Krieg, Klimakrise, Artensterben, Populismus, soziale Ungleichheit: Stoff für negative Schlagzeilen gibt es ohne Ende. Geht das auch anders? Konstruktiver Journalismus versucht es zumindest. Er will nicht die Probleme in den Mittelpunkt stellen, sondern über Lösungen berichten. Aber ist das nicht Schönfärberei? Ist es nicht die Aufgabe von Journalismus darüber zu berichten, was schlecht läuft? Und warum verstehen manche Journalisten die Idee des konstruktiven Journalismus falsch? Darüber haben wir mit dem Medienwissenschaftler Uwe Krüger von der Uni Leipzig gesprochen.
Der Gesprächspartner
Uwe Krüger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Journalismus an der Universität Leipzig und forscht dort unter anderem zu konstruktivem Journalismus. Vor seiner Promotion arbeitete er als Journalist bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften und war von 2018 bis 2019 Mitglied des MDR-Rundfunkrats.
Übermedien: Liest man täglich Nachrichten, kann das schnell ermüdend sein: Negative Schlagzeilen sind allgegenwärtig. Ein Drittel der Deutschen vermeidet unter anderem deshalb aktiv Nachrichten. Sollten Journalisten mehr über Lösungen statt über Probleme berichten?
Uwe Krüger: Sie sollten wohl über beides berichten. Traditionell liegt es aber in den Genen von Journalisten, dass sie eher über die Probleme schreiben und senden. Das hat auch anthropologische Gründe, weil es schon den Urmenschen interessiert hat, ob da ein Säbelzahntiger hinter dem nächsten Busch lauert. Ich unterstütze aber die These, dass im Journalismus über Negatives öfter und größer berichtet wird als etwa über Lösungsansätze oder vielleicht auch langfristige und ermutigende Tendenzen. Wenn man redaktionell arbeitet, guckt man natürlich auf das, was anders ist als gestern, was sich knackig und überschaubar verändert hat. Und das ist oft etwas Negatives.
Journalisten sollten doch vor allem über Dinge berichten, die nicht gut laufen.
Wo steht das? Aus einer akademischen Perspektive würde ich jetzt sagen: Journalisten sollen über Themen berichten, die neu, faktisch und relevant sind.
Was ist konstruktiver Journalismus?
Das ist eine gängige Berufsauffassung: Journalismus als Korrektiv. Wir müssen doch schauen, wo in der Politik Dinge falsch laufen und darüber berichten.
Journalisten sollten auf jeden Fall die vierte Gewalt sein und Kritik und Kontrolle üben. Aber nicht alles, was negativ ist, ist auch wirklich relevant. Und: Kritische Berichterstattung muss nicht immer nur das Aufdecken von Missständen bedeuten. Ich kann auch Beispiele recherchieren, wo es woanders besser gemacht wird und damit die lokalen oder nationalen Machthaber indirekt unter Druck setzen, weil das Publikum dann weiß: Es ginge ja auch anders.
Manche Leute haben dabei das Gefühl, man schreibe ihnen vor, was sie denken oder was sie gut finden sollen. Können Sie das verstehen?
Ja, absolut. Wenn ich Lösungsansätze vorstelle, tue ich das zwangsläufig auf einer Wertegrundlage und unter bestimmten Prämissen, die nicht alle teilen. Wenn ich eine Klima-Lösung vorstelle, sage ich auch, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, dass wir etwas dagegen tun sollten und dass dieser Lösungsansatz diskussionswürdig ist. Wenn ich ein Projekt zur Unterstützung und Integration von Geflüchteten thematisiere, schwingt mit, dass Geflüchtete unterstützt und integriert werden sollten. Zu Vielem gibt es keinen Konsens. Ein anderes Problem ist, wenn konstruktive Berichterstattung die Grenze zu PR oder Werbung überschreitet. Das muss vermieden werden: durch genaue Recherche und realistische Darstellung der Wirkungsweise von Lösungsansätzen und auch von deren Grenzen.
Findet man für unsere aktuellen Krisen – Krieg, Klima, Politikverdrossenheit – überhaupt so einfach Lösungen?
Es gibt klare Empfehlungen von Expertengremien wie dem IPCC, dem Club of Rome und dem Wuppertal Institut – die aber nur von denjenigen wahrgenommen werden, die sich explizit dafür interessieren. Die breite Öffentlichkeit bekommt das nicht mit. Ein Beispiel: Als weltweit erste Stadt hat Den Haag kürzlich Werbung für Verbrennerautos, Kreuzfahrten oder Urlaubsflüge verboten. Außer „t-online“ und „Auto Bild“ hat kein großes deutsches Medium darüber berichtet. Dabei könnte man das spannend und konstruktiv erzählen: Wie haben die Leute das in Den Haag durch den Stadtrat gebracht? Welche Widerstände gab es? Aber um solche Geschichten zu finden, muss man als Medium auch die Antennen dafür haben, weil sich das nicht so aufdrängt.
Und wie ist es mit Kriegsberichterstattung?
Kein Medium wird eine Lösung für das Ende des Kriegs finden, das ist klar. Zum Krieg in der Ukraine gibt es aber eine Sammlung konstruktiver Beiträge, die zeigen, dass man über mehr als nur das Schlachtfeld und politische Eliten berichten kann. Es gibt noch eine andere Ebene im Krieg, die Zivilgesellschaft, die sich zusammenschließt und Hoffnung geben kann. Und konstruktiv zu berichten, meint nicht nur einen Lösungsfokus, sondern auch Perspektivenreichtum und empathischen Dialog.
Färbt man damit nicht die Probleme schön?
Wenn man nur über Lösungen berichtet, besteht natürlich die Gefahr, dass die real vorhandene Dramatik abgeschwächt wird. Aber ich sehe aktuell keine Medien, in denen sich eine Lösungsgeschichte an die andere reiht. Bei spezialisierten Medien wie „Perspective Daily“, das ausschließlich konstruktive Artikel veröffentlicht, habe ich auch nicht das Gefühl, dass die Welt ein Paradies ist. Denn das Problem wird ja miterzählt, wenn Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
Die „tagesschau“ kündigte in diesem Jahr an, ihre Sendung lösungsorientierter zu gestalten. Sie nahm sich auch vor, „beeindruckende Wetterbilder“ zum Schluss zu bringen, „damit man am Ende der Sendung lacht oder staunt.“
Die eigentliche Idee von konstruktivem, sprich lösungsorientiertem Journalismus ist es nicht, eine feel-good-Stimmung bei den Zuschauenden zu erzeugen, sondern über gesellschaftliche Fortschritte oder Ideen zu berichten, damit Menschen inspiriert und zum Engagement ermutigt werden. Es sollte also das Ziel sein, gesellschaftspolitischen Journalismus zu machen, der auf Aspekte schaut, die man normalerweise nicht sieht.
Missverstehen Journalisten den konstruktiven Ansatz als den bemüht positiven Ausblick?
Ja, oft wird der Ansatz abgelehnt aus diesem Missverständnis heraus: Konstruktiv heißt positiv, und allem Schlechten muss mit der Brechstange noch etwas Gutes abgerungen werden. Aber wie gesagt: Es geht nicht um Schönfärberei und Augenwischerei, sondern darum, mit klassischem journalistischem Handwerkszeug die Wirkung von Ansätzen zur Problemlösung zu recherchieren und zu berichten – Nebenwirkungen oder Scheitern inklusive.
Wie ist konstruktiver Journalismus im Redaktionsalltag schneller Nachrichten überhaupt umsetzbar?
Es hilft, sich am Anfang ein Format dafür zu schaffen. Damit ist man gezwungen, anders über Themen oder generell über andere Themen nachzudenken. Ein erster Schritt kann sein, zu den bekannten sechs W-Fragen – Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? – noch „Wie weiter?“ zu fragen.
Hat lösungsorientierter Journalismus auch in traditionellen Medienhäusern eine Zukunft?
Laut Umfragen wünschen sich viele Menschen mehr davon, und in der Medienbranche verbreitet sich das Konzept immer weiter. Was früher vor allem spezialisierte Medien wie „Perspective Daily“ oder Formate wie die ZDF-Dokureihe „plan B“ gemacht haben, sickert jetzt auch in etablierte Newsformate wie eben die „tagesschau“. Es steht vielleicht nicht auf jeder Sendung drauf, aber es pflanzt sich schon die Denke fort, dass es weder für die Konsumenten noch für die Gesellschaft gut ist, wenn man den Fokus nur auf Negatives setzt.
Offenlegung: Uwe Krüger ist derzeit Dozent von Johanna Bernklau an der Universität Leipzig.
Die Autorin
Johanna Bernklau studiert Datenjournalismus in Leipzig und schreibt nebenbei für die Medienkolumne „Das Altpapier“ beim MDR. In den Journalismus hat sie durch ein Volontariat bei der „Passauer Neuen Presse“ gefunden. 2022 und 2023 war sie Mitglied in der Jury des Grimme Online Awards. Für Übermedien betreut sie die Serie „Wieso ist das so?“. Wenn Sie ein Thema haben, dem wir mal nachgehen sollten, dann schreiben Sie Johanna Bernklau eine Mail.
2 Kommentare
In der DDR und im „Tal der Ahnungslosen“ überwiegend ohne Westfernsehen aufgewachsen, war ich vor allem Berichterstattung der „unglaubwürdig positiven“ Art gewohnt.
Nach der Wende nahm ich Nachrichten und Journalismus und überhaupt den „frühe 90er gesamtwestdeutschen TV-Moderatoren-Tonfall“ als grundsätzlich negativ und übermäßig dramatisierend wahr, woran sich bis heute wenig geändert hat.
Mir sind beide Extreme zuwider. Ich finde auch nicht, dass es überhaupt Aufgabe der Presseorgane ist, gezielt bestimmte Emotionen zu wecken. Drum halte ich entsprechend auch nichts von Hetzblättern die mit krachgigantischen Buchstaben wieder irgendeine (meist frei erlogene) Kuh durchs Dorf treiben. Die können gern als Propaganda eingestufte Inhalte publizieren, aber bitte nicht als „Zeitung“.
Das ist doch die Abwandlung des alten Themas, warum es mehr schlechte Nachrichten als gute gibt: „Flugzeug mit 200 Passagieren sicher gelandet!“ ist keine Schlagzeile.
Bei der Frage nach den Lösungen sehe ich die zusätzliche Schwierigkeit, dass es mehr Probleme als Lösungen gibt.
In der DDR und im „Tal der Ahnungslosen“ überwiegend ohne Westfernsehen aufgewachsen, war ich vor allem Berichterstattung der „unglaubwürdig positiven“ Art gewohnt.
Nach der Wende nahm ich Nachrichten und Journalismus und überhaupt den „frühe 90er gesamtwestdeutschen TV-Moderatoren-Tonfall“ als grundsätzlich negativ und übermäßig dramatisierend wahr, woran sich bis heute wenig geändert hat.
Mir sind beide Extreme zuwider. Ich finde auch nicht, dass es überhaupt Aufgabe der Presseorgane ist, gezielt bestimmte Emotionen zu wecken. Drum halte ich entsprechend auch nichts von Hetzblättern die mit krachgigantischen Buchstaben wieder irgendeine (meist frei erlogene) Kuh durchs Dorf treiben. Die können gern als Propaganda eingestufte Inhalte publizieren, aber bitte nicht als „Zeitung“.
Das ist doch die Abwandlung des alten Themas, warum es mehr schlechte Nachrichten als gute gibt: „Flugzeug mit 200 Passagieren sicher gelandet!“ ist keine Schlagzeile.
Bei der Frage nach den Lösungen sehe ich die zusätzliche Schwierigkeit, dass es mehr Probleme als Lösungen gibt.