Zwei Jahre „heute+“

Im Nachrichtenbällebad

Wenn es Abend ist, was wünscht man dann? In der Nachrichten-Redaktion des ZDF ist man sich da weitgehend einig: „Guten Abend“, wünschen Marietta Slomka und Claus Kleber zu Beginn des „heute journals“. „Guten Abend Ihnen allen“, wünscht Christian Sievers. „Guten Abend und willkommen“, wünschte einst Normen Odenthal bei „heute nacht“, als es diese Sendung noch gab.

Nur Eva-Maria Lemke und Daniel Bröckerhoff, die Moderatoren von „heute+“, sagen: „Tach zusammen!“

"heute+"-Logo aus dem Vorspann der Sendung

Der Frontalunterricht zum heiligen Weltgeschehen zerbröselt hier zur Performance eines Gesprächs unter Gleichen. Der „Tach zusammen“-Ton ist auch mehr Viva als „heute-journal“. So redet man eigentlich nicht mit, no offense: silberhaarigen Theaterabonnenten und „Traumschiff“-Reisenden, die für gewöhnlich im ZDF nach Information suchen – „heute+“ aber redet so mit seinen Zuschauern, seit inzwischen zwei Jahren: Am Donnerstag feiert die Sendung ihren Geburtstag.

Damit sind wir auch schon beim Kern dessen, was „heute+“ ausmacht: Das ZDF nannte das Nachrichtenformat zu seinem Start „jung“. „heute+“ richtet sich an Menschen, die ihren Tag mit dem Smartphone in der Hand verbringen. Bevor eine etwas ZDF-Kernpublikums-freundlichere Sendung im Fernsehen läuft, wird eine erste Ausgabe ins Internet gestreamt; die einzelnen Beiträge sind schon am Tag nach und nach online. Die Frage ist bloß: Funktioniert das? Oder ist das es ein substanzloser Distinktionsversuch, um ein paar Gefangene unter 60 zu machen?

Das war eine der Unterstellungen, als „heute+“ vor zwei Jahren zum ersten Mal lief. Einen „banalen Mix aus Logo, LeFloid und Tagesschau24“ sah seinerzeit „Zeit Online“ und behauptete: „heute+ will nicht informieren, sondern um seiner selbst Willen crossmedial sein, bis der Server dampft.“ FAZ.net sprach von „Kindernachrichten für Große“. Und die „Welt“ befand: „So sehr es stimmt, dass die klassischen Nachrichten im Fernsehen zu institutionalisiert, zu verquast daherkommen – so sehr nervt auch die Attitüde: Hey, wir sind so crazy, wir sind so anders, das macht euch bestimmt ganz fertig, oder?“

Wer es böse meint, könnte manches davon heute immer noch schreiben.

"heute+"-Moderator Daniel Bröckerhoff im Bällebad

Wenn Moderator Daniel Bröckerhoff in einem Bällebad sitzt, während er zur Versicherungssituation von Hebammen sagt, „das alles ist echt alles andere als ein Spiel“ – dann kommt das bei Facebook zwar gut an, ist bildsprachlich aber schon ganz schön plump.

"heute+"-Moderatorin Eva-Maria Lemke mit Tablet

Dass sich die beiden Moderatoren während der Sendung an Tablet und Smartphone festhalten, um Zuschauer-Kommentare vorzulesen, ist das ist zwar Teil der Formatidee, sieht aber manchmal auch etwas zwanghaft aus.

"heute+"-Moderatorin Eva-Maria Lemke steht im Studio vor dem Bild einer Straße

Und dass Lemke und Bröckerhoff nicht, wie die Moderatoren anderer „heute“-Formate, vor einer Weltkarte stehen, sondern vor den Bildern einer urbanen Straße – das könnte man auch als Verengung des Blicks verstehen.

Bemerkenswert ist vor allem, dass das ZDF hier, spät abends, für ein junges Publikum sendet, also eins, das es gerne haben möchte – und nicht für die (alten) Leute, die um diese Zeit vorm Fernseher sitzen. Die Zuschauerzahlen sind nicht so brillant. Im vergangenen Jahr schalteten laut ZDF durchschnittlich 760.000 Menschen ein, Marktanteil: 8,6 Prozent. Das ist ungefähr der Wert, den das Vorgängerformat „heute nacht“ erreichte. Allerdings lag der „heute+“-Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen 2016 nur bei 5,2 Prozent. Zum Vergleich: Die „heute show“ hatte 13,5 Prozent, das „heute-journal“ 8,3 Prozent, und selbst „heute“ um 19 Uhr hatte mit 5,8 Prozent mehr junge Zuschauer.

Zu wenig Zuschauer: Livestream wird vorverlegt

Wichtig sei, heißt es aus der Pressestelle des Senders, dass die „heute+“-Inhalte insbesondere in sozialen Medien funktionieren. Bei Facebook hochgeladene Videos würden in der Spitze mehr als eine Million Mal angesehen. Wie gesagt: in der Spitze – üblich sind aber eher fünfstellige Abrufzahlen. Manche Beiträge werden auch nur 2.000 bis 3.000 Mal angesehen. Und der Livestream um 23 Uhr, also vor der linearen Ausstrahlung im Zweiten Deutschen Fernsehen, wird so schlecht genutzt, dass er in diesem Jahr abgeschafft werden soll.

Er beginne zu spät, heißt es im ZDF. Zu dieser Uhrzeit gehe die Social-Media-Nutzungskurve wieder nach unten. Um 20.30 Uhr erhofft man sich also mehr Zuschauer. Außerdem wolle man ein populäres Thema des Tages vertiefen. Eine Art monothematischer Stream soll es werden, der das Hauptthema beleuchtet, das dann auch später in der Fernsehsendung mit mindestens zwei Elementen vertreten ist. Im Stream um halb neun gebe es Mehrwert: Erklärstück, Gespräch, Interview – alles sei hier möglich.

Nur führt eine andere Frage womöglich weiter als die nach Zahlen: Inwiefern verändert die Sendung „heute+“ das öffentlich-rechtliche Nachrichtenfernsehen? Vielleicht sogar zum Besseren?

Elmar Theveßen, der die ZDF-Hauptredaktion „Aktuelles“ leitet, hat vor zwei Jahren dem Format drei Charakteristika zugeschrieben: Die Redaktion gehe mit Haltung an die Themen heran, stehe für eine besondere Machart der Beiträge, und sie interagiere mit dem Publikum. Über diese drei Elemente definiere er „heute+“ auch heute noch, so Theveßen zu Übermedien.

Im Grunde sind das Kapitel aus dem Lehrbuch von Social-Media-Redakteuren: Du bist als Journalist Teil der Gesellschaft, also tu nicht so, als wärst du total objektiv! Sag, worum es geht, und erkläre es lieber mit Bauklötzen als gar nicht! Und nimm die User ernst, es gibt nicht nur Idioten da draußen!

Interaktion mit den Zuschauern funktioniert

Diese Ideen sind gut, selbst wenn sie vor zwei Jahren auch nicht mehr ganz neu waren. Die Frage ist, ob und wie sie umgesetzt werden. Nehmen wir ein Beispiel aus der zweiten Maiwoche: Das „heute-journal“ berichtet über Plastik in den Weltmeeren. Claus Kleber – Ehering, Krawatte, kein Tablet in den Händen – nennt die Dimensionen: acht Millionen Tonnen Plastik würden jährlich im Meer landen, auf fünf Kilo Fisch komme ein Kilo Plastik. Eine tatsächlich naheliegende Frage aber bleibt offen: Wie landet so viel Plastik im Meer?

Bei „heute+“ wird sie später am Abend beantwortet. Moderatorin Eva-Maria Lemke sagt: „Ja, und die große Frage ist jetzt: Wie kommt Plastik eigentlich in so großen Mengen ins Meer? Das war heute zumindest die meistgestellte Frage, als wir den Beitrag auf Facebook gepostet haben.“ Dann liefert sie eine Antwort nach: Es werde etwa von Mülldeponien ins Meer geweht. Die Interaktion mit Zuschauern hat hier also funktioniert und weitergeführt.

"heute+"-Illustration zum Thema Müll im Meer. Zu sehen ist Meer mit eingeblendetem Text: "Müll mit Hilfe der Meeresströmung zusammentreiben"

Der Film des „heute-journals“ an diesem Abend über eine Initiative, die die Meere von Plastik befreien will, läuft bei „heute+“ ebenfalls, nahezu identisch. Allerdings wird hier zum Sprechertext zusätzlich Text eingeblendet, fast wie bei einer Powerpoint-Präsentation. „Das“, sagt Theveßen, „ist etwas, das wir auf Facebook mittlerweile machen: Viele sehen die Beiträge auf kleinen Endgeräten, da sind diese erklärenden Texte sehr hilfreich. Was wir merken, ist: Im Fernsehen schaden sie auch nicht.“

Tatsächlich gibt es Untersuchungen, denen zufolge sich viele Leute nicht einmal bis zum Ende einer Nachrichtensendung merken, welche Themen darin behandelt wurden. Geschweige denn wirklich wissen, worum es geht, wenn von Tarifautonomie oder Vorteilsabschöpfung die Rede ist. Hilft es da, erklärende Texte einzublenden? „Das Fernsehen hat von Social Media gelernt“, sagt Theveßen. Nicht zwangsläufig das Schlechteste, was passieren kann.

"heute+"-Grafik zur "Zwangsheirat" von Rheinland und Westfalen

Andererseits: Dass es sich bei „heute+“ um Kindernachrichten für Große handle – diesen Eindruck erwecken mitunter genau diese grafischen Elemente. Es gibt einen Hang zur Überillustration. Und dazu kommt die Sprache, in der sie vertont werden. Vor der NRW-Wahl etwa erklärt „heute+“, wie Nordrhein-Westfalen entstand: durch die „Zwangsheirat“ von „Frau Rheinland“ und „Herrn Westfalen“ im Jahr 1946. „Die rheinische Frohnatur und der sture Landwirt“ seien „anfänglich nicht gerade das Traumpaar“ gewesen.

Anderes Beispiel, eine Sendung aus dem Herbst 2016: „heute+“ und „heute-journal“ berichten – was eher die Regel als die Ausnahme ist – über dieselben großen Themen. An diesem Oktobertag auch über den Friedensnobelpreis. Vom „heute+“-Gespräch mit einem Friedensforscher bleibt allerdings mehr hängen als von den O-Tönen, die das „heute-journal“ bei Bundesregierungsbeauftragten oder bei Misereor eingesammelt hat.

Die Marokkoreise der Kanzlerin und der Internationale Währungsfonds sind hingegen nur im „heute-journal“ Thema, nicht bei „heute+“. Da wird der Unterschied beider Sendungen wieder mehr als deutlich: „heute+“ sendet stattdessen ein Reporterstück von der Reeperbahn mit Olivia Jones und der Frage: „Warum ist das eigentlich immer noch so mit diesem Sexismus?“ Mit solchen Filmen erzielt man sicher bei Facebook eine gute Reichweite, wohl mehr als mit Marokko-Merkel. Ob das aber ein gutes Kriterium ist?

Daniel Bröckerhoff steht im Studio vor einer wand, auf der die Kurznachrichten durchnummeriert sind.

Was auffällt an „heute+“, ist die Lust, Ordnung in die Welt zu bringen – und irgendwie gerät das manchmal etwas strickmusterartig: Wo das „heute-journal“ einen Nachrichtenblock mit mal drei, mal fünf Kurzmeldungen sendet, sind es bei „heute+“ regelmäßig genau drei. Und die werden auch noch durchnummeriert. Da wird das Weltgeschehen also nicht nur geordnet, sondern auch korsettiert. Andererseits findet man bei „heute+“ tatsächlich nicht so schnell: informiert klingende, aber komplett unverständliche Zitate oder Phrasen, wie neulich vom Chefvolkswirt einer Bank im „heute journal“.

ZDF: Kein Grund, nicht an „heute+“ festzuhalten

So könnte man weitermachen: Bei „heute+“ findet man neben gut Erklärtem auch Übererklärtes – und im „heute journal“ Untererklärtes ; das Bällebad des einen Formats sind die Börsenphrasen des anderen; hier gibt es mal zu wenig Zuschauernähe, dort dafür zu viel Zielgruppendenken. Möglich wäre aber auch, dass sich alle Nachrichtensendungen der „heute“-Familie das Beste voneinander abschauen und „heute+“ als Experimentierfläche dient, auf der das Verhältnis von Fernsehen und Online ausgelotet wird.

Schwer vorstellbar ist, dass Marietta Slomka ihr Publikum eines Tages mit „Tach zusammen“ begrüßt oder am Ende, wie „heute+“, Dax und Wetterbericht weglässt. Aber hey, dass ihr mal jemand diesen Vorschlag macht, kann ja nun auch nicht schaden. Beim ZDF wollen sie jedenfalls weiter festhalten an ihrer jungen Nachrichtensendung: Es gebe überhaupt keinen Grund, das nicht zu tun, heißt es in der Pressestelle. All das, was dort in Sachen Social Media passiere, sei eindeutig zukunftsweisend.

Nachtrag, 13:25 Uhr. Moderator Daniel Bröckerhoff weist darauf hin, dass er seine Kollegin „Tach zusammen!“ nicht im TV sagen würden, sondern „nur im Netz“.

Nachtrag, 18.5.2017. Wir haben das im Text entsprechend geändert.

5 Kommentare

  1. Durchaus treffend beschrieben, dass heute+ auch gute Ansätze hat ist unbestritten (Die Überillustrierung zB. finde ich gar nicht mal so schlimm). Die Themenauswahl hebt sich ja durchaus mal wohtuend von den großen Nachrichtenthemen ab.
    Dennoch: die Bröckerhoffisierung der Nachrichten geht mir gewaltig gegen den Strich. Das ist halt alles immer mehr Distinktion, mehr Meinung als Fakten.
    Wie schon beim unsäglichen Bento oder Ze.tt (darüber sollte man auch mal referieren) bleibt auch heute+ in ihrer Gefühligkeit stecken.
    Emotionen schlagen Fakten, war schon immer so, nur angesichts Lügenpresse, Verschwörungstheorien ist das exakt der falsche Weg um gerade junge Menschen mehr für Wissensvermittlung zu begeistern.
    Das hängt in dem Falle auch ein wenig mit den Moderatoren zusammen die so schön unverbindlich und jovial daherkommen, vielleicht sogar eine Haltung (ARGH) haben, aber journalistisch zumindest nicht weiter auffallen (Ja, das gilt auch für andere Kollegen).
    Wenn man schon mal was neu und anders machen will, gerade für die junge Zielgruppe, wo ist denn mal ein kleines Debattenformat (inner – oder außerhalb heute+). Gerade an diesem mangelt es doch enorm.
    An der Freude und Möglichkeit der Auseinandersetzung, des Abwägens zweier oder mehrere Argumente.

  2. Nachtrag, 13:25 Uhr. Moderator Daniel Bröckerhoff weist darauf hin, dass er seine Kollegin „Tach zusammen!“ nicht im TV sagen würden, sondern „nur im Netz“.

    Ja und nun? Stimmt das? Stimmt das nicht? Gibt es eine Korrektur? Bleibt Ihr bei Eurer Darstellung? Ist das egal?

  3. @2Frank Reichelt: Wir haben das im Text entsprechend geändert und bitten um Entschuldigung für den Fehler.

  4. Die Sendung ist eine logische up-gedatete Fortführung der „Nachrichten“ bei Robocop oder Starshiptroopers-nur halt ör und ohne Doppelmoderation,noch ohne Werbung-
    kann ja noch kommen….hmm ein virtueller Co-moderator…hmmm
    Max Headroom!

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