Peter Huth (46) hat beim „Mitteldeutschen Express“ volontiert und danach beim „Express“ und der „B.Z.“ gearbeitet. 2001 wurde er Redaktionsleiter der „Bild“ Hamburg. Nach einem Herzinfarkt im Jahr 2002 schrieb er ein Buch über seine Krankheit. 2008 wurde er dann Chefredakteur der „B.Z.“. Seit der Fusion der „B.Z.“ mit der Berliner Lokalausgabe der „Bild“ im Jahr 2013 ist Huth auch stellvertretender „Bild“-Chefredakteur.
„Als ich das erste Mal Witwen schüttelte, habe ich geheult“
Das Springer-Hochhaus in Berlin, 9. Stock.
Im Großraumbüro arbeiten gut 50, 60 Leute. Drei Stunden noch, dann ist Redaktionsschluss. Ganz hinten, weithin zu sehen, sitzt ihr Chef, allein, in einer Glaskabine. Peter Huth (46) ist seit acht Jahren Chefredakteur der Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“, die vor mehr als 130 Jahren gegründet wurde.
Ihre Titelseiten, häufig mit Plakat-Optik, werden auch gern in Sozialen Netzwerken herumgereicht. Huth selbst postet sie dort. Dabei ist er eigentlich durch und durch Print-Mann. Wir haben uns getroffen, um über gute und schlechte Titelseiten zu sprechen. Und über Boulevard.
Wir sitzen auf dem Glasbüro-Sofa, Huth erzählt. Von Protesten gegen die Flüchtlings-Beilage auf Arabisch. Von dem Tag, an dem er das erste Mal „Fotos beschaffen“ sollte. Und von einer Schlagzeile, die er bis heute bereut.
Herr Huth, neulich schrieb ein Mediendienst, die „B.Z.“ mache Titelseiten wie die „taz“. Haben Sie da jetzt was falsch gemacht?
Naja, ich würde mich mehr freuen, wenn mal einer schreiben würde: „Heute ist der ‚taz‘ eine echt gute ‚B.Z.‘-Eins gelungen.“ (Lacht.) Aber, klar, ich freue mich über die Wahrnehmung, weil die wichtig ist für einen Imagetransfer. Die „B.Z.“ hat, vielleicht über Jahrzehnte, ein Imageproblem gehabt. Die Zeitung ist aber besser als ihr Ruf, auch inhaltlich. Dass das nun auch so wahrgenommen wird, ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit.
Ehrt Sie der „taz“-Vergleich also?
Der beruht ja auf dem Vorurteil, die „B.Z.“ sei mal anders gewesen. Die Zeitung ist 135 Jahre alt, und es gab verschiedene Phasen, aber die „B.Z.“ war immer eine liberale Zeitung. Die Annahme aber ist erstmal: Die „B.Z.“ ist reaktionär und dümmlich. Stimmt nicht! Dagegen muss man ankämpfen. Ich bin jetzt, mit Unterbrechung, seit 18 Jahren hier und kenne jeden Kollegen. Keiner hier ist reaktionär und dümmlich! Und die Zeitung ist ja immer so, wie die Leute ticken, die sie machen. Außerdem machen wir schon lange Einsen, die genauso gut sind wie die der „taz“. Wenn nicht sogar besser.
Wie entstehen die Titel?
Nach Gespür. Es gibt auch keine Titelkonferenz, wir arbeiten total unstrukturiert an den Sachen. Manchmal sind das Gedankenblitze, die man morgens im Auto hat. Manchmal quält man sich auch total. Dann sitze ich hier mit dem Blattmacher oder meiner Stellvertreterin, oder mit dem Reporter, und dann überlegen wir. Aber es läuft nicht so: Flüchtlinge – immer groß! Oder: Immer Kinder!
Als 2013 die „B.Z.“ und die Berliner Lokalausgabe der „Bild“ zusammengelegt wurden, hieß es, die „B.Z.“ solle ihren Sound behalten. Was ist der Sound der BZ?
Wir sind eine liberale Boulevardzeitung für eine Großstadt. Das unterscheidet uns auch von anderen Boulevardzeitungen, die in etwas kleineren Großstädten erscheinen. Das war schon immer so. Auch Tabloid, das Format, macht den Sound. Für Titelseiten ist das super: Wie ein kleines Plakat, schon laut, ja, aber manchmal auch erst auf den zweiten Blick zugänglich. Wir wollen bewusst nicht das machen, was viele versucht haben, also Internet im Print. Man muss heute viel mehr darum kämpfen, den Leuten vor Augen zu führen, welche Möglichkeiten man als Zeitung hat. News sind fast weg, im Netz, weil es schnell ist. Es gibt aber vieles, das man nur im Print machen kann.
Zum Beispiel?
Aufklapp-Einsen, also über zwei Seiten. Die nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ etwa. Oder voriges Jahr: zu Auschwitz. Da kann man sagen: Was für eine Platzverschwendung! Auf der anderen Seite entwickelt das halt eine Wucht. Und man hat schon viel mehr Konkurrenz, klar: jedes GIF, jeder Facebook-Eintrag ist ja eine kleine Schlagzeile für sich. Da muss man clever sein. Vorige Woche wäre „Breaking Beck“ eine gute Zeile gewesen. Aber dann war das Internet voll damit. Das ist ja noch relativ neu, dass man gegen die Schwarm-Kreativität und die Schnelligkeit des Internets ankämpfen muss.
Sie haben diesen Titel gemacht, zu den Silvester-Vorfällen in Köln. Da standen vorne tendenziöse Zitate aus dem Internet drauf, und auf der letzten Seite die Fakten. Ist das auch ein Statement gegen das Internet?
Naja, unsere Aufgabe im Print ist, zu kuratieren und zu ordnen. Das ist unsere große Stärke. Wir haben ein Produkt, das einen Anfang hat und ein Ende. Und wenn wir es gut machen als Journalisten, ist der Leser informiert über das, was an dem Tag passiert ist, zum Stand der Drucklegung. Das ist im Internet anders. Da gebe ich „Köln Silvester“ ein und kriege alles mögliche. Irrsinnig viele Meinungen, irrsinnig viel Quatsch. Im Print hast du die Sache, zum Punkt der Drucklegung, einmal komplett vernünftig erzählt.
Die sachlicheren Titel zu Köln überraschen ja schon. Da hätte man von einer Boulevardzeitung etwas anderes erwartet. Einen Titel, der eher reinhaut, statt sachlich zu erklären.
Mal so, mal so. Es gibt ja keine goldene Regel. Eine gute Eins ist so gut, wie es ihr gelingt, die Wirklichkeit zu übersetzen. Mal ganz nachrichtlich, und manchmal eben anders. Als Köln hochkochte und sich daraus eine Diskussion entwickelte, wem man trauen kann, der Polizei, dem Internet… da war unser Ansatz: So sähe es aus, wenn Behauptungen rausgetragen würden, wie im Internet. Und dann drehen wir die Zeitung um, und da steht: Das sind die Fakten, die man im Moment überhaupt weiß. Wir haben uns auch den Spaß gemacht, die Seiten in den jeweiligen Aktualisierungen der Zeitung am Abend zu tauschen. Das heißt, bei den einen Kiosken war die Fakten-Ausgabe oben, bei anderen lag da: „Angriff der Sex-Horden“.
Zielen Sie mit solchen Titeln auch auf ein akademischeres Publikum ab? Und weniger auf ein klassisches Boulevard-Publikum?
Das könnte man so sagen, wenn man davon ausgeht, dass es ein klassisches Boulevardpublikum gibt. Glaube ich aber nicht. Wir machen eine Massenzeitung, schon immer, das ist die DNA der „B.Z.“ – aber es gibt kein typisches Boulevard-Publikum, das mit dem Henkelmann vor den Toren von Siemens steht und sagt: „Wenn ich jetzt noch auf der BZ ’ne nackte Frau hätte, dann wäre mein Glück perfekt.“ Mag sein, dass das früher so gewesen ist, aber das ist vorbei. Ich wehre mich dagegen, dass unsere Leser tendenziell ungebildeter wären. Ich freue mich aber auch, wenn wir in anderen Leserschichten wahrgenommen werden als eine Zeitung, die eine Credibility hat. Nicht nur eine Streetcredibility, auch eine, naja, Lounge-Credibility.
Huth schaut auf die Ahnengalerie hinter ihm, schwarz-weiße Fotos aller Chefredakteure. Darunter auch Franz Josef Wagner, der die „B.Z.“ von 1998 bis 2000 leitete, und Walter Mayer, Huths Vorgänger, der von 2004 bis 2008 Chefredakteur war.
Franz Josef und Walter. Ich hab immer gerne Zeilen gemacht, schon bei der „Rheinischen Post“. Da gab es einen Kollegen, Jürgen Loosen, der hat gerne so total kranke Alliterations-Zeilen gemacht. Das fand ich damals witzig. Aber so richtig geprägt, was Blattmachen betrifft und Einsen, hat mich die Zeit mit Franz Josef. Das war das Erweckungserlebnis. Und Walter Mayer war damals der Stellvertreter von Franz Josef.
Franz Josef Wagner. Das wird mancher bedenklich finden, dass er Ihr Vorbild ist.
Warum eigentlich? Weil viele Leute Franz Josef halt nur kennen als Briefe-Schreiber bei „Bild“. Ich bin auch nicht immer 100-prozentig seiner Meinung. Ich finde dennoch, dass er ein wahnsinnig guter Schreiber ist. Das wusste ich schon, als ich seine Romane gelesen habe. Er hat einen unverwechselbaren Stil, ist ein großer Worterfinder, und er setzt Bilder frei.
Und was lernt man beim Blattmachen von Wagner?
Die Herangehensweise: Wir haben Bilder, Überschriften und Texte. Diese drei Elemente collagieren wir zu einer Interpretation der Wahrheit. Ich mache immer noch lange Strecken: Die Anschläge von Paris haben wir auf 16 Seiten gemacht, mit großen Fotos. Wir sind vorne rein mit diesem Bild, wo alle noch lebenden Redakteure bei „Libération“ am Redaktionstisch sitzen, und ihre Gesichter sehen trotzig aus, mutig – ein tolles Foto! Und dann erst gehst du in die Blut- und Erschießen-Fotos, alles groß. Vorher kannte ich das nur kleinteilig. Aber die Jungs damals haben gesagt: „Nee, nix, wir machen zehn Seiten!“ Als diese Maschine von Swiss Air abstürzte, 1998, vor New York, da waren die ersten vier Seiten nur Fotos: ein Koffer, ein Schal, trieb alles im Meer. Zeitung größer zu denken, Kategorien zu sprengen, dieser Magazin-Ansatz hat mich total umgehauen.
Manchmal machen Sie so eine magazinige Eins, sehr klar, wie ein Poster, und dann stehen da Anzeigen, die die Optik zerschießen. Ärgert Sie das?
Null. Im Gegenteil. Es hilft. Ohne Anzeigen wäre es ein Kunstwerk. Ich mache aber keine Kunst, ich mache eine Tageszeitung. Und so, mit Anzeigen, ist es eine. Es gibt natürlich Tage, wo ich die Anzeigen runternehme, zum Beispiel bei dem Titel über Auschwitz. Unsere Sales-Abteilung ist da sehr cool, und die Kunden sind es auch. Die sind ja nicht blöd! Wenn da „Bockwurst 99 Cent“ auf einer Auschwitz-Seite stehen würde, sagen die auch: Nee, druck das mal einen Tag später. Und ich weiß ja, worauf Sie hinaus wollen…
Ach, ja?
Die Diskussion hab ich immer, wenn ich die Seiten auf Facebook stelle.
Welche?
Die mit den Anzeigen. Hier zum Beispiel: Da machen wir eine empathische, bisschen sperrige Seite, die Merkel und die Balkanroute verbindet, die Türkei und Idomeni. Und dann steht oben in der Anzeige: „Ganz Deutschland hat die Nase voll.“ Dann kommen sofort 20 Spaßvögel bei twitter an und sagen: „Ja, haha, und die Wahrheit steht da oben in der Anzeige, ne?“ Ich reagiere auch immer auf die, ich kann nicht anders. Leute wollen damit ja auch unterstellen, dass wir alles nur wegen des Geldes machen, aber Anzeigen gehören halt schon immer dazu. Sie geben uns ja auch Unabhängigkeit.
Und welche Seiten sind Eigenmarketing? Neulich, als die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker davon sprach, Frauen sollten immer eine Armlänge Abstand zu Fremden halten – da haben Sie auf der Eins ironisch vorgeschlagen, die „B.Z.“ zu rollen und als „Einarmlängen-Verlängerung“ zu nutzen. Das war Marketing, oder?
Nee, das war eine Blitzidee. Das ist eine Übersetzungssache. Dass das jetzt die „B.Z.“ war, die man da rollen sollte, also… nee, das wäre ja das dümmste Marketing aller Zeiten.
Es ist so selbstreferentiell.
Ja, manchmal muss man so sein. Es ist eher Teil des Konzepts, zu zeigen: Hier, Print! Marketing machen wir anders, mit Konzeptausgaben, einer gesamten Ausgabe „B.Z. am Sonntag“ als Comic zum Beispiel. Das ist Marketing! Oder die „B.Z.“ auf Berlinerisch. Alles Aktionen, um sich darzustellen als kreative Zeitung. Da weiß man manchmal auch, wer das so mitkriegt, und dann kann man sich vielleicht mal eine Medaille abholen.
Flüchtlings-Themen haben Sie sehr oft auf der Eins. Bewusst?
Natürlich.
Weil Sie wissen, dass sich das verkauft? Darum geht es doch bei einer Eins: Dass sich das Blatt verkauft.
Nee, sie muss auffallen. Natürlich ist die Seite eins immer das stärkste Verkaufsargument für die Zeitung. Und es gibt Erfahrungswerte: Rente verkauft sich gut, Hartz IV auch, so Reizwörter. Flüchtlinge verkaufen sich gut, weil das ein Thema ist. Es gibt viele Dinge, die reiben. Der Titel zum Beispiel: „Schenken Sie diese ‚B.Z.‘ nach dem Lesen einem Flüchtling“ – da war eine vierseitige Beilage auf Arabisch drin. Da riefen Leute an und sagten: „Das wollen wir nicht!“ Ist aber egal. Die Leute reiben sich dran, finden es aber trotzdem interessant. Man muss ja auch nicht unserer Meinung sein.
Manche sind sogar so sehr nicht ihrer Meinung, dass es eine Gegendarstellung auf der Eins gibt.
Ja, wir haben mal eine Gegendarstellung, die wir bringen mussten, auf der Seite Eins gehabt, und dann haben wir die Person, um die es ging, nochmal gezeigt, und den Rechtsanwalt gleich dazu! Da wurde damals argumentiert, der Typ sei kein Zuhälter, denn er vermiete lediglich Bürgersteige an Zuhälter. Was für mich kein Unterschied ist. Und bei aller Freude darüber, dass wir in einem Rechtsstaat leben und solche Sachen differenziert betrachtet werden müssen, habe ich dann kein Problem damit, sowas auch sehr bewusst und sehr deutlich auf die Seite Eins zu nageln.
Und dann mussten Sie am nächsten Tag in diesem Fall gestehen, auch wieder auf dem Titel, dass Sie die falsche Person auf die Eins genagelt hatten.
Ja, das war ein fürchterlicher Moment. Man geht mit voller Wucht und gegen alle Bedenken, die viele Leute haben, da rein und will ja damit auch was ausdrücken, nämlich dass man sich nicht einschüchtern lässt – und dann stellt man fest, dass es das falsche Bild war, wie immer passiert durch eine Verknüpfung vieler unglücklicher Umstände. Dann muss man damit genau so offen umgehen und sagen: Wir haben einen Fehler gemacht.
Bereuen Sie das?
Nein, also… Ja, ich bereue den Fehler, der hätte nicht passieren dürfen. Das war superpeinlich. Aber ich bereue nicht, dass wir das insgesamt gemacht haben. Hätte es den Fehler nicht gegeben, wäre es kein Problem gewesen.
Gibt es andere Einsen, die Sie bereuen im Nachhinein?
(Zögert) Ich war sehr eng beteiligt an der bekannten „Franzi van Speck“-Zeile, mit Franz Josef Wagner damals. Unterzeile: „Als Molch holt man kein Gold“. Das würde ich nicht mehr machen.
Weshalb?
Weil es eine Art von Zynismus ist, die falsch ist. Wir fanden es damals richtig. Wir haben die Zeile zu zweit gemacht, und ich hab gesagt, das finde ich okay. War ein Fehler. Und wenn wir jetzt alle Ausgaben durchgehen, seit ich Chefredakteur bin, würde es sicherlich einige geben, die ich nicht mehr machen würde, aus formalen Gründen oder weil ich sage, da haben wir falsch gelegen. Aber das ist ja auch das Spannende an einer Tageszeitung.
Die“B.Z.“ ist eine der ältesten Zeitungen Berlins. Sie wurde 1877 von Leopold Ullstein gegründet und Anfang des 20. Jahrhunderts neu ausgerichtet: Die „B.Z. am Mittag“ war dann die erste Boulevardzeitung Deutschlands. Im Zweiten Weltkrieg wurde Ullstein von den Nazis enteignet und die Zeitung eingestellt. Seit 1953 erscheint sie wieder, seit den Sechzigerjahren gehört sie zum Axel Springer Verlag. In den vergangenen Jahren hat auch die „B.Z.“ mit einem stetigen Auflagenrückgang zu kämpfen. Im Jahr 2013 wurde sie mit der Berliner Lokalausgabe der „Bild“ fusioniert. Eine Redaktion macht nun beide Zeitungen.
Als jetzt der Grünen-Politiker Volker Beck mit Drogen erwischt wurde, haben Sie groß auf dem Titel gehabt, es handle sich um Crystal Meth. Das ist aber doch gar nicht bestätigt.
Die Geschichte kam aus dieser Redaktion, also aus dem neunten Stock, der Gemeinschaftsredaktion von „Bild“ und „B.Z.“. Und wir wissen, dass es Crystal Meth ist. Manchmal weiß man eben Sachen. Und das ist natürlich ein super Thema: Der zweite Spitzenpolitiker wird mit Crystal Meth erwischt! Das ist ja auch so eine Droge, die alle kennen, weil alle „Breaking Bad“ geguckt haben und das wahnsinnig witzig finden. Ich habe aber auch gesagt: Wir machen es ohne Häme.
Apropos: In der „B.Z.“-Imagebroschüre sagen Sie, dass Sie Menschen nicht als „Monster“ bezeichnen, weil sie das zu Comicfiguren mache. Was ist mit so Überschriften wie „Der Amok-Beißer vom CSD“ oder „Die schwarze Kunst des Mädchen-Killers“, wo sich auch noch herausstellte, dass es gar nicht die Manga-Comics des Mörders waren.
Da gehen wir aber jetzt weit zurück.
2010 und 2013.
Das sind Einzelfälle. „Bildblog“ hat auch mal danach gesucht. Acht haben sie gefunden, über Jahre. Und wissen Sie: Ich gebe eine Linie heraus als Chefredakteur. Aber ich kann nicht mehr die Zeitung und alles, was wir im Internet veröffentlichen, abnehmen – die Zeiten sind vorbei. Deshalb kann es sein, dass Sachen passieren. Ich bin kein Freund von Komposita-Zeilen wie „Axt-Möder“, aber „Ekel-Feder“ bei Akif Pirinçci, das war okay, finde ich. Oder bei Sebastian Edathy: „Der Schweinheilige“. In diesem Fall hat das Edathys Auftritt gut geschildert. Aber gebe ich sonst Menschen Tiernamen oder sage, Hitler sei ein „Monster“, spreche ich ihnen eine gewisse Verantwortung ab. Wenn einer ein Täter ist, ist er ein Täter. Er kann ein Killer sein, auch „monströse“ Taten begehen, aber er ist kein Monster, sondern ein Mensch.
Klingt edel. Sie sagen ja auch, Boulevard sei so seriös wie andere Medien.
Wie käme man auf die Idee, dass Boulevard weniger seriös ist als eine Abo-Zeitung?
Naja, also…
Hier arbeiten 90 Journalisten, die sind alle vernünftig ausgebildet – wieso sollten die eine andere Art Journalismus machen? Ich habe 1991 als Volontär angefangen. Und natürlich hat das Genre echt ruppige Zeiten gegeben. Das muss man zugeben, ist ja auch kein Geheimnis. Da sind viele Fehler gemacht worden. Persönlichkeitsrechte wurden gebrochen, und zwar permanent. Verdachtsberichterstattung wurde nicht vernünftig gekennzeichnet. Da sind einfach viele Sachen nicht sauber gelaufen.
Aber das ist doch heute noch so.
Es kommt immer alles vor, das ist ja das Schöne an dieser Welt. Ich glaube aber, das sich das Genre Boulevard schon geändert hat. Früher hatten wir noch manche Themenfelder total exklusiv: Prominente, nackte Haut, Kriminalität. Dann kamen Konkurrenzmedien, das Privatfernsehen, da gab es eine Kriminal-Sendung jeden Tag, und abends jodelte die Lederhose. Der Boulevard hat dann überdreht zu einer Zeit, und ist immer höher gedreht. Heute aber gibt eine größere Reflexion bei den Blattmachern. Und, klar, es gibt halt immer wieder die Punkte, wo man unterschiedlicher Meinung sein kann, wo wir an die Grenze gehen oder sogar darüber hinaus. Aber: Wo ist der Klick-Moment? Wo wird man zum Boulevardjournalisten?
Wenn man Witwen schütteln geht. Wenn man Fotos aus dem Internet veröffentlicht, die gar nicht die richtige Person zeigen. Wenn man Kampagnen fährt, Stimmung macht. Wenn man…
Ich habe das nicht oft gemacht, Witwenschütteln, ich fand das immer fürchterlich. Beim ersten Mal stand ich in Erfurt vor einer Wohnung, da war eine Familie abgestürzt, und ich habe bei den Nachbarn geklingelt. Ich hab sofort angefangen zu heulen. Aber die Nachbarn haben bloß gesagt: „Nee, die kannten wir gar nicht, lassen Sie uns in Ruhe.“ Dann bin ich gegangen. So sollte das übrigens jeder Reporter handhaben: Nein heißt Nein. Ich kenne natürlich Kollegen, die ein Händchen dafür haben. Und Tricks anwenden. Sich zum Beispiel das ganze Fotoalbum mitgeben lassen, damit die Konkurrenz nichts mehr bekommt. Solche Sachen. Witwenschütteln hat ja einen wahnsinnig schlechten Ruf. Andererseits: Ist es nicht ehrlich, wenn Journalisten hingehen zu den Leuten und fragen? Wenn die mit einem sprechen, und wenn man fragt, haben Sie ein Foto von Ihrem Sohn, der jemanden umgebracht hat oder Opfer wurde, und die Leute bejahen das, dann finde ich das ein total journalistisches Vorgehen und nicht unseriös, sondern im Gegenteil: sehr seriös!
Wenn man Menschen in einer Notsituation ausnutzt?
Wir haben oft erlebt, dass Leute auch ein Bedürfnis haben, zu reden. Ich will das jetzt nicht verpsychologisieren und sagen, wir waren die ersten, die denen zugehört haben oder so…
Klingt aber so. Der Reporter hört doch nicht aus edlen Motiven zu, sondern weil er am Ende etwas haben will.
Naja, aber was sind die edlen Motive, wenn ich auf einer Pressekonferenz sitze und mir Frau Merkel anhöre? Das edle Motiv ist: Ich will wissen, was sie sagt, und dann schreibe ich es auf.
Das ist doch etwas anderes. Wir sprachen darüber, dass man Leute umgarnt, die unter psychischem Druck stehen, weil sie gerade vielleicht jemanden verloren haben. Der Boulevard-Reporter kommt dann und sagt: „Ich höre dir ein bisschen zu, und am Ende gibst du mir das Fotoalbum, okay?“
Den Deal gibt es ja so nicht. Ich will das auch gar nicht reinwaschen. Ich habe ja gerade selber über eine Zeit gesprochen, wo sowas mit, ich sage mal: krimineller Leidenschaft betrieben wurde. Es sind wahnsinnig viele Fotos einfach so unreflektiert gedruckt worden. Als ich angefangen habe, war nix mit Pixeln oder Unkenntlichmachen. Das hat sich verändert. Und, ja, Sie können mich totschlagen mit irgendwelchen Fällen, in denen Sie sagen: Aber da und da ist doch das passiert!
Ich will Sie gar nicht totschlagen.
Grundsätzlich: Natürlich muss man Menschen abbilden, Täter – und Opfer. Aber jeder Fall ist einzeln zu betrachten und zu bewerten. Ich finde es richtig, den Piloten zu zeigen, der die Germanwings-Maschine hat abstürzen lassen. Oder den toten Flüchtlingsjungen am Strand. Falsch ist, grundsätzlich darüber zu diskutieren, ob das statthaft ist. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Wirklichkeit abzubilden. Und komplexe Sachverhalte im Zweifelsfall zu übersetzen. Das versuchen wir, nicht zuletzt mit unseren Titelseiten.
Toll-„kritische“ Frage von Peter Huth: „Zielen Sie mit solchen Titeln auch auf ein akademischeres Publikum ab? „, anstatt festzustellen: „Das Internet hat die Vorkommnisse von Köln viel zutreffender eingeordnet, als Sie, die BZ, mit Ihrem Titel. Warum lagen Sie so daneben?“.
Interessantes Interview. Franz Josef Wagner als Vorbild – das erklärt einiges. Zwar habe ich die B.Z. im Vergleich mit der BILD tatsächlich immer als etwas weniger eklig empfunden, ein Kompliment ist das aber noch lange nicht. Zum Boulevard-Journalismus bedarf es halt einer gewissen Skrupellosigkeit. Rührend aber immer wieder das verzweifelte Bemühen der Protagonisten, die Sache schönzureden und als „richtige Journalisten“ wahrgenommen zu werden.
@ Sabine Lanzberger, #1
»[…] anstatt festzustellen: […]«
Genau das ist Ihr Problem: Sie stellen immer nur fest, weil sie ja sowieso schon alles wissen und sämtliche Wahrheiten kennen. Und die einzige Frage, die Ihnen noch einfällt, ist die, warum alle anderen auf der falschen Seite fahren.
Auf den Dunning-Kruger-Effekt wurden Sie ja an anderer Stelle schon hingewiesen. Das Wissen darum nützt allein zwar noch gar nichts, aber wie heißt es so schön: Steter Tropfen höhlt den Stein. Deshalb hier noch mal der Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt
And by „Das Internet“ meint Frau Lanzberger ihre eigene kleine braune Filterblase.
@ Gerd, Axel E etc.
1. Die BZ lag in ihrer ersten Einschätzung der Silvester-Vorkommnisse in Köln grandios falsch. Es wurde relativiert und abgewiegelt. Der Titel „So würde die BZ aussehen, wenn wir dem Internet vertrauen würden“ traf die Wirklichkeit besser. Es war in der Tat eine Gruppe von über 1000 Leuten, die außer Kontrolle waren, Migrationshintergrund hatte, und Jagd auf Frauen machten. Über 1.000 Anzeigen, nicht bloss 90.
2. ÜBERMEDIEN kritisiert nicht die die inhaltlich verkorkste Berichterstattung, sondern feiert den verantwortlichen Chefredakteur, und freut sich über das gelungene grafische Layout. Dabei darf sich Herr Huth selbst auf die Schulter schlagen, dass es nur so kracht. Denn ohne Anzeigen wäre es ja „Kunst“, und Huth ein Künstler.
3. ÜBERMEDIEN läßt den Portraitierten unhinterfragt schon in der Überschrift Krokodilstränen verdrücken. Denn jeder der sich mal mit Mitarbeitern im Vertrauen unterhalten halt, weiß, dass im Springer-Verlag das „Witwenschütteln“ eine regelmäßige und perfektionierte Praxis mit Tradition ist.
4. Herr Niggemeier hat sich mit seinem Springer-kritischen BILDblog einen guten Ruf erarbeitet, den er auf ÜBERMEDIEN meiner subjektiven Einschätzung nach konsequent aufs Spiel setzt, weil er z.B. diesen Springer-Mann in einer art und Weise hofieren lässt, dass „Anzeige“ darüberstehen müsste; er unkritische Berichterstattung, s.o., zum Thema „Flüchtlingskrise“ lobt, und vor öffentlicher Selbstkritik der Medien warnt.
5. Wenn ich mir erlaube meine Ansicht hier kurz und sachlich vorzutragen, werde ich von „GERD“ (4) reflexhaft als Nazi bezeichnet, was zeigt, wie auf den Hund gekommen die Debatte in Deutschland ist: Kritik an der Regierung, oder an Regierungstreuen, wird als rechts niedergeschrieen.
6. Lustig-absurd wird es, wenn „AXEL E. aus B.“ (3) offenkundig unter einem zweiten Pseudonym in Selbstreferenz und ganz ernsthaft von einem „Dunning-Kruger-Effekt“ daher erzählt. Einem laut Wikipedia in der psychologischen Fachwelt nicht anerkannten Phänomen, was mit einer satirischen Auszeichnung bedacht wurde, bei der ein „zufälliger Passant für die Entscheidungsfindung“ zugeladen worden ist.
7. „Das Vertrauen in die Medien ist dramatisch gesunken“, konstatieren die Macher dieses Blog korrekt auf ihrer „Über uns“-Seite. Dem Entgegentreten zu wollen ist ein großer Anspruch. Ich bleibe gespannt.
@Sabine Lanzberger
„Es war in der Tat eine Gruppe von über 1000 Leuten, die außer Kontrolle waren, Migrationshintergrund hatte, und Jagd auf Frauen machten. Über 1.000 Anzeigen, nicht bloss 90.“
Wie kommen Sie auf den Käse, dass 1000 Leute außer Kontrolle waren und Jagd auf Frauen machten? Für 1000 Täter gibt es überhaupt keine Belege. 1000 Anzeigen (mehr als die Hälfte davon übrigens aufgrund Diebstahls, nicht wegen „Jagd auf Frauen“) sind erstmal nur eine Zahl. Wieviele davon überhaupt auf Tatsachen beruhen, bleibt noch abzuwarten.
Und wer ist „das Internet“? „Das Internet“, das behauptet hat, ein russischstämmiges Mädchen wäre von einer Gruppe Flüchtlingen vergewaltigt worden? Das Internet, das behauptet, Flüchtlinge dürften sich kostenlos in Läden bedienen? Sorry, aber „das Internet“ ist derzeit alles, nur nicht realitätsabbildend.
@ Thomas K
„Wieviele (Anzeigen) davon überhaupt auf Tatsachen beruhen, bleibt noch abzuwarten.“
Auch mal eine steile These. Ich dachte, Verschwörungstheorien seien das Markenzeichen rechter Reichsbürger und Dunkeldeutscher. Sie behaupten also zwischen den Zeilen, dass es möglicherweise eine Verschwörung deutscher Frauen gab, die sich zu Hunderten zusammenfanden, um ein paar wenige friedlich feiernde Männer mit Migrationshintergrund bei der Polizei zu denunzieren? Das ist OBERkäse.
@Sabine Lanzberger
Warum Verschwörungstheorie? Es gibt zwei Fakten, die wir kennen: Es wird derzeit gegen gut 100 Personen ermittelt wird und es gibt gut 1000 Anzeigen. Das sagt aber wenig aus, denn wir wissen nicht, wie viele Täter es wirklich gibt, ob mehr oder weniger. Wir wissen nicht, wie viele Straftaten tatsächlich begangen wurden. Es werden Menschen aus Angst keine Anzeige gestellt haben und es werden vielleicht auch Menschen aufgrund der Berichterstattung Anzeigen gestellt haben, die nicht betroffen sind. (Ich vergleiche jetzt mal Äpfel mit Birnen und weise darauf hin, dass sich beim Germanwings-Unglück auch ein Trittbrettfahrer als Angehöriger ausgegeben hat.)
Also, halten Sie sich doch bitte einfach mal an die recht dürftigen Fakten, die wirklich vorliegen.
@ Sabine Lanzberger:
Ich möchte mich hier auf einige wenige Punkte beschränken:
1. Dass man auch eine womöglich kritikwürdige Person interviewt und sie ihre Position erklären lässt, ist m.E. grundsätzlich erst mal legitim. Lesern eines kritischen Blogs muss zugetraut werden, dass sie sich auch ihr eigenes Bild machen. Wenn deshalb viele Interviews mit unterschiedlichen Personen gemacht werden, auch mit solchen, die vielleicht eher auf „der anderen Seite“ stehen, finde ich das in erst mal grundsätzlich Ordnung. Klar, eine gewisse Gratwanderung ist das natürlich, und man muss aufpassen, dass man solche Interviews dann nicht zu unkritisch führt.
2. Wie viele Täter es in Köln waren, ist meines Wissens noch immer nicht geklärt.
3. Völlig unabhängig davon, was nun der Stand der Dinge sein mag oder nicht: Eine Zeitung muss seriöserweise den zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung (!) gesicherten Stand der Dinge referieren. Wenn etwas behauptet wird, was zu dem entsprechenden Zeitpunkt aber noch ungeprüft ist, dann muss sie schreiben, dass es sich um eine Möglichkeit handelt. Das gilt auch dann, wenn sich in der Zukunft herausstellen wird, dass der Verdacht richtig war.
@LLL300
Punkt 3: Grundsätzlich einverstanden: Natürlich muss der Redaktionsschluss der Zeitung in der Rückbetrachtung angemessen berücksichtigt werden. Nur der BZ lagen ja Informationen aus den sozialen Medien vor, dass die Vorkommnisse eine andere Dimension haben, als uns die ersten Polizeiberichte weismachen wollten, und das Blatt hat sich bewusst dagegen positioniert. Nach dem Motto: „Wir seriöse Zeitungsmacher präsentieren die Fakten hier auf dieser Seite, und das unseriöse Internet, dem wir nicht vertrauen können, erzählt uns das da“.
Ich weiß natürlich nicht, welche Geschichte ich als Cheffe der BZ rausgehauen hätte bei einer widersprüchlichen Faktenlage. Aber den Wahrheitsgehalt zahlreicher Erfahrungsberichte in den sozialer Medien pauschal zu bestreiten ist retrospektiv keine gute Entscheidung gewesen. „Wenn wir dem Internet vertrauen würden“ bringt es auf den Punkt. Viele Menschen trauen heute den etablierten Medien nicht mehr. Das Internet hatte recht, wie über 1000 Anzeigen hinreichend belegen. Und wenn ÜBERMEDIEN die journalistische Entscheidung heute (!) feiert, statt sie zu hinterfragen, dann haben die Macher sich offensichtlich entschieden, dies als journalistische „Glanzleistung“ zu werten. ( Laut „ÜBER UNS“ soll ja hier kritisch betrachtet werden, „was schief läuft“ oder alternativ journalistische „Glanzleistungen“ gewürdigt werden).
@ Sabine Lanzenberger:
Den pauschalen Angriff auf „das Internet“ durch die BZ finde ich auch nicht so gelungen. Vielleicht hätte man stattdessen „wenn wir allem vertrauen würden, was irgendwo im Internet steht“ schreiben sollen.
Abgesehen davon aber bezweifle ich, dass die Darstellung der BZ so falsch war:
– „Massenvergewaltigungen“ gab es ja offenbar tatsächlich nicht (wenn das denn tatsächlich im Internet behauptet wurde). Tatsächlich handelt es sich bei den meisten Straftaten offenbar ohnehin um nicht-sexuelle Delikte wie etwa Diebstahl (für alle Fälle: nein, das macht es natürlich nicht „besser“).
– Dass die ominösen tausend Männer alle an Straftaten beteiligt waren, und dass sie alle (oder ganz überwiegend) Asylbewerber waren, ist m.W. nicht der Fall bzw. zweifelhaft. Selbst wenn das aber so gewesen sein sollte, hätte die BZ das zu jenem Zeitpunkt kaum mit Sicherheit wissen können. Höchstens vielleicht, dass die Täter im Allgemeinen offenbar ausländischer Herkunft waren.
– Zum damaligen Zeitpunkt gab es vermutlich tatsächlich nur 90 Anzeigen. Dass eine Zeitung alle Beschwerden im Internet zusammenzählt, ist vermutlich schwer möglich. Vielleicht wurde zudem im Text ein Hinweis gegeben, dass es noch mehr Personen gibt, die sich im Internet über Belästigungen beschweren.
Jedenfalls wurden (auch von Politikern und Medien) zahlreiche Mutmaßungen geäußert, die offenbar zweifelhaft oder falsch sind, oder jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nur auf Spekulationen beruhten. Anbei ein Link auf einen Text von Thomas Fischer:
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-01/sexmob-koeln-kriminalitaet-strafrecht-fischer-im-recht/komplettansicht
Vielleicht empfinden Sie den Text als relativierend, und man muss ja nicht in allem seiner Meinung sein; und manches ist vielleicht nicht mehr auf dem aktuellsten Stand. Trotzdem als Gegengewicht und Mahnung zu etwas mehr Sorgfalt lesenswert.
Mein Wunsch wäre es, seriös informiert zu werden – das bedeutet, dass nichts verschwiegen wird, dass aber andererseits auch nicht Mutmaßungen, deren Wahrheitsgehalt ungesichert ist, als gesichertes Wissen ausgegeben werden.
Wie sich die Zeiten doch ändern: Im Januar 2006 hatte ich eine (erfolgreiche) Presserat Beschwerde abgesetzt wegen der Schlagzeile „Du Drecksvater!“. Vor ein paar Wochen tauchten tweets von Peter Huth in meiner timeline auf, und im Gegensatz zu denen von Diekmann oder Reichelt waren sie ganz interessant.
Ich bin damals noch U-Bahn gefahren und konnte deshalb immer die Schlagzeilen sehen. Eine von 2005 ist unvergessen: Nach dem Mord an Hutun Sürücü war die Schlagzeile in etwa „Ermordet, weil sie kein Kopftuch tragen wollte!“. Mein erster Gedanke damals war „Hui, das ist wohl etwas übertrieben“. Leider stellte sich ziemlich schnell raus, dass die Schlagzeile genau richtig war. Ich habe seitdem den Fall in google news verfolgt.
1.000 Anzeigen bedeuten nicht 1.000 Angezeigte. Es ist technisch und juristisch möglich, dass gegen eine Person mehr als eine Anzeige gleichzeitig gestellt wird.
Ansonsten: nach zig Horrorstorys über übergriffige „Ausländer“, die bei Facebook oder sonstwo die Runde machten und sich auf Nachfrage bei den zuständigen Polizeidienststellen als absolut gegenstandslos erwiesen, wäre ich als Redakteur sehr vorsichtig gewesen.
Das mindeste, was man daraus lernen könnte, ist, dass man nicht zu oft „Wolf“ schreien sollte.
@ MYCROFT (13), LLLU (11):
„Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit.
Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.
Ferdinand Lassalle (1825–1864)“
@7 Sabine Lanzbeger
Dunkeldeutsche?
@SABINE LANZBEGER:
Es ist vollkommen egal, ob „das Internet“ in diesem Fall recht hatte (was ich im übrigen bezweifle). Eine Zeitung hat den Auftrag, gesicherte Fakten zu präsentieren und den Rest höchstens als Meinung oder Eventualitäten zu berichten. (das ist doch auch das, was ihr lügenpresse Rufer immer fordert, oder nicht?)
Wenn die Polizei also von wenigen angezeigten Straftaten berichtet — oder z. B. Sagt, silvester ist friedlich verlaufen — berichtet die Zeitung das. Was in den sozialen Medien dazu steht ist keine Quelle und taugt höchstens dazu, eine tiefere eigene Recherche anzustellen. Bei Facebook steht soviel Unsinn (von allen Seiten), dass das wirklich kein seriöser Journalist für bahre Münze nehmen kann.
Und hier bei übermedien wird das zu Recht propagiert — und zwar egal von welcher Seite. (vielleicht erinnern Sie sich z. B. an den kritischen Artikel bezüglich dem angeblich toten Flüchtling? Da war es ähnlich)