Die gute alte „Damals-Zeit“
Update, 4.1.2025: Thilo Mischke wird die Moderation von „ttt“ nun doch nicht übernehmen. Das gab die ARD in einer Pressemitteilung bekannt.
Eines kann man dem X-Account des Senders ProSieben (der sich wegen Joko und Klaas gerade für eine Woche in „ProAcht“ umbenannt hat) nicht vorwerfen: dass er langweilig ist. Hier stimmen sich, ganz offensichtlich, nicht irgendwelche Pressestellen-Mitarbeiter fünf Mal intern ab, bevor sie einen unschuldigen Programmhinweis posten, der im Anschluss fünf Likes bekommt. Hier geht es noch richtig zu Sache. Wobei etwas mehr Abstimmung dem folgenden Fall gutgetan hätte.
Am Donnerstag hat sich der Sender auf der Plattform X in die große Debatte um den designierten ttt-Moderator Thilo Mischke eingeklinkt. Für alle, die im Winterschlaf waren und das verpasst haben: Kurz vor Weihnachten kam die Ankündigung, dass Mischke, Autor der Werke „In 80 Frauen um die Welt“ (2010) und „Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen“ (2013), künftig das ARD-Kulturflaggschiff „titel, thesen, temperamente“ (ttt) moderieren soll. Das haben viele Kultur- und Medienschaffende scharf kritisiert, nicht nur wegen der frauenfeindlichen Inhalte von Mischkes Büchern, sondern unter anderem auch, weil dieser 2019 in einem Podcast gesagt hatte, dass die männliche Sexualität, „vielleicht auf Vergewaltigung“ basiere, und andere seltsame Theorien über die Natur des Mannes vom Stapel ließ. (Wer mehr dazu wissen will, kann bei Übermedien den Gastbeitrag von Rebekka Endler lesen oder den Podcast „Feminist Shelf Control“ hören, in dem Endler und andere ihre Kritik an Mischke ausführlich formulieren und belegen.)
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Die Kernfragen, um die sich alles dreht, sind: Warum soll jemand mit einer solchen Haltung ein Gesicht des wichtigsten deutschen Kulturmagazins werden? Wie ernsthaft kann dieser in Zukunft Künstlerinnen und Künstler interviewen, die sich mit Sexismus und Machtmissbrauch befassen? Und wie glaubwürdig ist ein Sender, der zwar einerseits eine Erklärung „gegen Sexismus und sexuelle Belästigung“ unterzeichnet hat, die „eine gleiche Teilhabe aller Menschen in Kultur und Medien, frei von Sexismus, sexueller Belästigung und rückwärtsgewandten Rollenstereotypen” anstrebt, aber einen Mann wie Mischke als Aushängeschild für Kulturinhalte etablieren will?
Mehr als 100 Autorinnen und Autoren haben deshalb einen öffentlichen Brief unterzeichnet, der am Donnerstag im „Tagesspiegel“ erschienen ist. Darin schreiben sie:
„Wir wünschen uns für das Kulturfernsehen enthusiastische und an Kultur interessierte Moderator*innen, die sensibel und empathisch in der Lage sind, auf Gegenwartsdiskurse zu antworten und der Komplexität aktueller Kulturdebatten gerecht zu werden. Eine Zusammenarbeit mit Thilo Mischke als Moderator der Kultursendung ‚ttt – titel thesen temperamente‘ schließen wir deshalb für uns aus.“
Das hat offenbar den Beschützerinstinkt von ProSieben-Mitarbeitenden (bzw. zur Zeit „ProAcht“) geweckt. Der Account des Senders, für den Mischke auch arbeitet, teilte am Donnerstag die Meldung zum oben erwähnten offenen Brief und schrieb dazu:
„Was für eine wilde Jagd auf @ThiloMischke. Wir schätzen ihn, weil er seit Jahren unfassbar wichtige und gute Reportagen macht, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Ihn nur an einem Buch aus der Damals-Zeit zu messen, ist ein sehr sehr selbstgerechter Ansatz, der viel über diejenigen aussagt, die genau das machen.“
Ach ja, die gute alte „Damals-Zeit“, das muss ungefähr vor 2017 gewesen sein, als Sexismus noch erlaubt und die Anliegen der #MeToo-Bewegung eher so ein Nischending waren.
Wir erinnern uns: ProSieben, das ist der Sender, der 2020 ganz stolz auf sein Format „Männerwelten“ war, in dem Frauen zur besten Sendezeit über ihre Erfahrungen mit Sexismus und sexualisierter Gewalt sprachen und das sogar mit einem
Kerstin Herrnkind unterstellt im Stern, dass die Kritiker Mischkes Bücher zensieren wollen. Sie hat auch nicht verstanden, worum es geht. https://www.stern.de/gesellschaft/thilo-mischke–neuer–ttt–moderator-hat-eine-chance-verdient–meinung–35352234.html
°Es geht nicht darum, Thilo Mischke zu canceln°
Äh, doch? Als Moderator bei ttt soll er weg. Ich nehme nicht an, dass die 100 Leute ihn als Moderator beim Musikanten-Stadel oder anderswo akzeptabel fänden. Oder als nicht-moderierenden Journalisten sonstwo beim ÖRR – dass die ihn nicht bei Pro8 loswerden, ist wohl eher dem Umstand geschuldet, dass es Pro8 egal ist, ob die 100 Autoren (m/w/d) ihn boykottieren oder nicht.
Nebenbei, dieselben beiden Männer, die es mal als Mutprobe inszenierten, einer Frau an den Hintern zu fassen, durften bei Pro8 auch Männerwelten inszenieren. So ganz abwegig ist die Aufteilung in Damals und Heute demnach wohl nicht.
Mein Verdacht wäre, dass Pro8 bloß Angst hat, dass das auf Pro8 zurückfällt, und sei es, weil Mischkes Reportagen in Zukunft weniger geguckt werden, aber ich kann auch nicht Gedanken lesen…
#2
Woher haben Sie das Zitat am Anfang Ihres Posts?
Das folgende ist aus dem Artikel:
„Niemand will, wie gesagt, die Arbeit von Mischke bei ProSieben oder als Journalist allgemein canceln. Es geht einzig um die Frage, ob er der Richtige für ttt ist. “
Dazu passt natürlich leider kein „Äh, doch?“.
„Ich nehme an…, mein Verdacht wäre…., aber ich kann auch nicht Gedanken lesen.“ Sie könnten sich ja auch einfach mit dem befassen, das tatsächlich ist und nicht nur in der Phantasie passiert.
Ist die Cancel Culture jetzt eher „modern legend“ oder „moral panic“?
Ein bißchen von beidem.
Es geht um ttt.
Jede Ausweitung auf andere Sendungen, Sender, Themen, Formate ist unbelegt, somit fadenscheinig und blöd.
@#2: Zweite Zwischenüberschrift…
„Niemand will, wie gesagt, die Arbeit von Mischke bei ProSieben oder als Journalist allgemein canceln. Es geht einzig um die Frage, ob er der Richtige für ttt ist. “
Niemand bei Pro8 behauptet, dass man ihn _auch_ bei Pro8 canceln will. Das ist ein Strohmann.
„Sie könnten sich ja auch einfach mit dem befassen, das tatsächlich ist und nicht nur in der Phantasie passiert.“ Kräher nimmt an, dass man bei Pro8 dächte, dass man Mischke bei Pro8 canceln wolle. Dann darf ich ja wohl auch über das dortige Denken spekulieren. Sofern da so viel gedacht wird.
War diese cancel culture nicht angeblich mal das, wo jemand angeblich nichts mehr nirgendwo darf? Oder sind wir schon an dem Punkt wo man dann früher immer sofort „Zensur“ gerufen hat?
Es wird doch albern, wenn man die Diskussion über eine konkrete Personalie gleich zur cancel culture hochstilisiert, wenn jemand als unpassend empfunden wird. Ist ja nicht das erste Mal, das über die Auswahl einer Moderatorin oder eines Moderators für eine Sendung im öffentlich-rechtlichen intensiv Rundfunk diskutiert wird.
Wann sprechen wir endlich nicht mehr nur über Mischke, sondern über die spannendste aller Fragen: warum haben die ttt-Leute Mischke ausgesucht und warum? Es dürfte dann wirklich vollends peinlich werden.
Kräher spekulierte, dass Pro7 spekuliert, dass die Zuschauer denken könnten, weshalb Mycroft spekuliert …
Und das Ganze steht da noch nicht mal, außer im Kommentar von Mycroft.
Geht gleich wieder super los hier.
Als Reporter für investigative Themen ist Mischke geeignet, vielleicht sogar besser als manch andere/r, als Moderator eines führenden Kulturmagazins eben nicht – aufgrund bestimmter Vorfälle. Wo ist das Problem?
Mal ohne Spekus, Pro8 hat generell vier Möglichkeiten:
1.) sich von Mischke trennen
2.) sagen, dass er zwar tatsächlich sexistisch, rassistisch, ableistisch und homophob ist (im Folgenden srah), aber man gerne weiter mit ihm zusammenarbeiten wolle, z.B. bei Reportagen über Sexualität und/oder fremde Länder
3.) gar nichts über einen Mitarbeiter sagen, der gerade hart als srah kritisiert wird
4.) sagen, dass er NICHT srah sei, und man daher an ihm festhält
Wer eine fünfte, grundsätzlich andere Vorgehensweise weiß, mag sie mir bitte nennen.
Daraus ergibt sich:
1.) will ja niemand, da es _nur_ um ttt ginge – halte ich in der absoluten Formulierung für ein Gerücht, aber gut
2.) würde Pro8s Ruf aktiv schädigen
3.) ist der Versuch, das Thema totzuschweigen, weshalb nur
4.) übrigbleibt, was das ist, was Pro8 gerade macht, wenn auch undiplomatisch formuliert.
Wenn irgendwer in der Kommentatorenschaft die Varianten 1-3 für besser hielte oder eine fünfte vorschlagen mag, bin ich neugierig, davon zu lesen.
Zur Sache habe ich meinen Senf im Parallelstrang dazugegeben.
Einen anderen Aspekt finde ich ganz lustig. Bis vorige Woche nachmittags war Mischkes Bekanntheitsgrad überschaubar. Wäre Heute ist er in aller Munde.
Gefickt eingeschädelt.
Der Protest hat seine erhoffte Wirkung erzielt
https://www.spiegel.de/kultur/tv/ard-thilo-mischke-wird-doch-nicht-moderator-bei-ttt-a-e82c55a6-637a-46f4-85b1-766fc418342e
Ich bin ja gespannt auf sein angekündigtes Statement
Hat sich Max Moor eigentlich zu dieser Personalie geäußert?
„Update, 4.2.25“?
sehr treffend und präzise! merci!
@Übermedien Team
ARD Programmdirektorin Christine Strobl sieht die Diskussionskultur zum Fall Thilo Mischke kritisch.
Zitat: „Mich beschäftigt die Wucht und die Dynamik der Debatte. Darüber müssen wir im Nachgang sowohl intern als auch mit den Beteiligten im Bereich der Medien- und Kulturbranche sprechen.“ Sie ergänzte: „Wenn ich in den letzten Tagen höre, dass mehrere anerkannte und beteiligte Personen aus der Branche sagen, sie trauen sich nicht mehr zu, in der Öffentlichkeit etwas zu dieser Debatte zu sagen, weil sie Angst haben, sich einem persönlichen Shitstorm auszusetzen – dann zeigt das für mich, dass wir eine Form der Debattenkultur erreicht haben, die ich problematisch finde und mit Sorge betrachte.“
War euch in Vorfeld bekannt dass es diese Personen gibt die sich nicht äußern möchten aus Angst vor einem Shitstorm? Wenn ja, wurde nicht wenigstens versucht mit ihnen zu reden. Wenn nicht, wäre es vielleicht angebracht im Nachhinein mal zu versuchen mit diesen Personen ins Gespräch zu kommen. Die Vorwürfe wiegen ja schon einigermaßen schwer was die Meinungsfreiheit und Debattenkultur angeht.
Sollte es sich bei diesen Vorwürfen eher um Nebelkerzen handeln, was mich bei der WELT nicht wundern würde, wäre es aber auch gut zu wissen.
Hier noch der Link dazu
https://www.welt.de/vermischtes/prominente/article255033724/Thilo-Mischke-ARD-Programmchefin-nennt-Debattenkultur-problematisch.html
Na, sowas. Der Mann hat keinerlei erkennbare berufliche Erfahrung mit Kunst und Kultur, schaffte das seltsame Kunststück, sowohl männer- als auch frauenfeindliche Takes rauszuhauen, und ich frage mich, was ihn überhaupt als Kandidaten qualifizierte? Hat er etwa auch eine sonore Stimme?
@Mycroft 18: Die Frage konnte bisher auch niemand von der ARD beantworten, warum zum Teufel dieser Mann für geeignet erachtet wurde. So viele Follower in den sozialen Medien hat er dann nun auch nicht, und ob Bro-Dasein wirklich eine neue Zielgruppe erschließt, wage ich auch zu bezweifeln – in der Summe hätten sich vermutlich mehr Menschen von der Sendung abgewandt.
@Mycroft 10: Möglichkeit 5 könnte sein: „Wir von Pro7/8 nehmen die aktuelle Debatte zum Anlass, die Formate mit Herrn Mischke noch einmal zu überprüfen“ und dann eine Woche später „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass einige Aspekte dieser Sendungen nicht mehr zu dem passen, was wir als Sender vertreten. Wir sind im Gespräch mit Herrn Mischke und werden ihm für eventuelle neue Sendungen eine erfahrene Redaktion zur Seite stellen, die ihn bei sensiblen Themen unterstützt, mit diesen Themen angemessen umzugehen.“.
Wenn man meint, der Herr sei so toll und unverzichtbar für den Sender, wäre es doch Mitarbeiterfürsorge, ihm Weiterbildungsmaßnahmen und Unterstützung zukommen zu lassen…
@MrRE:
Es ist ja so, dass gerade die Sachen, die Mischke außerhalb von Pro7,5-Sendungen sagt oder schreibt, problematisch sind.
Aber gut, das Problem mit Ansage zu vertagen ist natürlich die 5. Möglichkeit, auch wenn es ähnlich wie 3. wirkt. Dass die ihn aber behalten, aber versuchen, ihn zu einen besseren Menschen zu erziehen, kommt mir zwar nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich vor. Schon aus kaufmännischen Erwägungen, und weil seine Annahmen über menschliche Sexualität ihn nicht nur zu einem schlechten Menschen machen, sondern auch zu einen schlechten Journalisten. Wer öfters mal zum Thema Sex recherchiert, sollte vllt den Stand von Forschung und Wissenschaft zu dem Thema besser kennen.
@MT: Hatte das gerade in der FAZ gelesen.
Wie sage ich Cancel Culture, ohne Cancel Culture zu sagen?!
Eine Frage, die sich daraus ergibt, könnte auch heissen: Wie darf man im öffentlichen Diskurs heutzutage überhaupt noch jemanden kritisieren, ohne sich des Vorwurfes der CC oder des shitstorms verdächtig zu machen?
Es darf weder Wucht entfalten, noch allzu konkret sein?
Es entstand ja so etwas der Eindruck, dass diejenigen, die sich für Mischke-, außer seinen Arbeitgebern und den Redaktionen natürlich, ins Zeug legten, sehr überwiegend nicht gerade das Zielpublikum von ttt waren. Nehmen wir den Kommentarbereich hier bspw..
Wenn es denn einen konkreten Anlass gab, Herrn Mischke zu favorisieren, den die Öffentlichkeit nur nicht sieht, hätte man den doch sicher auch, in einem anderen öffentlichen Brief bspw., nennen können. Die Kritik an ihm wurde vehement, aber imho nicht unfair erhoben. Zumindest der Teil, den ich mitgelesen habe.
B.t.w.:
Was mich ehrlich gesagt etwas fertig macht, sind diese Fotos von ihm hier und fast überall. Dieses vielleicht verschmitzt angedachte Grienen kommt in dem Kontext dermaßen schräg rüber. Natürlich rein subjektiv.
@20, Mycroft: Ja, da sind wir uns sowieso einig, was seine journalistischen, moralischen und intellektuellen Defizite angeht. Ich will mich auch überhaupt nicht auf seine Seite stellen und bin ehrlich gesagt froh darüber, dass Protest und gut begründete Argumente der Kulturschaffenden hier zu einem Umdenken in der ARD geführt haben.
Ich finde es bloß schade, dass der andere Sender offenbar meint, der Herr habe sich ja weiterentwickelt – und das reiche dann schon. In jedem Beruf ist es doch auch die Aufgabe, dass die Mitarbeitenden Möglichkeiten zur Weiterbildung erhalten, warum denn nicht in diesem Fall? Es sei denn, es ist dem Sender doch eigentlich egal, oder sie finden es nicht so schlimm, oder finden er habe sich doch nicht weiterentwickelt aber wollen das lieber nicht an die große Glocke hängen, weil es zum eigenen Publikum passt… halte ich alles für wahrscheinlicher, ist aber auch unehrlicher.
@MrRE:
Ganz ehrlich glaube ich weder bei ARD noch beim anderen, dass die sich über Mischkes Qualifikation andere Gedanken machten als darüber, wie populär er ist, und diese Popularität gewinnt man nicht durch Weiterbildungen. Da ttt auf Kunstschaffende als kooperative Gegenüber angewiesen sind, sind sie durch solche Boykott-Aufrufe aber erpressbarer. Insofern halte ich es für bestenfalls naiv zu denken, dass „niemand“ ihn auch bei Pro7 oder als Journalisten allgemein canceln wolle; bestimmt wollen das einige der Kritiker auch, man hat aber nicht den nötigen Hebelarm.
Gegentest: wer hält hier einen sexistischen, rassistischen, ableistischen und homophoben Journalisten für generell geeignet, um „wichtige Reportagen“ bei Pro7 zu drehen, obwohl soe Pro7 eigentlich mag?