Community Management

Macht der Kommentar-Hölle auf öffentlich-rechtlichen Kanälen ein Ende!

Exklusiv für Übonnenten

Es gibt Hobbies, von denen man gerne erzählt, weil sie einen interessant oder klug oder sportlich machen. Stundenlang durch Social Media und Kommentarspalten scrollen gehört nicht dazu. Dabei ist ja gar nicht alles Quatsch, was einem da so über den Weg läuft. Kürzlich habe ich auf Instagram zum Beispiel ein Video von FDP-Finanzminister Christian Lindner entdeckt, in dem er sehr holpriges Englisch spricht, und die Kommentare darunter waren wirklich Gold: kurze Witze, die sich dezidierter mit Lindners Wirtschaftspolitik auseinandersetzten als jede Lanz-Sendung. Mindestens zehn Minuten lang habe ich also über die Kommentarspalte gebeugt dagesessen und gekichert. Und ich würde rückblickend wirklich nicht sagen, dass das Zeitverschwendung war.

Zwischen Outfit-Fotos, Urlaubsbildern alter Schulfreund:innen und Kochvideos, die man allesamt abspeichert in der Überzeugung, man würde das Spargel-Risotto bald mal nachmachen, begegnen einem auf Plattformen wie Instagram oder TikTok viele gesellschaftspolitische Inhalte. Dass auch etablierte Medien sich dort aufhalten, ist deshalb nachvollziehbar und zeitgemäß. Es produziert aber auch journalistische Herausforderungen, denen klassische Ausspielwege wie Radio und Fernsehen so nicht unterlagen – und merkwürdige Szenen.

Mitlachen über den Naziwitz

Zum Beispiel diese: Ein User kommentiert unter dem Instagram-Beitrag eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenaccounts mit einem NS-Wortspiel: „Wehrmacht denn sowas?“ Die Redaktion antwortet darauf mit „I see what you did there“ und einem lachenden Emoji. Ist das locker und nahbar, weil Naziwitze nun mal auf Social Media kursieren und da will man nicht allzu verklemmt auftreten, die Zielgruppe nicht verprellen? Oder ist es geschmacklos, deplatziert und eigentlich ein Abmahnungsgrund für den oder die verantwortliche Community Manager:in?

Wenn Sie mich persönlich fragen: Letzteres. Wenn Sie mich als Journalistin fragen, die selbst Community Management für verschiedene öffentlich-rechtliche Angebote auf Social-Media-Plattformen gemacht hat, würde ich sagen: Es ist vor allem repräsentativ für ein vielschichtiges Problem.

Große Planlosigkeit in Reaktionen

Viele, vor allem öffentlich-rechtliche Social-Media-Redaktionen scheinen keinen konkreten Fahrplan zu haben, wie sie die Debattenräume, die sie mit ihren Kommentarspalten aufmachen, eigentlich bespielen wollen. In einer der Redaktionen, in der ich in diesem Bereich tätig war, hingen ausgedruckte Memes an der Wand, ein Großteil davon mit dem humoristischen Tenor: beim Community Management brennt’s eigentlich immer, es ist die Hölle, Kommentare moderieren ist Horror.

Ein Grund dafür ist die Funktionslogik von Social-Media-Plattformen. Ein News-Kanal auf TikTok oder Instagram ist deutlich interaktiver als eine gedruckte FAZ auf dem Küchentisch oder eine Dreiviertelstunde „Monitor“ in der ARD. Noch bevor ein Video vorbei oder ein Post gelesen ist, können User:innen reagieren, liken, teilen, kommentieren. Welche Accounts wie viel interagieren, ist entscheidend dafür, bei wem und wie häufig die Beiträge dann ausgespielt werden. Anders formuliert: Algorit…

13 Kommentare

  1. Guter Beitrag!
    Ich persönlich finde es gut, dass bei der Tagesschau auf YT die Kommentarfunktion deaktiviert ist. Unter so vielen Beiträgen vom ÖRR wird nur geschimpft und beleidigt, was ich völlig deplatziert finde.
    Kann aber nachvollziehen, dass man die Regeln des Algorithmus befolgen will um Reichweite zu generieren. Bin mir aber nicht sicher, ob das der Anspruch des ÖRR sein sollte.

  2. Als „Nurleser(in)“ (also Nichtjournalist(in)) könnte man sich ja von diesem Mist fernhalten. (Es gibt Freunde/Freundinnen, die mich fragen, warum liest du das überhaupt).
    Aber ich schaffe es einfach nicht (so hoffnungslos es oft ist), diesen katastrophalen Äußerungen nicht etwas entgegen zu setzen. Es macht mich fassungslos, was heutzutage alles als „freie Meinungsäußerung“ reklamiert wird (und dann auch noch von Leuten, die sich Verhältnisse/Regierungen wünschen, die keinerlei freie Meinungsäußerung zulassen).
    Danke für diesen Text.

  3. Sehr richtiger und wichtiger Beitrag. Keine Widerworte akzeptieren können oder Richtlinien in Foren ist das Verhalten von Kleinkindern. Und von denen gibt es im Erwachsenenkörper heute erschreckend viele. Zugleich fehlen im Netz die soziale Kontrolle und die Konsequenzen. Das führt dann wirklich in die hier beschriebene Hölle.
    Im Übrigen finde ich, dass die öffentlich-rechtlichen Medien viel zu schwach sind. Die sollten mal den Bürgern den Spiegel vorhalten und nicht nur der Politik. Dieser Aufgabe kommen sie nicht mehr nach. Andere Medien aber auch nicht genug. „Der Bürger“ hat heute immer Recht, Schuld sind immer „die da oben“. Das ist eine Sackgasse. Die Deutschen arbeiten selbst fleißig mit am Stillstand, nölen gerne rum und führen sich gerne mal auf wie Prinzessinnen auf der Erbse. Hinzu kommt Kundenmentalität im Endstadium und gruseliges Anspruchsdenken. Man kauft sich nix durch Steuern und Gebühren, sondern man finanziert damit Eliten, die neue Wege vorschlagen (sollten). Dass die das auch nicht unbedingt gut machen, ist auch ein Problem. Aber wenn man lieber einen elefantösen Furz gegen die Grünen quersitzen hat und die Augen vor nötigen Veränderungen verschließt, anstatt mal gewisse Realitäten anzuerkennen, solchen Bürgern ist halt auch nicht zu helfen.

  4. Es ist immer eine gute Idee, die Realität verbieten zu wollen. Dann ist sie ja auch gleich eine andere.

  5. Vielleicht würde es ‚helfen’, direkt mit dem Posting einen Hinweis dazuzusetzen – so in der Art: „Die Kommentarfunktion ist für die nächsten fünf Stunden für eure Kommentare freigeschaltet. Danach wird sie geschlossen.“

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