Community Management

Macht der Kommentar-Hölle auf öffentlich-rechtlichen Kanälen ein Ende!

Es gibt Hobbies, von denen man gerne erzählt, weil sie einen interessant oder klug oder sportlich machen. Stundenlang durch Social Media und Kommentarspalten scrollen gehört nicht dazu. Dabei ist ja gar nicht alles Quatsch, was einem da so über den Weg läuft. Kürzlich habe ich auf Instagram zum Beispiel ein Video von FDP-Finanzminister Christian Lindner entdeckt, in dem er sehr holpriges Englisch spricht, und die Kommentare darunter waren wirklich Gold: kurze Witze, die sich dezidierter mit Lindners Wirtschaftspolitik auseinandersetzten als jede Lanz-Sendung. Mindestens zehn Minuten lang habe ich also über die Kommentarspalte gebeugt dagesessen und gekichert. Und ich würde rückblickend wirklich nicht sagen, dass das Zeitverschwendung war.

Zwischen Outfit-Fotos, Urlaubsbildern alter Schulfreund:innen und Kochvideos, die man allesamt abspeichert in der Überzeugung, man würde das Spargel-Risotto bald mal nachmachen, begegnen einem auf Plattformen wie Instagram oder TikTok viele gesellschaftspolitische Inhalte. Dass auch etablierte Medien sich dort aufhalten, ist deshalb nachvollziehbar und zeitgemäß. Es produziert aber auch journalistische Herausforderungen, denen klassische Ausspielwege wie Radio und Fernsehen so nicht unterlagen – und merkwürdige Szenen.

Mitlachen über den Naziwitz

Zum Beispiel diese: Ein User kommentiert unter dem Instagram-Beitrag eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenaccounts mit einem NS-Wortspiel: „Wehrmacht denn sowas?“ Die Redaktion antwortet darauf mit „I see what you did there“ und einem lachenden Emoji. Ist das locker und nahbar, weil Naziwitze nun mal auf Social Media kursieren und da will man nicht allzu verklemmt auftreten, die Zielgruppe nicht verprellen? Oder ist es geschmacklos, deplatziert und eigentlich ein Abmahnungsgrund für den oder die verantwortliche Community Manager:in?

Wenn Sie mich persönlich fragen: Letzteres. Wenn Sie mich als Journalistin fragen, die selbst Community Management für verschiedene öffentlich-rechtliche Angebote auf Social-Media-Plattformen gemacht hat, würde ich sagen: Es ist vor allem repräsentativ für ein vielschichtiges Problem.

Große Planlosigkeit in Reaktionen

Viele, vor allem öffentlich-rechtliche Social-Media-Redaktionen scheinen keinen konkreten Fahrplan zu haben, wie sie die Debattenräume, die sie mit ihren Kommentarspalten aufmachen, eigentlich bespielen wollen. In einer der Redaktionen, in der ich in diesem Bereich tätig war, hingen ausgedruckte Memes an der Wand, ein Großteil davon mit dem humoristischen Tenor: beim Community Management brennt’s eigentlich immer, es ist die Hölle, Kommentare moderieren ist Horror.

Ein Grund dafür ist die Funktionslogik von Social-Media-Plattformen. Ein News-Kanal auf TikTok oder Instagram ist deutlich interaktiver als eine gedruckte FAZ auf dem Küchentisch oder eine halbe Stunde* „Monitor“ in der ARD. Noch bevor ein Video vorbei oder ein Post gelesen ist, können User:innen reagieren, liken, teilen, kommentieren. Welche Accounts wie viel interagieren, ist entscheidend dafür, bei wem und wie häufig die Beiträge dann ausgespielt werden. Anders formuliert: Algorithmen belohnen viel Interaktion, und in den Kreisen, in denen ein Beitrag auf besonders viel Reaktion zu stoßen scheint, wird er vermehrt angezeigt.

Das habe ich bei der Betreuung von Beiträgen immer wieder beobachten können: in den ersten Minuten nach Veröffentlichung ein paar Sexbots löschen, dann auf ein paar erste inhaltliche Kommentare reagieren, dann passiert vielleicht auch länger nicht viel. Aber wenn zunehmend empörte Kommentare aus einer bestimmten Richtung reinkommen, ist förmlich spürbar, wie der Beitrag plötzlich rapide an Reichweite in bestimmten Communities gewinnt und immer mehr Gleichgesinnte anzieht.

In Netiquetten ist meist schwammig festgehalten, dass Kommentarspalten ein respektvoller Raum des Austauschs sein sollen und deshalb keine justiziablen Äußerungen wie Beleidigungen oder Gewaltaufrufe erlaubt sind. Das Problem sind aber selten solche Kommentare, die offen gewaltandrohend oder diskriminierend sind. Mord- und Gewaltdrohungen, Beleidigungen oder Kommentare wie „Ich hasse Minderheit XY – klar müssen die weg. Was aber, wenn eine Kommentarspalte subtiler hasserfüllt ist und gerade durch die Dynamik der Masse kippt?

Nicht verboten, trotzdem Hass

Aus soziologischer Sicht ist das nicht überraschend. Es gibt Phänomene, die sich nicht nur aus den einzelnen individuellen Handlungen erklären lassen, weil sie mehr als die Summe ihrer Teile sind. Wenn ich als Einzelperson in einem bestuhlten Saal hinten aufstehe, kann ich besser sehen. Daraus abzuleiten, dass man grundsätzlich besser sieht, wenn man aufsteht, wäre falsch. Denn wenn alle aufstehen, gilt das nicht mehr. Oder: Wenn Ihnen Ihre Kollegin auf dem Flur sagt, dass sie Sie nicht ausstehen kann, ist das deplaziert und nicht nett, den Betriebsrat würde das aber nicht auf den Plan rufen.  Wenn alle Ihre Kolleg*innen sich allerdings im Kreis um Sie herumstellen und Ihnen zusammen ungefragt sagen, dass sie Sie nicht ausstehen können, ist das Mobbing. Social-Media-Kanäle, bei denen Beiträge immer tiefer in Bubbles gespült werden, in denen viel reagiert wird, sind anfällig für diese Dynamiken.

Ein Beispiel: ein einminütiges Video über Angriffe und polizeiliche Repressionen gegenüber queeren Menschen bei einer verbotenen CSD-Parade in der Türkei. Unter dem Reel fast 2.000 Kommentare. Über 80 Prozent davon sind Aussagen wie „Erdogan ist ein Ehrenmann“, „Türkei <3 <3“, „will das in Deutschland auch“, „richtig so“. Der Netiquette zufolge muss keiner dieser Kommentare verborgen werden, im Einzelnen würde man wohl sagen, das ist zwar queerfeindlich, aber nicht verboten. In der Summe wird daraus trotzdem eine hasserfüllte, homophobe Kommentarspalte und es ist spürbar, dass der Beitrag zunehmend vor allem Konten angezeigt wird, die die gleiche Meinung dazu haben.

Screenshots von Instagram-Kommentaren
Kommentare auf einem öffentlich-rechtlichen Instagram-Account Screenshots: Instagram

Ich könnte eine Reihe anderer Beispiele nennen, ein Video über einen antisemitischen Angriff durch einen rechtsextremen Politiker in Polen zum Beispiel. Die Kommentare, die sich offen den Nationalsozialismus zurückwünschen oder klar formulieren, sie würden Juden hassen, sind in ihrer Masse zwar erschreckend, aber auch unstrittig: löschen, weg damit. Bei einer Flut von Kommentaren, die den antisemitischen Politiker zum „Ehrenmann“ adeln, ist das schwieriger. Inhaltlich ist es aber dasselbe: Antisemitismus.

Hauptsache viele Klicks?

Die Finanzierung vieler Social-Media-Teams bei öffentlich-rechtlichen Anstalten ist an steigende Reichweiten gekoppelt. Das führt dazu, dass Evaluationen und Feedbackrunden oft sehr zahlenorientiert sind. Sprich: Je mehr Leute ein Beitrag erreicht und je mehr damit interagiert wird, desto besser, weil die Jahresziele zum Beispiel vorschreiben, dass der Kanal bis zum Ende des Jahres x-tausend Follower:innen mehr haben muss, wenn alle ihren Job behalten wollen. Ein selbst gestecktes Ziel und somit ein hausgemachtes Problem. Besser wäre es, die Daseinsberechtigung eines Angebots an inhaltlichen Parametern zu messen.

Jedenfalls: Als Community Managerin ist es eine merkwürdige Gleichzeitigkeit, zu wissen, dass eine Kommentarflut gerade an eine politische Hetzkampagne grenzt und vor allem aus einer Community fern der eigentlichen Zielgruppe kommt, im Hintergrund aber zu hören, wie gefühlt die Sektkorken knallen, weil: „Hey, 2.000 Kommentare, das ist ja super, das Video zieht richtig an und kriegt immer mehr Reichweite.“

Natürlich wird das Video jetzt gut geklickt, denke ich dann. So funktionieren diese Plattformen. Aber ist es deshalb tatsächlich erfolgreich? War die journalistische Einordnung oder Aufarbeitung eines Themas deshalb wirklich besonders gut? Ich unterstelle Social-Media Redaktionen nicht, dass sie mit Hass und Diskriminierung Reichweite generieren wollen, sie tun es aber teilweise, weil es in der Natur der Plattformen liegt und sie sich dem vielfach nicht entschieden genug entgegenstellen.

Kommentarspalten bitte schneller schließen

Es gäbe für das Problem eine einfache erste Lösung: Wenn in einer Kommentarspalte unter einem Beitrag nicht mehr sachlich diskutiert wird, sollte sie geschlossen werden. Gerade öffentlich-rechtliche Accounts müssten hier deutlich konsequenter und mutiger sein. Meiner Erfahrung nach reagieren obere Hierarchie-Etagen auf die Forderung, Kommentarspalten zu schließen jedoch oft mit Entsetzen und einem klarem „Nein“. Ob ich nicht wisse, wie sehr der öffentlich-rechtliche Rundfunk dafür kritisiert werde, nicht genug Meinungsvielfalt zu zeigen, unliebsame Meinungen gar zu zensieren. Doch, doch, ich sag mal so, wenn man beruflich Internetkommentare liest, kommt man an dieser Erkenntnis schwer vorbei. Aber darum geht es gar nicht.

Woher kommt die Annahme, einen eigens geschaffenen Debattenraum unter bestimmten Umständen auch wieder zu schließen, könne etwas mit Zensur zu tun haben? Meinungsfreiheit ist das Grundrecht darauf, sich eine Meinung zu bilden und diese frei zu äußern. Sie ist aber kein Freifahrtschein, seine Ansichten auf jeder Bühne und zu jedem Zeitpunkt ungefiltert kundtun zu dürfen. Es wird schließlich auch nicht jeder Leserbrief, der eine Redaktion erreicht, veröffentlicht.

Und die Meinungspluralität? Der Rundfunkstaatsvertrag fordert zwar von den Öffentlich-Rechtlichen, das Prinzip der Ausgewogenheit einzuhalten und die Meinungsvielfalt in seiner Berichterstattung zu berücksichtigen. Ob das Programm ausgewogen ist und vielfältige Meinungen abbildet, entscheidet sich aber nicht in einer TikTok-Kommentarspalte. Die Plattformen dahinter sind nicht darauf ausgelegt, ein für die deutsche Gesellschaft repräsentatives Meinungsspektrum abzubilden.

Wenn man das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Verpflichtung der Öffentlich-Rechtlichen, Meinungsvielfalt im Programm abzubilden, addiert, kommt da kein Menschenrecht auf einen Talkshowplatz bei „Maischberger“ raus – und auch nicht das Recht, unter jedem beliebigen Beitrag eines Senders meine Meinung kundzutun. Die Freiheit, die eigene Meinung am Gartenzaun, auf dem eigenen Social-Media-Profil oder in Mails an die Redaktion kundzutun, meinetwegen sogar zu schreien, unfreundlich zu formulieren oder zu pöbeln, wird dadurch trotzdem nicht beschnitten. Keine Sorge.

Die Aufgabe ist nicht, möglichst viel auszuhalten

Ein weiteres, hausgemachtes Problem ist ein personelles: Wer moderiert solche Kommentarspalten eigentlich? Mein Eindruck: Keiner hat da Bock drauf. Jahrelanges Studium, journalistische Ausbildung und Fachexpertise, um dann auf Instagram Kommentare von Wutbürgern zu beantworten oder mit lustigen Emojis auf inhaltlich völlig Belangloses zu reagieren, um die Antwortquote hochzutreiben? Zugegeben: So stelle ich mir meine berufliche Zukunft auch nicht vor. In vielen Redaktionen ist Community Management, kurz CM, deshalb eine Einstiegsstelle, nach dem Motto: Du hast ein bisschen journalistische Erfahrung, willst dich hier reinarbeiten, hocharbeiten, okay, mach doch erstmal ein, zwei Jahre Community Management und dann gucken wir weiter. Ich habe mit vielen jungen Leuten in dem Bereich gesprochen und niemand hatte sich aktiv für dieses Berufsfeld entschieden. Immer ein Kompromiss, immer die Bedingung, um irgendwann weiterzukommen.

Als ich einmal bei der Arbeit zu weinen beginne, weil ich vor einem Berg von etwa 600 Kommentaren sitze, von denen 90 Prozent so rassistisch und hasserfüllt sind, dass ich sie hier nicht ohne diverse Triggerwarnungen zitieren könnte, kommt eine andere junge Community Managerin zu mir, legt mir die Hand auf die Schulter und sagt: „Du gewöhnst dich noch dran, man stumpft schnell ab, ich denk mir mittlerweile wirklich gar nichts mehr dabei.“ Sie guckt dabei, als wäre das ein prima Trost, und ich frage mich, warum mich das absolut überhaupt nicht tröstet.

Vielleicht, weil ich es absurd finde, dass Community Manager:innen gern unterstellt wird, eine zu große Sensibilität bei bestimmten Kommentarfluten wäre eine Form fehlender Professionalität und Resilienz. Auf dem Schreibtisch, an dem ich sitze, kleben Zettel mit kleinen Tipps und süßen Sprüchen, sowas wie „Halt durch!“ und „Gönn dir zwischendurch mal ne kleine Pause zum Durchatmen“. Dabei ist die Aufgabe ja nicht, furchtbare Aussagen auszuhalten, sondern im Gegenteil, aufmerksam für Diskursdynamiken zu sein.

Und auch persönliche Betroffenheit ist keine Schwäche, sondern Teil der Perspektivenvielfalt, die sich viele Redaktionen (zumindest öffentlich) wünschen. Ich habe schwarze Community Manager:innen kennen gelernt, die keine Lust mehr hatten, Tausende Kommentare zu moderieren, die mindestens implizit rassistisch waren, aber noch nicht offiziell gegen die Netiquette verstießen. Ich habe queere Community Manager:innen erlebt, denen es schlecht ging, nachdem sie unzählige queerfeindliche Kommentare lesen mussten, denen zufolge queere Menschen in Deutschland nicht mehr so offen leben sollten und die laut Netiquette in die Kategorie Meinung fallen. Warum sollten gerade solche Reaktionen nicht ein ganz guter Indikator dafür sein, ab wann sich auch ein Teil der Community in der Kommentarspalte nicht mehr sicher fühlt? Denn gerade dann ist ein Debattenraum eben nicht mehr offen für viele verschiedene Meinungen, sondern drängt Gruppen systematisch aus dem Diskurs.

Aushilfskräfte einzustellen, reicht nicht

Zu dem Besetzungsproblem gehört außerdem: Wenn Kommentarspalten tatsächlich Orte für inhaltlichen Austausch sein sollen, müssen Community Manager:innen entsprechend qualifiziert sein – undankbarer Job hin oder her. Es würde also Sinn machen, den Austausch unter Social-Media-Posts auch den Teammitgliedern zu überlassen, die den jeweiligen Beitrag recherchiert haben und entsprechend im Thema sind.

Studierende anzustellen, die offensichtliche Beleidigungen und Morddrohungen löschen und auf inhaltliche Fragen bestenfalls mit schnellen Google-Suchen antworten, ist zu wenig für Plattformen, die Hass und Hetze belohnen und Empörung fördern. Es ist zu wenig für eine Zeit, in der rechte Netzwerke gezielt redaktionelle Kapazitäten binden, indem sie sie mit teils zusammenhangslosen, teils populistischen, selten aber im Einzelnen strafrechtlich relevanten Kommentaren fluten. Hinzu kommt, dass Leuten im CM, eben weil: jung und unerfahren, gerne abgesprochen wird, eine Entscheidung wie die Limitierung oder Schließung einer Kommentarspalte treffen zu können. Ob eine Kommentarspalte gerade ein Ort wertvollen Austauschs oder die absolute Hölle ist, können aber vor allem die beurteilen, die das über Stunden hinweg beobachten.

Um das bei aller Kritik klarzustellen: Dass Redaktionen bemüht sind, ihre Inhalte auch jungen Menschen zugänglich zu machen und das da, wo die sich eben aufhalten, ist richtig. Dass das Unterhaltungsangebot der Öffentlich-Rechtlichen nicht beim ZDF-„Fernsehgarten“ im linearen Fernsehen Halt macht, sondern darum bemüht ist, auch Menschen unter 60 auf Plattformen mit entsprechend jüngeren Zielgruppen zu erreichen, ist richtig. Dass die „Tagesschau“ oder Deutschlandfunk Nachrichten auch für Instagram aufbereiten und Formate wie „Die da oben!“ jungen Menschen auf YouTube politische Zusammenhänge erklären, ist richtig. Und auch ganz andere Themen haben ihre Berechtigung: Dass Instagram-Formate wie das (vor kurzem geschlossene) glanzundnatur Jugendlichen erzählen, dass sie nicht die einzigen sind, deren eine Brust größer ist als die andere, und damit Orte der Aufklärung und des Austauschs für tendenziell schambehaftete Themen sind, ist richtig. Und natürlich stecken Social-Media-Teams einen großen Teil ihrer Ressourcen in kleinteilige Formulierungs- und Schnittfragen, weil es auf diesen Plattformen besonders wichtig ist, eine bestimmte Sprache zu treffen.

Mehr Schadensbegrenzung als Management

Es geht beim Community Management auch nicht darum, irgendwem eine Meinung aufzuzwängen: Man muss nicht der gleichen Ansicht wie ein Großteil der angestrebten Zielgruppe eines Formats sein, um sich an einer Diskussion in der Kommentarspalte zu beteiligen zu dürfen. Eine Perspektive auf die Welt muss nicht mal fachlich fundiert oder korrekt sein, damit Redaktionen sich ihrer annehmen. Meinungsfreiheit gesteht einem ja nicht nur allerlei persönliche Einstellungen zu, man darf inhaltlich sogar ziemlich auf dem Holzweg sein.

Aber: Redaktionen müssen die eigenen, digitalen Debattenräume auch nicht für jeden Mist und jede Hasswelle offenhalten. Die journalistische Verantwortung endet nicht, wenn Beiträge  hochgeladen sind. Die Kommentarfunktion auf Social Media ist eine große Chance, herauszufinden, was Menschen bewegt, Aufklärung zu leisten, einzuordnen und Rede und Antwort zu stehen. Community Management, so wie ich es mitbekomme und erlebt habe, hat in vielen Fällen allerdings herzlich wenig mit Managen zu tun, sondern vor allem mit dem kläglichen Versuch von Schadensbegrenzung.

*Korrektur am 22. Juli 2024: Hier stand zunächst, „Monitor“ dauere eine Dreiviertelstunde.

19 Kommentare

  1. Ich mag, wie die SZ das auf Facebook gelöst hat: Die machen ihre Kommentarbude einfach zu, wenn es ihnen stinkt.

  2. Guter Beitrag!
    Ich persönlich finde es gut, dass bei der Tagesschau auf YT die Kommentarfunktion deaktiviert ist. Unter so vielen Beiträgen vom ÖRR wird nur geschimpft und beleidigt, was ich völlig deplatziert finde.
    Kann aber nachvollziehen, dass man die Regeln des Algorithmus befolgen will um Reichweite zu generieren. Bin mir aber nicht sicher, ob das der Anspruch des ÖRR sein sollte.

  3. Entspricht auch meinen Erfahrungen, wenn man sich allzu sehr auf Regeln verlässt, werden diese ausgenutzt – und wenn der Diskursraum mal verloren ist bleiben die „normalen“ Nutzer:innen auch weg.
    Funktionierende Communities moderieren streng.
    Kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Öffentlichen diesen Vorschlägen folgen würden.

  4. Als „Nurleser(in)“ (also Nichtjournalist(in)) könnte man sich ja von diesem Mist fernhalten. (Es gibt Freunde/Freundinnen, die mich fragen, warum liest du das überhaupt).
    Aber ich schaffe es einfach nicht (so hoffnungslos es oft ist), diesen katastrophalen Äußerungen nicht etwas entgegen zu setzen. Es macht mich fassungslos, was heutzutage alles als „freie Meinungsäußerung“ reklamiert wird (und dann auch noch von Leuten, die sich Verhältnisse/Regierungen wünschen, die keinerlei freie Meinungsäußerung zulassen).
    Danke für diesen Text.

  5. Ich finde es schade und schädlich, dass die Algorithmen nur die Quantität der Kommentare und Interaktion mit mehr Reichweite (innerhalb bestimmter Kreise) belohnt. Aber weshalb ist den öffentlich rechtlichen Redaktionen diese Reichweite dann so wichtig, wenn sie aus technischen Gründen die falschen Leute, also nicht die anvisierte Zielgruppe, erreicht?

    Ich wäre auch generell dafür, dass man bei Social Media nur noch mit Klarnamen auftreten kann und entsprechend mit Klarnamen kommentiert. Vielleicht wäre dann die ein oder andere „Meinung“ nicht mehr dabei.

  6. Sehr richtiger und wichtiger Beitrag. Keine Widerworte akzeptieren können oder Richtlinien in Foren ist das Verhalten von Kleinkindern. Und von denen gibt es im Erwachsenenkörper heute erschreckend viele. Zugleich fehlen im Netz die soziale Kontrolle und die Konsequenzen. Das führt dann wirklich in die hier beschriebene Hölle.
    Im Übrigen finde ich, dass die öffentlich-rechtlichen Medien viel zu schwach sind. Die sollten mal den Bürgern den Spiegel vorhalten und nicht nur der Politik. Dieser Aufgabe kommen sie nicht mehr nach. Andere Medien aber auch nicht genug. „Der Bürger“ hat heute immer Recht, Schuld sind immer „die da oben“. Das ist eine Sackgasse. Die Deutschen arbeiten selbst fleißig mit am Stillstand, nölen gerne rum und führen sich gerne mal auf wie Prinzessinnen auf der Erbse. Hinzu kommt Kundenmentalität im Endstadium und gruseliges Anspruchsdenken. Man kauft sich nix durch Steuern und Gebühren, sondern man finanziert damit Eliten, die neue Wege vorschlagen (sollten). Dass die das auch nicht unbedingt gut machen, ist auch ein Problem. Aber wenn man lieber einen elefantösen Furz gegen die Grünen quersitzen hat und die Augen vor nötigen Veränderungen verschließt, anstatt mal gewisse Realitäten anzuerkennen, solchen Bürgern ist halt auch nicht zu helfen.

  7. Danke! Es ist also so wie ich befürchtet habe – aus Angst vor Ablehnung (die ist sowieso vorhanden) überlässt man die Kommentare (sofern nicht strafbar, was wohl 95% der Kommentare sein dürften) dem Mob.

    Sei es bei Monitor, sei es bei Weltspiegel oder auch nur ZDF. Überall das gleiche Bild: keine Diskussion aber dumpfer (nicht strafbarer) Hass.

    Diskussionen oder konstruktives findet sich nur sehr selten, wobei YouTube mit “verschwindenden” Kommentaren selbst hier querschießt.

    Diese Wut, diese Häme, dieser Hass erzeugt eine “Wand” bei man sich fragt “denkt die Mehrheit vielleicht echt so? Sollte ich einfach aufgeben?”

  8. Es ist immer eine gute Idee, die Realität verbieten zu wollen. Dann ist sie ja auch gleich eine andere.

  9. Die Autorin schreibt: „Meinungsfreiheit gesteht einem ja nicht nur allerlei persönliche Einstellungen zu, man darf inhaltlich sogar ziemlich auf dem Holzweg sein. Aber:“
    Meine Meinung dazu: Kein „Aber“. Sonst ist es keine Meinungsfreiheit. Ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie.

  10. @5
    Diesen Einwand verstehe ich nicht. Es wird ja nicht die Realität verboten, sondern die Belästigung stummgeschaltet. Wenn der Adiletten-Nachbar mich von seinem Grundstück aus dauerbepöbelt, mach‘ ich doch – friedlichstenfalls – auch das Fenster zu.

  11. Vielleicht würde es ‚helfen’, direkt mit dem Posting einen Hinweis dazuzusetzen – so in der Art: „Die Kommentarfunktion ist für die nächsten fünf Stunden für eure Kommentare freigeschaltet. Danach wird sie geschlossen.“

  12. Irgendwie halte ich es schon für Sinn und Zweck gerade einer ö.r. Kommentarspalte, Diskussionen zu ermöglichen, und den Wehrmacht-Spruch halte ich für kontextabhängig mehr oder weniger schlimm.
    Andererseits ist es so wie mit Leserbriefen – es hat nie ein Recht darauf gegeben, dass jeder Leserbrief veröffentlicht wurde, vor allem nicht ungekürzt oder unkommentiert. Und ich habe nicht den Eindruck, dass es der Ehrgeiz von Zeitungen war, möglichst viele Leserbriefe zu veröffentlichen, auch wenn das sicher auch ein Zeichen von Kundenbindung war.

  13. @Mycroft (#14):

    Andererseits ist es so wie mit Leserbriefen – es hat nie ein Recht darauf gegeben, dass jeder Leserbrief veröffentlicht wurde, vor allem nicht ungekürzt oder unkommentiert.

    Stimmt, da lag die Entscheidung bei der Redaktion – sie konnte sich ein Meinungsbild aus Zustimmung und Kritik nach Gusto selbst komponieren. Einerseits bedenklich, weil nur die Kritik veröffentlicht wurde, die der Redaktion in den Kram passte. Andererseits verständlich, denn Leserbriefspalten dürften schon immer ein Wirrkopf-Magnet gewesen sein. Nur konnte man früher halt die wirrsten Briefe in der Rundablage entsorgen.

    Dieser Filter fällt jetzt weg: Die Entscheidung lautet löschen oder nicht statt drucken oder nicht. Diese Umkehrung macht die Sache hässlich, weil man sich notgedrungen einem Zensurverdacht aussetzt. Das Ergebnis sind Kommentarspalten, die vor bräsiger Verbitterung strotzen, selbst wenn die Beleidigungen gelöscht sind.

  14. Danke für diese Reflexionen, die mir aus dem Herzen sprechen. Die Lösungsvorschläge – Schließung von Kommentarsträngen, wenn sich abzeichnet, dass sie vom Mob übernommen werden, und eine Professionalisierung des Community Managements – sind vielleicht noch nicht der Weisheit letzter Schluss, erscheinen aber durchaus zielführend und praktikabel. (Jedenfalls besser als etwa die Klarnahmenpflicht, die in #7 aus der Mottenkiste geholt wird.) Darüber hinaus würden mich mal Vergleiche interessieren, welche Plattformen das besser oder schlechter hinkriegen, und aus welchen Gründen jeweils.

    @Th. Koch / #10: Dass ein Mob – und schlimmstenfalls auch andere – sein Online-Gegrunze mit der Realität verwechselt, ist ein weiterer Grund, dieses Treiben zu stoppen.

  15. Vielen Dank für den guten Beitrag! Spricht mir aus der Seele und scheint mir auch gut praktikabel: die Kommentarfunktion eine kurze Zeit offen- und aushalten – und dann zu damit. Meinungsfreiheit bedeutet nicht, end- und grenzenlos Raum für alle möglichen Äußerungen zu schaffen. Gerade vor dem Hintergrund, dass möglichst intensives Beschäftigen der Redaktionen mit solchen Kommentaren öfter mal beliebte Strategie ist. Journalist:innen in ohnehin kleiner gewordenen Redaktionsteams sollten nicht mit dem Aushalten und Bearbeiten unzähliger Kommentare belastet werden.

  16. Ein „gutes“ Beispiel zur Illustration, befindet sich unter dem diesen Abend eingestellten ZDFheute live-Beitrag »Fake News nach russischem Angriff auf Kinderklinik in Kiew« auf YT. Nach nicht mal einer halben Stunde gab es fast 500 Kommentare. Liest man sich das durch, gibt es praktisch ausschließlich Verunglimpfungen. Mit Lach-Emotes wird alles lächerlich gemacht. Eine Moderation habe ich bisher (jetzt sind ein paar Stunden vergangen) nicht feststellen können.

  17. #10: Bitte erst Lesen, dann versuchen zu verstehen und erst dann kommentieren. Ansonsten steht man ganz schnell a bisserl doof da.

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