Bahnhofskiosk

Husten, Schnupfen, Winter‑„Zeit“

Eines der Zauberworte der vergangenen Jahre in der magischen Verlagswelt war die „Line Extension“, die Verlängerung der eigenen Zeitschriftenmarke in neue Regionen, und wir aufmerksamen Hörer von „Bibi Blocksberg“ wissen natürlich, dass Zauberworte vor allem in Momenten großer Gefahr und Verzweiflung zum Einsatz kommen.

Irgendwo in der Mitte von „Zeit Wissen Saison“ gibt es ein „Zeit Wissen Saison Extra“, und man mag sich die Verzweiflung der Art Direktion kaum vorstellen, als sie einen vierten Schrifttyp in das Logo-Design einführen musste. Da hat die Wochenzeitung „Die Zeit“ also eine Line-Extension mit dem Wissenschaftsmagazin „Zeit Wissen“, das eine Spezialausgabe zur Saison macht, und Saison ist hier nicht das Saison von „Geo Saison“, das ja für Reise steht, sondern es meint tatsächlich die Jahreszeit, den Winter. Das hat mich mild verwirrt, auch weil ein Teil der Titelgestaltung sich in der Schrift auf ein sehr Geo-artiges Grün stützt, während „Geo Saison“ aber die gelbe Geo-Ausgabe ist. Ich bin erstaunt, wie konditioniert ich bin, dass mich das verwirrt, aber es ist so.

Ein Heft zum Thema Winter also, der nicht meine Jahreszeit ist, weil er kalt ist und Weihnachten beinhaltet, die größte ästhetische Katastrophe unserer Zeit. Alles an Weihnachten ist hässlich, Glühwein verhält sich zu Wein wie Abu Ghreib zum Sandy Lane Hotel auf Barbados, und wenn „Last Christmas“ ein Gebäck wäre, würde man damit Ratten vergiften. Der Weihnachtsmann ist ein Horrorclown. Nein, ich mag den Winter nicht besonders. Aber an dieser Stelle kommt die erste Überraschung: Die Redaktion von „Zeit Wissen Saison“ gibt mir damit ganz offensichtlich recht.

Das Titelthema heißt „Gesund durch die kalte Jahreszeit“, was keine aufregende Zeile ist, aber exakt die richtigen Kästchen abhakt, die ein Titelthema abhaken muss: Es identifiziert ein Problem und bietet die Lösung.

Es gibt nur zwei Titelthemenkomplexe. Das eine sind so genannte „sexy News“, also Dinge, über die jeder unbedingt alles wissen will (Tschernobyl, 9/11, Fußballweltmeister, für den „Spiegel“ alles mit Hitler) und die sich deshalb von selbst verkaufen. Aber am besten verkaufen sich Zeitschriften über Dysfunktionalität: Wir sind zu dick („10 Kilo in sechs Stunden verlieren: Die Gin-Tonic-Diät“) und haben Rückenschmerzen (gefühlte 35 Prozent aller „Focus“-Titel).

Es gibt die Kombination davon, bei den Promi-Zeitschriften, die uns das böse Gefühl nehmen, unsere Ehe wäre unglücklich, indem sie uns zeigen, wieviel unglücklicher ehemalige DSDS-Teilnehmer verheiratet sind, was gleichzeitig sexy und funktional ist, und es gibt die pseudopositive Variante der Special-Interest-Zeitschriften mit ihren Produkttests und dem ganzen Kram, aber in Wahrheit spielen auch die mit der großen Leere, die wir als Amateure spüren, wenn wir nicht jedes Stück Equipment für unser Hobby jeweils doppelt in der neuesten Version gekauft haben. Ich sage es ganz leise: Auch das ist eine Dysfunktionalität, aber sie ist immerhin besser als Crack rauchen oder Liegefahrrad fahren, deshalb sage ich nichts dagegen.

„Zeit Wissen Saison“ zeigt uns gleich, was den Winter ausmacht: Er macht krank. Und löst das Problem, indem es zeigt, wie man ihn trotzdem gesund übersteht. Und ich habe seit langem nichts schöneres gesehen als die Auflistung von Stichworten auf der linken Seite des Heftes*: „Grippe“, „Trockene Luft“, „Immunsystem“, „Kinder“. Die Probleme, die man halt so hat im Winter – endlich ordnet mal einer Kinder richtig ein**.

Im Editorial schreibt Chefredakteur Andreas Lebert ausschließlich darüber, wie seine Mutter*** ihm Fieber als etwas Positives verkauft hat, weil die Ritter des Körpers jetzt gegen die Krankheit kämpfen, und dass er seitdem die Möglichkeit genießt, sich die Auszeit zu nehmen und sich hinzulegen, wenn seine Ritter kämpfen müssen. Und dann trifft es einen. Wenn man den Ton des Editorials inhaliert, versteht man plötzlich, warum „Zeit Wissen Saison“, ein Heft über dem Winter, vielleicht eine gute Idee ist. Weil es nämlich kein Heft über den Winter ist, sondern ein Heft über Achtsamkeit.

Es ist sehr sanft, dieses Heft, sanft und schön. Bei all den Schnupfengeschichten – und es sind sehr viele Schnupfengeschichten – sieht man nie eine krankrote Nase, sondern nur warm verpackte Wintermenschlein, und selbst das „Zeit Wissen Saison Extra“ über Sport im Winter zeigt keinen Sport im Winter, sondern mehr so schneeballfreudige Lachsäcke, die das fleecige Zeug aus dem Tschibo-Regal nicht nur kaufen, sondern tatsächlich auspacken und einer Verwendung zuführen. The top one percent der Winterfreunde. Das ist erwartbar eine optische Freude, auch weil Weihnachten ästhetisch ignoriert wird, obwohl eine Anleitung dabei ist, wie man an den Festtagen weniger streitet (ich sagte es schon: Die geben mir in allem recht).

Es sprechen interessante Menschen über die Kälte, es wird gefastet und gelesen, die Wissenschaft der warmen Bekleidung ergründet, und Elisabeth Raether kocht, was nicht nur ich erwähne, der Elisabeth Raether sehr mag, sondern auch der Störer auf dem Cover, wo steht „14 köstliche Rezepte; ausgesucht von Elisabeth Raether“, was ich irgendwie toll finde. Warum nicht Autoren aufs Cover schreiben? Und wenn man es macht, dann ist Raether sicher ein guter Name, um anzufangen, weil sie wirklich so schreibt, dass man gleichzeitig lacht und Appetit bekommt, was die beste Kombination von Gefühlen ist, die man bekleidet haben kann.

Ja, ich weiß, Achtsamkeit ist ein blödes Modewort, und wenn man zu lange drüber nachdenkt bekommt man irre Lust, dem Dalai Lama eine reinzuhauen. Aber der Winter geht davon ja nicht weg. Irgendwie müssen wir da durch, die zwei Stunden, die wir währenddessen mit „Zeit Wissen Saison“ verbringen, werden nicht die schlechtesten sein, auch wenn sie mich pausenlos daran erinnert haben, dass ich gern einen Kamin hätte.

Immerhin habe ich keinen Schnupfen. Dann kann ich ja jetzt mal Stiefelabdrücke aus dem Badezimmerteppich rubbeln.

Zeit Wissen Saison
Zeit Verlagsgruppe
8,90 Euro

*) Damit das hier auch weiterhin klingt wie ein Pro-Seminar in Zeitschriften-Bullshit-Slang: Diese linke Seite des Zeitschriftencovers heißt „Die Schuppung“, weil wir uns einbilden, man würde diese Zeilen beachten, wenn das Heft „geschuppt“, also überlappend wie Dachziegel oder eben Fischschuppen, im Kiosk im Regal liegt. Die Stichworte stehen hier „in der Schuppung“.

**) Das größte ungelöste Rätsel der Menschheit ist, warum Kinder ihre Stiefel immer entweder draußen in der Kälte stehen lassen, so dass sie einfrieren, oder mit ihnen durch die ganze Wohnung stapfen. Leute, ich habe extra neben der Eingangstür die komplette „Zeit“ von dieser Woche ausgebreitet, und das nicht, weil ich so gerne auf Knien lese. Denkt doch mal mit, ihr Knallvögel!

***) Neben dem Editorial ist ein Bild des jungen Andreas Lebert mit seiner Mutter und seinem Bruder, und auch das trifft einen, weil es diese unfassbare Ansammlung Talent in einer einzigen Familie zeigt. Ursula Lebert muss – leider vor meiner Zeit – eine große Journalistin gewesen sein, und ihre Söhne sind einer der besten und kreativsten Blattmacher seiner Generation neben einem der besten und feinsten Autoren. Sie schreiben unter Pseudonym Krimis zusammen, und in der nächsten Generation kommt dann schon Benjamin Lebert. Was für eine Familie! Ich liebe dieses Foto.

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