Erregung und Ärgernis (3)

Elon Musk ist kein „Genie“, sondern ein charakterloser Wirrkopf mit viel Geld

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Elon Musk, daneben: Geldscheine in einer Gedankenblase.
Screenshot: Imago MediaPunch / Montage: Ü

Das Erzählen von Geschichten greift fast immer auf Klischees zurück. Das gilt für Romane oder Filme genauso wie für journalistische Texte. Konventionelle Formeln, abgegriffene Bilder, ausgeleierte Sprachspiele – all das gehört zum Inventar professioneller Erzähler:innen, gerade dann, wenn sie schnell und oft liefern müssen.

Eine Formel, die in journalistischen Formaten  gerne verwendet wird, ist „Genie und Wahnsinn“. Gemeint ist damit, dass jemand – meist eine Person des öffentlichen Lebens – gleichermaßen begabt und irritierend ist, segensreich und zerstörerisch. Die Formulierung ruft starke Bilder einer überlebensgroßen, faszinierenden Figur auf, von der es sich zu erzählen lohnt.

Überall wahnsinnige Genies

Wie ein Blick in die Zeitungsarchive zeigt, schwanken zahllose Figuren zwischen Genie und Wahnsinn: vom instabilen Rap-Star, über problematische Fußballtrainer bis hin zu Rennpferden mit komplexer Persönlichkeit. Zur Zeit scheinen davon vor allem Sportler betroffen zu sein: Der gerade verstorbene Christoph Daum, der Fußballer Eric Dina Ebimbe oder der Tennis-Rüpel Nick Kyrgios.

Die Formel wird allerdings nicht nur auf Sportler angewendet, sondern auch auf mittelbekannte deutsche Politiker. Über den Bundestagesabgeordneten Thomas Heilmann heißt es in einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“, in der Union gelte der 58-Jährige als jemand, „bei dem Genie und Wahnsinn recht nah beieinander liegen.“ So erweist sich das öffentliche Leben in Deutschland als ein Hort der irrsinnigen Hochbegabung.

Man kann (und muss) sich die Frage stellen, ob das überhaupt ein Problem ist. Hämisches Nachzählen von Klischees ist keine besonders originelle Form der Sprachkritik. Journalistische Texte sind nicht für die Ewigkeit geschrieben und manchmal ist eine griffige Formel, die schnell eine bestimmte emotionale und moralische Konstellation aufruft, das richtige Rezept – zumal es im Fall von Tennis-Rüpeln oder genialen Rennpferden harmlos ist und sogar lustig sein kann. Problematisch wird die Formel allerdings dort, wo sie dazu dient, gewalttätiges oder toxisches Verhalten zu legitimieren, wo sie ein erzählerisches Muster reproduziert, das nicht nur falsch, sondern auch schädlich ist, weil es die Macht der Figuren stärkt, die man eigentlich kritisieren wollte.

Und damit kommen wir leider erneut zu Elon Musk. Mitte September veröffentliche die „Zeit“ unter dem Titel „Genie und Wahnsinn“ einen Artikel über die neuesten Ausfälle des Tesla-Chefs, der seit einiger Zeit vor allem durch sein Abdriften in extrem rechte politische Positionen auf sich aufmerksam macht. Der Tenor des Textes deutet sich im Teaser an:

„Ob Raumfahrt oder Elektroautos – Elon Musk verbessert die Welt. Gleichzeitig verdirbt er sie mit Twitter und Fake-News. Wie umgehen mit seiner Allgegenwart?“

Die Zeit über Elon Musk: Genie und Wahnsinn
Ausriss: „Zeit“ (Ausgabe 39/2024)

Die Elemente der Erzählung sind geläufig: Einerseits verbes…

6 Kommentare

  1. Musk hat ja nicht selbst etwas erfunden. Er ist durch Familie, Beziehungen und Glück zu Geld gekommen und hat dieses sicher mitunter gut angelegt, aber seine Firmen auch immer mit ihm bestraft (Tesla hatte ja ein ganzes Team, um mit ihm umzugehen). Er verspricht viel und hält wenig, aber weil seine Versprechungen wie SciFi klingen, schillert es eben. Er ist ein furchtbarer Anführer.

  2. Wo wir schon bei totgerittenen Phrasen sind: „Toxisch“ ist auch eine. Eine schlechte Abstraktion, die behauptet, eine Diagnose zu sein. Da finde ich „charakterloser Wirrkopf“ doch viel erfrischender.

  3. Danke – das beleuchtet gut, warum der „charakterlose Wirrkopf “ so viele Fans auch bei den Journalist:nnen hat.

    Wo bleiben nun die Belege dafür, dass Musk nur wenig geleistet hat?
    (Der Guardian-Artikel belegt einen Tag und weiteres Hassen, Lügen und Pöbeleien sind belegt, jedoch sehe ich keinen Verweis auf eine nüchterne Betrachtung der Leistungen des Mannes.)

  4. Der Text behauptet, dass andere Medien falsch mit ihrer Darstellung von Musk als eine Mischung aus „sehr schlau“ und „Arschgeige“ liegen, und man das „sehr schlau“ streichen sollte, da Musk nicht besonders intelligent sei. Er liefert aber vor allem Belege, dass die Zuschreibung „Arschgeige“ richtig ist. Der einzige Satz der halbwegs versucht zu erklären, warum Musk nicht „sehr schlau“ ist, sagt, dass er privilegiert ist, sowie Glück und eine nicht originelle Idee hatte. Das spricht aber nicht gegen die Zuschreibung „sehr schlau“.

    Der Text ist entsprechend nur ein Vorwurf gegenüberstellen anderen Journalist:innen, welcher überhaupt nicht belegt wird. Das finde ich ein bisschen schwach für einen Übermedien-Beitrag.

  5. Endlich mal einen solchen Artikel über Musk!

    Was fehlt hier, ist, dass der Typ, wie seine „Kumpels“ Bezos und Zuckerberg, viel Sciencefiction liest. Ihr „Genie“ liegt auch daran, die schlimmsten Ideen aus SF Bücher zu recyclen und zu versuchen, sie zu verwirklichen, ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen und den Planet (sowieso egal: die Reichsten davon können notfalls zum Mars fliehen). Was leider beim unkritischen technophilen Publikum gut ankommt. Das ist in dem Sinn ironisch, Musk als Weltverbesserer zu betrachten.

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