Bundestagswahlkampf

Falschnachricht über die SPD: Schmutzkampagne bei „Focus Online“

Screenshot des gelöschten "Focus-Online"-Artikels mit der Falschnachricht, die SPD plane eine Kampagne gegen Friedrich Merz
Falschnachricht! Screenshot: „Focus Online“

Am Samstagabend erschien bei „Focus Online“ ein Artikel über die SPD, der schnell für Empörung sorgte, dann aber, nur wenige Stunden später, plötzlich wieder verschwand – und gegen den die SPD nun juristisch vorgeht.

Der Artikel trug die Überschrift:

„Wahlkampf aus der untersten Schublade: SPD plant Schmutz-Kampagne! Frauen sollen Angst vor Friedrich Merz schüren“

In dem Beitrag behauptete „Focus Online“, die SPD plane eine „Diskreditierungs-Kampagne gegen Friedrich Merz“. 100 Frauen sollten in Videoclips ihre „Angst“ vor dem CDU-Parteichef und Kanzlerkandidaten der Union äußern:

„Diese Spots sollen Stück für Stück über die sozialen Netzwerke einsickern und das Klischee bedienen, dass Frauen vor dem ,alten weißen Mann’ Friedrich Merz Angst haben sollen.“

Obwohl es nur ein dünnes Textchen war mit wenigen Absätzen, fand es reißenden Absatz, vor allem in sozialen Netzwerken, wo sich auch Politiker eilig echauffierten. Wolfgang Kubicki etwa, der stellvertretende Vorsitzende der FDP, schrieb bei X:

„Wie verkommen ist die SPD geworden? Im Moralisieren genauso groß wie im Verunglimpfen. Es wird ein schmutziger Wahlkampf.“

Kubicki, der auch Vizepräsident des Deutschen Bundestags ist, erhielt für seinen polternden Moral-Post mehr als tausend Herzen.

„Neue Erkenntnisse“

Erschienen war der Artikel gegen 20:30 Uhr, kurz nach Mitternacht war er dann wieder weg, kommentarlos gelöscht. Erst am Montagmittag publizierte „Focus Online“ eine so genannte „Aktualisierung“ des Beitrags, wobei „Aktualisierung“ in diesem Fall bedeutet, dass der gesamte Text durch einen spärlichen Hinweis der Redaktion ersetzt wurde.

„Neue Erkenntnisse“, heißt es dort, hätten sie „dazu bewogen, den Inhalt am Wochenende offline zu nehmen“:

„Von uns als verlässlich eingeschätzte Quellen hatten uns zunächst von einer gezielten Social-Media-Kampagne gegen den Unions-Kanzlerkandidaten ausgehen lassen. Eindeutige Reaktionen der Parteien und weitere Recherchen haben in der Redaktion zu einer neuen Bewertung der Sachlage geführt.“

Inzwischen gehe man „nicht mehr davon aus“, schreibt „Focus Online“ weiter, „dass es strategische Überlegungen der SPD in der von uns ursprünglich dargestellten Art gegeben hat“. Eine öffentliche Entschuldigung dafür, eine Falschnachricht in die Welt gesetzt zu haben, findet sich in dem Statement nicht. Auf unsere Anfrage hin schreibt Daniel Steil, Co-CEO von Burda: „Für die zu schnelle Veröffentlichung ohne ausreichende Überprüfung des Wahrheitsgehalts entschuldigen wir uns im Namen von FOCUS online bei unseren Nutzerinnen und Nutzern und natürlich bei der SPD.“*

Irgendwelche „Quellen“, die sonst doch so „verlässlich“ liefern, haben „Focus Online“ also hinter die Fichte geführt. So könnte man das lesen. Allerdings war im Artikel gar nicht die Rede von (mehreren) „Quellen“ gewesen, zitiert wurde eine einzige: ein „Insider“ – und der kam laut „Focus Online“ auch noch aus den Reihen der CDU.

In dem nun zurückgezogenen Text hieß es:

„Die CDU weiß nach FOCUS-Online-Informationen von dieser Kampagne. Ein Insider sagte gegenüber FOCUS Online, dass man sehr stark sensibilisiert sei. Aber man würde von der SPD nichts anderes erwarten. Gleichzeitig wird gewarnt: Es sei nicht sehr schlau im Wahlkampf alles Porzellan zu zerschlagen, nur weil die Partei nichts Positives vorzuweisen habe, wenn man sich später möglichweise [sic!] wieder zu Koalitionsverhandlungen treffen würde. Der Insider weiter: Dieser Wahlkampf wird sehr kurz, aber wahrscheinlich der schmutzigste den es in Deutschland je gab.“

Ausführlich zitiert „Focus Online“ einen „Insider“ aus ausgerechnet jener Partei, die Ziel der vermeintlichen Kampagne sein sollte. Sonst werden keine Quellen genannt und kein einziger Beleg für die Existenz einer solchen Kampagne. Auf unsere Nachfrage, weshalb „Focus Online“ einen Text veröffentlicht, der offenbar auf nur einer Quelle beruht, schreibt Daniel Steil, es seien „mehrere Quellen“ gewesen, die sie als „vertrauenswürdig eingestuft“ hätten.

So vertrauenswürdig, dass es „Focus Online“ offenbar auch nicht für nötig hielt, der SPD die Möglichkeit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Deren Sprecherin, Bianca Walther, sagt auf Anfrage von Übermedien, die SPD sei „zu keinem Zeitpunkt“ konfrontiert worden. Dabei ist es eine Grundregel im Journalismus, die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen, gerade bei derartigen Vorwürfen. Auf unsere Nachfrage, weshalb die Redaktion die SPD nicht angefragt hat, geht „Focus Online“ in seiner Antwort nicht ein.

Noch in der Nacht zu Sonntag hatte Raphael Brinkert, der Chef der Agentur Brinkert Lück Creatives, die für die SPD den Wahlkampf macht, auf X erklärt: „Keiner, mit dem ich heute gesprochen habe, kennt eine ,Frauen gegen Merz’-Kampagne. Und von uns ist sie definitiv nicht.“ Brinkert nannte den Vorgang später „besorgniserregend“: „Wir tun alle gut daran, dass wir in diesen Zeiten nachfragen, Rücksprache halten und bei allen Berichten schauen, welche Quellen zitiert werden. Das ist, im Zeitalter von Fake News und Desinformation, nicht nur die Sorgfaltspflicht des Journalismus, sondern auch von jedem Einzelnen von uns.“

Matthias Miersch: „Desinformation, Hass und Hetze“

Auch SPD-Chef Lars Klingbeil hat inzwischen dementiert, dass es eine derartige Kampagne der SPD gebe. Generalsekretär Matthias Miersch bezeichnet den „Focus Online“-Artikel gegenüber dem „Stern“ als „Desinformation, Hass und Hetze“. Er habe CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann versichert, dass es sich „um eine Lüge“ handle. Die SPD geht nun gegen „Focus Online“ vor: „Wir sahen uns gezwungen, nach Gesprächen mit der Redaktion rechtliche Schritte einzuleiten“, sagt Miersch.

Bereits am Samstagabend hatte die SPD nach eigenen Angaben den Medienanwalt Christian Schertz eingeschaltet, „auf Grund des Anfangsverdachts einer Verleumdung“. Miersch betont, dass die Redaktion von „Focus Online“ erst eingelenkt habe, nachdem Schertz tätig geworden sei.

„Focus Online“ hat also nicht eine Schmutzkampagne der SPD aufgedeckt, „Focus Online“ hat sich offenbar einspannen lassen in eine Schmutzkampagne gegen die SPD. Und wie immer ist es nun so, dass sich die Falschnachricht rasend verbreitet, die Korrektur aber hinterher hinkt. „Focus Online“ hat sie auch nicht noch mal offensiv publik gemacht, etwa – wie den Ursprungstext – auf X.

Zur Folge könnte das alles auch haben, dass ein Verdacht übrig bleibt. Dass Wortmeldungen von Frauen, die sich kritisch zu Friedrich Merz äußern, grundsätzlich in Zweifel gezogen werden; als ob diese Frauen nicht aus Überzeugung sprächen, sondern auf Bestellung. Auch das dürfte ein Ziel des dubiosen CDU-„Insiders“ gewesen sein, der „Focus Online“ gefüttert hat: Nicht nur die SPD zu beschädigen, sondern auch diese Frauen zu diskreditieren.

Eine weitere Folge ist natürlich, dass solche Falschnachrichten das Vertrauen in Medien erheblich beschädigen. Schon vorher hat „Focus online“ nicht unbedingt viel dafür getan, dieses Vertrauen zu stärken, dies aber ist nun ein bemerkenswerter Tiefpunkt. Auf unsere Nachfrage, welche redaktionellen und/oder personellen Konsequenzen „Focus Online“ daraus zieht, schreibt Daniel Steil:

„Für uns ist dieser Fehler im redaktionellen Arbeiten eine wichtige Lehre: Gerade in Zeiten von manipulierten Nachrichten, wie wir sie auch im US-Wahlkampf gesehen haben, gewinnt journalistische Sorgfalt noch mehr an Bedeutung. Wir sind dafür in unserer künftigen Berichterstattung zusätzlich sensibilisiert.“

Da ist er wieder: der Verweis auf den US-Wahlkampf. Wie der gedruckte „Focus“ erscheint der eigenständig arbeitende Online-Ableger im Münchner Burda-Verlag, der unter anderem auch das People-Magazin „Bunte“ verlegt und diverse Klatschblätter. Nur einen Tag, bevor die Falschnachricht bei „Focus Online“ veröffentlicht wurde, erschien im Branchendienst „turi2“ ein Interview mit Burda-Vorstand Philipp Welte, in dem er auch über „Fake News“ redet. In Bezug auf die Wahl Donald Trumps sagt Welte, man habe im US-Wahlkampf „erlebt, welchen gefährlichen Einfluss gefälschte Nachrichten und offensichtliche Lügen haben, die sich in Sekundenschnelle über soziale Netzwerke verbreiten. Und das ist bei uns ja nicht anders“. Es klingt wie die exakte Vorhersage dessen, was am nächsten Tag „bei uns“ passieren sollte.

„Bollwerk der verlässlichen Information“

Philipp Welte Foto: Imago / epd

Dabei hat Welte ja einen Plan. Er findet, „dass die Verantwortung journalistischer Medien für die verlässliche Information der Menschen und damit für das Funktionieren einer Demokratie deutlich gestiegen“ sei: „Unsere Verantwortung in der Welt der Verlage ist es, ein Bollwerk der verlässlichen Information zu sein.“

Das ist ein guter Anspruch. Welte sagt sowas auch nicht zum ersten Mal. Wer sich allerdings in Sonntagsreden aufschwingt, ein Bollwerk gegen „Fake News“ im bösen Internet zu sein, sollte möglicherweise zuerst mal alles daran setzen, dass nicht eine seiner eigenen Medienmarken selbst „Fake News“ im Internet verbreitet – und journalistische Grundsätze außer acht lässt.

Wolfgang Kubicki hat seinen Post, den er am Samstagabend geschrieben hatte, am nächsten Morgen übrigens wieder gelöscht, und er hat das sogar in einem neuen Post offengelegt. Er schrieb:

„Transparenz: Ich habe den vorhergehenden Post gelöscht, weil es sich bei dem Focus-Artikel offenbar um eine Ente gehandelt hat. Ich bleibe aber dabei: Es wird ein schmutziger Wahlkampf. WK“

Womöglich bleibt Wolfgang Kubicki aber auch dabei, dubiose Skandal-Geschichten, die sich schon bei etwas näherem Hinlesen als äußerst dünn herausstellen, einfach rasch weiterzuverbreiten. Dabei läge es auch und gerade an Politikern, Falschnachrichten nicht zu befeuern, sondern zu bekämpfen. Matthias Miersch macht nun „allen demokratischen Parteien das Angebot“, ein „Fairness-Abkommen“ zu schließen: Es soll laut Miersch umfassen, im anstehenden Bundestagswahlkampf Quellen zu prüfen, falsche Berichterstattung nicht als Grundlage für Wahlkampf zu nutzen und einen gemeinsamen Umgang mit KI-Inhalten und Deep-Fakes zu vereinbaren.

*Nachtrag, 17:14 Uhr. Inzwischen wurde das Statement von Daniel Steil, das wir als Antwort auf unsere Fragen erhalten haben, unter der „Aktualisierung“ nachgetragen.

3 Kommentare

  1. Ist vor allem unplausibel:
    Warum man ausgerechnet eine Schmutzkampagne für FRAUEN gegen MERZ bräuchte, entzieht sich der unmittelbaren Erkenntnis.

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