Hasswort (50)

Modern

Eigentlich klingt es wie ein Kompliment, als besonders "modern" gelobt zu werden. Unsere Autorin ärgert das Wort trotzdem: Dahinter steckt eine Erwartung, wie sie als Frau mit Migrationsgeschichte zu sein hat.

„Du bist aber nicht wie die anderen, du bist ja ganz modern!“  – Wie oft habe ich das schon gehört. Ob auf Geburtstagen, bei Gesprächen in der Nachbarschaft oder auf Straßenfesten: Kaum ist klar, dass ich eine Person mit Migrationsgeschichte bin, fällt dieser Satz. Ich frage mich jedes Mal, was das eigentlich bedeutet. Was heißt es, „modern“ zu sein? Und wer sind diese „anderen“?

Ich trage kein Kopftuch, genieße gelegentlich ein Glas Wein und bewege mich in Kreisen, die eher als „offen“ oder „progressiv“ wahrgenommen werden. Augenscheinlich hebe ich mich damit von den „anderen“ Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte ab. Falle positiv auf. Vielleicht eine Anerkennung für Fortschrittlichkeit und Individualität, also ein Kompliment. An dieser Stelle scheint ein harmloses „Danke“ angebracht – aber tatsächlich ist die vermeintliche Nettigkeit, ich sei modern, ziemlich tückisch.

Zunächst einmal steckt in diesem Satz eine indirekte Abwertung der „anderen“. Indem wir jemanden als „modern“ hervorheben, schaffen wir gleichzeitig eine Gruppe von vermeintlich „Unmodernen“. Diese Dichotomie ist nicht nur vereinfachend, sondern auch diskriminierend.

„Modern“ gilt als Codewort

Laut dem Duden bedeutet „modern“ unter anderem „den aktuellen Entwicklungen entsprechend“ oder „zeitgemäß“. Der Begriff wird mit Fortschritt, Aktualität und Innovation assoziiert. Es gibt moderne Architektur, moderne Technik, moderne Kunst.  Doch im interkulturellen Dialog wird „modern“ oft als Codewort verwendet – ein Maßstab, der suggeriert, was akzeptabel oder wünschenswert ist und dabei gleichzeitig Normen vorgibt, die sich an westlich geprägten Vorstellungen und den Standards der Aufnahmegesellschaft orientieren.

In Gesprächen mit weiß-gelesenen Personen – also Menschen, die die Welt aus einer privilegierten, oft eurozentrischen Perspektive betrachten – scheint „modern“ eine subtile Umschreibung für „angepasst“ oder „integriert“ zu sein. Der Begriff trägt eine nicht direkt ausgesprochene, aber doch selbstverständliche Erwartungshaltung: Abweichungen von den vorherrschenden Standards werden weniger gern gesehen oder sogar als problematisch betrachtet, wodurch ein subtiler Druck entsteht, den vermeintlich „richtigen“ Weg einzuschlagen.

Dabei werden kulturelle Eigenheiten oder alternative Lebensweisen häufig nicht nur nicht wertgeschätzt, sondern als Hindernis für die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft wahrgenommen. Traditionelle Kleidung wird in öffentlichen Räumen oft als „fremd“ wahrgenommen, nicht als kultureller Ausdruck. Das Leben mehrerer Generationen unter einem Dach, das in vielen Kulturen als selbstverständlich und unterstützend gilt, wird in Deutschland nicht selten als „überholt“ oder „unmodern“ angesehen. Große, enge Familienstrukturen werden mit Begriffen wie „Clans“ negativ konnotiert. Menschen mit Akzent oder bilingualem Hintergrund werden häufig als bildungsfern wahrgenommen, obwohl Mehrsprachigkeit eigentlich ein Vorteil ist.

Nur zwei Kategorien: modern oder rückständig

„Türkisch sein“ ist in diesem Denken untrennbar verbunden mit Stereotypen, die durch manche Medien und in der Politik geprägt werden: Kopftücher, „kleine Paschas“, „Islamisierung“. Ich passe in dieses Bild nicht hinein – zumindest trage ich nichts an mir, das deuten lässt, wie und ob ich religiös praktizierend bin. Doch diese Diskrepanz zwischen dem, was ich bin, und dem, was erwartet wird, zeigt weniger, wer ich bin, sondern eher, wie stark die Denkmuster der anderen durch Schwarz-Weiß-Denken geprägt sind. Für sie gibt es scheinbar nur zwei Kategorien: „modern“ oder „rückständig“. Grautöne? Fehlanzeige.

Die mediale Berichterstattung verstärkt dieses binäre Denken. Eine wissenschaftliche Auswertung kam 2022 unter anderem zu dem Schluss, dass muslimische Bürgerinnen und Bürger immer noch meist als homogene, passive Masse dargestellt werden. Sehr oft wird über sie gesprochen und nicht mit ihnen. Eine Bebilderung von Musliminnen ohne Kopftuch gilt in Redaktionen nach wie vor als „schwierig“, denn das „Kopftuch zieht“ – so steht es in einem im März veröffentlichten Bericht des Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, für den Redakteurinnen und Redakteure aus großen Medienhäusern befragt wurden.

Das Kopftuch, ein Kleidungsstück, das für viele Frauen Ausdruck ihres Glaubens oder ihrer Identität ist, wird zur Projektionsfläche gesellschaftlicher Ängste. Es steht stellvertretend für ein „Anderssein“, das nicht zur westlich geprägten Vorstellung von „Modernität“ passt.

Diese Darstellung greift zu kurz. Nicht die äußere Erscheinung oder die Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen, bestimmen, wie „modern“ eine Person ist, sondern vielmehr ihre Haltung, ihr Denken, ihre Offenheit gegenüber anderen Lebensrealitäten. Es ist Realität, dass Ludovic-Mohamed Zahed, ein schwuler Imam, in Paris eine Moschee eröffnet, eine kopftuchtragende Heavy-Metal-Band namens „Voice of Baceprot“ bei Wacken spielt oder man in einer Bar in Istanbul eine kopftuchtragende Frau Alkohol trinken sieht.

Identitäten sind vielfältig, dynamisch und oft widersprüchlich – genau das macht sie so wertvoll. Sollten wir den Begriff „modern“ nicht ganz neu denken? Eine moderne Gesellschaft zu sein könnte bedeuten, sich von Vorurteilen zu lösen, Vielfalt zu akzeptieren und nicht in Kategorien von „wir“ und „die anderen“ zu denken. Es wäre modern, Menschen in ihrer Gesamtheit zu sehen – ohne sie auf Kleidung, Religion oder Herkunft zu reduzieren.

5 Kommentare

  1. Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit

    Bestimmt genauso unabhängig wie die Faktenchecker.
    Wie viele „unabhängige“ Expertenkreise Deutschlandistdiehölle gibt es eigentlich so?

  2. @FrankD

    Ein Troll wie aus dem Bilderbuch.
    Ich würde Ihnen empfehlen, sich zu schämen, aber dazu braucht es zumindest rudimentären Anstand.

  3. „Modern“ hat auch schon länger die rein positiven Konnotationen verloren. Heute heißt es auch oft nur: „Rennt dem Zeitgeist hinterher.“
    Andererseits sind viele Komplimente tatsächlich Manipulationen: „Lobe jemanden so, als würde er (oder sie) sich bereits so verhalten, wie Du es Dir wünschst.“

  4. @Mycroft:
    „Andererseits sind viele Komplimente tatsächlich Manipulationen: „Lobe jemanden so, als würde er (oder sie) sich bereits so verhalten, wie Du es Dir wünschst.“
    Den Zusammenhang mit dem Artikel begreife ich nicht wirklich.

    Da wäre ja eher so etwas wie:
    „Für einen nicht mehr ganz jungen weissen Mann reden Sie aber ganz vernünftig“ doch eher so der Ballpark, oder?

  5. „Da wäre ja eher so etwas wie:
    „Für einen nicht mehr ganz jungen weissen Mann reden Sie aber ganz vernünftig“ doch eher so der Ballpark, oder?“
    Jein – die genaue Analogie zur oben kritisierten Aussage wäre: „Sie sind anders als die anderen, Sie reden ganz vernünftig.“ Natürlich ist das formal ein Kompliment, aber ebenso offensichtlich ist es abwertend („Nur, weil WIR die Messlatte tiefer legen, können wir etwas Positives über Dich sagen.“) oder manipulativ („Sei _noch_ vernünftiger!“).
    Soll heißen, dass Komplimente sehr häufig nichts sind, worüber man sich ehrlich freuen sollte, auch wenn es bei diesem besonders auffällig ist. Dass die Leute, die sowas sagen, wollen, dass sich Menschen mit türkischen (arabischen, persischen, etc.) Namen an sie anpassen, ist ja wohl sehr wahrscheinlich, oder?

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