Prozess gegen „Frag den Staat“-Chefredakteur

Ein Urteil, das keine Klarheit bringt

Exklusiv für Übonnenten
Das Bild zeigt Arne Semsrott, Chefredakteur von FragDenStaat.
Arne Semsrott, Chefredakteur von „FragDenStaat“, wurde vom Landgericht Berlin verurteilt. Der Grund: Er hatte Durchsuchungsbeschlüsse aus einem laufenden Gerichtsverfahren veröffentlicht. Foto: Imgago/foto2press

Es war nie ein Geheimnis, dass Arne Semsrott es auf ein Urteil angelegt hat. Das war schon im August 2023 offensichtlich, als er Dokumente aus einem laufenden Ermittlungsverfahren auf der Webseite von „Frag den Staat“ veröffentlichte – im Wissen, strafbar zu handeln. Er bekräftigte das am vergangenen Mittwoch im Saal 700 des Berliner Landgerichts, als er sein Geständnis ablegte. Und es zeigte sich wieder, als der Richter wegen zu geringer Schuld anbot, das Verfahren einzustellen. „Mein Mandant wünscht sich eine Entscheidung“, erwiderte da Semsrotts Verteidiger.

Die Verteidigung hatte zwar für einen Freispruch plädiert, und zugleich das Gericht angehalten, den Fall ans Bundesverfassungsgericht weiterzugeben. Doch eine Verurteilung war immer als realistisches Ergebnis mitgedacht worden. So ist es jetzt auch gekommen. Der Journalist ist zu 20 Tagessätzen à 50 Euro auf ein Jahr Bewährung verurteilt worden, nach Paragraf 353d Abs. 3 im Strafgesetzbuch: „Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“.

Allerdings ging es bei diesem Prozess nie wirklich darum, ob Semsrott schuldig im Sinne des Gesetzes ist. Sondern darum, ob seine Handlungen überhaupt strafbar sein sollten. Diese Debatte – und eine daraus möglicherweise folgende Reform des Paragrafen – war das eigentliche Ziel Semsrotts.

Ist das Gesetz noch zeitgemäß?

Im vergangenen Sommer hatte der Chefredakteur der Transparenz-Plattform „Frag den Staat“ dort Beschlüsse des Amtsgericht München veröffentlicht. Diese begründeten die Einstufung von Klimaschutz-Aktivist*innen der „Letzten Generation“ als Verdachtsfall nach Paragraf 129 StGB („Bildung krimineller Vereinigungen“) – und ermöglichten damit Ermittlungen, die massiv in die Grundrechte der Betroffenen eingriffen.

Zwar dürfen Journalist*innen solche Beschlüsse für ihre Berichterstattung verwenden – allerdings ist es nicht erlaubt, direkt aus ihnen zu zitieren, geschweige denn, das ganze Dokument im Wortlaut zu veröffentlichen, wie es Semsrott getan hat. Das gilt allerdings nur, bis die Dokumente in der mündlichen Hauptverhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.

Dahinter steckt die Idee, den Ablauf eines Strafprozesses vor dem Einfluss der öffentlichen Meinung zu schützen. Die Gesetzgebung begründete ihn 1974 so: Die Schöff*innen sollen unvoreingenommen entscheiden können, die Angeklagten nicht öffentlich (vor-)verurteilt werden.

Semsrott hält die Argumentation für Unfug – und den Paragrafen für verfassungswidrig. Aus seiner Sicht greift das Zitierverbot in die Pressefreiheit und in die Wissenschaftsfreiheit ein. Weshalb er für ei…

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