Zur Person
Ilona Scholl leitet zusammen mit dem Küchenchef Max Strohe das Sterne-Restaurant Tulus Lotrek in Berlin-Kreuzberg. 2021 wurde sie vom Restaurantführer Gault&Millau als Gastgeberin des Jahres ausgezeichnet.
Sie kennen sich aus, weil es ihr Fachgebiet ist. Immer wieder stolpern sie über Ungenauigkeiten und Fehler in journalistischen Berichten oder fiktionalen Formaten, die sie ärgern – und hier erzählen sie davon. In der 15. Folge unserer Reihe „Sachverstand“ spricht Ilona Scholl über Darstellung von Restaurants in Medien. Unsere Autorin Kathrin Hollmer hat ihre Aussagen protokolliert. Wenn Sie auch immer wieder Falsches über Ihren Beruf oder Ihr Fachgebiet in den Medien lesen, schreiben Sie uns eine E-Mail.
„In den Medien ist oft von ‚Fünf-Sterne-Restaurants‘ die Rede (zum Beispiel hier) – es gibt keine Fünf-Sterne-Restaurants. ‚Fünf Sterne‘ kennen wir als Hotelkategorie, der Restaurantführer ‚Guide Michelin‘ vergibt maximal drei Sterne. Was auch oft falsch berichtet wird: Mit Michelin-Sternen werden die Restaurants ausgezeichnet, nicht die Köchinnen oder Köche.
Ilona Scholl leitet zusammen mit dem Küchenchef Max Strohe das Sterne-Restaurant Tulus Lotrek in Berlin-Kreuzberg. 2021 wurde sie vom Restaurantführer Gault&Millau als Gastgeberin des Jahres ausgezeichnet.
Neben solchen Ungenauigkeiten finde ich, dass über gehobene Küche und speziell Wein in einer abgehobenen, unsinnlichen Sprache geschrieben wird, die in vielen Restaurants nicht benutzt wird. Ich möchte kein Beispiel nennen, aber mir fällt auf, dass Sommeliers es in Interviews oder Kolumnen oft nicht schaffen, ihre Expertise verständlich rüberzubringen. Das ist, als würde ich im Restaurant einem Wine-Newbie etwas von Autolyseprägung, Kalkwürze und Saint-Estèphe-Düsternis erzählen. Was es eigentlich bräuchte, wäre ein freundlicher Rat, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was da im Mund passiert. Positiv fällt mir der Autor Milton Sidney Curtis auf, wie unverkrustet, zugänglich und jung er sich ausdrückt, zum Beispiel in seinen Texten für das ‚Schluck Magazin‘.
In Filmen über Köchinnen und Köche dreht sich immer alles um Abgründe, ums Drama, auch in der Serie ‚The Bear‘ – aber eben nicht nur, deswegen finde ich sie so toll. Wenn es in den Medien, speziell im Fernsehen, um Gastronomie geht, dann meistens um das Kreieren von Gerichten, also das Kreative in der Küche. Der Service findet fast nie Erwähnung. ‚The Bear‘ ist da eine Ausnahme. Auch da spielt sich viel in der Küche ab, aber auch die Menschen im Service werden mit Persönlichkeit und einer Komplexität gezeichnet, die ich realitätsnah finde.
Und was ich besonders schön finde, ist die Leidenschaft fürs Kochen, die Liebe zum Beruf und die Sinnlichkeit. Das geht oft unter, hier ist es im Zentrum. Sehr nah an der Realität ist auch, wie die Serie den Stress in der Küche zeigt. Ich erinnere mich an eine Folge, in der das Küchenteam einen Lieferservice aufzieht. Dabei limitieren sie aber die Anzahl der Bestellungen nicht, deshalb kommen viel zu viele rein und alle sind völlig überfordert. Jede Person, die schon mal in einer professionellen Küche gearbeitet hat, kennt dieses Gefühl der absoluten Überforderung. Das ist richtig gut recherchiert und geschrieben.
Es ist natürlich wichtig, dass über Machtmissbrauch in Küchen berichtet wird. Es gibt gravierende Missstände, die unbedingt ans Licht kommen müssen. Aber ein Teil von mir denkt auch jedes Mal: Das wirft ein schlechtes Bild auf die ganze Branche. In den Kommentaren unter entsprechenden Artikeln schreiben die Leute: ‚In solche Restaurants gehe ich nicht mehr!‘ ‚Die Branche sollte man boykottieren!‘ Die Leute sind verunsichert, weil sie so eine toxische Branche nicht unterstützen wollen. Dabei bilden solche Berichte nicht die ganze Branche ab. Es tut sich so viel. Es gibt so viele Orte, die sich damit beschäftigen, wie sie für ihre Mitarbeiter:innen ein Arbeitsklima schaffen können, das angstfrei Wachstum und Kreativität fördert, das Rücksicht auf seine Umwelt nimmt. Die Leuchttürme stehen dann im Schatten der Knochenmühlen.
Es gibt wenige leise Formate wie ‚Chef’s Table‘, die einen unaufgeregten Einblick in renommierte Spitzenküchen gibt. Viel präsenter sind typische Kochshows wie ‚The Taste‘ und ‚Kitchen Impossible‘, in denen es um Wettbewerb geht. Ich verstehe, dass es da eine gewisse Sensationslust beim Publikum gibt: dass Sterneköche in Situationen kommen, in denen sie überfordert sind, dass sie fluchen und sich gegenseitig beschimpfen. Das hat eine Fallhöhe, wenn man zugucken darf, wie diese hochdekorierten Leute scheitern und die Nerven verlieren. Ich verstehe das voll und finde das sehr menschlich. Wir verwandeln so überlebensgroße Lichtgestalten gern wieder zurück in normale Menschen aus Fleisch und Blut, die auch einfach mal über ihre eigenen Füße stolpern.
Ein einseitiges mediales Bild gibt es auch von Restaurant-Testern. Ein Kritiker, der anonym für einen Restaurantführer wie den ‚Guide Michelin‘ testet, würde sich niemals so verhalten wie der Kritiker aus dem Animationsfilm ‚Ratatouille‘, der ganz auffällig Notizen macht und den Service wegen irgendwelcher Sonderwünsche anschnauzt. Die Kritiker, die ich im Nachhinein zuordnen konnte, nachdem der Artikel erschienen ist, waren sehr zurückhaltend. Das falsche Bild aus Filmen führt dazu, dass sich manchmal Gäste so benehmen, wie sie denken, dass Kritiker sich benehmen. Ich nehme an, weil sie denken, dass sie von uns eine Spezialbehandlung bekommen, wenn sie dem Kritiker-Klischee entsprechend. Anonyme Tester tippen ganz unauffällig etwas in ihr Telefon und halten sich zurück, wenn man sie fragt, ob ihnen der Gang geschmeckt hat, weil sie neutral und unabhängig arbeiten wollen.
Als Leserin weiß ich zu schätzen, dass die klassischen Restaurantführer, der ‚Guide Michelin‘ und der ‚Gault&Millau‘, aber auch Blogs wie ‚Trois Etoiles‘ von Julien Walther, Restaurants mehrfach anonym testen und ihre Rechnung selbst bezahlen. Da kann man sich darauf verlassen, dass nicht ein mildes Urteil aufgrund einer Einladung entsteht. Ich bin eine große Freundin dieser auf Gastronomie spezialisierten Guides und vertraue ihnen aus den genannten Gründen. Wenn ich reise, orientiere ich mich an ihnen und kenne viele Foodies, die das auch machen. Denn wie ehrlich kann man kritisieren, wenn man sich einladen lässt? Seriöse Medien machen das kenntlich.
Ich finde es schade, dass es nur noch wenige anonyme Tests gibt. Man merkt, dass die Verlage sparen und Redaktionen weniger Geld zur Verfügung haben. Journalistinnen und Journalisten kommen dann eher zu Events, wo sie vom Restaurant eingeladen werden, und schreiben dann über das Essen.
Influencer:innen werden natürlich immer wichtiger und es melden sich auch immer wieder welche bei uns, fragen, ob wir sie einladen, und stellen dafür einen oder zwei Posts und ein paar Stories in Aussicht. Ich finde das legitim und zeitgemäß. Hier muss man allerdings sehr genau hinsehen, ob das zielgruppenrelevant für einen selbst ist, und das ist uns häufig zu mühsam, also lassen wir das bisher ein wenig sträflich brach liegen. Ich höre aber von vielen Kolleg:innen, dass sie das intensiv verfolgen und auch, dass es einen hohen Impact hat.
In den neun Jahren, die unser Restaurant geöffnet hat, haben wir viele wohlwollende Kritiken bekommen, aber auch solche, die uns verletzt haben, bei denen sich die Küche missverstanden fühlte. Manchmal war ein Gang wirklich noch nicht rund, dann haben die Köche und Köchinnen ihn noch einmal überarbeitet. Ich möchte auch hier kein Beispiel nennen, aber ich habe den Eindruck, dass manchmal Kleinigkeiten aufgebauscht werden, damit ein Text nicht zu positiv wird.“
Kathrin Hollmer arbeitet als freie Journalistin in München. Sie schreibt nicht nur über Filme und Serien, sondern diskutiert auch gern in Jurys darüber, insbesondere, wie Frauen und Diversität erzählt werden. Sie ist Vorsitzende der Nominierungskommission des Grimme-Preises für die Kategorie Fiktion. Für Übermedien spricht sie in der Serie „Sachverstand“ mit Expertinnen und Experten über deren Fachgebiet und wie Medien darüber berichten.
Megacooler Beitrag, Danke!
Eigentlich ein schöner Artikel.
Aber die Ironie lässt sich für mich trotzdem nicht abschütteln: sich zum einen über snobistisch abgehobene Klischees beschweren, aber gleichzeitig übersehen, dass das ‚fünf Sterne Restaurant‘ im verlinkten Beispiel sich gar nicht auf Michelin-Sterne bezieht – sondern auf Google Rezensionen – wo es eben sehr wohl fünf Sterne Restaurants gibt. Klar mit ‚Sterne Restaurant‘ sind in der Regel schon solche gemeint, die mit Michelin-Sternen ausgezeichnet sind, aber auf die Bewertung in Sternen hat man dort sicher kein Patent.
Das macht das gewählte Beispiel aus meiner Sicht zu einem guten Gegenbeispiel für das was eigentlich bemängelt wird: ich würde in good faith hier eher ein gelungenes Sprachspiel unterstellen, als Mangel an Ahnung.
Der Artikel selbst ist hinter einer Paywall versteckt, insofern lässt sich für mich nicht mit Sicherheit über den Inhalt urteilen, aber, dass ein noch so traditionsreiches Familienrestaurant in Wedel für den Michelin Guide interessant ist, ist doch eher unwahrscheinlich. Google Rezensionen sind für diese Kategorie Restaurant sicherlich eine deutlich entscheidendere Wertung und, dass es darum geht steht sowohl in der Bildunterschrift als auch im Teaser der ‚Artikel Vorlesen‘ Funktion.
Das will nicht mal heißen, dass der angesprochene Fehler nie gemacht wird, ich meine mich auch zu erinnern ihn auch schon gelesen zu haben, aber schlicht zu deklarieren, das Sterne-Bewertungen für Restaurants nur Michelin sein können, oder das Gegenüber hat halt keine Ahnung – das ist schon heiß, für jemanden, der nahbarere, jugendlichere Ansprache einfordert.