Die Kolumne
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Ich muss gestehen, dass ich das aktuelle Cover von „St. Georg – Deutschlands großes Pferdemagazin“ zuerst im Internet gesehen und für einen Witz gehalten habe. Unter einem orangefarbigen Pferdegesicht mit gelber Haartolle steht die Headline „triebgesteuert, aggressiv, lautstark – Hilfe, mein Pferd ist ein Trump!“ Und ich fand das selbst dann schon ziemlich lustig, als ich noch dachte, es wäre ein Fake.
Als echtes Cover für eine Pferdezeitschrift finde ich es einigermaßen grandios. Man kann den Spaß fühlen, den es gemacht haben muss. Obwohl ich gestehen muss, dass mir trotz zweier fanatischer Reiterinnen im Haushalt und vielen langen, leeren Stunden auf Reiterhöfen in meiner Kapazität als Betreiber eines privaten Nachfahr-Fahrdienstes Pferdezeitschriften nie durch ihren Humor aufgefallen sind. Aber auch dort arbeiten offensichtlich Menschen, die am aktuellen Zeitgeschehen teilhaben, und Kommentare zur Lage der Welt sind ja oft dann am lustigsten, wenn sie aus unerwarteter Richtung kommen.
Sie haben, das vorweg, ihren Trump-Vergleich im Heft sauber durchdekliniert, mit Geschichten wie „Mein Pferd sieht Gespenster“ oder über Pferde, die vor Mauern scheuen (oder eben nicht), antisozialem Alphatier-Verhalten und unter der Headline „Und ewig lockt der Trieb“ über aufdringliche, dauergeile Hengste, bebildert mit dem Donald, der einer gequält lächelnden Schönheitskönigin einen Kuss aufzwingt und einem steigenden Hengst mit unangenehm erigierten Pferdepimmel. Es ist eine Freude.
Und zeigt brillant, was das Medium Zeitschrift mit seinen Freiheiten leisten kann, wenn seine Macher die meiner Meinung nach wichtigste Faustregel beachten, die es gibt, sobald das Heft einmal eine solide Reiseflughöhe erreicht hat, wenn das Konzept steht und so professionell umgesetzt wird, dass es qualitativ keine schweren Ausschläge nach unten gibt: Jede Ausgabe steht immer für sich. Obwohl sie in einer Reihe erscheinen und es Rubriken und andere feste „Gefäße“ wie Kolumnen gibt, die Leser lieben und jedesmal wieder lesen wollen, reicht es nie, einfach Woche für Woche (oder was auch immer der Erscheinungsrhythmus ist) Gefäße abzufüllen. Es muss immer wieder etwas passieren, etwas Unerwartbares, Spannendes, Lustiges, Einzigartiges. Und die besten Magazinmacher sind die, die mit einer Kombination aus kreativem Wahnsinn und innerer Gelassenheit eine Mannschaft dazu bringen können, immer wieder so viele Ideen zu produzieren, dass man im Zweifel aus den 17 schlechtesten noch eine ziemlich gute basteln kann.
Die Trump-Geschichte ist – um mal zu „St. Georg“ zurückzukommen – die einzig wirklich lustige im Heft, und das verstärkt sie enorm, denn hier geht es sonst mit aller Ernsthaftigkeit um Pferde und so ziemlich alles, was man klassischerweise macht, wenn man auf ihnen sitzt. Das ist, wenn man nicht reitet, nicht überragend spannend, dafür kann aber „St. Georg“ nichts.
Es ist eine achtseitige Geschichte über einen Klaus Philipp im Heft, den „bedeutendsten deutschen Pferdemaler“ – was ich kein bisschen beurteilen kann –, und ich möchte an dem Beispiel noch einen kurzen Abstecher machen zu etwas, das mich seit langem nervt, das „St. Georg“ aber aus meiner Sicht gut löst: Die Tatsache, dass in deutschen Medien der Text regelmäßig etwas wiederholt, das schon im Vorspann steht*. Bei der Geschichte steht schon hier, dass Klaus Philipps eben der bedeutendste Pferdemaler ist. Im Lauftext taucht er dann erst in der Mitte der ersten Spalte auf, als vierter (!) genannter Maler** und mit dem Satz „Die meisten Pferde in Klaus Philipps Bildern sind das Gegenteil der Goya’schen Barockmoppel“. Das ist insgesamt vielleicht nicht der gelungenste aller Einstige, aber ich würde jetzt mal aus dem Bauch heraus tippen, in 95 Prozent der Fälle wäre schulmäßig spätestens im zweiten Absatz erklärt worden, dass er Pferde malt – was nach dem Vorspann jeder weiß.
Michalis Pantelouris ist Journalist und hat an vielen Magazin-Erfindungen und -Relaunches mitgewirkt. Er geht für uns jede Woche zum Bahnhofskiosk, um Zeitschriften zu entdecken.
Der Grund dafür ist einfach: Autoren schreiben in der Regel ihre Vorspänne nicht selbst. Der Text, den sie abgeben, ist in sich geschlossen und selbsterklärend. Den Vorspann schreibt dann ein Redakteur oder Textchef, der oft nur diesen Text zum Thema kennt. Gleichzeitig hat kaum ein Magazin echte, belastbare Regeln dafür, wie ein Vorspann zu sein hat***.
Das gilt übrigens für Zeitungen genauso, und es ist nicht selbstverständlich: In England zum Beispiel sind Vorspänne in Zeitungen eher so etwas wie die eigentliche Nachricht, an die der folgende Lauftext dann nahtlos anschließt, ohne sie zu wiederholen. Es ist kein schlechtes Prinzip für eine gedruckte Zeitung: Wer von einem Text nur Headline und Vorspann liest ist schonmal oberflächlich über das Wichtigste informiert; weiterlesen vertieft dann und berichtet Hintergründe.
Es kann ein gutes Gefühl sein, schnell informiert zu werden (auch wenn es sich heutzutage ein bisschen anfühlt, als wäre man ein Trump, wenn man das mag), aber eine Zeitschrift will und muss das Gefühl vermitteln, man bekäme viel. Und im Zweifel ist das beste, was man bekommt, ein origineller Gedanke. In der Titelgeschichte hat „St. Georg“ das in dieser Ausgabe eindeutig umgesetzt, und wer Pferde mag, der wird wahrscheinlich noch eine Menge mehr finden.
Mir reicht gerade die wunderbare Albernheit, die umso besser funktioniert, weil der Inhalt der Trump-Geschichte (aus meiner laienhaften Sicht) ernsthaft hilfreich ist. Pferde können offenbar ätzende Charakterzüge haben. Und wenn ich das richtig verstanden habe, ist deshalb eine der wichtigsten Lektionen, dass man sich von seinem Pferd niemals regieren lassen sollte.
St. Georg
Jahr Top Special Verlag
5,50 Euro
*) Das Technische einmal kurz für alle, die nicht Magazin sprechen: Der Vorspann ist der meist drei- oder vierzeilige Text unter der Headline, der wie ein Trailer für den Haupttext (der Lauftext genannt wird) wirkt. Ein einzeiliger Vorspann über der Headline heißt Dachzeile – und natürlich gibt es einzelne Redaktionen oder Verlage, die nochmal ganz andere Namen für das Gleiche haben, aber mit „Vorspann“ kommt man überall durch.
**) Nach George Stubbs, Leonardo da Vinci und Francisco de Goya
***) Eine eindrucksvolle Ausnahme, die mir einfällt, ist „Spiegel Online“, bei denen regelmäßig Vorspänne mit einem Rätsel enden, das neugierig auf den Text macht (willkürliches Beispiel von heute: „Die grüne NRW-Ministerin Sylvia Löhrmann ist von der Audi-Karosse aufs Hybrid-Mobil umgestiegen, als sie auf eine Grünen-Wahlkampfveranstaltung vorfuhr. Das sorgt für Spott eines CDU-Politikers – und einen Gegenschlag.“ Wäre der Gegenschlag im Vorspann schon erklärt, würden sicher weniger Menschen auf die Geschichte klicken).
Zum Thema Vorspänne: Ich glaube, da gibt es auch Unterschiede zwischen Redakteuren, die vor allem online arbeiten (bzw. gearbeitet haben) und solchen, bei denen Print im Vordergrund stand/steht.
Denn Online funktionieren glaube ich Vorspänne ganz anders als in gedruckten Magazinen – und folgen in aller Regel einem ähnlichen Muster wie bei SpOn.
Ich hasse die Spiegel-Online-Vorspänne. Ich will wissen, ob es sich lohnt, einen Artikel zu lesen oder nicht. Je plumper das Click Baiting, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass ich den Artikel boykottieren.
„Je plumper das Click Baiting, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass ich den Artikel boykottieren.“
Geht mir genauso. Ich denke mir dann, wenn schon der Vorspann so durchschaubar und verzweifelt geizt, statt mir einfach die verdammte Information zu nennen, auf welcher der Artikel basiert, dann ist es recht unwahrscheinlich, dass sich der Klick wirklich lohnt.
Die wöchentliche Heftkritik ist ja auf dem besten Weg, das ultimative Magazin-Macher-Buch zu werden. Heute wieder zwei wichtige Kapitel: Vorspann und überrasche Deine Leser intelligent.