Dokumentation: Der „missbräuchliche Knacklaut“ und die gendergerechte Sprache im ZDF und im WDR

Der Statistikprofessor Walter Krämer hat als Vorsitzender der Stiftung Deutsche Sprache an zahlreiche Mitglieder von Aufsichtgremien von ARD, ZDF und Deutschlandradio geschrieben und sich über den gesprochenen Gender­stern in manchen Sendungen beschwert (mehr dazu hier). Wir dokumentieren seinen Brief und die sehr unterschiedlichen Antworten von ZDF und WDR.


Stiftung Deutsche Sprache

Brief von Walter Krämer an diverse Rundfunkräte und ihre Mitglieder:

(…) wir erlauben uns, Sie als Mitglied des Rundfunkrates des (…) auf eine Praxis aufmerksam zu machen, die uns in Sendungen des (…) aufgefallen ist, namentlich in Beiträgen zu kulturellen Themen. Diese Praxis besteht darin, dass Sprecher beiderlei Geschlechts Personenbezeichnungen mit der femininen Endung -innen in der Weise aussprechen, dass sie zwischen der Personenbezeichnung und ihrer Endung einen Kehlkopf-Knacklaut (phonetisch: [ʔ]) einfügen, also zum Beispiel Redakteurʔinnen, Französʔinnen, Kundʔinnen sagen; bei negativen Personenbezeichnungen wie zum Beispiel Diebʔinnen oder Rechtspopulistʔinnen wird hingegen kaum „gegendert“. Die Sprecher möchten damit zum Ausdruck bringen, dass sie eine „gendergerechte“ Sprache für erforderlich halten, indem sie den – rechtschreibwidrigen – „Genderstern“ hörbar machen. Sie stehen damit auch im Widerspruch zu dem Beschluss des Rats für deutsche Rechtschreibung, vom 16.11.2018, der die Vorlesbarkeit entsprechender Lösungen fordert.

Dieser Knacklaut (der von sehr geringer akustischer Stärke ist) bleibt allerdings oft unhörbar oder wird gar gänzlich vermieden. Dann wird ausschließlich die gemäß aller deutschen Grammatiken und Wortbildungslehren unstrittig feminine Form hörbar, womit die jeweilige Personenbezeichnung männliche Mitglieder explizit ausschließt. Ein Verzicht auf die feminine Endung würde das Problem lösen, denn maskuline Personenbezeichnungen sind grundsätzlich generisch, wie wissenschaftliche Grammatiken des Deutschen dies klar formulieren.

Movierte Personenbezeichnungen (solche auf -innen) hingegen bezeichnen ausschließlich weibliche Personen, sie schließen männliche Personen aus. Warum das so ist, hat der große Sprachforscher Roman Jakobson in seiner Markiertheitstheorie gezeigt, die in der grammatischen Wissenschaft unbestritten ist. Einige Überlegungen dazu von Fachleuten für die Grammatik des Deutschen finden Sie in der beiligenden Broschüre.

Wir möchten Sie bitten, dieses Problem auf die nächste Tagesordnung des Rundfunkrates des (…) setzen zu lassen. Erstens verstößt diese Praxis gegen elementare Regeln der deutschen Grammatik, zweitens sollte es dem (…) nicht gleichgültig sein, wenn in einigen seiner Sendungen der männliche Teil ausgeschlossen wird. Da die Beitragszahler des (…) etwa zur Hälfte männlich sein dürften, sollte diese diskriminierende Praxis umgehend unterlassen werden.

Womöglich fragen Sie sich, ob in Zeiten der Corona-Pandemie nicht andere Probleme wichtiger sind. Das ist zweifellos der Fall. Doch wäre es wünschenswert, wenn in diesen Zeiten die Hörer bzw. die Zuschauer des (…) nicht mit einer diskriminierenden Praxis behelligt würden, die jeder grammatischen Grundlage entbehrt. „Die Politik“ lässt sich erfreulicherweise in Fragen der Pandemie von ausgewiesenen Wissenschaftlern beraten. Wir möchten Sie bitten, sich in der vorliegenden Frage von Fachleuten für die grammatische Wissenschaft beraten zu lassen und darauf hinzuwirken, dass in den Sendungen des (…) der missbräuchliche Knacklaut [ʔ] in Personenbezeichnungen unterlassen wird und die Redaktionen aufgefordert werden, sich an die Regeln der deutschen Grammatik zu halten.


ZDF

Brief von ZDF-Intendant Thomas Bellut an ein Mitglied des Fernsehrates:

(…) wir [haben] auf Initiative der Gleichstellungsbeauftragten erst kürzlich in der Geschäftsleitung intensiv diskutiert, wie nicht nur Frauen und Männer, sondern alle Menschen gendersensibel angesprochen werden können. Im Ergebnis der Beratung haben wir uns darauf verständigt, für die schriftliche Kommunikation ab sofort den Genderstern (Asterisk) zu verwenden und einen Leitfaden mit entsprechenden Hinweisen verabschiedet. Fur die Kommunikation in journalistischen Beiträgen, das heißt vor allem bei der gesprochenen Sprache, gibt es keine Vorgaben der Geschäftsleitung. Den Redaktionen des Hauses wurde jedoch empfohlen zu diskutieren, wie eine Ansprache aller Zuschauer*innen gelingen kann und die Ansprache dabei mit Blick auf die jeweilige Zielgruppe zu wählen.

Viele Redaktionen haben sich bereits vor dieser Empfehlung mit gendersensibler Sprache beschäftigt. Einige Moderator*innen – etwa bei „aspekte“ oder im „heute journal“ – verwenden teilweise in ihren Moderationstexten gegenderte Sprache, indem sie eine Pause zwischen dem Wortstamm und der weiblichen Endung sprechen. Den Mitarbeitenden von „funk“, dem Content-Netzwerk, das wir gemeinsam mit der ARD betreiben, ist der Gebrauch der „gesprochenen Pause“ von Beginn ihrer Geschäftstätigkeit an zur selbstverständlichen Gewohnheit geworden. „funk“ richtet sich an Personen im Alter von 14 bis 29 Jahren. Für dieses jüngere Publikum ist das „Gendern“ in diesem umfassenden Sinn bereits Alltag.

Hier wird deutlich, dass Sprache einem Wandel unterliegt und nicht festgeschrieben werden kann und auch nicht sollte. Es macht aber auch den Spagat deutlich, den wir als Sender leisten müssen, wenn wir alle Menschen mitnehmen wollen.

Ich möchte betonen, dass das ZDF sich das Ziel gesetzt hat, diskriminierungsfrei zu kommunizieren. Dazu gehört, dass wir eindeutig formulieren und deutlich machen, wer genau gemeint ist. Die Gesamtheit unserer Zuschauer*innen soll sich im Programm angesprochen und durch die Ansprache wertschätzend behandelt fühlen. In der internen Kommunikation gilt das ganz genauso für alle Beschäftigten. Es geht darum, bei Formulierungen darauf zu achten, dass Rollenzuschreibungen nicht als tradierte Sprachmuster weitergegeben werden, dass wir mit Blick auf die jeweilige Zielgruppe differenzieren und dass wir die Möglichkeiten nutzen, die die deutsche Sprache uns gibt, ggfls. durch neutrales Umformulieren des Textes.

Der Genderstern bezieht nicht nur männliche und weibliche, sondern auch nichtbinäre Geschlechtsidentitäten mit ein und macht diese sichtbar. Dabei können wir – anders, als bei der Diskussion um die Ansprache von Frauen – nicht auf die sogenannten movierten Personenbezeichnungen zurückgreifen, worauf Herr Prof. Kramer zu Recht hinweist. Hier entsteht etwas Neues. Und das gilt erst recht für die gesprochene Sprache.

Ich kann das Unbehagen der Sprachwissenschaftler*innen ob dieser neuen Praxis nachvollziehen. Ob das generische Maskulinum den Ausweg aus dieser Diskussion weist, vermag ich allerdings nicht zu sagen. Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang, wie die Ansprache bei denen, die wir als Sender erreichen wollen, ankommt. Fühlen sich Teile der Bevölkerung (z.B. nicht-binäre Personen) durch die Nutzung des generischen Maskulinums ausgegrenzt, ist das für uns von Bedeutung und eben keine semantisch neutrale Anwendung. Das hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Personenstandsrecht deutlich gemacht. Und gegen eine rein männliche Formulierung wenden sich sowohl Frauen wie auch Menschen ohne geschlechtliche Festlegung. Wer nicht genannt wird, ist nicht gemeint und wer nicht angesprochen wird, wird von uns auch nicht erreicht.

Vielleicht wird dies im Lichte des Arguments von Herrn Prof. Krämer noch deutlicher, wenn er schreibt, dass der „Knacklaut“ (resp. die gesprochene Pause) teilweise nur die feminine Form hörbar werden lässt und sich dadurch der männliche Teil der Bevölkerung ausgegrenzt fühlt oder fühlen könnte. Auch das ist selbstverständlich nicht in unserem Interesse.

Sie können sicher sein, (…) dass wir uns als ZDF unserer Vorbildfunktion bewusst sind und uns weiter um eine differenzierte und diskriminierungsfreie Sprache bemühen werden. Sprache ist einem stetigen Wandel unterworfen. Entwicklungen brauchen Zeit und gesellschaftlichen Diskurs, bevor sie wieder in einen neuen Konsens münden können. Gerne sind wir Teil dieses Diskurses, zu dem auch der Fernsehrat in seiner diversen Zusammensetzung und aus mithin unterschiedlichen Blickwinkeln seinen Beitrag leisten kann.


WDR

Antwort von Andreas Meyer-Lauber, Vorsitzender des WDR-Rundfunkrates, an Walter Krämer:

(…) Ich kann Ihnen nun mitteilen, dass nach Überweisung aus dem Rundfunkrat der zuständige Programmausschuss in seiner Sitzung am 14. August 2020 über Ihr Anliegen ausführlich beraten und sich dazu mit den Programmdirektoren ausgetauscht hat. Frau Weber hat in der Sitzung nochmals betont, dass der so genannte Gendergap in Sendungen des WDR möglichst nicht verwendet werden sollte, da dadurch häufig nur die weibliche Form der Personenbezeichnung wahrgenommen werde. Allerdings wolle der WDR prüfen, ob dies auch für Sendungen, die sich explizit an die jüngere Zielgruppe richteten, gelten solle. Denn unter jungen Menschen ist die Berücksichtigung aller Geschlechter auch in der gesprochenen Sprache durchaus üblich. Der WDR wolle die gesellschaftliche Realität in seinen Programmen abbilden, betonte Frau Weber.

Die Mitglieder des Programmausschusses diskutierten kontrovers über dieses Thema, unterstützten dabei jedoch die grundsätzliche Haltung des WDR. Mitglieder betonten, dass vor allem in Nachrichtensendungen des WDR diese Sprechweise nicht eingeführt werden dürfe. Dass die Programmdirektionen inzwischen eine Arbeitsgruppe gegründet haben, die der Frage nachgeht, welche sprachlichen Möglichkeiten es neben dem Gendergap noch gebe, um der Geschlechtervielfalt auch im gesprochenen Wort Rechnung zu tragen, unterstützte der Ausschuss.

Sehr geehrter Herr Professor Krämer, ich kann Ihnen versichern, dass der WDR-Rundfunkrat das Thema auch in Zukunft kritisch-konstruktiv begleiten wird.