Interviewte nicht korrekt aufgeklärt?

Medienaufsicht beanstandet „Nius“-Beitrag über Flüchtlinge

Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hat einen Beitrag des rechten Krawall-Mediums „Nius“ formell beanstandet. Das bestätigte die Aufsichtsbehörde auf Anfrage von Übermedien. Der Artikel „‚Danke, Deutschland!‘ Wir haben uns die Zähne machen lassen“ verstoße gegen Paragraph 19 des Medienstaatsvertrags, der Online-Medien zur „Sorgfalt“ und zur Einhaltung „journalistischer Grundsätze“ verpflichtet. Die Firma VIUS, die „Nius“ herausgibt, muss eine Verwaltungsgebühr von 5000 Euro zahlen.

Foto lachender Männer und "Nuis"-Schlagzeile: "Danke, Deutschland!" Wir haben uns die Zähne machen lassen
Unkenntlichmachung von uns Screenshot: Nius.de

In dem Artikel zeigt „Nius“ mehrere Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft, die sagen, dass sie in Deutschland beim Zahnarzt waren. „Nius“ produzierte dazu eine Kachel, in der drei Asylbewerber zu sehen sind, wie sie ihre Zähne in die Kamera halten, mit der Zeile: „‚Danke, Deutschland!‘ Wir haben uns die Zähne machen lassen“. Aufhänger war eine Äußerung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der von Hunderttausenden Asylbewerbern geredet hatte, „die beim Arzt sitzen und sich die Zähne neu machen lassen“. (Übermedien berichtete.)

Nach Informationen von Übermedien soll vor allem beanstandet worden sein, dass die Interviewten offenbar nicht ordnungsgemäß aufgeklärt wurden, mit wem sie redeten und wofür ihre Aussagen verwendet werden sollten. Anscheinend hatte die Landesmedienanstalt Zweifel, ob eine für die Veröffentlichung notwendige Einwilligung vorlag. Einer der Interviewten war sogar minderjährig. Die MABB wollte den Grund der Beanstandung gegenüber „Übermedien“ nicht bestätigen. Auch „Nius“ ließ die Frage danach unbeantwortet.

Weitere Beschwerden werden noch geprüft

Seit 2020 gibt es im Medienstaatsvertrag die Vorschrift, mit der gegen Desinformation in Online-Medien vorgegangen werden soll. Bürger können sich über mögliche Verstöße beschweren; die Landesmedienanstalten können aber auch aus eigener Initiative tätig werden – das war hier der Fall. Die MABB prüft derweil noch weitere Beschwerden gegen das Online-Medium, das vom ehemaligen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt verantwortet wird.

Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Landesmedienanstalten hat der Maßnahme gegen „Nius“ zugestimmt. Das ist die Voraussetzung für eine solche Beanstandung. „Die förmliche Feststellung, dass es sich um ein rechtswidriges Verhalten handelt, ist das mildeste Mittel“, erklärte MABB-Direktorin Eva Flecken. „Die Untersagung einzelner Inhalte ist der nächste Schritt. Die Sperrung eines kompletten Angebotes ist für uns nur die Ultima Ratio. Es handelt sich ja um den grundrechtssensiblen Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit.“

„Nius“ hat gegenüber „Übermedien“ angegeben, rechtlich gegen die Beanstandung vorzugehen: „Wir haben bereits am 03.09.2024 beim Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen den Bescheid erhoben, mit der wir u.a. die fehlende Ermächtigungsgrundlage, durchgreifende Verfahrensverstöße und Verletzungen der Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs und schließlich eine grundrechtswidrige Diskriminierung rügen“, schreibt Managing Editor Philippe Fischer auf Anfrage.

Grundsätzlich geht einer Beanstandung ein Hinweisschreiben samt mehrwöchiger Frist zur Stellungnahme voraus. Wird anschließend ein förmliches Verfahren eröffnet, hört die Landesmedienanstalt das betreffende Medium erneut an. Dieses hat dann auch die Möglichkeit, Änderungen an den Artikeln vorzunehmen. Erst wenn die Landesmedienanstalt den Fall dann noch weiter verfolgen möchte, wird er in der ZAK beraten.

Der Vorgang könnte aber tatsächlich nun zur Klarheit beitragen, inwieweit der Paragraph 19 und seine Anwendung rechtskonform sind – bislang gab es keine juristischen Auseinandersetzungen darüber. Dass es heikel ist, wenn die Inhalte journalistischer Medien von Behörden auf Kriterien wie „journalistische Sorgfalt“ überprüft werden, liegt auf der Hand. Ein solches Verfahren könnte aber Jahre dauern.

Ein Bußgeld ist bei den Verfahren nach Paragraph 19 nicht vorgesehen: Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass dadurch eine abschreckende Wirkung entsteht. Die Behörden machen aber Verwaltungsgebühren in unterschiedlicher Höhe geltend. Die Beanstandung hat darüber hinaus keine Folgen; der entsprechende Inhalt muss auch nicht entfernt werden.

Die MABB informiert auch, anders als zum Beispiel der Presserat, nicht immer von sich aus die Öffentlichkeit über solche Beschlüsse, sondern gibt nur auf Nachfrage Auskunft. Trotzdem meint die MABB-Direktorin Flecken, dass solche Beanstandungen nicht wirkungslos seien. „Das Erscheinen des Försters auf der Lichtung zeigt durchaus Wirkung“, sagte sie. „Welches Medium und welcher Eigentümer eines Mediums hat schon Interesse daran, häufiger gelbe Briefe von der Aufsichtsbehörde zu bekommen?“

2 Kommentare

  1. „Seit 2000 gibt es im Medienstaatsvertrag die Vorschrift, mit der gegen Desinformation in Online-Medien vorgegangen werden soll.“

    Kann es sein, dass hier 2020 gemeint ist?

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.