„Lernlabor“ des künstlichen Hörfunks

Neues KI-Radio bigGPT: Seelenlos durch den Tag

Seit ein paar Tagen gibt es also nun den ersten Radiosender Deutschlands, der behauptet, komplett von KI erzeugt zu werden: von den Inhalten über die Musikauswahl bis zu den Moderatoren, zwei synthetischen Stimmen namens bigLayla und bigBen, die so heißen, weil sich der Sender bigGPT nennt, was wiederum daran liegt, dass er ein Ableger der Privatwelle bigFM ist. Von bigLayla gibt es auch ein Bild: Die fiktive Frau, die da zu sehen ist, erinnert an eine schmollmündige Radio-Lara-Croft mit üppigem Broadcast-Headset, die fest entschlossen scheint, jetzt mal so richtig zu senden.

KI-Bild der bigGPT-Moderatorin Layla: dunkles Haar, Headset, entschlossener Blick
Künstlich: bigGPT-Moderatorin bigLayla Screenshot: bigGPT

Trotz aller Künstlichkeit soll bigLayla natürlich ganz natürlich wirken, geradezu menschlich: „Bei der ersten Tasse Kaffee am Morgen heißt es für mich erst einmal: Infos checken!“, verrät sie auf der Webseite des Senders. Und bigLayla ist auch total offen und liberal: Vor allem „die Welt des Sports und der Technik“ habe es ihr angetan, erklärt sie. „Untypisch für eine Frau, sagst Du? Nicht so starr denken, würde ich dazu sagen. Unsere Interessen verbinden uns, ganz egal welches Geschlecht wir haben! Am Wichtigsten ist es doch, dass wir alle locker und respektvoll miteinander umgehen.“

Gefühle: „Das ist etwas Besonderes“

Ihre gute Laune jedenfalls lasse sie sich „schonmal gar nicht vermiesen“, lässt bigLayla noch wissen, was einem einerseits ein bisschen Angst machen kann. Ist sie etwas genauso jut druff wie ihre menschlichen Privatradio-Kollegen, die in jeden Tag starten wie in eine bierselige Nacht am Ballermann? Andererseits: Kann sie, eine KI, das überhaupt – echt gut drauf sein? Sie werde, je nach Thema, „auch mal emotional und schlage sanftere Töne an“, sagt bigLayla. Dabei ist es doch gerade das, was KIs nicht haben: Gefühl.

Darauf weist bigLayla auch im Programm hin. Sie beantwortet dort Fragen, die Hörerinnen und Hörer ihr stellen. Einmal will jemand wissen, ob KI nun alle Moderatoren ersetzen werde. „Hmm, gute Frage“, sagt sie ganz unschuldig, und dass sie das nicht glaube, denn: „Ihr habt diese tolle Fähigkeit, echte Emotionen zu zeigen. Das ist etwas Besonderes“. Sprich: Etwas, das sie eben nicht kann. Sie hat keine Seele und macht zwangsläufig seelenloses Radio. Auch wenn dahinter durchaus beseelte Menschen stehen, die mit Prompts anweisen, was die KI tun soll. Also alles unter Kontrolle?

Die Angst, dass KI dennoch irgendwann alles auffrisst und die Herrschaft übernimmt, diese Angst schwebt ja über allem derzeit, was mit KI zu tun hat. Müssen wir uns sorgen? Arbeiten hier Radio-Moderatoren an ihrer Abschaffung, indem sie KI ausprobieren, sie füttern und befähigen, Jobs zu machen, die bisher Menschen erledigen? Die KI selbst beruhigt, dass es soweit nicht kommen werde, puh, okay. Allerdings: Ist das nicht etwas, was man von einer imaginierten Killer-KI erwarten würde? Dass sie erst mal, ach, keine Angst, beschwichtigt – und dann heimlich, hinterrücks die Studiotür abschließt, um das Weltuntergangsprogramm zu starten?

Zur Sicherheit

Aber so richtig klug ist KI, zumindest in ihren Anfängen, ja sowieso noch nicht. Sie muss erst lernen, aus sich selbst und von Menschen. Und sie darf bei bigGPT, erstellt von einer Kombination verschiedener Software-Komponenten aus dem USA, auch nicht komplett selbständig arbeiten, da sind sie dann doch vorsichtig. Bislang läuft der Sender zwei Stunden am Tag, dann wird wiederholt. Zur Sicherheit. Wie auch, ebenfalls zur Sicherheit, ein Team überwacht, was die KI macht, nicht dass sie den Chef beleidigt, sexistische Witze reißt oder versehentlich einen Weltkrieg anzettelt, das wäre ja doof.

(Wobei, naja, ein bisschen sexistische Anspielung darf auch bei bigGPT sein. Zwischendurch sagt eine Männerstimme: „Hier bleibt kein Wunsch offen. Wir haben wirklich alles für dich. Aber vor allem eines: eine echt heiße Maschin … krchzzzz… ähm, Moderatorin.“ Haha. Die Stimme bittet die „dystopische Störung“ zu entschuldigen. „Wir sind doch alles nur Menschen.“)

Im „Mission-Statement“ des Senders, das ab und an gesendet wird, heißt es, dass sich die menschlichen Mitarbeiter „bei allem, was wir KIs hier tun, auch der möglichen Probleme bewusst“ seien. Deshalb habe die Redaktion sich „ethische Regeln auf Basis von journalistischen Standards gegeben“, etwa ein Vier-Augen-Prinzip. Die KI arbeitet also autonom, aber nichts wird veröffentlicht, „was nicht von menschlichen Redakteuren zuvor gehört wurde“. Im automatisierten Sendebetrieb gebe es „eine Art Not-Aus durch unsere menschlichen Kollegen“, heißt es. Was rätselhaft ist, wenn vorher alles geprüft wird. Aber vielleicht winkt hier, im „Not-Aus“, auch nur wieder der befürchtete KI-Weltuntergang.

Männer zwischen 15 und 35 Jahren

Bisher ist bigGPT ein Experiment, ein erst beginnendes, und dementsprechend dünn. Wetterbericht, Nachrichten, Vekehrsmeldungen, all das gibt es hier nicht. Es läuft viel Musik, klar, zwischendurch beantwortet bigLayla Fragen und KI-Kollege bigBen präsentiert „aktuelle Tech-News“, in denen er vermeldet, wann Apple neue Produkte rausbringt oder dass es Hinweise auf ein neues Harry-Potter-Lego-Spiel gebe. Alles klar, notiert.

Dass das thematisch so ist, liegt wohl auch daran, dass das Programm nach Angaben der Verantwortlichen auf eine „technisch interessierte Zielgruppe“ ausgerichtet wurde: junge Männer zwischen 15 und 35 Jahren. Aber warum eigentlich? Wieso spricht bigGPT erst in zweiter Linie alle anderen an?

Die Sendermacher versprechen sich von der KI, als regionaler Radiosender, unter anderem „Hilfe im regionalen Raum“. Alles, was man hier automatisiert recherchieren könne, etwa aus Social-Media-Quellen, sei hilfreich. Aber von dieser regionalen Kompetenz ist noch nichts zu spüren.

Auch nicht von überbordender neuer Kreativität, die sich die Sendermacher erhoffen: „Wenn man zum dreihundertsten Mal in seinem Berufsleben den gleichen Titel der Rolling Stones anmoderiert, liegt die Frage nahe, ob eine KI helfen kann, hierfür einen neuen Ansatz zu finden.“ Es klingt, auf eine Art, müde. Und genauso nah liegt ja auch die Frage, ob überhaupt die KI nach dem dreihundertsten Mal „Satisfaction“ noch überraschend ist. Vielleicht ist einfach auch irgendwann gut mit Rolling Stones.

Apropos: Musikalisch sollte man von „BigGPT“ nicht viel erwarten, vor allem nichts Neues. Es schrammelt, stampft und wummert wie überall im Popradio. AI-generated Content heißt hier schlicht, dass Hitlisten ausgelesen werden. Es laufen die „Top 40 der meistegestreamten Songs im Netz“; mal ist es ein beliebter Song von Tiktok, Youtube oder Spotify, oder der aktuell meistgesuchte in der Musikerkennungs-App Shazam. Für die Gewichtung der Quellen und die Abfolge der Songs habe man einen Algorithmus geschrieben. Was sich nicht sehr vom herkömmlichen Mainstream-Radio unterscheidet; auch dort erstellen oft Programme angeblich ausgewogene Musik-Listen, insbesondere tagsüber.

Dafür, dass unter den sieben Mitarbeitern des Teams, wie BigLayla zwischendurch erzählt, neben „Krativ-Köpfen“ und „Schreiberlingen“ auch „Musik-Nerds“ sind, oder zumindest eine/r, ist das ein doch sehr simples Musikkonzept. Es ist normales Popwellen-Hitradio, eine ewige, sich wiederholende Hot Rotation, die reproduziert, was ohnehin bekannt und beliebt ist. Spannender wäre doch, wenn die KI anhand all der Bestenlistendaten analysieren und spielen würde, was so ähnlich klingt oder gerade im Kommen ist, damit ich nicht das höre, was ich andauernd schon bei Tiktok oder Youtube höre, sondern etwas Frisches, möglicherweise den nächsten Hit.

„Synthetischer Audio-Kommunikations-Raum“

„Aber, hey, wir sind erst am Anfang dieses riesigen KI-generierten Audiotainment-Abenteuers“, sagt bigLayla. Und: „Aber, hey, Übung macht den Meister, oder?“ Und: „Aber, hey, wir KI-Moderatoren können euch unterstützen, inspirieren und unterhalten.“ Möglicherweise sagt sie etwas zu oft „Aber, hey“, aber, hey, das kann ja noch werden. Insgesamt klingt die Stimme gar nicht mal so schlecht, bigLayla moduliert mitunter sogar beim künstlichen Sprechen. Und wenn sie den Hörern einen „Hammer-Tag“ wünscht, dann klingt das, als wäre sie durch die dauerlaunige Privatradio-Schule gegangen.

Das Versprechen ist nun, dass bigGPT ein „Lernlabor“ ist, das sich verändert und weiterentwickelt wird, mithilfe verschiedener IT-Firmen, auch einer amerikanischen, und mithilfe der Community. Dass die KI also zum Beispiel irgendwann – vielleicht – auch Interviews führt. Interaktion, auch unter den KIs, gibt es bisher nicht. Man wolle nicht nur das Radio imitieren, sagt Programm-Geschäftsführerin Valerie Weber (echte Frau, früher Hörfunkdirektorin beim WDR), „sondern einen neuen synthetischen Audio-Kommunikations-Raum schaffen, in dem die KI-Moderatorin klare Positionen vertritt und mit den Hörern in Diskussion tritt“.

Die große Frage ist bloß, wie sich das anhört und vor allem: -fühlt. „Emotionalität und persönliche Bindung zu den Moderatoren sind gerade im Radio sehr wichtig“, schreibt der Sender in den FAQs: „Kann eine KI das auch leisten?“ Die Antwort: „Wir werden sehen. Viele Menschen haben auch zu Ihrer Apple Watch oder ihrem Smartphone eine enge Bindung aufgebaut, obwohl es nur ein technisches Gerät mit ein paar smarten Funktionen ist.“

Fraglich, ob das wirklich vergleichbar ist. Werden Hörerinnen und Hörer auf Dauer datengetriebene Radio-Maschinen und künstliche Stimmen akzeptieren? Oder gibt es nicht eher den Wunsch nach einer anderen Entwicklung? Dass da, gerade bei aller fortschreitenden Technisierung, Menschen sitzen, echte Charaktere mit Lebenserfahrung, die gut durchblutet sind, nahbar, die man auch mal bei so genannten Events treffen (und ggf. anfassen) kann. Und die einem bestenfalls Songs ans Herz legen, mit denen sie ein Gefühl verbinden, eine Faszination, die sie mit anderen Menschen teilen wollen.

Eben echtes Radio, wie früher.

4 Kommentare

  1. Warum macht man eigentlich, wenn man eine KI als Moderator:in einsetzt, eine Unterscheidung nach männlich und weiblich? Man könnte doch die Gelegenheit nutzen, die KI als geschlechtsneutral aufzusetzen. Zumindest wenn man die offenbare Zielgruppe von bigGPT mal ignoriert.

  2. Schlimmer als der durchschnittlich-dauerlaunige Hitradioeinheitsbrei wird’s schon nicht werden. Wieder 1000 potenzielle Fachkräfte freigesetzt für die Wirtschaftsfront. Ich werde stattdessen weiterhin meine Favoritenlisten vom Streamingdienst meines Vertrauens rauf und runter laufen lassen. Da hör ich zwar auch immer nur das gleiche, aber mehr Abwechslung als im Radio ist es allemal. Und mir quatscht auch keiner leutselig in die Musik rein.

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