Womöglich dachten einige Leser der „Lübecker Nachrichten“ (LN) an einem Samstag im Mai dieses Jahres zunächst, sie hätten sich auf die Seiten mit den Immobilienanzeigen verirrt. Aber sie waren tatsächlich im Lokalteil, wo ein fast ganzseitiger Artikel ein Haus mit drei „großzügigen Wohnungen“, „fantastischem Ausblick“ und „spektakulärem 800-Quadratmeter-Garten“ an einer „absoluten Top-Adresse“ anpries. „Luxus in Traumlage: So könnte man wohnen …“ lautete die Headline des Textes, der teure Mietwohnungen in der Elsässer Straße bewarb, einer feinen Gegend, die „nicht umsonst manchmal als Elbterrasse Lübecks bezeichnet wird“.
Der Presserat hat die „Lübecker Nachrichten“ nun für diesen euphorischen Artikel gerügt. Ein für eine Behörde tätiger Jurist hatte eine Beschwerde eingereicht. „Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 Pressekodex“ lautete das Urteil des Selbstkontrollgremiums. Die Wohnungen seien „in anpreisender Art und Weise beschrieben“ worden. Es ist eine von 20 Rügen, die der Presserat in der vergangenen Sitzungswoche aussprach.
Über Rügen
Die Entscheidungen des Presserats finden, von wenigen spektakulären Ausnahmen abgesehen, selten große Aufmerksamkeit. Dabei wäre das eine der besten Wirkungen, die sie auslösen können: eine breite öffentliche Debatte. Wir befassen uns daher in dieser Rubrik mit interessanten Fällen. Hier gibt es alle bisher erschienenen Folgen.
Mit dem Presserat kontrolliert die deutsche Presse sich selbst. Getragen wird der Presserat von Journalisten- und Verlagsverbänden. Das Gremium prüft nach Beschwerden, ob Beiträge gegen den Pressekodex verstoßen. Es hat aber keine Sanktionsmöglichkeiten, sondern kann nur Hinweise, Missbilligungen oder Rügen aussprechen. Rügen sollte das betroffene Medium selbst veröffentlichen.
Zur „anpreisenden Art und Weise“ gehört auch, dass der Autor darauf hinwies, dass der von der Eigentümerin beauftragte Makler „eine Wohnung mit einer solchen Ausstattung noch nicht gesehen“ habe – und das trotz „30-jähriger Erfahrung“. Bei der Begutachtung des Objekts hatte der Makler laut „Lübecker Nachrichten“ noch ein weiteres Erweckungserlebnis: „Ein Bestandsgebäude mit Energieeffizienzklasse A+ hatte ich noch nie.“ Das sei die „höchste Klasse, die es gibt“, klärt der Autor freundlicherweise auf.
Artikel unterschlägt Job der Eigentümerin
Der Makler ist also begeistert. Ein Grund dafür ist wohl auch, dass die im Artikel ebenfalls zitierte Eigentümerin sehr gut weiß, wie man Wohnungen so ausstattet, dass Makler dahinschmelzen. Sie ist nämlich selbst Maklerin, sogar „aus Leidenschaft“, wie sie auf der Homepage ihres Unternehmens betont. Der Hinweis, dass die Eigentümerin der Luxuswohnungen vom Fach ist, fehlt in dem Artikel allerdings. Ebenso die Erwähnung eines Details, das auch beim Presserat keine Rolle spielte (offenbar, weil es der Beschwerdeführer nicht thematisiert hatte): Dienstleister und Kundin sind durch die Lübecker „Maklerbörse“ miteinander verbunden, einem Verein, in dem sich elf Maklerfirmen zusammengeschlossen haben. Im Header der Startseite der „Maklerbörse“ sieht man die beiden nebeneinander stehen.
Auch sonst wirft der Artikel Fragen auf. Warum braucht es so einen Artikel überhaupt, wenn der Immobilienmakler im Text betont, dass Luxus-Wohnungen wie diese alle „unter der Hand“ weggehen? Am Ende des Artikels heißt es: „Wer in eine der drei Wohnungen einziehen möchte, sollte sich beeilen.“ Der Makler sei sich sicher, „dass die exklusiven Wohnungen trotz der hohen Preise nicht lange leerstehen werden.“ Immerhin standen sie so lange leer, dass man die Redaktion der örtlichen Tageszeitung davon in Kenntnis setzen musste.
Ein Makler, der in Hamburg und Umland tätig ist, sagt auf Übermedien-Anfrage zu dem Artikel, es sei in der Branche „nicht üblich, in einer Tageszeitung Objekte so zu bewerben, wie das in einer Annonce im Immobilienteil gemacht wird“. Reinhart Bünger, Immobilienredakteur beim „Tagesspiegel“ , hat zumindest keine grundsätzlichen Einwände:
„Es ist aus meiner Sicht zulässig, über Immobilien zu schreiben, die über Makler angeboten werden. Das könnten zum Beispiel Angebote von Promis sein oder unter Denkmalschutz stehende Objekte. Oder architektonisch bedeutsame Gebäude. Dass in einem solchen Falle auch Makler ihren Benefit von der Berichterstattung haben: geschenkt!“
In jedem Fall, so Bünger, „sollte es aber einen journalistischen Ansatz geben, weshalb über ein Thema geschrieben wird.“ Das sei bei Immobilien nicht anders als bei anderen Themen. Bei der Lübecker „Luxus in Traumlage“-Geschichte sei aber auch für ihn „kein journalistischer Ansatz zu erkennen“.
Chefredakteur kann Entscheidung „nicht nachvollziehen“
LN-Chefredakteur Rüdiger Ditz, früher Chefredakteur von „Spiegel Online“ sowie geschäftsführender Redakteur beim „Spiegel“, sieht das anders: Das Haus, in dem sich die drei Wohnungen befinden, liege „in einer der bekanntesten Straßen der Stadt“. Die im Artikel beschriebenen Umbaumaßnahmen hätten „in der Nachbarschaft für viel Aufsehen gesorgt“, schreibt er in einer Stellungnahme an den Presserat. Insofern liege für die Berichterstattung „nach dem Ende der Bauarbeiten und Umbauten ein öffentliches Interesse vor“.
Den Vorwurf des Beschwerdeführers könne er daher „nicht nachvollziehen“, schreibt der Chefredakteur. Die Rüge werde die Zeitung aber abdrucken, sagt Ditz gegenüber Übermedien. „Wir halten uns an die Regeln des Presserats.“
Aber warum wird im Artikel nicht erwähnt ist, dass Eigentümerin und Makler über die Lübecker Maklerbörse miteinander verbunden sind? Es hätte dem Text weder „geholfen noch geschadet“, wenn man die Connection benannt hätte, sagt Ditz. „So wie wir die Geschichte angelegt haben, ist die Verbindung völlig unerheblich. Unsere Intention war es, einen Traum zu beschreiben.“ Also den Traum, den man leben könnte, wenn man sich eine Miete von 2900 bis 4900 Euro im Monat leisten kann.
Gegenüber dem Presserat wies Ditz darauf hin, dass der Artikel in einer Serie rund um das Thema Wohnen erschienen sei. Darin gehe es eben unter anderem „auch darum, wie luxuriös Menschen rund um Lübeck leben oder leben könnten“. Sicher ist es wichtig, dass Lokalmedien Themen wie Wohnungsmangel, Wohnungsbau oder Mietpreise aufgreifen. Wenn sie darüber hinaus meinen, ihren Lesern auch eskapistische Bedürfnisse erfüllen zu müssen, indem sie ihnen luxuriöse Superbuden präsentieren: Die Artikel sollten erstens nicht klingen wie ein Makler-Exposé. Zweitens sollte man Teile der allzu schnöden Realität – in diesem Fall die berufliche Verbandelung zweier Protagonisten – nicht ausblenden.
Ähnlicher Fall bei der „Dorstener Zeitung“
Der Presserat hat bisher in einer Mitteilung nur eine Kurzfassung der aktuellen Entscheidung zu dem Artikel über die Lübecker Luxuswohnungen veröffentlicht – und noch keine ausführliche Begründung. Er dürfte aber ähnlich argumentieren wie bei einer vergleichbaren Rüge, die er im vergangenen Jahr gegen einen Artikel der „Dorstener Zeitung“ ausgesprochen hatte. Der trug die auf eine Maklerin gemünzte Überschrift „Rosemarie Franzen zeigt freistehendes Haus für 449.000 Euro“ (Aktenzeichen: 0198/23/3-BA). Auch dieser Artikel war Teil einer Serie und garniert mit Formulierungen, die nicht gerade nach redaktioneller Berichterstattung klingen („Der große Kaminofen ist das Highlight des Wohnzimmers“, „Platz für Gartengeräte und Werkzeug gibt es in einem zusätzlichen Geräteraum“).
Einen „nachvollziehbaren Grund“ für den Artikel, zum Beispiel „ein Alleinstellungsmerkmal“ des angepriesenen Gebäudes, erkannte der Presserat nicht. Von einem „begründeten öffentlichen Interesse“ könne nicht die Rede sein. Der Artikel transportiere „eindeutig die werblichen Interessen des konkreten Anbieters, ist also Schleichwerbung“.
Die „Dorstener Zeitung“ veröffentlichte die Rüge an relativ prominenter Stelle auf Seite 2 einer Samstagsausgabe und gab zu, „die Trennung von Redaktion und Werbung“ sei „in diesem Fall nicht gelungen“. Ähnlich wie LN-Chefredakteur Ditz hob die Zeitung die Bedeutung der Serie hervor, in der der inkriminierte Beitrag erschienen war: „Das Kundeninteresse“ an solchen Beiträgen sei hoch. „Überdurchschnittliche Lesequoten belegen ein großes öffentliche Interesse am Immobilienmarkt.“
Wie man dieses „überdurchschnittliche Interesse“ bedient, ohne in presseethisch trübe Gewässer zu kommen – dafür könnten Lokalredaktionen nach der aktuellen Entscheidung in Sachen „Lübecker Nachrichten“ nun vielleicht noch besser sensibilisiert sein.
Der Autor
René Martens ist seit vielen Jahren Medienjournalist, er berichtet für verschiedene Verlage und ist Mitautor der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Er gehört außerdem regelmäßig der Nominierungskommission des Grimme-Preises in der Kategorie Information & Kultur an und hat diverse Bücher über den FC St. Pauli verfasst.
Das scheint, besonders bei Lokalredaktionen, schon normal zu sein. Hier ein neues Beispiel, wie für eine Immobilie, das zu den Firmen des Verlages gehört, geworben wird.
https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/hier-entsteht-etwas-grosses-tolles-neues-erster-mieter-im-lensing-media-port-im-hafen-dortmund-w943446-2001395002/