Grüne Metoo-Vorwürfe

Der rbb und die verkorkste Recherche zu Stefan Gelbhaar

Der öffentlich-rechtliche Sender muss Berichte über den Grünen-Politiker zurückziehen. Der rbb hatte sich unter anderem auf die Erzählung einer Frau gestützt, von der sich nun herausstellte, dass es diese Person gar nicht gibt. Die Journalisten hatten sich täuschen lassen. Wie stichhaltig war die ganze Berichterstattung über den Fall?

Am vergangenen Freitag war in der Berliner „Abendschau“ im rbb-Fernsehen mal wieder der rbb selbst Thema. Man kennt das. Doch dieses Mal ging es nicht, wie vor mehr als zwei Jahren und seither immer mal wieder, um Verfehlungen in der Intendanz des öffentlich-rechtlichen Senders, sondern um eine brisante Recherche, die der rbb veröffentlicht hatte – und die nun teilweise zusammengebrochen ist.

rbb-Reporter und "Abendschau"-Moderator im Studiogespräch. Hinter ihnen: das Logo der Grünen und ein Foto von Stefan Gelbhaar.
rbb-Reporter (l.) im „Abendschau“-Aufklärungsgespräch. Screenshot: rbb

Ende Dezember hatte der rbb über Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar (Grüne) berichtet. Der Sender stützte sich dabei unter anderem auf die Erzählung einer nicht namentlich genannten Frau, die dem rbb „ihre Geschichte“ mit Gelbhaar erzählt und darüber auch eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Wie der Sender aber am Freitag einräumte, ist diese Frau offenbar eine Erfindung, und die rbb-Journalisten waren auf sie reingefallen.

Bemerkenswert an der nun veröffentlichten Korrektur des rbb ist zunächst, dass der Sender es so aussehen lässt, als sei er von allein darauf gekommen, dass etwas nicht stimmt – was wiederum wohl nicht ganz stimmt.

Bereits am Mittwoch hatte der „Tagesspiegel“ berichtet, dass es Zweifel an der Echtheit einer eidesstattlichen Versicherung gebe, die dem rbb vorliegt. Gelbhaars Anwälte hatten Anfang Januar angekündigt, presserechtlich gegen die Berichterstattung des rbb vorzugehen. Der „Tagesspiegel“ konnte die Unterlagen aus dem Unterlassungsverfahren nach eigenen Angaben einsehen, und dort fand sich auch die eidesstattliche Versicherung. Der rbb hatte sie dem Gericht offenbar zu seiner Verteidigung vorgelegt.

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert die Frau nicht“

Der „Tagesspiegel“ machte dann, was der rbb unterlassen hatte: Er überprüfte, ob die dort genannte Frau unter der angegebenen Berliner Adresse amtlich gemeldet ist, er suchte deren Namen auf einer Klingel oder einem Briefkasten und fragte Anwohner. Und siehe da: nirgends eine Frau dieses Namens. Das selbst auf diese Weise zu checken, darauf war der rbb wohl nicht gekommen. Was ihm jetzt zum Verhängnis wurde.

Der „Tagesspiegel“ hatte dem Sender bereits am Montag voriger Woche Fragen zu dessen Recherche geschickt. Die Zeitung wollte unter anderem wissen, wie viele eidesstattliche Versicherungen dem Sender vorlägen und ob er die Angaben zu den jeweiligen Personen überprüft habe. Interessante, durchaus relevante Fragen, um die Recherche des rbb einordnen zu können. Doch der rbb hat nach Angaben des „Tagesspiegels“ darauf nie reagiert. Stattdessen veröffentlichte er die Erkenntnisse selbst, ohne auf die Recherche der Kollegen einzugehen, was die als unredlich kritisieren.

An der Identität einer der Frauen, einer „Anne K.“, „kamen jetzt Zweifel auf“, nachdem diese „seit einigen Tagen für den rbb nicht mehr zu erreichen war“, erklärte der Sender am Freitag. Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiere die Frau nicht. Welcher der erhobenen Vorwürfe von ihr kam, gibt der rbb in seiner Korrektur nicht an.

„Weitere Recherchen“ hätten zu einer grünen Bezirkspolitikerin geführt, „bei der für uns zweifelsfrei feststeht, dass sie sich in Gesprächen dem rbb gegenüber als Anne K. ausgegeben hat und unter diesem Namen auch eine eidesstattliche Versicherung abgab“. Die Person bestreite das zwar. Allerdings könne sie nicht belegen, dass es „Anne K.“ überhaupt gibt. Der rbb hat deshalb Strafanzeige gegen die Bezirkspolitikerin erstattet.

Um wen es sich handelt, schreibt der Sender nicht. Am vergangenen Sonntag aber trat überraschend eine Grünen-Politikerin aus dem Bezirk Berlin-Mitte zurück, die Anfang Dezember bereits, bei einer internen Sitzung, Vorwürfe gegen Gelbhaar geäußert haben soll. Sie steht nun im Verdacht, die falschen Angaben gemacht zu haben.

David Biesinger, der Chefredakteur des rbb, erklärte am Sonntag, dem rbb sei „ein Fehler unterlaufen“:

„Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden.“

Eidesstattliche Versicherung

Weiter schreibt Biesinger, dass „betrügerische Absicht und die kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden ist“, dazu beigetragen hätten, dass dieser Fehler geschehen sei – was vermutlich zutrifft. Es sollte aber auch nicht davon ablenken, dass sich die Journalisten des Senders offensichtlich recht treuherzig haben blenden lassen. Vermutlich verließen sie sich darauf, doch eine eidesstattliche Versicherung zu haben. Dieses sei „wichtig“, erklärt der rbb nun, weil so eine eidesstattliche Versicherung bedeute, „dass sich Menschen strafbar machen, wenn sie in einer solchen schriftlichen Erklärung falsche Behauptungen aufstellen“.

Das stimmt, ist aber etwas verkürzt. Eine Quelle, die gegenüber einem Medium falsche Angaben macht, macht sich damit nicht automatisch strafbar, sondern erst, wenn es zu einem presserechtlichen Verfahren kommt und die eidesstattliche Versicherung dort eingereicht wird. Für Informanten, die anonym bleiben möchten, birgt das zudem ein Risiko: Werden Berichte angegriffen, wird der Name einer Informantin für die Gegenseite einsehbar, wie in diesem Fall. Nur dass in diesem Fall eben nicht eine Person ihre Anonymität verlor, sondern eine Lügengeschichte aufflog. (Mehr zu eidesstattlichen Versicherungen und wie sie im Journalismus eingesetzt werden, lesen Sie hier.)

Der rbb jedenfalls zog jetzt nicht nur Teile seiner Berichterstattung zu den Vorwürfen gegenüber Stefan Gelbhaar zurück, sondern „sämtliche Beiträge“. Was merkwürdig ist. rbb-Reporter Thorsten Gabriel sagte noch am Freitag in der „Abendschau“, bei weiteren Schilderungen, über die man berichtet habe, seien die Identitäten der mutmaßlich Betroffenen „nicht in Zweifel zu ziehen“. Aber wieso wurden deren Schilderungen dann ebenfalls entfernt? Und wie stichhaltig war die Berichterstattung des rbb überhaupt?


Am 14. Dezember, anlässlich der Wahl der Berliner Landesliste der Grünen, berichtete die rbb-„Abendschau“ erstmals darüber, dass es „mehrere Vorwürfe der sexuellen Belästigung“ gegen Stefan Gelbhaar gebe, das habe man „aus Parteikreisen“ erfahren. Bis dahin war nur ganz pauschal bekannt gewesen, es gebe „Vorwürfe“ gegen ihn bei der Ombudsstelle. Gelbhaar zog daraufhin seine Kandidatur für die Landesliste zurück.

Der Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar (Grüne) im Bundestag.
Stefan Gelbhaar Foto: Imago / dts Nachrichtenagentur

Am Silvesterabend wurde die „Abendschau“ dann konkreter – und feierte es als journalistischen Erfolg: Dem rbb-Team Landespolitik sei es gelungen, „einige“ der Vorwürfe „schriftlich vorzulegen“, so formulierte es der Moderator. Sie seien „teilweise anonym, zum Teil haben sich die Frauen aber auch namentlich gemeldet“.

Mit wie vielen Frauen hat der rbb gesprochen?

Wie viele Frauen sich in welcher Form gegenüber dem rbb über Gelbhaar geäußert hatten, ging aus dem folgenden Beitrag dann nicht hervor. Dabei wäre es relevant gewesen. rbb-Reporterin Viktoria Kleber erzählte im Studiogespräch lediglich, sie und ihre Kollegen hätten mit „Frauen gesprochen, die uns ihre Geschichten erzählt haben“, teilweise anonym, teilweise „unter eidesstattlicher Versicherung“.

Aber: Waren es drei Frauen? Oder fünf oder zehn? Und wie viele blieben anonym, wie viele standen mit ihrem Namen ein? Das verrät auch der Online-Beitrag nicht, den der rbb am selben Abend veröffentlichte und der inzwischen gelöscht wurde.

Was der rbb damals über Stefan Gelbhaar berichtete, dürfte dazu beigetragen haben, dass er Tage später sein Direktmandat für die Bundestagswahl verlor. Der Fernsehbeitrag nannte zwei konkrete Vorwürfe, einen davon eher beiläufig. Es war es ein anonymer Vorwurf aus dem laufenden Ombudsverfahren, der Bericht dazu lag dem rbb nach eigenen Angaben schriftlich vor. Gelbhaar bestreitet den dort geäußerten Vorwurf, seit der rbb ihn damit konfrontiert hat.

Der zweite Vorwurf stammte ebenfalls aus dem Ombudsverfahren, war aber nicht anonym: Die Frau habe sich beim rbb „gemeldet“. Ihre Erzählung gab der rbb ausführlich wieder. Nur war das offenbar jener Fall, für den die falsche eidesstattliche Versicherung vorlag, es war also die Geschichte einer Frau, die nicht existiert.

Verzerrt nachgestellt

Getextet waren die (erfunden) Vorwürfe in der „Abendschau“ auf unscharfe Bilder, die zwei Personen zeigen, die sich unterhalten, offenbar im rbb-Funkhaus, vor dem Fenster sind rbb-Fahnen zu erkennen. „Nachgestellte Szene“ steht in der Bildecke – was problematisch ist, denn sieht man diese Bilder, muss man annehmen, der rbb hätte die Frau zum Gespräch getroffen. Der „Tagesspiegel“ berichtet aber, „Anne K.“ habe dem rbb den vermeintlichen Übergriff bloß telefonisch geschildert, „persönlich getroffen hatte die Redaktion die Frau nicht“. Es dann so nachzustellen, ist verzerrend.

Die Geschichte der erfundenen Frau tauchte auch im Online-Beitrag des rbb auf. Sie sei darüber hinaus eine von zwei Frauen, schrieb der rbb, die behaupteten, schon seit Jahren würden „junge Frauen“ bei den Grünen vor Stefan Gelbhaar „gewarnt“. Diese Erzählung hatte Reporterin Kleber auch im Studio erwähnt. Mit der Enthüllung aber, dass es „Anne K.“ gar nicht gibt, wäre eine Quelle für diese Behauptung schon mal versiegt. Wie glaubwürdig die andere ist: unklar. Und lediglich eine Quelle für eine solche Behauptung wäre nach journalistischen Gesichtspunkten ohnehin zu wenig.

Im Online-Beitrag erwähnte der rbb noch drei weitere Fälle aus früheren Ombudsverfahren, die alle bereits abgeschlossen sind. Eins davon bezog sich etwa auf einen Vorwurf, der schon einige Jahre zurückliegen soll und den Gelbhaars Anwalt als erfunden bezeichnete. Und das Ombudsverfahren, schrieb der rbb, sei damit geendet, dass der Frau mitgeteilt worden sei, Gelbhaar habe versprochen, künftig mehr auf sein Verhalten zu achten. Die anderen Streitigkeiten wurden offenbar ebenfalls beigelegt.

„Bei uns geht es um sauberen Journalismus“

Aus ihrer Sicht, sagte Kleber im Studiogespräch vage einordnend, seien die Vorwürfe, die an die Redaktion herangetragen wurden, „zum Teil schon schwere Vorwürfe“, aber die Schwere sei „wirklich sehr unterschiedlich“. Es gehe um „verbale Grenzüberschreitungen bis hin aber zu körperlichen Übergriffen”. Strafanzeigen lägen nicht vor.

Kleber betonte abermals, dass die Vorwürfe „teilweise nur anonym an uns herangetragen worden“ seien. Und was man auch dazu sagen müsse, „dass eben im Endeffekt nur die zwei Personen, die dabei waren, wirklich wissen, was passiert ist.“ Das ist eine schwierige Aussage. Dadurch entsteht der Eindruck, dass tatsächlich etwas zwischen Gelbhaar und weiteren Personen passiert ist. Gelbhaar hatte zu diesem Zeitpunkt aber schon erklärt, alles sei „erfunden“.

„Bei uns geht es um sauberen Journalismus“, sagte Kleber, das heiße, man habe Gelbhaar mit den dem rbb bekannten Vorwürfen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten. Gelbhaar habe dann aber die Vorwürfe selbst auf seiner Website veröffentlicht, was sie „auch ein bisschen überrascht“ habe.

Was Kleber nicht erwähnte: Gelbhaar veröffentlichte damals nicht nur die Vorwürfe, also „fünf konkretere Vorgänge (teils mit Datum und Hergang)“, mit denen ihn der rbb konfrontiert hatte, und die er als erfunden bezeichnete – er legte auf seiner Webseite teilweise auch dar, was in seinen Augen gegen die Vorwürfe spreche. Dass er sich zu gewissen Zeitpunkten woanders aufhielt als behauptet, zum Beispiel, und dies auch belegen könne. Obwohl Gelbhaars Stellungnahme, die er inzwischen wieder gelöscht hat, der rbb-Redaktion damals bekannt war, ging die „Abendschau“ nicht darauf ein, was er im Detail zu seiner Verteidigung anbrachte. Es hieß bloß, Gelbhaar bezeichne alles als „Lüge“ und „Intrige”.

Das mag daran liegen, dass die Zeit im Fernsehen sehr begrenzt ist. Berichte dort können nicht alles haarklein erklären. Aber hätte der rbb auf Gelbhaars Alibis nicht dennoch eingehen müssen? Im Online-Beitrag immerhin wurden seine Argumente teilweise wiedergegeben, sein Anwalt hatte sie dem rbb übermittelt.

Nicht über alles hat der rbb berichtet

Über einen Vorwurf, mit dem der rbb Gelbhaar konfrontiert hatte, berichtete der Sender weder im Fernsehen noch online. Das muss er natürlich auch nicht. Nicht jedes Detail, mit dem Journalisten im Zuge einer Recherche Betroffene konfrontieren, taucht auch in der Berichterstattung auf. Es gibt manchmal gute Gründe, davon abzusehen, etwa wenn sich ein Vorwurf nicht erhärten lässt. Der rbb erklärt nun auch, „nicht alle an uns herangetragenen Vorwürfe und Schilderungen“ seien in die Berichte eingeflossen: „Detaillierter berichteten wir ausschließlich über Vorwürfe, bei denen Frauen uns eigenes Erleben eidesstattlich versicherten.“ Weiterhin ohne zu sagen, wie viele das denn waren.

Bemerkenswert ist es in jedem Fall, dass der rbb den Vorwurf nicht veröffentlichte, denn es war mit der schwerwiegendste. Und öffentlich wurde er ja dennoch, weil Gelbhaar ihn selbst auf seiner Webseite genannt und, wie die anderen, als „gelogen“ bezeichnet hatte. Es ging dort um einen mutmaßlichen körperlichen Übergriff in der Wohnung einer Frau und deren Vermutung, Gelbhaar hätte ihr „etwas in ihr Getränk“ gemischt. In einem Interview, das Stefan Gelbhaar Anfang Januar dem „Business Insider“ (BI) gegeben hat, betont er, den Tag mit anderen Menschen verbracht zu haben, der zeitliche Ablauf widerlege „ganz klar den Vorwurf“. Um das zu untermauern, legte er der Zeitung eidesstattliche Versicherungen Dritter vor, unter anderem von seiner Lebensgefährtin.

Eine breitere Öffentlichkeit erreichte die Sache, weil zwar nicht der rbb, aber die „Bild“-Zeitung und deren Schwesterblatt „B.Z.“ über diesen von ihnen so genannten „Haupt-Vorwurf“ Anfang des Jahres berichteten. Sie schrieben auch, dass Gelbhaar diesen „hart dementiert“. Inzwischen wurden die Beiträge jedoch gelöscht, weil Gelbhaar presserechtlich gegen sie vorgegangen ist. Seine Anwälte erklärten am 6. Januar, das Landgericht Frankfurt am Main habe dem Axel-Springer-Verlag, in dem „Bild“ und „B.Z.“ erscheinen, per einstweiliger Verfügung untersagt, den Verdacht zu erwecken, Gelbhaar hätte „eine junge Frau mithilfe von K.O.-Tropfen betäubt oder betäuben lassen, um es ihm zu ermöglichen, sie unter Gewalteinwirkung und gegen ihren Willen zu küssen, nackt auszuziehen und sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen“. Damit folge das Gericht vollumfänglich „unserer Auffassung, wonach es für den erweckten Verdacht schon an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehlt“.*

Auf Anfrage von Übermedien wollen sich Gelbhaars Anwälte derzeit nicht weiter zu den Vorgängen äußern. Auch Gelbhaar selbst reagierte nicht auf eine Anfrage.

Woher der rbb diesen Vorwurf hatte, mit dem er Gelbhaar konfrontierte, ob er anonym erhoben wurde oder nicht, sind nur ein paar der noch offenen Fragen. Es ist alles unübersichtlich, ein Dickicht aus Vorwürfen und möglichen Unwahrheiten. Der „Tagesspiegel“ berichtet zum Beispiel von zwei weiteren „schweren Vorwürfen“, die nur auf anonymen E-Mails beruhten und dem rbb und offenbar auch der Ombudsstelle vorlägen. Diese Mails, schreibt der „Tagesspiegel“, sollen auch von der Bezirkspolitikerin stammen. Also auch erfunden? Worum es bei diesen Anschuldigungen geht, ist unklar.

Wie die „Süddeutsche Zeitung“ am Dienstag berichtet, gewann Gelbhaar inzwischen die presserechtliche Auseinandersetzung gegen den rbb. Das Hamburger Landgericht sehe die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung im Journalismus nicht eingehalten. Es fehle an der Grundlage des Vorwurfs, Gelbhaar habe „systematisch Frauen innerhalb der Partei belästigt“. Die Darstellungen in den eidesstattlichen Versicherungen, die der rbb eingeholt hatte, bezeichnete das Gericht als „völlig inhaltsleer“. Das Gericht untersagte dem rbb, verschiedene Behauptungen wieder zu veröffentlichen.


Dass ein „wesentlicher Vorwurf“, der von der fiktiven „Anne K.“, nun „nichtig“ sei und man die Beiträge dazu aus dem Netz genommen habe, sei für Gelbhaar „eine entlastende Botschaft“, schrieb der rbb am Freitag. Manche Medien und Politiker deuten die Wende in dem Fall so, als wären quasi alle Vorwürfe erfunden und deshalb jetzt vom Tisch. Aber das stimmt so auch nicht. Die Grünen haben mitgeteilt, sieben Personen würden ihre Vorwürfe aufrechterhalten. Diese sollen nun nicht im Ombudsverfahren geklärt werden, weil die Partei es durch die Vorgänge beschädigt sieht. Stattdessen soll den Rest nun eine eigens gebildete Kommission aufklären, geleitet unter anderem von Schleswig-Holsteins ehemaliger Justizministerin Anne Lütkes (Grüne).

Es ist ein komplexer Fall, bei dem noch einiges geklärt werden muss, auch bezüglich der Berichterstattung des rbb. Der Sender äußert sich dazu derzeit nicht, wie er auf Anfrage mitteilt. „Einige der Fragen, die nun im Raum stehen, stellen sich auch für den rbb selbst“, hatte rbb-Chefredakteur Biesinger am Sonntag erklärt. Der Fall sei nicht abgeschlossen, der rbb analysiere derzeit den Ablauf „detailliert“. Wie genau das geschieht, also ob der rbb zum Beispiel selbst eine unabhängige Kommission einsetzt, was angesichts der Fehler und des heiklen Themas durchaus geboten wäre, ist nicht bekannt.

* Nachtrag, 22.1.2025. Die „Zeit“ berichtet, auch der Vorwurf, bei es um die angebliche Verabreichung von K.O.-Tropfen ging, und ein weiterer „schwerwiegender Vorwurf“ stammten offenbar ebenfalls von der Bezirkspolitikerin, die mutmaßlich die falsche eidesstattliche Versicherung ausstellte. Beide Vorwürfe seien „wahrscheinlich erfunden“.

Nachtrag, 24.1.2025. Nach einer „ersten Fehleranalyse“ hat der rbb „schwerwiegende Fehler“ eingeräumt und Stefan Gelbhaar um Entschuldigung gebeten. Der Sender habe unter anderem die zentrale Zeugin nicht ausreichend überprüft und auch nicht persönlich getroffen. Deshalb sei es auch „nicht legitim“ gewesen, in den nachgestellten Szenen ein solches Treffen zu insinuieren. Der rbb will die Sache nun von externen Experten untersuchen lassen. Die ganze Erklärung des Senders finden Sie hier.

Nachtrag, 1.2.2025. Auch rbb-Intendantin Ulrike Demmer hat gegenüber dem Rundfunkrat des Senders „schwerwiegende Fehler“ eingeräumt, berichtet der „Spiegel“. Unabhängige Experten sollten nun mit der Aufarbeitung beginnen. Wer diese Experten sein werden, sagte Demmer nicht.

9 Kommentare

  1. Vielen Dank für die Mühe, etwas Ordnung in dieses Dickicht zu bringen. Für mich bleibt immer noch nicht nachvollziehbar, daß der rbb (wie auch andere Medien, sogar die taz, die doch direkt vor Ort sitzt und nicht in Lörrach oder Passau) nicht in der Lage ist, eine Identitäts- und/oder Wohnsitzüberprüfung vorzunehmen. Das ist doch einfachstes journalistisches Handwerk.

  2. @Dieter B:
    Lag der taz oder anderen Medien denn die eidesstattliche Erklärung von „Anne K.“ vor? Hatten sie die Kontaktdaten? Nur dann wäre eine Überprüfung möglich.

  3. Brutalsmögliche Reue des rbb:„ Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden“
    Diese vielen Standards da einzuhalten ist aber auch schwierig, verstehen wir Gebührenzahler vollkommen.
    Sorry, musste mal raus…
    Danke für die Recherchen!

  4. Es gibt da von früher her noch einen Grundsatz bei den Öffentlich-Rechtlichen: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

    Manchen Leuten kommt das vielleicht etwas altbacken vor. Und dann stolpern sie über die eigenen Füße.

  5. Warum schaffen es Journalisten nur höchst selten, sich offen zu Schwächen oder Fehlleistungen bei ihrer Arbeit zu bekennen? Wieder ein Fall, hier beim rbb, der landesweit am verbliebenen Vertrauen in den Journalismus nagt. Hier gut aufgeschlüsselt …
    Bitte meine Worte nicht missdeuten. Damit habe ich nichts zum undurchsichtigen Vorgang um die Vorwürfe gegen den Grünen-Politiker gesagt.
    Anton Sahlender, Ex-Medien-Ombudsmnn

  6. Stefan Gelbhaar betreibt eine Meldestelle. Nun wurde er vom erfolgversprechenden Listenplatz abgemeldet. Wer andern einen Grub gräbt …

    Gerade läuft eine Freakshow namens „ARD-Faktenwoche“.
    Am Freitag, als krönenden Abschluss, gibts eine Diskussionsrunde „Fakten statt Fiktion – Gemeinsam gegen Desinformation“.
    Ausrichter ist der RBB.

    Grüne und Öffis, eine Melange mit garantiertem Spaßfaktor.

  7. Vielen Dank für die Recherche.

    In der aktuellen Folge von „Die Lage der Nation“ geht es u.a. auch um diesen Fall. Interessant für das „Handwerk“ von Journalisten ist vor allem, daß eine „Eidesstattliche Erklärung“ für den Zweck, den sie haben soll, in der Regel von einem Notar/einer Notarin abgenommen werden muß, so daß mindestens die persönlichen Daten festgestellt werden. Nur dann käme eine Strafandrohung zum Tragen, etwa wenn es sich um Falschaussagen handelt. Dadurch würden falsche Anschuldigungen zumindest erschwert, und womöglich wahre Anschuldigen würden nicht entwertet.

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