Neues Buch „Ungefiltert“

Thomas Gottschalk auf PR-Tour: Chronologie einer Empörung

Aufmerksamkeit, geil. Ist Thomas Gottschalks Ding. Hat er sein Leben lang gehabt: Radio, Fernsehen, Samstagabend, große Show. Aber seit sie ihn beim ZDF nicht mal mehr einmal im Jahr „Wetten, dass..?“ moderieren lassen, auf Mallorca oder in Offenburg, mit Uschi Glas auf dem Sofa und Chris de Burgh, ist halt nicht mehr viel Aufmerksamkeit. Bisschen Podcast mit Mike Krüger, bisschen Boulevard, das war’s. Deshalb jetzt Klartext-Autor, ganz seriöses Fach, das funktioniert. Das gibt neue Aufmerksamkeit.

In seinem Buch „Ungefiltert“, das am heutigen Mittwoch bei Heyne erscheint, breitet Gottschalk auf 320 Seiten noch mal öffentlich aus, was er öffentlich alles nicht mehr sagen darf. Angeblich. Das hat er zwar alles schon oft öffentlich gesagt, aber dann jetzt halt noch mal gedruckt und mit freundlicher Unterstützung so ziemlich aller Medienhäuser des Landes. Am ersten Tag gleich bei Amazon „Bestseller Nr. 1“ in der Kategorie, ähm: „Diskriminierung“. Passt. Denn so sieht er sich ja auch: diskriminiert.

Und wie macht man Werbung für so ein Buch? Mit einer Promo-Tour, klar.

Auftakt am vergangenen Freitag, mit einem großen „Spiegel“-Gespräch, in dem Gottschalk unter anderem auf die Frage, was er mit seinem Buch erreichen wolle, erklärt:

„Möglichst viele Exemplare verkaufen. Ich habe es jedenfalls nicht geschrieben, damit die Gesellschaft eine bessere wird.“

Alles klar, kann losgehen. Die Chronologie einer Empörung zwecks Abverkauf.

11.10.2024

Der „Spiegel“ veröffentlicht mittags das Interview. Redakteurin Vicky Bargel und Redakteur Alexander Kühn haben Gottschalk dafür in seiner Münchner Wohnung heimgesucht. Jetzt mal Tacheles reden, alles auf den Küchentisch. Einstieg gleich:

„Herr Gottschalk, im SPIEGEL haben Sie vor einigen Jahren die Hoffnung geäußert, ein cooler Alter zu werden. Sind wir uns einig, dass es nicht geklappt hat?“

Antwort Gottschalk, Kurzform: „Nein, sind wir nicht.“

Atmosphäre gesetzt, beide Seiten verbissen: Der „Spiegel“ findet, Thommy wirke „onkelig“, klage, spalte, sei womöglich bitter. Der „Spiegel“ diagnostiziert „Gottschalk-Dämmerung“ und hat nachgesehen, dass der Autor in seiner Klageschrift gar keine Heldinnen aufzählt, nur Helden, also Männer. Frauen kämen schlecht weg. Gottschalk mürrisch:

„Das ist mir nicht aufgefallen. Sonst hätte ich vielleicht aus Political Correctness noch drei Heldinnen erfunden.“

Das ist so der Ton. Das wird nicht besser. Frage: Ob es ihn störe, wenn er „Zustimmung aus dem AfD-Umfeld“ bekomme. Antwort: Hö? Nie gehört! Aber kann man ja auch nix machen, wenn man so rechtsseitig oder von wo auch immer bejubelt wird: „Ich kann nichts dagegen tun, wenn jemand meiner Meinung ist, den ich nicht mag.“

Der „Spiegel“ konfrontiert Gottschalk auch noch damit, dass er Frauen im Fernsehen ans Knie gegriffen hat, also vor vielen Jahren, bei „Wetten, dass..?“ Gottschalk zitiert aus seiner inneren Regieanweisung:

„Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst.“

(Diesen Satz macht der „Spiegel“ zur Überschrift.)

Thomas Gottschalk in der WDR-Talkshow "Kölner Treff".
Gottschalk im „Kölner Treff“ Screenshot: WDR

Abends „Kölner Treff“ im WDR. Gottschalk gleich als erster dran, damit der Laden in Schwung kommt. Micky Beisenherz interviewt, er hat Bock, ist ja der Thommy, war ja mal der Thommy. Im Verlauf der Sendung aber unterzeichnen Ratlosigkeit und Mitleid in Beisenherz‘ Gesicht einen Koalitionsvertrag. Die Umsitzenden schauen so betroffen wie eben möglich.

Einstieg: Jürgen Klopp ist jetzt bei Red Bull. „Hast Du es als angenehm empfunden, dass mal ein anderer beliebter Deutscher richtig auf die Schnauze gekriegt hat?“ Interessiert Gottschalk nicht, also weiter zum eigentlich Thema, zum Buch, zu Gottschalk, der im guten alten Fernsehen, wie er in seiner letzten „Wetten, dass..?“-Sendung lamentierte, nicht mehr so reden könne wie zu Hause.

(Ironischerweise saß Beisenherz vor drei Jahren mal mit Gottschalk und anderen in einer sehr weiß besetzten WDR-Show, in der es unter anderem um, nun ja, Schnitzel ging und um Schwarze und Sprache, und für die sich der WDR später entschuldigte. Gottschalk hatte damals unter anderem erzählt, wie er sich mal als Jimi Hendrix verkleidet und dann zum ersten Mal gewusst habe, „wie sich ein Schwarzer fühlt“.)

Gottschalk nun ganz fortschrittlich: „Heute ist es so, dass ich erst mal nachdenke, bevor ich etwas sage.“ Er findet das aber „schlimm“, und vielleicht macht er es dann auch doch nicht. Er redet über Schaumküsse, nennt sie aber anders, hier im Fernsehen, vor allen, obwohl man das ja eigentlich nicht mehr darf, man darf ja nichts mehr. Beisenherz fragt, ob es denn so schwer sei, sich von Begriffen zu trennen, „wenn es doch wirklich eine stabile Anzahl von Leuten gibt, die sagen, das verletzt uns.“ Verständlich. Versteht Gottschalk nicht, er fühlt sich „unverstanden“. Er leidet live.

Gottschalk will sagen, was er will. Er bewundert Harald Schmidt, weil der Sachen „raushaut“, „würde ich mich nie trauen“, weil Gottschalk ja eigentlich geliebt werden will, von allen, so wie er ist. Thomas Gottschalk ist jetzt Harald Schmidt, nur nicht so zynisch und (noch) ohne gemeinsames Weißwein-Foto mit Hans-Georg Maaßen.

Auch Beisenherz fragt in der Talkshow noch mal nach AfD-Leuten, die Gottschalk toll finden: „Ja, mein Gott“, sagt der Volksmoderator, „ich stör mich nie daran, wenn Leute mich toll finden, egal, aus welcher Ecke die kommen.“ Die AfD und ihr radikales Umfeld wird das später noch freuen. Aber kann man ja bekanntlich nichts machen.

Ist es der Liebesentzug, der schmerzt? Die mangelnde mediale Präsenz?

Nee, ach, sagt Gottschalk:

„Es ist nicht so, dass einer wie ich da immer moderiert, wenn bei der Kühlschranktür das Licht angeht!“

Lustig. 2023 sagte Gottschalk der „Weltwoche“:

„Ich moderiere auch, wenn das Licht im Kühlschrank angeht.“

Und bei einer Lesung warnte er 2021 laut FAZ die Anwesenden:

„Ich beginne immer gleich zu moderieren, selbst wenn im Kühlschrank das Licht angeht“.

Naja, aber so einer ist er nicht mehr. Und inzwischen widerspricht ihm sogar der Kühlschrank.

12.10.2024

„Spiegel“-Interview und Talkshow-Auftritt machen die Runde, erste Meldungen:

„Umstrittener Körperkontakt – Gottschalk verteidigt sich: ,Frauen im TV rein dienstlich angefasst’“ (RND)

„Thomas Gottschalk – ,Das lasse ich mir nicht als Attacke vorwerfen‘: Er wehrt sich gegen Kritik“ („Bunte“)

„,Frauen rein dienstlich angefasst’: Thomas Gottschalk eckt mit Interview-Aussagen an“ („Stern“)

13.10.2024

Die stellvertretende „Bild“-ChefredakteurinTanja May schreibt in der „Bild am Sonntag“ über Gottschalks „erfrischendes Plädoyer für mehr Gelassenheit miteinander“. Es ist die BamS-Titelgeschichte zum Buch, beste Werbung. Schlagzeile: „Die große Abrechnung“.

Thomas Gottschalk und seine Ehefrau auf der "Bild am Sonntag", Schlagzeile: Die große Abrechnung: Mit dem Jugendwahn. Mit der Gendergesellschaft. Mit der deutschen Nörgelei und fehlendem Respekt vor dem Alter".
Ausriss: „Bild am Sonntag“

Julian Reichelt wacht auf und grölt:

„Thomas Gottschalk ist beliebt und berühmt bei Millionen Menschen im ganzen Land, weil er so redet und so ist wie Millionen Menschen. Micky Beisenherz ist beliebt und berühmt bei links-grünen Bekloppten auf Twitter, weil er Millionen Menschen vorschreiben möchte, wie sie sein und reden sollen.

Das ist der Unterschied.“

Rechts-braune Bekloppte auf X geben dafür mehr als 10.000 Likes. Wahrscheinlichkeit erheblich gestiegen, dass Gottschalk einen Podcast mit Gloria von Thurn und Taxis bei Reichelts Krawallschleuder „Nius“ bekommt, Arbeitstitel: „Die Superhirne“.

(Später nennt Reichelt Beisenherz noch einen „kleinen Sadist der Worte“ und schreibt, sein Geld sei „seelisches Blutgeld“. Danach hat Reichelt Gerüchten zufolge ein Glas zerbissen und eine Runde Russisch Roulette gespielt, aber das ist nicht bestätigt.)

„Gottschalks Gefasel: Wenn ein alter Mann mit der neuen Zeit hadert“ („Tagesspiegel“)

„Gottschalk sorgt für Aufsehen: ,Betrete keinen Aufzug mehr, in dem nur eine Frau steht'“ („Westfälischer Anzeiger“)

Frauke Ludowig interviewt Gottschalk bei RTL, endlich! Frauke und Thommy plaudern ein bisschen, man kennt sich, die Frauke war ja schon damals bei ihm in Malibu. Gottschalk erklärt alles noch mal. Am Ende droht er: „Bis ich umfalle, rede ich, und bis ich umfalle, reiße ich die Klappe auf.“ Gar nicht abwegige Zukunftsprognose: „Und bis ich umfalle, lässt man mich Gott sei Dank im Fernsehen auch noch in eine Kamera sprechen.“

14.10.2024

„,Wetten, dass..?’: Diese Stars wurden von Gottschalk ,dienstlich’ berührt“.

„Eigene Recherche“ von „t-online“, steht so unter dem Artikel. Mit „Fotoshow“! Wie man dort, also auf den Fotos, sehen könne, „wurden bei ,Wetten, dass..?’ tatsächlich mehr Knie berührt, als der Moderator in dem Interview [mit dem ,Spiegel‘] behauptet“. (Nächster Journalisten-Preis, Kategorie Investigative Recherche, ist „t-online“ sicher, Glückwunsch!)

Die „Augsburger Allgemeine“ fragt: „Thomas Gottschalks umstrittene Aussagen: Ehrlich oder kalkuliert provoziert?“, weiß dann aber ehrlicherweise gar keine Antwort:

„Ob kalkuliert provoziert oder ehrlich gesprochen: Den Werbe-Effekt für sein Buch ,Ungefiltert’, das am Mittwoch erscheint, hat Gottschalk damit erzielt.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlicht ihre (lange) Rezension des Gottschalk-Buchs. „Zeit Online“ schreibt später, die SZ habe sich „also nicht an die Sperrfrist gehalten“, dabei mussten Journalisten dem Verlag „schriftlich versichern“, „nicht vor dem Erscheinungstag über den Inhalt zu berichten“. Aber, naja, egal, „Zeit Online“-Kulturchef Dirk Peitz hat das Buch noch gar nicht gelesen, „ich war mit anderen Dingen beschäftigt“, Glück für ihn. Und: Um die Aufregung zu betrachten, die dieses Buch erzeuge, noch bevor es erschienen sei, „muss man es auch nicht unbedingt gelesen haben“, schreibt Peitz. „Manches verrät sich von selbst (Vorab-Interview, Vorab-Talkshow, Lärm in sozialen Medien)“.

„WDR aktuell“ nennt noch mal die Wörter, von denen Gottschalk meint, man dürfe sie nicht mehr öffentlich äußern. Ein Sozialethiker sagt dem WDR, dass „sehr viel Empörung im Spiel“ sei. Ach. Eine Frau auf dem Kölner Wochenmarkt findet alles „läscherlisch“, und die „N****köppe“ hätten früher die tollsten Kostüme gehabt, das habe auch niemand „als diskriminierend jenommen“. (Am Ende des Beitrags fehlt ein Tusch.)

Der Landesvorsitzende der AfD Bayern macht Werbung mit Thomas Gottschalk:

Stephan Protschka von der AfD Bayern präsentiert ein Zitat von Thomas Gottschalk.
Screenshot: Facebook / Stephan Protschka

Der Sender „Welt TV“ sieht Gottschalk „im Kreuzfeuer“ und will wissen, ob er „nur noch ein bockiger alter weißer Mann“ sei, also fragt „Welt TV“ dazu, logisch, einen alten weißen Mann vor altem braunem Bücherregal: Jan Fleischhauer.

Moderator (Mann, weiß, mittelalt) fragt, ob die „die Generation Z“ „überhaupt das Recht“ habe, „sich moralisch über ältere Genrationen zu erheben“ (diese unverschämten Lümmel!); Gottschalk sei ja nie (haha, so!) wegen sexueller Übergriffe angezeigt worden, wenn er etwa das Knie von Claudia Schiffer berührt habe. Was soll man darauf sagen?

Fleischhauer entspannt. Findet: Junge dürften Alte zu Trotteln erklären. Trottel. Die Vorwürfe kämen aber ja im Wesentlichen vor allem „von mittelalten Journalisten“, die sich anbiedern wollten an die Jugend, um den eigenen Alterungsprozess aufzuhalten. Käme Fleischhauer und dem Bücherregal nicht in den Sinn.

Der „Stern“ interviewt seinen Kolumnisten Micky Beisenherz zum Interview, das der WDR-Moderator Micky Beisenherz im „Kölner Treff“ mit Thomas Gottschalk geführt hat, und für das er nun einen „gigantischen Shitstorm von rechts“ am Hacken habe.

Ben Bünte von der „Berliner Morgenpost“ erklärt: „Ich will kein Mann wie Thomas Gottschalk werden“. (Viel Erfolg!)

„Gottschalk hat nichts gelernt, aber wir hoffentlich“ („Stern“)

„Gottschalk on fire: Er provoziert und provoziert und provoziert“ („Stern“)

„Wie Gottschalk sich als alter weißer Mann vermarktet“ (RND)

Der rechte Blogger Boris Reitschuster ist zum Anheizen erschienen:

„Gottschalk am Pranger: TV-Inquisitor Beisenherz schlägt zu“.

Apropos Zuschlagen: Ausschnitt aus Gottschalks Autobiografie von 2015 bei Twitter aufgetaucht. Gottschalk beschreibt, dass er seinen Kindern früher auch mal „eine knallte“, etwa als sein Sohn drei Kugeln Vanilleeis runterwarf. Auftritt Jörg #Kachelmann:

„Thomas #Gottschalk ist Kindesmisshandler. Wenn er damals angezeigt worden wäre, wäre er heute verurteilter Straftäter. Aber es kam anders und er ist heute zu einem Idol für dumme, alte und weiße Kartoffeln geworden. Die haben ihren Kindern auch gerne in die Fresse gehauen.“

(Woraufhin sich später auch der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger einmischt – oder sein Bruder – und Kachelmann bittet, „nicht so garstig“ zu Thomas Gottschalk zu sein.)

„Bunte“ versucht eine kleine sabbernde Skandalüberschrift zu Gottschalk, vielleicht klickt’s jemand:

„Er spricht über unsittliche Berührungen und greift Cheyenne Ochsenknechts Hand“.

Das rechtsextreme Magazin „Compact“ sieht ein „GEZ-Tribunal gegen Gottschalk“, macht eine Youtube-Sendung und zeigt umfangreich Ausschnitte aus dem „Kölner Treff“. Der Moderator freut sich über Gottschalk:

„Keine Distanzierung von der AfD, keine Distanzierung von AfD-Wählern, er springt nicht über das Stöckchen, das ihm hingehalten wird.“

Das sei in der heutigen Zeit schon bemerkenswert. Die Co-Moderatorin pflichtet bei.

Gegen Ende der Sendung – „um noch mal auf Thomas Gottschalk zurück zu kommen“ – Werbung für den hauseigenen Shop: ganz neue „Münzen zu unseren Ostgebieten: Sudetenland, Schlesien, Pommern und Ostpreußen“. Thomas Gottschalk komme ja aus Oberschlesien. Jetzt zuschlagen, „stabile Wertanlage“, stabiler Thomas Gottschalk.

15.10.2024

Das Debattenmedium „Bild“ titelt: „Der große Zoff um den alten weis(s)en Mann“ und bringt ein Pro und Contra. Die (jüngere) Redakteurin Jenna Müller findet Gottschalk bockig und „wirklich herbstblond“, die (ältere) „Show-Chefin“ und Gottschalk-Freundin Tanja May „kann über seine freche Art lachen“.

(Außerdem, wichtige Info: Die „jungen Kollegen“, schreibt May, würden sagen, sie sei „voll cool“, ihre 24-jährige Patentochter aber hasse es, „dass ich nicht gendere und noch gern Fleisch esse“. Sie mögen sich trotzdem, puh.)

Der rechte „Deutschland Kurier“ titelt:

„Thomas Gottschalk rechnet mit dem woken Gesinnungsterror ab – Mainstream spuckt Gift & Galle!“

Kurze Irritation, Medien ganz unruhig:

„,Meine Tochter‘: Thomas Gottschalk irritiert mit Aussage“ („t-online“)

„Eigentlich hat er doch zwei Söhne!? – Thomas Gottschalk spricht plötzlich von einer Tochter“ („Bild“)

„Wo kommt die plötzlich her? Thomas Gottschalk spricht über seine Tochter“ („Focus Online“)

(Auflösung: „Die“ kam ganz plötzlich vor 29 Jahren auf die Welt und ist die Tochter von Gottschalks neuer Ehefrau. Er liebe sie, also die Tochter, offensichtlich so sehr wie sein eigenes Kind, schreibt „Bild“.)

Gottschalk erzählt alles noch mal bei „Bosbach & Rach – Die Wochentester“, „Deutschlands Politik-Personality-Podcast“ mit CDU-Politiker Wolfgang Bosbach und TV-Koch Christian Rach im Auftrag von RND und „Kölner Stadt-Anzeiger“. (Was es alles gibt!)

„Tun wir Gottschalk unrecht?“ („Analyse“ im „Stern“)

Gottschalk erklärt in „Bild“, er sei „ein bisschen stolz darauf, mit Mitte Siebzig überhaupt noch gehört und ernst genommen zu werden“. Er bewahre sich seine gute Laune und den Spaß am Leben. „Vor allem den Glauben an die Vernunft.“ Laut „Bild“ „verwehrt“ Gottschalk sich gegen „Verdachtsmomente, er bewege sich mit seinen Überzeugungen am rechten politischen Rand“: „…und es ist nicht Ausdruck einer stramm rechten Gesinnung, wenn man sich gegen Sprachregelungen und Genderwahn postiert“.

Gottschalk sitzt bei „DAS!“ im NDR-Fernsehen auf dem roten Sofa, entspannt, karierter Dreireiher. Bisschen Fotos gucken, bisschen über Damals reden, und dann natürlich übers Buch, deshalb sitzt er ja überhaupt hier. „Es geht nicht darum, was ich sagen darf“, sagt Gottschalk, „es geht um eine Strömung in unserer Nation.“ Und die (negativen) Schlagzeilen der vergangenen Tage? Wurscht. Wer ein Buch schreibe, in dem er sage, was er denke, müsse mit Gegenwind rechnen.


Aufmerksamkeit, ungeil. Wenn sie einer Debatte gewidmet wird, die seit Jahren immer wieder von vorne beginnt, immer wieder neu. Also nicht neu, weil es ja immer die gleichen, naja, Argumente sind. Meinungsfreiheit, Sprachverbote, dies das. Alles bekannt, alles tausend mal diskutiert. Und dann taucht jemand wie Gottschalk auf, ein Superprominenter, und geht (wie andere vor ihm) für das, was er sagt, obwohl er es „nicht darf“, überraschend nicht in den Knast, sondern in Talkshows und schreibt ein Buch.

Und alles geht wieder von vorne los.

Ermüdend an diesen Debatten ist, wenn man sie schon ein paar Mal verfolgt hat, dass sie so so vorhersehbar sind. Die aktuelle Empörung zeigt erstaunlich gut, wie das medial funktioniert. Wer sich wann wie dazu äußert, man kann das ahnen, man kann deshalb gähnen, was anderes machen, man kann sich auch Popcorn holen und das ganze Theater vergnügt verfolgen. Wenn es nicht auch so ärgerlich wäre.

Ärgerlich in diesem Fall ist, wie Gottschalk einerseits behauptet, einfach Kohle machen zu wollen mit dem Buch, andererseits aber beansprucht, das auszusprechen, was sich so viele Leute nicht zu sagen trauten. Da wird es dann zwangsläufig politisch. Aber davon will Gottschalk nichts wissen, er lässt es einfach abperlen, weil: Er kann ja leider, leider nichts dagegen machen, wer ihn so „mag“, ihn politisch instrumentalisiert. Doch, könnte er. Er könne die Aufmerksamkeit nutzen, sich positionieren, was sagen. Macht er aber nicht. Er will beklatscht werden, um jeden Preis und von wem auch immer.

32 Kommentare

  1. Irgendwas mache ich richtig. Die ganze Schose ist größtenteils an mir vorbei gegangen. Ohne den Postillon hätte ich es wahrscheinlich gar nicht mitgekriegt.
    Bemerkenswert ist, dass mich trotzdem nichts davon überrascht. Es macht mich einfach nur traurig.

  2. Der Artikel lässt mich schmunzeln, lachen aber dann auch wieder nur Kopfschütteln, fremdschämen und facepalmen…es ist eine reine Tragikkomödie.

    Ich glaube kaum jemand kann diese Absurdität so schön nacherzählen wie Boris Rosenkranz, danke dafür! Und ja…es zeigt wirklich beispielhaft sehr gut, was bisweilen so schiefläuft in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie und wer alles an dem Spiel aus eigenem Interesse mitmacht.

    Vorhersehbar und trotzdem funktioniert es ja anscheinend immer wieder…

  3. Ich, geboren 1955, fand Gottschalk in den 1980jahren noch pfiffig und toll.
    Er hat damals das Deutsche Fernsehen wunderbar aufgemischt und aus dem Mief geholt!
    Heute ist er nur leider noch peinlich!

  4. Ehrlich gesagt halte ich Gottschalk für derartig harmlos, dass ich ihm das „dienstliche ans Knie fassen“ tatsächlich abkaufe. Wenn jemand mit derartiger Harmlosigkeit jetzt so hochgejazzt wird – so wird das nichts mit der Cancel Culture.
    Meinetwegen kann man das Wort N-Wort-Küsse (ich schreibe das mal so) verbieten. Also bspw. in die Liste von strafbaren Beleidigungen aufnehmen oder so. Wird wenig am allgemeinen Rassismus ändern, aber kann ja auch nicht schaden.
    Aber was hier passiert, ist, dass die Gegner des Wortes einem Verfechter, oder jedenfalls „Verfechter“ ein Geschäftsmodell eröffnen. Gottschalk verdient quasi Geld fürs N-Wort-Küsse-Sagen. Die Leute, die das Wort bekämpfen, verschaffen Gottschalk und damit dem Wort Gratiswerbung. Soll das wirklich das Ziel sein?
    Wer bisher N-Wort-Kuss sagt, sagt es in Zukunft vermutlich weiterhin, weil auch die drölfte Iteration der Diskussion keine neuen Argumente bringt und wenn die alten ihn bis dato nicht überzeugten, wird das jetzt nicht anders sein.
    (Nebenbei passt der Begriff inzwischen schon deshalb nicht mehr, weil es Schokoschaumküsse inzwischen in allen möglichen Farben gibt, neben schwarz, weiß und braun auch beige, grün und bunt gepunktet.)

  5. Gäbe es das „Canceln“ nicht, Gottschalk und Nuhr würden dafür kämpfen, es einzuführen. So als Rentenabsicherung.

    Ich finde übrigens die zwanghafte Wiederholung des Ausdrucks „N-Wort“ auch schon recht ekelig. Aber wer heute noch nicht kapiert hat, dass es um Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der Opfer geht, nicht um Erziehung der Privilegierten, dem ist halt nicht zu helfen.

    Ich fand Gottschalk schon damals peinlich und zum Fremdschämen. Ich denke, so manche Hollywoodpromi wird daheim von seinem absurden Erlebnis im german tv , mit diesem seltsamen blonden Clown berichtet haben.

  6. „Gäbe es das „Canceln“ nicht, Gottschalk und Nuhr würden dafür kämpfen, es einzuführen. So als Rentenabsicherung.“
    Nuhr geht in Rente?
    Aber Sie haben Recht, diese Art zu Canceln ist dämlich, weil sie ausschließlich denen nutzt, die man bekämpfen will, während die, die man ja eigentlich verteidigt, uneigentlich nichts davon haben.
    Warum macht man das dann?

  7. @Mycroft
    Was macht man denn konkret?
    Alte Männer ärgern, die mit Kritik nicht umgehen können?
    Weil es zum Leben dazu gehört, uns Alten die Flausen auszutreiben!

    Stellen Sie sich vor, die beiden hätten keinen Grund zum Jammern mehr. Die wären ja kreuzunglücklich.

  8. Mir reicht die vergnüglich zu lesende Zusammenfassung, die mich den Sumpf dieser Tage nur erahnen lässt. Vielen Dank dafür!

  9. „@Mycroft
    Was macht man denn konkret?“
    Folgendes:
    Schritt 1: alte Männer in Form von Zeitungsartikeln kritisieren, bspw. wegen eines Buches, dass diese geschrieben haben
    Schritt 2: feststellen, dass die alten Männer die Kritik nicht annehmen, sondern das Buch weiterhin verkaufen wollen
    Schritt 3: kritisieren, dass diese alte Männer keine Kritik annehmen können (was tatsächlich das eigentliche Problem sein mag), aber diesmal in einer anderen Zeitung
    Schritt 4-97: die Schritte 2+3 wiederholen, nur in noch anderen Medien, in Form von Interviews oder aber in Talkshows
    Schritt 98: beklagen, dass das Buch erscheint
    Schritt 99: kritisieren, dass es Cancel Culture leider nicht gibt, weil sie nur dazu führt, dass die eigentlich Gecancelten uneigentlich in Besprechungen, Interviews und Talkshows ihr wirklich sehr schlechtes Buch bewerben durften

    Ergebnis: Das Buch verkauft sich. Streisand-Effekt und so.

    „Weil es zum Leben dazu gehört, uns Alten die Flausen auszutreiben!“
    Kann ja sein, passiert hier aber nicht. Gottschalk kann seine Flausen vermarkten. Nuhr genauso.

    „Stellen Sie sich vor, die beiden hätten keinen Grund zum Jammern mehr. Die wären ja kreuzunglücklich.“ Ja, stelle ich mir vor. Ist mir allerdings egal. Die Taktik, die – wie Herr Rosenkranz dankenswerterweise dargelegt hat – nicht erst zum ersten Mal durchgeführt wurde, geht jedenfalls zum wiederholten Male nicht auf.
    Vllt beim nächsten Mal es einfach drauf ankommen lassen, dass die kreuzunglücklich werden?

  10. @Mycroft:
    Gottschalk ist in den Medien wg. Canceln?
    Es ist doch komplett Latte, welcher Vorwand da genommen wird. Ansonsten ist es ein Sommerinterview, Dschungelcamp, BB Container oder ein C-Promi, der mit Mühe den Hauptschulabschluss geschafft hat, erklärt uns während der Pandemie zur Prime-time, warum Harvard Dozent Lauterbach keine Ahnung von Medizin hat.
    „Canceln“ kommt jetzt halt gut um potentielle Pegidas zu ködern. Den Kritikern die Schuld geben ist Unfug.

    Die Artikel verkaufen sich.

  11. „Gottschalk ist in den Medien wg. Canceln?“
    Nein, man will ihm nur seine „Flausen“ „austreiben“. Aber falls das nicht klappt, wird man das als Beleg betrachten, dass es kein Canceln gäbe.

    „Den Kritikern die Schuld geben ist Unfug.“
    Ja, Spiegel, Kölner Treff et alii sind Gottschalks finst’ren Ränkeschmieden hilf- und willenlos ausgeliefert. Sorry.

    „Die Artikel verkaufen sich.“
    „Flausen austreiben“ ist einfach ein lukratives Geschäftsmodell. Stellen Sie sich vor, welche Einnahmen dem Spiegel, Kölner Treff und wemauchimmer entginge, wenn Gottschalk nicht bestimmte Wörter sagen wollen würde. Die wären ja kreuzunglücklich. Und pleite.

  12. „Was Gottschalk hätte sagen können (hat er aber natürlich nicht)“
    Dann würde er sein Buch ja nicht verkaufen.

    Dass er da Leser ganz rechts abgreift, wird zweifelsohne so sein, aber seine Kritiker greifen natürlich ebenso Leser bzw. Zuschauer von rechtsaußen ab; ich muss Frank Gemein unironisch Recht geben, der ganze Zirkus dient der Gewinnoptimierung und nicht irgendwelchen ideellen Zielen wie Antirassismus, Antisexismus oder meinetwegen, ein, zwei Nummern kleiner, als Debatte über Debattenkultur.

  13. @13: Naja, erstmal ist es schon, wie China-Trump-Bibeln an Republikaner zu verkaufen. Die kennen ihre Zielgruppe und die erwartete Profitmarge.
    Dann gibt’s natürlich Democrat News Outlets, wie ein Meiselasb z.B., die dann 10 Videos über die stupid republicans machen, die die Bibeln kaufen.
    Letztenendes bekommen beide Zielgruppen genau das serviert, was sie konsumieren wollen: Die Bestätigung der eigenen Meinung.
    Win-Win, Aufmerksamkeitsökonomie, langweilig aber funktioniert.

    Ich fand nur die Fiktion, was ein T. Gottschalk stattdessen hätte sagen können, einfach erfrischend, weil so einfach. Und so würdevoll und dem Alter angemessen. Und weitsichtig, in Bezug auf die Wahrnehmung der eigenen Person, auch nach dem Tod. Andererseits: Geld ausgeben kann man aus dem Grab halt auch nicht mehr. Prioritäten.

  14. Mir ist, so ganz nebenbei, noch ganz schwindelig geworden, bei der Visualisierung dessen, wie weit dieses Land schon rechte Schlagseite hat, wenn ausgerechnet Beisenherz nun schon als Held der „links-grün Bekloppten“ und „TV-Inquisitor“ herhalten soll, nur weil dem konservativen Rollkragenpulliträger noch ein paar Jährchen zum richtig ollen Weißen Mann fehlen.

  15. @ Mycroft: Wir beide hatten doch schon mal diskutiert darüber, bei Luke Mockridge. Ich schlug zynisch vor, er könne sich ja (statt Reue zu zeigen und zu versuchen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen) einfach auf dem sekundären rechten Empörungsmarkt als Opfer stilisieren und dort dann seine Bücher verkaufen.
    Sie sagten damals, für Luke Mockridge sei das nicht lukrativ, da er ja sonst Stadien fülle und die rechte Buchverkaufsbubble nicht so viel bringt.
    Also Gottschalk scheint das Potential erkannt zu haben, allerdings füllt der auch keine Stadien mehr.
    Scheint also eine individuelle break-even Rechnung zu sein.

  16. @15: M. E. ist da aber auch viel Relevanzsimulation bei. Sprich, man nimmt die radikalsten, lautesten Stimmen und tut (seitens der Medien) so, als seien das die repräsentativen Meinungen eines Großteils.
    Ich vermute, der Großteil der Deutschen würde Micki Beisenherz nicht „Held der links-grün Bekloppten“ bezeichnen. Das tun ein paar wenige rechte Trendsetter, die dann jauchzen, wenn wieder ein Medium ihre Provokationen aufgreift und gratis wetierverbreitet (und so Geld mit beiden Zielgruppen verdient – Empörung sowie Empörung über Empörung).

    Hier das Beispiel des KStA: https://www.ksta.de/panorama/promis/moderator-uebt-selbstkritik-nach-thomas-gottschalk-interview-der-woke-irre-will-die-fernsehlegende-erziehen-micky-beisenherz-1-880099
    Dort schreibt der Redakteur:
    „Deshalb müsse für viele das Gespräch eine befremdliche Wirkung gehabt haben: ‚Da kommt jetzt Thomas Gottschalk und lässt sich herab, zu diesem Heiopei in diese WDR-Sendung zu kommen, und der woke Irre will jetzt die Fernsehlegende erziehen.'“
    „Für viele“, das ist die Referenz. Das griffige Zitat steht sogar über der Headline des Artikels. Man erfährt nicht, wer das gesagt haben soll. Es gibt keine Referenz außer „für viele“. Das ist die Substanz dafür, einen Artikel über die „Kritik an Wokeness“ zu veröffentlichen.
    Ich tippe mal ins Blaue: Der „Onlineredakteur“ hat das irgendwo im rechtsradikalen Netz diesen Kommentar von einem „Hitlerfreak88“ gelesen, daraus ein „für viele“ gemacht und fertig war die Evidenz.
    Relevanzsimulation. Mein Lieblingsbeispiel bleibt da Trump, als er mal auf der Bühne gefurzt hat.
    übermedien selbst hat hierzu mal ein Stück gemacht: https://uebermedien.de/152/sack-reis-umgefallen/
    Der Unterschied zu 2016: Alles ist extrem politisiert.

    Dass sich private Medien meinen, sich dieser Ökonomie unterwerfen zu müssen, sehe ich ja noch ein, wenn es auch sehr sehr eierlos und merkelistisch (im Sinne der unterstellten Alternativlosigkeit) ist.
    Öffentlich finanzierte Medien sollten sich so langsam mal überlegen, ob sie nicht selbst Themen setzen sollten, statt sich, wie in den letzten 10 Jahren, von lauten Schreihälsen am rechten Rand antreiben zu lassen.

    Ich vermisse ja auch eine wählbare Partei, die sich zu den deutschen und europäischen Menschenrechten bekennt und nicht bei jedem Anlass den (oft sinnlosen) Rückenmarkforderungen von rechts nachgibt. Aber das „gebietet die politische Stimmung im Land“ nun mal.

  17. „Ich schlug zynisch vor, er könne sich ja (statt Reue zu zeigen und zu versuchen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen)…“
    Ach, das war zynisch?
    Ernsthaft gesagt: ich würde tatsächlich eher vermuten, dass jemand Kreide frisst, um seine Stadien voll zu kriegen, als dass er ehrlich Reue _empfindet_. Aber da Gottschalk aus der Stadion-Phase seiner Karriere raus ist und er außerdem schon sein Buch geschrieben HAT, gibt es keinen Hebel mehr, um ihn Kreide fressen zu lassen. Warum es also versuchen?
    Und wer dieses Spielchen trotzdem und zum mehrfach wiederholten Male mitmacht, hat halt Kritik verdient.

  18. @18: Naja, „Kreide fressen“ vs. „wirklich Reue empfinden“ … schwierig. Wie belegt man, dass jemand nicht an das glaubt, von dem er vorgibt dran zu glauben?
    Ich versuche nicht, Gottschalk Kreide fressen zu lassen, er hat sich ja entschieden, weder Kreide zu fressen, noch wirklich Reue zu empfinden.

    Mich wundert, dass er im vermeintlichen Kampf gegen alles was „woke“ ist das Bild des Grabschers von ihm er erhalten sehen möchte, nur weil die „woken“ (mehr als zwei?) angeblich von ihm verlangten, er müsse Kreide fressen.
    Präventivparanoia? Oder Angst vor der Irrelevanz?
    Zudem: Auch früher hat es schon viel Kritik am übergriffigen Verhalten Gottschalks in Shows gegeben. Oder wie Frank Gemein sagt „“Ich fand Gottschalk schon damals peinlich und zum Fremdschämen.“. Das ging Vielen so. Es ist auch nur so ein Spin den Gottschalk selbst macht, dass die Kritik daran „erst jetzt von woken Agitatoren“ käme. Teil der Opferinszenierung und der Empörungseskalation.

    Ich bin absolut bei Ihnen, die medialen Reflexhandlungen zu kritisieren und stimme auch Ihrer These weiter oben zu, dass Gottschalk mit „woke“ auch nur ein Stöckchen zum Drüberspringen hinhält und dann kommt halt die Aufmerksamkeitsökonomie (Aufregen und sich über das Aufregen aufregen – Step3: Profit).

  19. „@18: Naja, „Kreide fressen“ vs. „wirklich Reue empfinden“ … schwierig. Wie belegt man, dass jemand nicht an das glaubt, von dem er vorgibt dran zu glauben?“
    Woher soll ich das wissen? _Ich_ halte Mockridge wegen eines Witzes noch nicht für behindertenfeindlich, auch wenn er ein ziemlicher Griff ins Klo war, insofern muss er nicht _mir_ beweisen, dass er wirklich nicht behindertenfeindlich ist und umgekehrt ich nicht, dass er es Doch ist. Aber wenn er es bis vor kurzem noch war, ist er es jetzt vermutlich immer noch.
    Bei Gottschalk war der Fremdschämfaktor schon immer Teil des Programmes. Das soll das nicht entschuldigen, aber erklären, warum er sich jetzt nicht ändert, nur weil er vllt mehr Kritik dafür bekommt. Nach der Aufmerksamkeitswirtschaft-Logik bestätigt es ihn sogar eher. Und bestimmte Wörter wird man so erst Recht nicht los, also ein Misserfolg auf der ganzen Linie.

  20. Wenn das alles nur nicht so ein schweres Thema wäre. Also, mir drängt sich seit einiger Zeit der Gedanke auf, dass diese Scharmützel letztlich Symptome einer Modernisierungskrise sind. Es gibt unglaublich viele Parallelen zur Modernisierungskrise im frühen 20. Jahrhundert ausgelöst durch die 2. industrielle Revolution seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.
    Wir haben diesmal neben den Kontrahenten Land Stadt, Antimoderne Moderne zusätzlich die Erosion der vormals über alle Klassengrenzen hinweg existierenden Privilegien aufgrund von Hautfarbe, Gender oder sexueller Orientierung.

    Die mediale Revolution bringt einen beschleunigten Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, weg von der industriellen Produktion.

    Normalerweise sollten Politker:innen den Menschen helfend zur Seite stehen und Orientierung anbieten. Tatsächlich aber sehen die populistischen Parteien die Chance, durch Anheizen dieser Unsicherheiten an Macht und Einfluss zu gewinnen und auch das vormals bürgerliche Lager kann dem Reiz, diese Karten zu spielen, nicht widerstehen.

    Es müsste eigentlich ein No-Brainer sein, dass man Gottschalk einhellig bescheidet, dass Grabbeln eben nicht okay ist und Denken vor dem Reden eine durch die Bank sau gute Idee.

    Aber im Kulturkampf lässt sich der Konflikt des verirrten alten Zausel ja prima nutzen.

  21. „Es müsste eigentlich ein No-Brainer sein, dass man Gottschalk einhellig bescheidet, dass Grabbeln eben nicht okay ist (…)“

    Na, Grabscher waren damals schon verpönt, aber wenn sie weiß und männlich waren, mussten sie mit keinen Konsequenzen rechnen.
    Jetzt bröckelt das Privileg und die ganzen gestandenen Menners sind auf einmal Opfer. Wovon wissen sie meist auch nicht oder können es nicht artikulieren, wenn man sie drauf anspricht.
    Am besten wäre es, ihnen gar nicht mehr zuzuhören.

    Der Gottschalk kann sich ja mit seinen Hundertern, die er durch Qualitätsfilme wie „Die Supernasen“ oder „Late Show“ verdient hat, die Tränen abwischen. Ernsthaft, warum ist Gottschlak noch mal gesellschaftlich relevant? Wegen und nicht trotzt der sexuellen Übergriffe im Live TV? Lieber nicht zu viel drüber nachdenken.

  22. Oh Gott … Da hat die Realität wieder die Satire überholt:
    https://www.spiegel.de/panorama/leute/mike-krueger-und-thomas-gottschalk-planten-supernasen-revival-doch-fanden-keinen-produzenten-a-4c3a1bfb-f3be-4692-86b7-a0d4ecc11be1

    „Bei dem geplanten Revival sollten sich Krüger und Gottschalk aus den Achtzigerjahren in die Gegenwart beamen und weder E-Autos noch E-Zigaretten noch Internet und Handys kennen. ‚Aber wir haben unseren Achtziger-Humor und hauen diese Gags raus‘, erklärte Krüger (…)“

    Von wegen Kreide fressen …

  23. „Na, Grabscher waren damals schon verpönt, aber wenn sie weiß und männlich waren, mussten sie mit keinen Konsequenzen rechnen.“
    Ich kann mich an (genau) eine Stelle aus einem Gottschalk-Krüger-Film erinnern, wo Krügers Rolle sich eine Ohrfeige einfängt für etwas, was Gottschalks Rolle zu verantworten hatte. Also gab es „Konsequenzen“ (= Strafen) für männliches Fehlverhalten grundsätzlich schon, nur wurden auch die als „Humor“ (= die Stelle mit der Pointe) verbucht. Was die 80er jetzt rückwirkend auch nicht besser macht, aber etwas komplexer waren sie schon.

    „Von wegen Kreide fressen …“
    Tja, daher besser gar nicht erst versuchen. Ich gehe schon davon aus, dass Krüger und Gottschalk Rolle und Privatleben trennen, aber wenn sie auf der Bühne schauspielern können, können sie das auch in einer Talkshow oder Interviews. Dann beweist, was sie sagen, so oder so nix.

  24. @ 26: Weil Sie eine Szene kennen, in der ein männlicher Charakter in einem Supernasen-Film für die Handlungen eines anderen männlichen Charakters bestraft wird, ist das der Beleg dafür, dass es (für dargestellte Charaktere?) „damals“ auch schon Konsequenzen gab? Ich kann dem nicht folgen.
    Ich hatte da eher das im Kopf, was heute gerne „Cancel Culture“ genannt wird: Also die Tatsache, dass man generell Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen sollte und wenn man das nicht tut, die Zivilgesellschaft das Verhalten desjenigen anprangert.

    Das weitere Argument ist „Rolle“ vs. „Schauspieler“.
    Klar, das sagt Gottschalk ja auch, dass er die Frauen rein beruflich angefasst hat.
    Dass Thomas Gottschalk (und der andere Schauspieler) keine Verantwortung für die Handlungen der Figur, die er in einem Film dargestellt hat, übernehmen muss (ja, nicht mal kann), sollte sich von selbst verstehen.
    In einer älteren Kolumne von übermedien stand mal sinngemäß: „Es sollten ja auch nicht die Laiendarsteller von Scripted-Reality-TV Formaten durch den Kakao gezogen werden, sondern die Programmverantwortlichen.“
    Wenn ein Mike Krüger aber sagt: „Ja geile Idee, wir wiederholen einfach die ollen 80er-Kalauer aber mit Zeitmaschine und so.“ Dann scheint da ja offensichtlich kein Lernprozess stattgefunden zu haben.
    Der Schauspieler scheint den Humor seiner verkörperten Person zu teilen. Im Falle der Supernasen sind die Rollen ja auch explizit für die Schauspieler Krüger und Gottschalk geschrieben worden – von den Drehbuchautoren Krüger und Gottschalk.
    Ich bin ja auch für in dubio pro reo, aber in dem Fall schreien einem die Offensichtlichkeiten ins Gesicht.

  25. „@ 26: Weil Sie eine Szene kennen, in der ein männlicher Charakter in einem Supernasen-Film für die Handlungen eines anderen männlichen Charakters bestraft wird, ist das der Beleg dafür, dass es (für dargestellte Charaktere?) „damals“ auch schon Konsequenzen gab? Ich kann dem nicht folgen.“
    Die Aussage war, dass es KEINE Konsequenzen für (Junge) Weiße Männer gegeben hätte, was die beiden anscheinend nicht so sehen oder sahen.
    Ansonsten will ich mir jetzt keine 80er Expertise zuschreiben, aber Anfang der 90er zumindest wurde an meiner Schule klar kommuniziert, dass Mädchen, die sich vor Grabschern bspw. per Ohrfeige wehren, keine Konsequenzen zu fürchten hätten. Also waren Konsequenzen für Grabscher auch abseits von Komödien nicht verboten.

    „Dann scheint da ja offensichtlich kein Lernprozess stattgefunden zu haben.“ Habe ich auch nicht behauptet. Oder sonst jemand, den ich kenne.

    „Der Schauspieler scheint den Humor seiner verkörperten Person zu teilen.“ Krüger scheint es demnach für lustig zu halten, wenn Männer (oder zumindest er) für Sachen bestraft werden (=Konsequenzen erleiden), die sie nicht zu verantworten haben. Daraus abzuleiten, dass er sich Zeiten herbeisehnt, wo Männer angeblich keine Konsequenzen zu fürchten hatten, halte ich für nicht ganz nachvollziehbar. Bzw., er sehnt sich die Zeiten vllt wirklich herbei, aber nicht aus _den_ Gründen.

  26. Nachtrag:
    „was heute gerne „Cancel Culture“ genannt wird: Also die Tatsache, dass man generell Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen sollte und wenn man das nicht tut, die Zivilgesellschaft das Verhalten desjenigen anprangert.“
    Das fragliche Verhalten wurde bereits damals abgestraft, sei es persönlich oder durch die Gesellschaft. Vermutlich nicht _immer_, aber so zu tun, als wäre es konsequenzlos gewesen, halte ich für erheblich an der Wirklichkeit vorbei.
    Wenn das bei „Wetten, dass“ nicht passierte, kann das mit der Trennung „dienstlich“ und „privat“ zu tun gehabt haben, wobei ich jetzt einräume, dass der Moderator und das Spicegirl eher „reale“ als Bühnenpersonen sind, so dass diese Trennung nicht so überzeugend ist wie, sagen wir, Adolf Hitler und Bruno Ganz.

    Jetzt kann ich mir noch vorstellen, dass man nach Jahrzehnten Verantwortung für irgendeine Liveshow und Gottschalks fremdschaminduzierendes Verhalten einfordern kann, das seine Vorbildfunktion unterlief, aber wenn Sie jetzt Filme anprangern wollen, wie gesagt: die „Botschaft“ ist da eben nicht, dass Fehlverhalten ohne Konsequenzen bleibt. Jedenfalls bei den Hauptfiguren.

  27. „(…) erheblich an der Wirklichkeit vorbei.“
    Na, die Konsequenzen (für G.) waren jedenfalls nicht so groß, als dass man 30 Jahre später nicht auf Buchverkaufs-PR-Tour durch die Boulevardblätter tingeln könnte. Die Konsequenzen waren damals, dass es kritische Anmerkungen zu der Grabbelei gab, ja. Aber die Anmerkungen hatten für die „Täter“ keine spürbaren Konsequenzen. Sie haben ihre Shows behalten und konnten weiter ungehindert Geld verdienen. Der Name war nicht verbrannt. „Wetten, dass“ wurde wegen Irrelevanz und Quote abgesetzt, nicht wegen Kniegrabscherei. Ohne moralische Bewertung, nur als Feststellung.
    Im Gegenteil: Heute stellt sich heraus, dass man mit der „standhaften Haltung“ in der, von uns beiden schon oft diskutierten, Daueropfer-Blase noch mal Geld aus seinem Fehlverhalten von Anno Dazumal schlagen kann.
    Die konsequente gesellschaftliche Ahndung von sexuell übergriffigem Verhalten (vor Allem in einer Situation eines Machtgefälles) ist ja nicht mehr selbstverständlich sondern mittlerweile ein kontroverser Standpunkt.

    Ich bin gerne bereit, zwischen Kunstperson G. und dem echten Menschen G. zu unterscheiden. Eben darum finde ich die Fiktion, die ich in #11 postete so interessant.

  28. „Na, die Konsequenzen (für G.) waren jedenfalls nicht so groß, als dass man 30 Jahre später nicht auf Buchverkaufs-PR-Tour durch die Boulevardblätter tingeln könnte.“ Selbst verurteilte Straftäter tun das gelegentlich, also was beweist das. Dass das hier passiert, liegt zu rund 95% in der Verantwortung seiner Kritiker, nicht seiner Unterstützer, also eher semi-smart, der Move der Kritiker. Gerade, weil sowas öfters passiert.
    „Aber die Anmerkungen hatten für die „Täter“ keine spürbaren Konsequenzen.“ Anscheinend hielt die Zivilgesellschaft eine Kündigung für unverhältnismäßig.
    „Die konsequente gesellschaftliche Ahndung von sexuell übergriffigem Verhalten (vor Allem in einer Situation eines Machtgefälles) ist ja nicht mehr selbstverständlich sondern mittlerweile ein kontroverser Standpunkt.“ Ich dachte, dass sei umgekehrt? Ich halte es nebenbei für kein gutes Beispiel für Machtgefälle, wenn das Opfer ein internationaler Star ist und den Täter außerhalb des deutschsprachigen Raumes keine Sau kennt.
    „Ich bin gerne bereit, zwischen Kunstperson G. und dem echten Menschen G. zu unterscheiden. …“ Ok, der echte G. sagt, die gleichnamige Kunstfigur habe ein Spicegirl ans Knie gegrabscht, weil das zu Show gehörte, „dienstlich“.
    Wenn G. sich entschuldigte, wäre das nicht die Kunstfigur?

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