Neues Buch „Ungefiltert“

Thomas Gottschalk auf PR-Tour: Chronologie einer Empörung

Exklusiv für Übonnenten

Aufmerksamkeit, geil. Ist Thomas Gottschalks Ding. Hat er sein Leben lang gehabt: Radio, Fernsehen, Samstagabend, große Show. Aber seit sie ihn beim ZDF nicht mal mehr einmal im Jahr „Wetten, dass..?“ moderieren lassen, auf Mallorca oder in Offenbach, mit Uschi Glas auf dem Sofa und Chris de Burgh, ist halt nicht mehr viel Aufmerksamkeit. Bisschen Podcast mit Mike Krüger, bisschen Boulevard, das war’s. Deshalb jetzt Klartext-Autor, ganz seriöses Fach, das funktioniert. Das gibt neue Aufmerksamkeit.

In seinem Buch „Ungefiltert“, das am heutigen Mittwoch bei Heyne erscheint, breitet Gottschalk auf 320 Seiten noch mal öffentlich aus, was er öffentlich alles nicht mehr sagen darf. Angeblich. Das hat er zwar alles schon oft öffentlich gesagt, aber dann jetzt halt noch mal gedruckt und mit freundlicher Unterstützung so ziemlich aller Medienhäuser des Landes. Am ersten Tag gleich bei Amazon „Bestseller Nr. 1“ in der Kategorie, ähm: „Diskriminierung“. Passt. Denn so sieht er sich ja auch: diskriminiert.

Und wie macht man Werbung für so ein Buch? Mit einer Promo-Tour, klar.

Auftakt am vergangenen Freitag, mit einem großen „Spiegel“-Gespräch, in dem Gottschalk unter anderem auf die Frage, was er mit seinem Buch erreichen wolle, erklärt:

„Möglichst viele Exemplare verkaufen. Ich habe es jedenfalls nicht geschrieben, damit die Gesellschaft eine bessere wird.“

Alles klar, kann losgehen. Die Chronologie einer Empörung zwecks Abverkauf.

11.10.2024

Der „Spiegel“ veröffentlicht mittags das Interview. Redakteurin Vicky Bargel und Redakteur Alexander Kühn haben Gottschalk dafür in seiner Münchner Wohnung heimgesucht. Jetzt mal Tacheles reden, alles auf den Küchentisch. Einstieg gleich:

„Herr Gottschalk, im SPIEGEL haben Sie vor einigen Jahren die Hoffnung geäußert, ein cooler Alter zu werden. Sind wir uns einig, dass es nicht geklappt hat?“

Antwort Gottschalk, Kurzform: „Nein, sind wir nicht.“

Atmosphäre gesetzt, beide Seiten verbissen: Der „Spiegel“ findet, Thommy wirke „onkelig“, klage, spalte, sei womöglich bitter. Der „Spiegel“ diagnostiziert „Gottschalk-Dämmerung“ und hat nachgesehen, dass der Autor in seiner Klageschrift gar keine Heldinnen aufzählt, nur Helden, also Männer. Frauen kämen schlecht weg. Gottschalk mürrisch:

„Das ist mir nicht aufgefallen. Sonst hätte ich vielleicht aus Political Correctness noch drei Heldinnen erfunden.“

Das ist so der Ton. Das wird nicht besser. Frage: Ob es ihn störe, wenn er „Zustimmung aus dem AfD-Umfeld“ bekomme. Antwort: Hö? Nie gehört! Aber kann man ja auch nix machen, wenn man so rechtsseitig oder von wo auch immer bejubelt wird: „Ich kann nichts dagegen tun, wenn jemand meiner Meinung ist, den ich nicht mag.“

Der „Spiegel“ konfrontiert Gottschalk auch noch damit, dass er Frauen im Fernsehen ans Knie gegriffen hat, also vor vielen Jahren, bei „Wetten, dass..?“ Gottschalk zitiert aus seiner inneren Regieanweisung:

„Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst.“

(Diesen Satz macht der „Spiegel“ zur Überschrift.)

Thomas Gottschalk in der WDR-Talkshow "Kölner Treff".
Gottschalk im „Kölner Treff“ Screenshot: WDR

Abends „Kölner Treff“ im WDR. Gottschalk gleich als erster dran, damit der Laden in Schwung kommt. Micky Beisenherz interviewt, er hat Bock, ist ja der Thommy, war ja mal der Thommy. Im Verlauf der Sendung aber unterzeichnen Ratlosigkeit und Mitleid in Beisenherz‘ Gesicht einen Koalitionsvertrag. Die Umsitzenden schauen so betroffen wie eben möglich.

Einstieg: Jürgen Klopp ist jetzt bei Red Bull. „Hast Du es als angenehm empfunden, dass mal ein anderer beliebter Deutscher richtig auf die Schnauze gekriegt hat?“ Interessiert Gottschalk nicht, also weiter zum eigentlich Thema, zum Buch, zu Gottschalk, der im guten alten Fernsehen, wie er in seiner letzten „Wetten, dass..?“-Sendung lamentierte, nicht mehr so reden könne wie zu Hause.

(Ironischerweise saß Beisenherz vor drei Jahren mal mit Gottschalk und anderen in einer sehr weiß besetzten WDR-Show, in der es unter anderem um, nun ja, Schnitzel ging und um Schwarze und Sprache, und für die sich der WDR später entschuldigte. Gottschalk hatte damals unter anderem erzählt, wie er sich mal als Jimi Hendrix verkleidet und dann zum ersten Mal gewusst habe, „wie sich ein Schwarzer fühlt“.)

Gottschalk nun ganz fortschrittlich: „Heute ist es so, dass ich erst mal nachdenke, bevor ich etwas sage.“ Er findet das aber „schlimm“, und vielleicht macht er es dann auch doch nicht. Er redet über Schaumküsse, nennt sie aber anders, hier im Fernsehen, vor allen, obwohl man das ja eigentlich nicht mehr darf, man darf ja nichts mehr. Beisenherz fragt, ob es denn so schwer sei, sich von Begriffen zu trennen, „wenn es doch wirklich eine stabile Anzahl von Leuten gibt, die sagen, das verletzt uns.“ Verständlich. Versteht Gottschalk nicht, er fühlt sich „unverstanden“. Er leidet live.

Gottschalk will sagen, was er will. Er bewundert Harald Schmidt, weil der Sachen „raushaut“, „würde ich mich nie trauen“, weil Gottschalk ja eigentlich geliebt werden will, von allen, so wie er ist. Thomas Gottschalk ist jetzt Harald Schmidt, nur nicht so zynisch und (noch) ohne gemeinsames Weißwein-Foto mit Hans-Georg Maaßen.

Auch Beisenherz fragt in der Talkshow noch mal nach AfD-Leuten, die Gottscha…

4 Kommentare

  1. Irgendwas mache ich richtig. Die ganze Schose ist größtenteils an mir vorbei gegangen. Ohne den Postillon hätte ich es wahrscheinlich gar nicht mitgekriegt.
    Bemerkenswert ist, dass mich trotzdem nichts davon überrascht. Es macht mich einfach nur traurig.

  2. Der Artikel lässt mich schmunzeln, lachen aber dann auch wieder nur Kopfschütteln, fremdschämen und facepalmen…es ist eine reine Tragikkomödie.

    Ich glaube kaum jemand kann diese Absurdität so schön nacherzählen wie Boris Rosenkranz, danke dafür! Und ja…es zeigt wirklich beispielhaft sehr gut, was bisweilen so schiefläuft in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie und wer alles an dem Spiel aus eigenem Interesse mitmacht.

    Vorhersehbar und trotzdem funktioniert es ja anscheinend immer wieder…

  3. Ich, geboren 1955, fand Gottschalk in den 1980jahren noch pfiffig und toll.
    Er hat damals das Deutsche Fernsehen wunderbar aufgemischt und aus dem Mief geholt!
    Heute ist er nur leider noch peinlich!

  4. Ehrlich gesagt halte ich Gottschalk für derartig harmlos, dass ich ihm das „dienstliche ans Knie fassen“ tatsächlich abkaufe. Wenn jemand mit derartiger Harmlosigkeit jetzt so hochgejazzt wird – so wird das nichts mit der Cancel Culture.
    Meinetwegen kann man das Wort N-Wort-Küsse (ich schreibe das mal so) verbieten. Also bspw. in die Liste von strafbaren Beleidigungen aufnehmen oder so. Wird wenig am allgemeinen Rassismus ändern, aber kann ja auch nicht schaden.
    Aber was hier passiert, ist, dass die Gegner des Wortes einem Verfechter, oder jedenfalls „Verfechter“ ein Geschäftsmodell eröffnen. Gottschalk verdient quasi Geld fürs N-Wort-Küsse-Sagen. Die Leute, die das Wort bekämpfen, verschaffen Gottschalk und damit dem Wort Gratiswerbung. Soll das wirklich das Ziel sein?
    Wer bisher N-Wort-Kuss sagt, sagt es in Zukunft vermutlich weiterhin, weil auch die drölfte Iteration der Diskussion keine neuen Argumente bringt und wenn die alten ihn bis dato nicht überzeugten, wird das jetzt nicht anders sein.
    (Nebenbei passt der Begriff inzwischen schon deshalb nicht mehr, weil es Schokoschaumküsse inzwischen in allen möglichen Farben gibt, neben schwarz, weiß und braun auch beige, grün und bunt gepunktet.)

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