Streit um Musikrechte

Wie der NDR es Rammstein ermöglichte, gegen seinen Rammstein-Podcast vorzugehen

Podcast-Cover RAMMSTEIN ROWZERO
NDR-Rammstein-Podcast, gerade nicht verfügbar Screenshot: NDR

Es ist eine naheliegende Idee: einen kritischen Podcast über Rammstein mit viel Musik von Rammstein unterlegen. Es ist aber auch eine heikle Idee, wie der NDR gerade erleben muss: Denn die Band ist juristisch gegen die Art, wie ihre Musik verwendet wird, vorgegangen – mit dem Ergebnis, dass der Podcast gerade offline ist und aufwändig neu geschnitten werden muss.

Für die Band war das offenbar ein Weg, einem für sie unangenehmen journalistischen Projekt das Leben schwer zu machen. Der Fall wirft aber auch grundlegende juristische Fragen über den Gebrauch von Musik in Podcasts auf. Die ARD hat intern bereits reagiert.

Nachtrag, 5. Juli: Der Podcast ist jetzt in veränderter Form wieder online.


Mitte Mai hat der NDR den Podcast „Rammstein – Row Zero“ veröffentlicht. Die Kritiken waren gut: Die „taz“ fand die Erzählungen der Frauen darin „auch nach einem Jahr voller Berichterstattung über Rammstein noch schockierend“. Die FAZ schrieb, der Podcast veranlasse „zum Nachdenken über moralische Grenzen in unserer Gesellschaft“. Mit der Resonanz des Publikums konnten die Macher*innen auch zufrieden sein. Der Podcast befinde sich „auf Erfolgskurs“, hieß es in der Sendung „NDR info im Dialog“, in der die Produktion am 7. Juni vorgestellt wurde, es habe „schon mehr als eine Million Abrufe“ gegeben.

Seit dem 24. Juni kann der Podcast allerdings keine schockierende und nachdenkliche Wirkung entfalten oder irgendwelche Charts erobern: Der NDR hat ihn aus der Audiothek entfernt. „Vorsorglich“, wie es heißt. Hintergrund ist ein Rechtsstreit, der seit dem 30. Mai bei der Urheberrechtskammer des Landgerichts Hamburg anhängig ist (Az. 310 O 142/24).

Der Podcast ist vorsorglich offline, um die ordnungsgemäße Nutzung der darin verwendeten Musik zu klären. Wir arbeiten bereits an den urheberrechtlichen Fragen in Bezug auf die Musik im Podcast und sind sicher, den Podcast hier bald wieder bereitzustellen.
Hinweis auf der NDR-Seite des Podcasts

Die Mitglieder der Band hatten moniert, dass die Nutzung von Ausschnitten ihrer Songs ihre Rechte verletze und den Sender abmahnen lassen. Der NDR habe diese Ansprüche „zunächst nach vorläufiger Prüfung zurückgewiesen“, schreibt eine NDR-Sprecherin auf Anfrage von Übermedien. Daraufhin habe die Band beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung beantragt.

Anstatt dagegen vorzugehen, stellte der NDR den Podcast offline und gab am 27. Juni eine Unterlassungserklärung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ ab. Man habe das Verfahren beenden wollen, sagte der Sender, um „den Podcast, mit gleichem Inhalt, nur überarbeitet an den entsprechenden musikalischen Passagen, schnellstmöglich wieder verfügbar zu machen“.

„Inhalt wichtiger als Rechtsstreit“

Warum sich der Sender entschieden hat, begründet die Sprecherin so: „Da dem NDR der Inhalt des Podcasts, also der Berichtsgegenstand und die zugrundeliegende investigative Recherche, wichtiger ist als ein jahrelanger Rechtsstreit über urheberrechtliche Fragen, hat der NDR nach nochmaliger Prüfung entschieden, in der Sache nicht zu streiten.“

Das klingt nach einer ehrenwerten Begründung: Die Geschichten der Frauen über das System Rammstein sind wichtiger als ein Streit auf einem Nebenschauplatz.

Es kann aber auch andere Gründe geben, eine Unterlassungserklärung abzugeben: etwa, wenn man sich rechtlich auf verlorenem Posten wähnt und nicht riskieren will, dass eine Gerichtsentscheidung negativ ausfällt. Eine Niederlage vor Gericht wäre vermutlich von der Band und ihren Fans als ein weiterer PR-Sieg gefeiert und ausgeschlachtet worden – obwohl es gar keine Auseinandersetzung um Inhalte ist. Gleichzeitig könnte eine Niederlage einen Präzedenzfall auch für andere Verwendungen von Musik darstellen. Auch diese Klärung versucht der NDR möglicherweise durch seinen Rückzieher zu vermeiden.

„Legal Tribune Online“ (LTO) berichtet, dass das Gericht vorab einen eindeutigen Hinweis gegeben habe, dass es in der Sache gegen den NDR entscheiden würde.

Pauschalvertrag mit der Gema

Die Nutzung von Musik ist bei ARD und ZDF über jeweils einen Gesamtvertrag mit der Verwertungsgesellschaft Gema geregelt. Alexandra Köth und Frauke Pieper, die in ihrer Eigenschaft als Juristische Direktorinnen des SWR derzeit auch die Juristische Kommission der ARD leiten, sagen, dass dieser Pauschalvertrag „alle Rechte enthält, die die ARD für ihre audiovisuellen und Audioinhalte benötigt.“ Das hieße: Auch die Verwendung von Musik in Podcasts ist damit erlaubt.

Bei der Podcast-Reihe „Rammstein Row Zero“ gehe es aber darum, so die Justiziarinnen, dass „die Band urheberpersönlichkeitsrechtliche Belange tangiert sieht“, sagen die beiden SWR-Justiziarinnen.

Urheberpersönlichkeitsrechte können von einer Verwertungsgesellschaft wie der Gema nicht wahrgenommen werden. Sie verbleiben beim Künstler – auch wenn er seine anderen Verwertungsrechte an die Gema übertragen hat. Zu ihren gehört, wie es im Gesetz heißt, das Recht, „eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.“

Das heißt nicht, dass ein Künstler auf dieser Basis immer intervenieren kann, wenn er sich mit seinen Werken in einem von ihm als negativ empfundenen Kontext wiederfindet. Verreißt jemand zum Beispiel in einem musikjournalistischen Podcast eine Platte und verwendet als Belege im Rahmen des Zitatrechts Ausschnitte daraus, hilft dem Künstler das Urheberpersönlichkeitsrecht dagegen nicht, sagt der auf Urheber- und Medienrecht spezialisierte Anwalt Thorsten Feldmann.

Wenn die Musik zur Untermalung benutzt wird

Das Problem beim Rammstein-Podcast in seiner ersten, jetzt gelöschten Fassung aber ist, dass er die Musik nicht nur als Beleg verwendet hat, sondern auch zur Untermalung und in einer Form, die juristisch möglicherweise als „Bearbeitung“ des Werkes gilt – für die man die Zustimmung des Urhebers brauchen würde.

Die Musik der Band dient teilweise zum Unterlegen des Kommentars, steht manchmal aber auch frei. Radiohörern ist so etwas vertraut: In einem Audiobeitrag über eine Band oder ein Genre hört man zunächst vier, fünf Sekunden lang einen Ausschnitt aus einem Musikstück, bevor der journalistische Kommentar einsetzt. Wenn ein Beitrag so gebaut ist, ist der Flow viel besser, als wenn Sprechertext und Songs getrennt sind.

LTO berichtet, dass die Art, wie im NDR-Podcast Rammstein-Songs als Hintergrundmusik für Gespräche verwendet wurde, nach Ansicht des Gerichts aber auch einen stärkeren Eingriff darstellte als dieses Radio-übliche Ein- und Ausblenden. Zudem habe der NDR nicht korrekt die Quellen genannt, was nötig wäre, wenn das Zitatrecht greifen soll.

„Bitte alle Redaktionen sensibilisieren!“

Der Rammstein-Podcast-Fall beschäftigt nun nicht nur eine Handvoll Juristen in Hamburg, sondern offenbar auch nahezu sämtliche Rechtsgelehrten der ARD. „Die Justiziariate sind informiert worden, mit der Bitte in Bezug auf die Verwendung von Musiken in Podcasts noch mal alle Redaktionen zu sensibilisieren“, heißt es in einem ARD-internen Briefing, das Übermedien vorliegt. Es ist eine Mischung aus Zerknirschtheit und leichter Panik. „Für den Bereich Hörfunk/Audio ist nunmehr in Frage gestellt worden, ob und wann die Verbindung von Musik mit Text in gebauten Hörfunkbeiträgen eine Bearbeitung darstellt, bei der zusätzliche Rechte geklärt werden müssten“, konstatieren die Autoren des Papiers.

So wie in der offline genommenen Rammstein-Podcast-Version werde Musik „in vielen Audioproduktionen genutzt, bislang ohne Beanstandung der Rechteeinhaber“, heißt es in der an alle öffentlich-rechtlichen Podcast-Praktiker übermittelten Anweisung. Darin klingt aber auch an, dass es ein Fehler gewesen sein könnte, die Musik im Rammstein-Podcast „an einigen Stellen auch als Stilmittel“ einzusetzen. Wie auch immer: Der „auslösende Fall“ sei „ein absoluter Einzelfall“.

Deutlich spürbar ist in dem internem Dokument allemal die Befürchtung, dass der „auslösende Fall“ noch mehr auslöst. Man müsse „vermeiden, dass das Urheberrecht als Zensururheberrecht von den Musikrechteinhabern genutzt wird“. Die Empfehlung des Briefings lautet daher, „in diesen Formaten Musik über das Zitatrecht einzusetzen oder Produktionsmusik zu verwenden“. Das heißt: Ausschnitte nur zu verwenden, wenn man sich im Text ausdrücklich mit ihnen beschäftigt, und sonst Musik zu verwenden, die eigens für die Verwendung im Podcast produziert wurde.

Die SZ hat es besser gemacht

In Sachen Rammstein-Musik herrscht bereits jetzt die höchste Alarmstufe: Die Autoren der Anweisung „empfehlen“, sie „in gebauten Beiträgen zukünftig nur im Rahmen der urheberrechtlichen Schranken (Zitatrecht, Berichterstattung über Tagesereignisse) zu verwenden“.

Bis zu welchem Umfang können sich Podcast-Macher aufs Zitatrecht berufen? Es komme dabei nicht auf die Länge eines Ausschnitts an, sondern ob das Zitat der Auseinandersetzung mit dem Werk dient und der Ausschnitt einen angemessenen Umfang hat, sagt Experte Feldmann. In „Feuerzone. Das System Rammstein und der Machtmissbrauch in der Musik“, dem am 1. Juni gestarteten siebenteiligen Podcast der „Süddeutschen Zeitung“, sei das gelungen, meint Feldmann. Diese Produktion enthält zwar relativ viel Musik von Rammstein, sie ist aber mehr als nur Schmuckwerk, sie wird auch analysiert.

Die Musiknutzung in Podcasts sei generell ein „hochgefährliches und diffiziles Gebiet“, weil viele Teilrechte beachtet werden müssten, sagt Thorsten Feldmann.

Es geht noch ums Geld

Der Rammstein-Podcast-Fall ist mit der Abgabe der Unterlassungserklärung noch nicht unbedingt „beendet“, wie der NDR behauptet. Vor einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg müssen erst noch umfangreiche Fristen zur Stellungnahme abgewartet werden, wie eine Sprecherin des Gerichts erklärt. Rammstein als Kläger müssen die Unterlassungserklärung des NDR erst einmal akzeptieren. Dann tauschen beide Seiten in aller Regel sogenannte Erledigungserklärungen aus. Und schließlich geht es auch noch ums Geld.

“Wenn nicht eine der Seiten erklärt, die Kosten des Rechtsstreits zu übernehmen, muss am Ende die Kammer darüber entscheiden“, sagt Thorsten Feldmann. „Die Kostenentscheidung folgt dann meistens den Erfolgsaussichten.“ Die Frage, wer gewonnen hätte, wenn die Kammer ein Urteil hätte fällen müssen, ist also auch auf dieser Ebene relevant.

Sollte die Rammstein-Seite Schadensersatzansprüche geltend machen wollen, wäre ein weiteres Gerichtsverfahren notwendig. Darüber wird grundsätzlich nicht in einem vorläufigen Verfahren wie dem um eine einstweilige Verfügung entschieden, sondern nur in einem Hauptsacheverfahren. Die Anwaltskanzlei der Band äußerte sich auf Übermedien-Anfrage nicht.

Offenlegung: Thorsten Feldmann hat Übermedien mehrmals anwaltlich vertreten.

2 Kommentare

  1. Offtopic zum Podcast-inhalt, falls jemand mit dem Gedanken spielt reinzuhören: ich hatte mit meiner Frau versucht den Podcast zu hören. Die geschilderten Inhalte einer Protagonistin war für uns beide zu krass und ekelhaft und wir haben relativ schnell ausgemacht. Auf der Tonspur gab es vorher definitiv keine Contenwarning.

  2. Ich hab den Podcast nicht gehört, aber es scheint, als wäre der NDR ein Opfer eines eigenen Storytelling-Versuchs geworden.

    Grundsätzlich gesprochen: Ich will nicht, dass Podcasts, Zeitungsartikel, Dokus etc. versuchen, mich zu emotionalisieren. Je nüchterner, desto besser. D.h. insbesondere: keine emotionalisierende Musik. Wenn das nicht reicht, um mich mitzunehmen, dann liegt das an mangelndem Inhalt. Das mit Emotionen übertünchen zu wollen, halte ich für falsch.

    Die Musikrechte-Thematik ist dann nur ein weiteres Argument gegen solche Versuche.

    Zumal im vorliegenden Fall die Vorwürfe grausig genug sind und auch ohne Musikuntermalung für sich sprechen sollten. (Auch wenn ich den Podcast nicht gehört habe, habe ich mich doch etwas damit auseinander gesetzt.) Das lässt sowieso nur Leute kalt, die die strafrechtlich relevanten Vorwürfe für ausnahmslos gelogen halten und die in dem (nicht verbotenen) Casting-System kein großes Problem sehen.

    Jetzt konkret auf diesen Podcast bezogen: Nachdem sich der NDR schon angreifbar gemacht hat, sehe ich das wie die LTO und halte es für dumm, dass nicht auszuprozessieren,. Die Argumentation des LG Hamburg mutet durchaus speziell an…

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