Unseriös bis irre: Wie Medien Clickbait mit dem Wetter machen
Um Klicks zu generieren, vermelden Online-Medien regelmäßig dramatische Wetterextreme – die dann doch nicht eintreten. Das ist nicht nur irreführend, sondern verzerrt auch die Klimadebatte.
Denkt man an Medienjobs mit hohem Adrenalinspiegel, landet man wahrscheinlich zuerst bei Kriegsreporterinnen, Promi-Fotografen oder Live-Moderatorinnen. Diese Tätigkeiten scheinen jedoch nichts zu sein im Vergleich zu den Nervenproben, denen sich Meteorologen und Meteorologinnen ausgesetzt sehen. Zumindest muss man sich das so vorstellen, wenn man den unendlichen Strom von Sensationsmeldungen betrachtet, der sich rund um das Thema Wetter auf deutsche Online-Nachrichtenportale ergießt.
Laut Prognosen zahlreicher deutscher Online-Medien hat sich allein seit Mitte November 2024 in Atmo- und Stratosphäre schier Unglaubliches ereignet. Im „Berliner Kurier“, zum Beispiel, war zuerst von „Schnee-Zyklonen“ und „-35 Grad!“ über Deutschland die Rede, bevor sich eine „herbstliche Hitzewelle“ Bahn brach, die dann über einen „krassen Temperatursturz“ zum „Winterdrama“ mit „Schneewalze“ mutierte und die „Experten fassungslos“ zurückließ. Und das nachdem Anfang November der Winter noch komplett auszufallen schien. Bei diesem wilden Wechselbad der gefühlten Temperaturen kann man – wie das Reichweitenportal „Der Westen“ – nur zu einem Schluss kommen: das Wetter dreht offenbar konstant „völlig frei“.
Die Autorin
Saskia Trebing, geboren 1987 in Osthessen, hat bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) in Kassel volontiert und in Berlin Nordeuropawissenschaften, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften studiert. Sie ist Online-Redakteurin beim Kunstmagazin „Monopol“ in Berlin. Ein Teil von ihr wäre gern Meteorologin geworden. Für Wetter interessiert sie sich seit ihrer Kindheit, laut der Daten ihres Handys verbringt sie mehr Zeit in Wetter-Apps als bei Social Media.
Aus journalistischer Sicht ist das Wetter generell ein kurioser Gegenstand der Berichterstattung. Einerseits ist es immer und überall vorhanden; dass es sich verändert, ist normal – besonders in Regionen wie Mitteleuropa, in denen sich die Jahreszeiten deutlich voneinander unterscheiden. Genau genommen ist das Wetter in seinen gewohnten Ausprägungen also weder neu noch außergewöhnlich – und erfüllt somit auch nicht die klassischen Kriterien einer Nachricht.
Andererseits spielt der Wetterbericht im Leben der meisten Menschen eine wesentlich größere Rolle als andere Medieninhalte, weil er Alltagsentscheidungen wie die Wahl von Kleidung, Verkehrsmitteln und Ausflugszielen beeinflusst. Wetter hebt die Stimmung und drückt aufs Gemüt, begleitet jede Erfahrung, die wir außerhalb von klimatisierten oder beheizten Innenräumen auf diesem Planeten machen. Noch immer endet fast jede Nachrichtensendung im Radio oder Fernsehen mit einem meist recht nüchternen Blick auf Niederschlag und Temperaturen. Und durch stetig besser werdende Wetter-Apps auf dem Handy tragen die meisten ziemlich genaue und jederzeit verfügbare Prognosen und Regenradare in der Hosentasche.
Die Skandalisierung des Wetters
Es ist also gar nicht so leicht, mit diesem Thema durch die dichte mediale Wolkendecke ins Bewusstsein der Konsumenten zu brechen. Doch eine Strategie, die der Leserin wie eine Orkanböe ins Gesicht bläst, ist die Skandalisierung dessen, was sich täglich vor unseren Fenstern abspielt. Dabei werden erwartbare Schwankungen des Wetters zu „unfassbaren“ Ereignissen und Modellberechnungen zu Gruselgeschichten umgedeutet, die mit dem klimatischen Erleben der allermeisten Menschen nicht das Geringste zu tun haben. Clickbait, aber mit Skandinavientiefs und Azorenhochs.
Tatsächlich war das Wetter der jüngeren Vergangenheit extrem. Schon 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, 2024 hat diesen besorgniserregenden Rekord laut Deutschem Wetterdienst sogar noch übertroffen. Zugleich häufen sich sowohl Dürreperioden als auch Starkregenereignisse.
Forscherinnen und Forscher weisen immer wieder darauf hin, dass man Wetter nicht mit Klima verwechseln sollte: Nicht jeder Hitzetag, nicht jeder Sturm oder jedes Hochwasser lässt sich pauschal mit der Erderwärmung erklären. Auch wenn die langfristige Entwicklung unstrittig ist (es wird wärmer,
4 Kommentare
Sehr unterhaltsam die vielen gelungenen Wortspiele/Anspielungen. Danke hierfür, habe sehr geschmunzelt beim lesen.
Ich kenne auch so ein paar Kandidaten, die sich gerne über die „Panikmache“ zum Wetter aufregen. Nur dass nach deren Meinung daran eher „die Grünen“ und die Tagesschau Schuld sind als solche Clickbait-Medien.
Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass vom DWD direkt auch oft übertriebene Warnungen kommen (soweit ich das in meiner Wetter-App mitbekomme). Da könnte man meinen, dass ein bisschen Glatteis ohne rechtzeitige Warnung das ganze Land lahm legen würde.
@2
Also ich meine, es gab vor einigen Jahren mal eine Sturm-Front, wo mutmaßlich unzureichend gewarnt wurde und es gab einige Kritik am DWD und seitdem sind sie „freigiebiger“ mit den Warnungen.
Völlig irre in den Screenshots ist auch einfach mal, dass zu „Kriegen wir jetzt den 30-Grad-Oktober?“ die kleine Überschrift „Wetter-Prognose lässt hoffen[!]“ drüber steht…
Die lokalen Programme des ÖRR, wie WDR, können das auch gut, im Fernsehen wie im Radio. Die angekündigten Wintereinbrüche fanden hier in Köln bisher fast nicht statt. Wenn doch, dann werden sie zum Aufmacher, wo die Hörer am Tag danach per Telefon ihre Erfahrungen mit dem einen (!) Tag erzählen können, als 5 oder 10 cm Schneefall zu verzeichnen waren.
Auch für den Stadtbewohner empfiehlt sich daher die seriöse, alarmismusfreie Wettervorhersage für die Landwirtschaft: https://agrar.bayer.de/Agrar%20Wetter
Sehr unterhaltsam die vielen gelungenen Wortspiele/Anspielungen. Danke hierfür, habe sehr geschmunzelt beim lesen.
Ich kenne auch so ein paar Kandidaten, die sich gerne über die „Panikmache“ zum Wetter aufregen. Nur dass nach deren Meinung daran eher „die Grünen“ und die Tagesschau Schuld sind als solche Clickbait-Medien.
Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass vom DWD direkt auch oft übertriebene Warnungen kommen (soweit ich das in meiner Wetter-App mitbekomme). Da könnte man meinen, dass ein bisschen Glatteis ohne rechtzeitige Warnung das ganze Land lahm legen würde.
@2
Also ich meine, es gab vor einigen Jahren mal eine Sturm-Front, wo mutmaßlich unzureichend gewarnt wurde und es gab einige Kritik am DWD und seitdem sind sie „freigiebiger“ mit den Warnungen.
Völlig irre in den Screenshots ist auch einfach mal, dass zu „Kriegen wir jetzt den 30-Grad-Oktober?“ die kleine Überschrift „Wetter-Prognose lässt hoffen[!]“ drüber steht…
Die lokalen Programme des ÖRR, wie WDR, können das auch gut, im Fernsehen wie im Radio. Die angekündigten Wintereinbrüche fanden hier in Köln bisher fast nicht statt. Wenn doch, dann werden sie zum Aufmacher, wo die Hörer am Tag danach per Telefon ihre Erfahrungen mit dem einen (!) Tag erzählen können, als 5 oder 10 cm Schneefall zu verzeichnen waren.
Auch für den Stadtbewohner empfiehlt sich daher die seriöse, alarmismusfreie Wettervorhersage für die Landwirtschaft: https://agrar.bayer.de/Agrar%20Wetter