antworten geben.

Die vielen falschen Antworten sind kein Zufall

Durch Zufall lässt sich diese berechenbare Häufung falscher Antworten kaum erklären. Und tatsächlich erklärt sie der Sender auf Nachfrage auch nicht durch Zufall. „Die in den Sendungen eingespielten Antworten sind aus früheren Sendungen (sogenannte Backseller)“, teilt Pressesprecher Heiner Harke auf Anfrage von Übermedien mit. „Sie sind auch als solche gekennzeichnet, indem es zum Beispiel in der Anmoderation heißt, dass der Teilnehmer XY schon einmal die (eingespielte) Antwort gegeben hatte.“ Sie seien akustisch auch anders gestaltet als die Live-Antworten.

Doch anders als er behauptet, sind die eingespielten Antworten keineswegs als Aufzeichnungen aus irgendwelchen angeblichen früheren Sendungen zu erkennen. Der einzige indirekte Hinweis darauf ist ein kurzes „war da“, mit dem der Moderator sie einleitet: „Claudia war da“ oder „Deborah war da“. Aber die ganze Art, wie die beiden Moderatoren auf die nach einem Telefonklingeln eingespielten Antworten reagieren, erweckt den Eindruck, da hätte gerade jemand angerufen.

Sie schließen aus ihnen, dass die Frage vielleicht zu schwer ist, dass es vielleicht noch zu früh am Morgen ist für diese Frage, dass es vielleicht keiner raus hat, dass man wegen der vielen falschen Antworten vielleicht das ganze Spiel abbrechen müsse. In einem Spiel sagt der Moderator etwa:

„Ist die Frage zu schwer, woran liegt’s? Mag ich jetzt nicht glauben, haben wir Empfangsprobleme, hört uns gerade jemand, weil wir hören nur noch falsche Antworten.“

Die Chance beträgt 1:200.000

Alle Elemente – die eingespielten Anrufer mit den falschen Antworten, die unerklärlichen Aufleger, die Moderationen – erwecken den Eindruck, dass die Frage zu schwer sein könnte und es deshalb noch keinen Gewinner gibt. Und nicht etwa deshalb, weil die Chance eines Anrufers, ins Studio durchgestellt zu werden, minimal ist. Ein Zufallsgenerator steht zwischen Anrufer und Sendung: Laut Veranstalter beträgt die Wahrscheinlichkeit, ins Studio durchgestellt zu werden, 1:200.000. So steht es in den Regeln auf der Homepage, auf die in den Sendungen verwiesen wird. Die Zahl wird auch im Programm genannt, im Rahmen der besonders schnell gesprochenen und teilweise wegen dröhnender Hintergrundmusik kaum verständlichen Spielregeln.

Wenn der Co-Moderator weitere „Gewinnleitungen“ öffnet, erhöht sich angeblich die Chance, ins Studio durchgestellt zu werden. Aber auch bei dreizehnfacher Gewinnchance kommt statistisch gesehen nur jeder 15.000. Anrufer durch. Jeder Anruf kostet 50 Cent.

Die Redaktion hat zusätzlich die Möglichkeit, an diesem Unwahrscheinlichkeits-Mechanismus vorbei einen zufällig ausgewählten Anrufer, der gerade in der Leitung ist, in die Sendung zu holen. Sie betätigt dazu den sogenannten „Chance Button“. Tut sie das zu einem frühen Zeitpunkt im Spiel, legen die angeblichen Anrufer erstaunlich oft unmittelbar wieder auf, so dass die schier endlose Gewinnersuche weitergeht.

Meistens wird erst in den allerletzten Sekunden einer Sendung mithilfe des „Chance Buttons“ ein Anrufer ins Studio gestellt, der dann in der Regel auch die richtige Antwort gibt.

Strenge Regeln für die Moderation

Bis dahin erwecken die Moderatoren in vielfacher Form den Eindruck, dass gerade niemand anruft. Ausdrücklich formulieren dürfen sie das nach Angaben des Schlagerradio-Sprechers allerdings nicht: „Äußerungen, dass niemand anrufen würde, stehen auf der Moderations-Blacklist“, teilt er uns mit. „Die Sendungen werden regelmäßig geprüft. Dabei werden auch einzelne in den Livesendungen verwendete Formulierungen mit den Moderatoren regelmäßig besprochen.“

Die Sendung wird nicht von Schlagerradio selbst produziert, sondern von der auf solche Quizformate spezialisierten Berliner Firma Call Media & Entertainment (CME). Sie verspricht, dass es mit ihren Formaten „auch für lokale und regionale Sender möglich“ sei, „ohne Investitionsrisiko attraktive Zusatzerlöse zu generieren“. Von einem „sicheren Gewinn“ ist auf ihrer Homepage die Rede – für die Radiosender natürlich, nicht unbedingt die Hörer.

Neben dem „SuperQuiz“ für das Schlagerradio produziert die Firma unter anderem auch ein „CashQuiz“ für die verschiedenen Energy-Programme, BB Radio und viele weitere Sender, und ein „Wochenendquiz“ für Radio Paloma. Sie alle funktionieren nach demselben Schema, mit denselben zweifelhaften Abläufen und irreführenden Moderationen. Eine Anfrage von Übermedien ließ die Firma unbeantwortet.

Zuständig für die Aufsicht über solche Programme sind die Landesmedienanstalten. Sie haben eine Gewinnspielsatzung erlassen, in der es unter anderem heißt: „Aussagen jeglicher Art, die falsch, zur Irreführung geeignet oder widersprüchlich sind, insbesondere über die Spieldauer, den Gewinn, die Lösungslogik der Aufgabe, die Anzahl der nutzenden Personen, den Schwierigkeitsgrad eines Spiels (…) sind unzulässig.“ Nicht erlaubt ist demnach ausdrücklich auch „die Vorspiegelung eines Zeitdrucks“.

Medienanstalt sieht keinen Verstoß

Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hat nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr Beschwerden zu den CME-Formaten „Cashquiz“ und „Wochenendquiz“ erhalten. Sie habe daraufhin die Abläufe überprüft, das habe laut einer Sprecherin „keine Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Verhalten und einen Verstoß gegen die Gewinnspielsatzung ergeben“.

Der Schlagerradio-Sprecher sagt, es habe zu den Sendungen und den einzelnen Elementen darin „in der Vergangenheit regelmäßig konstruktive Gespräche mit verschiedenen Landesmedienanstalten gegeben“. Es sei dem Sender wichtig, „dass die Sendungen – wie bisher auch – der Gewinnspielsatzung und deren Anwendungsregeln entsprechen“.

Die Sendungen gleichen trotzdem jedes Mal eher einer absurden Hörspielaufführung zur Anrufanimation als einem fairen Gewinnspiel. Das meiste, was die Moderatoren über den Ablauf sagen, ist falsch, abwegig oder irreführend.

Auf die Frage, wieviel Umsatz das Schlagerradio mit diesem Telefonquizterror macht, antwortete der Pressesprecher nicht. Anscheinend ist es genug, um seine Hörerinnen und Hörer zweimal die Woche in dieser Form auszunehmen, denen man doch eigentlich regelmäßig das Versprechen singt:

„Bei uns gibt es nur Schlager,
Hier stimmen wir dich froh,
Willkommen bei deinem Schlagerradio,
Hör auf dein Herz,
Schalte ein, ganz egal wo,
Wir sind das Schlagerradio –
Schlaaaagerraaaadioooooooo.“

2 Kommentare

  1. ..und da ist sie wieder, die Diskrepanz zwischen „essen können“ und „k***** wollen“…

  2. Bei den Lokalradios in NRW ist mir noch ein weiterer Aspekt der Abzocke aufgefallen. Das Gewinnspiel (wie auch immer geartet) erweckt den Eindruck, dass es nur vor Ort im relativ kleinen Empfangsbereich ausgestrahlt wird. Dabei wird das Gewinnspiel eigentlich vom „Mantel“ des Lokalradioanbieters gemacht. Das heißt, dass man nicht mit ein paar hunderttausend anderen Hörern konkurriert, sondern mit mehreren Millionen.

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