Sie kennen sich aus, weil es ihr Fachgebiet ist. Immer wieder stolpern sie über Ungenauigkeiten und Fehler in journalistischen Berichten oder fiktionalen Formaten, die sie ärgern – und hier erzählen sie davon. In der 14. Folge unserer Reihe „Sachverstand“ spricht Bestatterin Sarah Benz über die Themen Tod, Abschied und Trauer und wie sie in Medien dargestellt werden. Unsere Autorin Kathrin Hollmer hat ihre Aussagen protokolliert. Wenn Sie auch immer wieder Falsches über Ihren Beruf oder Ihr Fachgebiet in den Medien lesen, schreiben Sie uns eine E-Mail.
Zur Person
Foto: Stefano Schröter
Sarah Benz arbeitet als Bestatterin, Trauerbegleiterin und Notfallseelsorgerin in Berlin. Sie ist Gründerin von „Sarggeschichten“, einem Videoprojekt über Tod und Trauer. 2023 hat sie zusammen mit ihrer Kollegin Katrin Trommler ein Buch dazu veröffentlicht.
„Einmal fragte mich eine Journalistin, ob es nicht traumatisierend sein kann, einen toten Menschen zu sehen. Egal wie sehr ich dann differenziere in meiner Antwort, bei den Leser:innen bleibt erst einmal im Gedächtnis: Tod = Trauma.
Was mich bei Interviews auch manchmal stört: Wenn Journalist:innen das Thema abarbeiten müssen, zum Beispiel, weil Totensonntag ist, sie aber keine Lust haben zuzuhören oder zu verstehen, was uns Bestatter:innen wichtig ist. Oder wenn es um Sensation geht, sie zum Beispiel fragen, was das Allerschlimmste oder Skurrilste ist, was ich je erlebt habe. Es gibt natürlich auch sensible Artikel.
Meistens ist in Berichten von Angehörigen oder Hinterbliebenen die Rede. Ich benutze das Wort Zugehörige. Angehörige sind nur Blutsverwandte und Ehepartner:innen, da fallen Freundschaften und Wahlfamilien raus. Zugehörige umfasst für mich alle Menschen, die wichtig sind für die tote Person. Es ist mir dann auch wichtig, dass Journalist:innen das nicht plötzlich bei Interviews eigenmächtig ändern.
Viele stellen sich das Abschiednehmen anders vor
Es gibt viele Dokus, die einen Bestatter oder eine Bestatterin begleiten. Da sieht man, wie sie Tote versorgen, in den Sarg legen und die Halle für die Beerdigung vorbereiten, fast immer ohne Zugehörige. Das mag bei vielen Bestattungsunternehmen so sein, aber es kann auch ganz anders ablaufen. Ich versorge die Toten meistens zusammen mit den Zugehörigen, außer natürlich, sie möchten das aus irgendeinem Grund nicht.
Viele Menschen schreiben mir, dass sie überrascht sind, wenn sie das in unseren Videos sehen. Dabei ist das der wichtigste Teil meiner Arbeit: gemeinsam den Freund, die Ehefrau, die Mutter oder das Kind zu versorgen, zu waschen, in den Sarg zu legen, noch einmal zu streicheln, Zeit mit dem geliebten Menschen zu verbringen und zu spüren, was es bedeutet, dass sie oder er gestorben ist. Für die meisten Menschen ist das hilfreich beim Abschiednehmen, doch das sehe ich in diesen Dokus selten. Auch die Beziehungsarbeit nicht, die Gespräche, die wir in unserem Beruf mit den Zugehörigen führen, das Begleiten. Diese Darstellung hat Einfluss auf das Bild, das Menschen vom Abschiednehmen von ihren Liebsten haben, und eben auch vom Beruf des Bestattenden, der eher handwerklich gezeigt wird und nicht als Beziehungsberuf, bei dem es um Kontakt mit Menschen geht.
Wenn es in Filmen um Bestattungen geht, wird meistens nur die Beerdigung gezeigt. Da stehen dann Leute in schwarzer Kleidung um einen Sarg herum, oder man sieht noch, wie der Sarg in den Boden gelassen wird, und die Leute kondolieren. Wir hatten schon Beerdigungen, bei denen die Menschen Wunderkerzen angezündet haben oder Seifenblasen steigen ließen. Viele wissen nicht, dass die Zugehörigen im Krematorium mit an den Ofen gehen können, wohl auch, weil das im Fernsehen nie gezeigt wird.
Warum der Satz ‚Das wollen Sie nicht sehen‘ übergriffig ist
Wenn eine tote Person im Krimi gefunden wird und Zugehörige sie sehen wollen, fallen oft Sätze wie: ‚Sie können da nicht hin‘, ‚Das wollen Sie nicht sehen‘ oder ‚Behalten Sie ihn in Erinnerung, wie sie ihn kannten‘. Nun ist der Tod an sich ja schon schrecklich genug, aber wenn man Zugehörige dann noch von ihrem geliebten Menschen fernhält, finde ich das übergriffig. Direkt an einem Tatort kann die Polizei entscheiden, dass der oder die Tote nicht angefasst werden darf, bis er oder sie freigegeben ist. Aber danach kann man jeden Menschen noch sehen und es ist immer möglich, ihm in irgendeiner Form nah zu sein. Niemand darf einem Menschen verbieten, seinen verstorbenen Zugehörigen zu sehen.
Ich bekomme oft Nachrichten von Menschen, die zum Beispiel ihre tote Mutter nicht mehr sehen durften, weil der Bestatter sagte, sie sollten sich das ‚nicht antun‘. Verletzungen kann man aber den Zugehörigen vorher beschreiben oder diese vorher versorgen, man kann Körperteile oder den ganzen Menschen abdecken, und trotzdem den Zugehörigen ermöglichen, sich zu verabschieden, wenn sie das möchten. Meine Erfahrung ist, dass Menschen mit Verletzungen oder Verwesungsprozessen viel besser klarkommen, als man denkt. Wenn das mit viel Zeit, Gesprächen und Ruhe begleitet wird, kann man das gut verkraften.
Zwei Filme sind mir in der Hinsicht positiv in Erinnerung geblieben: In der deutschen Produktion ‚Der letzte schöne Tag‘ gibt es eine Szene, in der die tote Mutter beim Bestatter aufgebahrt ist. Die Tochter zieht der toten Mutter Handschuhe an, damit sie keine kalten Hände bekommt, und verabschiedet sich so von ihr. Und im japanischen Film ‚Nokan – Die Kunst des Ausklangs‘ wird ein Cellist Bestatter. Als er in einer Szene eine Mutter versorgt, sitzt ihre kleine Tochter dabei, läuft los und holt den Lippenstift, den ihre Mutter immer getragen hat, und er trägt ihn ihr auf. Das ist eine unglaublich rührende Szene.
Trauer hat viele Facetten – das sollte auch gezeigt werden
Trauer und Abschiednehmen wird in Filmen oft fremdbestimmt gezeigt. In der zweiten Staffel ‚Outlander‘, zum Beispiel, hat die Hauptfigur eine Totgeburt. Sie bekommt das Baby auf den Arm gelegt, darf es angucken und weinen, was ich großartig finde. Doch dann kommt nach ein paar Stunden eine Freundin und nimmt es ihr weg, das finde ich dann wiederum gewaltvoll. Ich habe als Notfallseelsorgerin erlebt, wie wichtig das ist, dass die Mutter in der Situation entscheidet, wann sie ihr totes Kind hergibt. Oder ein anderes Beispiel: Wann der Deckel auf den Sarg kommt, entscheiden bei mir immer die Zugehörigen. Im Film ist Trauer immer etwas, das gemanagt werden muss von Menschen, die es scheinbar besser wissen.
Trauer wird in Filmen zudem oft recht stereotyp dargestellt. Trauernde Figuren schreien, brechen zusammen, schlagen Sachen kurz und klein, dann sind sie einsam, wollen nicht reden, und kurze Zeit später ist alles wieder gut. Trauer kann aber lange dauern, vielleicht für immer, und sie umfasst alle möglichen Gefühle: Wut, Dankbarkeit, Zweifel, Erleichterung, Einsamkeit. In den Medien wird die Trauer einer Person selten in ihren unterschiedlichen Facetten gezeigt und oft nicht über längere Zeit. So entsteht oft der Eindruck, wenn der Mensch seit drei Monaten tot ist, muss man darüber hinweg sein.
Zum Glück gibt es auch hier Veränderungen, besonders in aktuellen Filmen oder Serien. Mir fällt dazu die Serie ‚New Amsterdam‘ ein, in der die Frau der Hauptperson stirbt und der Mann für die nächsten Monate mit seiner Frau im Zwiegespräch gezeigt wird. Ähnlich war es in der Serie ‚After Life‘. Für Menschen in Trauer kann das sehr hilfreich sein, wenn sie sich in Film- oder Fernsehfiguren wiederfinden könnten.“
Die Autorin
Foto: Georg Jorczyk
Kathrin Hollmer arbeitet als freie Journalistin in München. Sie schreibt nicht nur über Filme und Serien, sondern diskutiert auch gern in Jurys darüber, insbesondere, wie Frauen und Diversität erzählt werden. Sie ist Vorsitzende der Nominierungskommission des Grimme-Preises für die Kategorie Fiktion. Für Übermedien spricht sie in der Serie „Sachverstand“ mit Expertinnen und Experten über deren Fachgebiet und wie Medien darüber berichten.
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